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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 06.10.2008
Aktenzeichen: 4 Ta 342/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 54
ZPO § 251
Beantragen die Parteien die Anordnung des Ruhens des Verfahrens wegen laufender Vergleichsverhandlungen und ordnet das Arbeitsgericht im Gütetermin antragsgemäß das Ruhen des Verfahrens an, liegt kein Säumnisfall im Sinne von § 54 Abs. 5 ArbGG vor. In diesem Fall führt ein Nichtbetreiben des Verfahrens über mehr als sechs Monate nicht zum Eintritt der Rücknahmefiktion des § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 23. Juli 2008 - 7 Ca 427/07 - aufgehoben.

Dem Arbeitsgericht wird aufgegeben, Kammertermin anzuberaumen und gemäß § 56 ArbGG die streitige Verhandlung vorzubereiten.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über den Eintritt der Rücknahmefiktion von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Verfahren Vergütungsansprüche für die Zeit der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit geltend gemacht. Im Gütetermin vom 03. Dezember 2007 ordnete das Arbeitsgericht "auf Vorschlag der Parteivertreter wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen" das Ruhen des Verfahrens an. In dem angefochtenen Beschluss hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Parteien im Gütetermin erschienen seien und Erklärungen abgegeben hätten. Nach dem Scheitern der außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen der Parteien rief der Beschwerdeführer das Verfahren mit einem beim Arbeitsgericht am 04. Juni 2008 eingegangenen Schriftsatz wieder auf. Den darauf zunächst angeordneten Kammertermin hob das Arbeitsgericht mit dem angefochtenen Beschluss wieder auf. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Klage gemäß § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG als zurückgenommen gelte. Die Parteien hätten durch ihren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens zu erkennen gegeben, dass sie nicht ausreichend verhandeln wollten. Aus welchem Grund dies geschah, sei nicht erheblich.

Der Beschwerdeführer hat gegen den am 25. Juli 2008 zugestellten Beschluss am 08. August 2008 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerdegegnerin verteidigt die Würdigung des Arbeitsgerichts und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Wegen der Ausführungen des Beschwerdeführers wird auf die Schriftsätze vom 07. Juli und 07. August 2008 und wegen der der Beschwerdegegnerin auf den Schriftsatz vom 30. September 2008 Bezug genommen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Weist ein Arbeitsgericht einen Antrag auf Anberaumung eines Kammertermins zurück, weil es vom Eintritt der Klagerücknahmefiktion von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ausgeht, kann die antragstellende Partei dagegen nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Beschwerde einlegen (LAG Saarland 09. Juni 2000 - 2 Ta 2/00 - NZA-RR 2000/546; GK-ArbGG-Schütz Stand September 2008 § 54 Rn 72). Es handelt sich dabei um ein Nichtbetreiben des Prozesses, das dem Nichtbetreiben aufgrund einer Aussetzungsentscheidung gleichkommt. Daher wird im Fall der Ablehnung der Terminierung eines Rechtsstreits in analoger Anwendung von § 252 ZPO eine sofortige Beschwerde allgemein als zulässig betrachtet (vgl. etwa OLG Frankfurt/Main 22. Februar 1974 - 16 W 11/74 - NJW 1974/1715; OLG Schleswig-Holstein 26. Juni 1981 - 1 W 94/81 - NJW-RR 1982/ 246; Musielak-Stadler ZPO 5. Aufl. § 216 Rn 11). Da sich eine Partei auf andere Weise gegen ein Verfahrensrecht verletzendes Nichtbetreiben eines Rechtsstreits durch ein Gericht nicht zur Wehr setzen kann, wird dies letztlich durch den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geboten.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klage gilt nicht gemäß § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG als zurückgenommen, da kein Fall von § 54 Abs. 5 ArbGG vorliegt.

Nach § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ordnet das Arbeitsgericht das Ruhen des Verfahrens an, wenn beide Parteien in der Güteverhandlung nicht erscheinen oder nicht verhandeln. Nach einer solchen Anordnung haben beide Parteien gemäß § 54 Abs. 5 Satz 2, Satz 3 ArbGG die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten die Anberaumung eines Termins zur streitigen Verhandlung vor der Kammer zu beantragen und damit den Prozess fortzusetzen. Nach Ablauf dieser Frist gilt die Klage in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 bis Abs. 5 ZPO als zurückgenommen (§ 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG).

Hier sind nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts die Parteien im Gütetermin erschienen. Sie haben dort Erklärungen zu dem Rechtsstreit abgegeben und damit verhandelt. Ergebnis der Verhandlungen war, dass die Parteien außergerichtlich über eine einvernehmliche Lösung verhandeln wollten und der Rechtsstreit solange ruhen sollte. Damit haben die Parteien die ihnen durch § 251 Satz 1 ZPO eingeräumte Vorgehensweise ergriffen. Das Arbeitsgericht hat dies in seinem Beschluss vom 03. Dezember 2007 durch die Begründung der Aussetzung des Rechtsstreits mit den außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen der Parteien ausdrücklich festgestellt. Ein derartiges Vorgehen ist kein Nichtverhandeln im Sinne von § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG.

Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur zum Teil angenommen, dass § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG anwendbar sei, wenn die Parteien aufgrund außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen im Sinne von § 251 Satz 1 ZPO im Gütetermin nicht erscheinen oder in diesem das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 Satz 1 ZPO beantragen (LAG Schleswig-Holstein 09. September 2005 - 2 Ta 207/05 - Juris; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 54 Rn 51; Creutzfeldt in Bader/Creutzfeldt/Friedrich ArbGG 5. Aufl. § 54 Rn 18; Berscheid/Korinth in Schwab/Weth ArbGG 2. Aufl. § 54 Rn 42, 43; Heider in Dornbusch/Fischermeier/Löwisch Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht § 54 ArbGG Rn 7). Demgegenüber geht die Gegenansicht zu Recht davon aus, dass ein Ruhen nach § 251 Satz 1 ZPO die Rechtsfolge von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG nicht auslöst, da § 54 Abs. 5 ArbGG keine § 251 ZPO verdrängende Spezialnorm ist (LAG Saarland 09. Juni 2000 a. a. O.; LAG Berlin 19. September 2003 - 5 Ta 1841/03 - LAGE ArbGG 1979 § 54 Nr. 7, zu 2; LAG München 11. September 2006 - 6 Sa 1089/05 - Juris, zu 2; ArbG Regensburg 08. Mai 2006 - 4 Ca 2656/05 - Juris, zu II; Nungeßer AR-Blattei SD 160.9 Rn 89, 98, 107, 108, 114; ErfK-Koch 8. Aufl. § 54 ArbGG Rn 12; HK-ArbR-Schmitt § 54 ArbGG Rn 15).

Die Möglichkeit der Parteien, gemäß § 251 Satz 1 ZPO die Anordnung des Ruhens des Verfahrens wegen schwebender Vergleichsverhandlungen zu beantragen, besteht während des gesamten Verfahrens. Die Gerichte haben auf einen solchen Antrag das ihnen durch die Norm eingeräumte Ermessen auszuüben und zu prüfen, ob die Aussetzung in der jeweiligen Lage des Verfahrens zweckmäßig ist. Es gibt keinen einleuchtenden Sachgrund, diese Möglichkeit im Gütetermin punktuell auszuschließen und die rigide Rechtsfolge von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG anzuwenden, wenn die Parteien den Antrag gemäß § 251 Satz 1 ZPO wie hier im Gütetermin stellen. Sie könnten die Rechtsfolge von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG in diesem Prozessstadium ohnehin umgehen, indem sie einen Beschluss gemäß § 251 Satz 1 ZPO bereits vor dem Gütetermin erwirken (vgl. Nungeßer a. a. O. Rn 114) oder das Arbeitsgericht im Gütetermin einen Kammertermin bestimmen lassen und kurze Zeit später den Antrag nach § 251 Satz 1 ZPO stellen. § 54 Abs. 5 ArbGG sanktioniert mit der Rechtsfolge von § 54 Abs. 5 Satz 4 ArbGG eine Verletzung der Prozessförderungspflichten der Parteien. An einer derartigen Verletzung fehlt es, wenn die Parteien die im Verfahrensrecht ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit der Aussetzung zum Zweck von Vergleichsverhandlungen nutzen und das Gericht dies im Rahmen seiner Entscheidung nach § 251 Satz 1 ZPO als zweckmäßig erachtet. Dann kann - möglicherweise anders als im Fall der Zurückweisung des Antrags gemäß § 251 Satz 1 ZPO - ein Nichtverhandeln im Sinne von § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG nicht angenommen werden, da das Arbeitsgericht das Vorgehen der Parteien dann als zweckmäßig betrachtet und mit der Stattgabe des Antrags billigt. Unter diesen Voraussetzungen kann für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens im Gütetermin nichts anderes gelten als für eine entsprechende Anordnung in anderen Verfahrensstadien, da ein eine Differenzierung rechtfertigender Sachgrund fehlt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 2, 78 Satz 2 ArbGG zuzulassen, da die vorliegende Entscheidung auf einer Divergenz zu dem Beschluss des LAG Schleswig-Holstein vom 09. September 2005 (a. a. O.) beruht.

Ende der Entscheidung

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