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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 17.03.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 1877/04
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 4
§ 4 Abs. 2 Satz 2 BAT lässt die gesonderte Kündigung von Nebenabreden zu, soweit dies durch Tarifvertrag vorgesehen oder einzelvertraglich vereinbart ist. Außer der Beachtung der Kündigungsfrist gelten für die Kündigung einer Nebenabrede keine weiteren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere bedarf es keiner Beteiligung des Personalrats.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. Juli 2004 - 3 Ca 419/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag.

Der am 17. Juni 1950 geborene, verheiratete Kläger hat keine Kinder. Er ist seit 15. August 1985 bei der Beklagten als Schulhausmeister beschäftigt. Nach dessen § 2 findet auf das Arbeitsverhältnis der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) jeweils geltenden Fassung Anwendung. Zeitgleich mit dem Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien zwei Nebenabreden, eine hinsichtlich der Überstunden für außerschulische Veranstaltungen und eine weitere über die Pauschalierung der Vergütung geleisteter Überstunden (Bl. 4 d.A.). Diese Nebenabrede enthält unter § 3 folgende Regelung:

"Die Nebenabrede kann mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende gekündigt werden."

Zuletzt betrug die Überstundenpauschale € 226,00 brutto monatlich.

Mit Schreiben vom 06. Februar 2004 (Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte diese Nebenabrede. Unter dem 10. Februar 2004 erläuterte sie dem Kläger diese Maßnahme dahingehend, dass sie aufgrund von Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen erforderlich ist und die künftig anfallenden Überstunden nach dem tatsächlich geleisteten Aufwand vergütet werden.

Gegen diese Maßnahme hat sich der Kläger mit seiner Feststellungsklage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, bei dem Schreiben vom 06. Februar 2004 handele es sich um eine unzulässige Teilkündigung. Zudem lägen hierfür keine Kündigungsgründe vor. Schließlich hat der Kläger bestritten, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung der Nebenabrede den Personalrat angehört hat.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Kündigung der Nebenabrede zum Arbeitsvertrag - Überstundenpauschale für schulische Veranstaltungen - vom 06. Februar 2004, dem Kläger am 12. Februar 2004 zugegangen, rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung der Nebenabrede greife nicht in wesentliche Elemente der beiderseitigen arbeitsvertraglichen Beziehungen ein, weshalb eine (unzulässige) Teilkündigung nicht vorliege. Jedenfalls sei die Kündigung der Nebenabrede als Ausübung eines Widerrufsvorbehalts auszulegen. Hierfür sei weder eine Kündigungsfrist einzuhalten noch der Personalrat zu beteiligen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat § 3 der Nebenabrede als Widerrufsvorbehalt ausgelegt, der auch rechtswirksam sei. Die Ausübung des Widerrufs entspreche billigem Ermessen. Mitbestimmungsrechte des Personalrats seien insoweit nicht zu beachten.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit dem Rechtsmittel der Berufung. Er ist der Ansicht, die Auslegung von § 3 der Nebenabrede als Widerrufsvorbehalt sei rechtsfehlerhaft. Aus dem Wortlaut der Nebenabrede ergebe sich, dass diese "kündbar" sein soll. Auch in dem Schreiben vom 06. Februar 2004 habe die Beklagte den Begriff "Kündigung" verwandt. Dies stehe einer Auslegung als Widerrufsvorbehalt entgegen. Bei der Kündigung der Nebenabrede handele es sich um eine unzulässige Teilkündigung. Aus dem Umstand, dass beide Nebenabreden und der Arbeitsvertrag am selben Tag geschlossen wurden, folge, dass sie Teil eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses seien. Daher seien die Nebenabreden nicht separat kündbar. Jedenfalls bedürfe die Kündigung einer sozialen Rechtfertigung entsprechend den Voraussetzungen der betriebsbedingten Änderungskündigung zur Entgeltsenkung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 28. Juli 2004 - 3 Ca 419/04 - abzuändern und festzustellen, dass die Kündigung der Nebenabrede zum Arbeitsvertrag - Überstundenpauschale für schulische Veranstaltungen - vom 06. Februar 2004, dem Kläger zugegangen am 12. Februar 2004, rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. In seiner Begründung hat das Arbeitsgericht jedoch übersehen, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Februar 1987 (6 AZR 129/84) infolge des durch den 66. Änderungstarifvertrag zum BAT vom 24. April 1991 mit Wirkung vom 01. April 1991 eingefügten § 4 Abs. 2 Satz 2 BAT überholt ist.

I. Die Klage ist zulässig. Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO kann das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein. Die Feststellungsklage muss sich dabei nicht notwendigerweise auf das Rechtsverhältnis in seiner Gesamtheit beziehen, auch einzelne Beziehungen oder Rechtsfolgen eines Rechtsverhältnisses können Gegenstand der Feststellungsklage sein. Unzulässig ist es allerdings, lediglich abstrakte Rechtsfragen durch das Gericht klären zu lassen (Germelmann, ArbGG, 5. Aufl., § 46 Rn 53, 55, m.w.N.). Die Feststellungsklage bezieht sich auf einzelne Beziehungen des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses, nämlich den Bestand einer Nebenabrede.

Der Kläger hat auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Dieses ergibt sich daraus, dass die Höhe seiner Vergütung davon abhängt, ob die Überstunden pauschaliert vergütet oder "spitz" abgerechnet werden.

Die Feststellungsklage ist auch geeignet, den Kläger zu seinem Klageziel zu führen. Zwar könnte für jeden einzelnen Monat eine Leistungsklage erhoben werden, soweit sich unter Berücksichtigung der tatsächlich geleisteten Überstunden eine Differenz hinsichtlich der Vergütung zwischen der pauschalierten Überstundenvergütung und einer auf die tatsächliche Mehrarbeit bezogenen Abrechnung der Überstunden ergibt. Aus dem Feststellungsantrag ergeben sich jedoch auch Folgen für die Zukunft. Bei Unwirksamkeit der Kündigung der Nebenabrede steht nämlich fest, dass der Kläger weiterhin die Überstundenpauschale verlangen kann. Hieraus folgt das besondere Feststellungsinteresse des Klägers.

II.

Die Klage ist nicht begründet. Die Kündigung der Nebenabrede zum Arbeitsvertrag - Überstundenpauschale für schulische Veranstaltungen - vom 06. Februar 2004 ist rechtswirksam.

1.

§ 4 Abs. 2 Satz 2 BAT lässt die gesonderte Kündigung von Nebenabreden zu, soweit dies durch Tarifvertrag vorgesehen oder einzelvertraglich vereinbart ist. Unter diesen Voraussetzungen braucht nicht der gesamte Arbeitsvertrag im Wege der Änderungskündigung gekündigt zu werden; eine unzulässige Teilkündigung des Arbeitsvertrages liegt nicht vor (Clemens/Scheuring/Steingen/ Wiese, BAT, Stand Juli 2005, § 4 Erläuterung 9 d); Böhm/Spiertz/Sponer/ Steinherr, BAT, Stand Januar 2006, § 4 Rn 129). Außer der Beachtung der Kündigungsfrist gelten für die Kündigung einer Nebenabrede keine weiteren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Dies folgt aus der Auslegung von § 4 Abs. 2 Satz 2 BAT.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 15. Februar 1990 - 6 AZR 386/88 - AP BAT § 17 Nr. 17, zu III. 1. a) d.Gr., m.w.N.).

b) Der Wortlaut von § 4 Abs. 2 Satz 2 BAT enthält keine materielle Einschränkung des Kündigungsrechts. Die tarifvertragliche Regelung nennt lediglich die Kündigungsmöglichkeit und die Kündigungsfrist. Darüber hinaus sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien zusätzlich ein materielles Kündigungserfordernis im Zeitpunkt des Zugangs gewollt hätten. Die Kündigung einer Nebenabrede ist daher grundlos möglich. Sie darf nur nicht willkürlich erfolgen.

c) In § 3 der Nebenabrede haben die Parteien vereinbart, dass diese mit einer Frist von 14 Tagen gekündigt werden kann. Diese Frist hat die Beklagte beachtet, indem sie mit dem dem Kläger am 12. Februar 2004 zugegangenen Schreiben vom 06. Februar 2004 zum 29. Februar 2004 die Nebenabrede gekündigt hat. Die Kündigung der Nebenabrede erfolgte auch nicht willkürlich. Wie sich aus der Erläuterung der Beklagten vom 10. Februar 2004 ergibt, sah sich die Beklagte aufgrund der von den städtischen Körperschaften verfügten Haushaltungskonsolidierungsmaßnahmen hierzu veranlasst.

2.

Einer Beteiligung des Personalrats bedurfte es nicht. Nach § 77 Abs. 1 Nr. 2 i) HPVG bestimmt der Personalrat mit in Angelegenheiten der Angestellten und Arbeiter bei ordentlicher Kündigung außerhalb der Probezeit. Eine Auslegung dieser Vorschrift ergibt, dass damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber die einer neben dem Arbeitsvertrag bestehenden Nebenabrede gemeint ist. Der Begriff der ordentlichen Kündigung ist in § 53 BAT definiert. Es handelt sich um eine einseitige (hier seitens des Arbeitgebers) empfangsbedürftige und rechtsgestaltende Willenserklärung, mit der die Auflösung eines rechtswirksam begründeten Beschäftigungsverhältnisses erzielt werden soll (von Roettecken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, HPVG, § 77 Rn 424). Auch daraus, dass § 77 Abs. 1 Nr. 2 i) HPVG ausdrücklich auf die Kündigung "außerhalb der Probezeit" Bezug nimmt, ergibt sich, dass die Kündigung sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt beziehen muss. Dies ist bei der Kündigung einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag nicht der Fall, da hierdurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht berührt wird.

C.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Insbesondere liegt dem Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde.

Ende der Entscheidung

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