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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 22.11.2005
Aktenzeichen: 4 TaBV 165/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 1
BetrVG § 9
BetrVG § 19
BetrVG § 21 b
1. Die Wahl eines Betriebsrats für einen eindeutig nicht betriebsratsfähigen Betrieb ist nichtig.

2. Das BetrVG lässt die Wahl eines Betriebsrats ausschließlich zum Zweck der Ausübung eines Restmandates nicht zu.


Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2005 - 15 BV 923/05 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bestellung einer Einigungsstelle.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin betrieb eine Wertpapierhandelsbank und beschäftigte 32 Arbeitnehmer. Ihr Vorstand beschloss Anfang Februar 2005, den Betrieb stillzulegen und das Unternehmen zu liquidieren. Am 15. April 2005 bestätigte die Hauptversammlung die Liquidation. Parallel dazu betrieben mehrere Arbeitnehmer die Wahl eines Betriebsrats. Am 15. April 2005 wurde ein dreiköpfiger Betriebsrat gewählt. Der Liquidator der Arbeitgeberin lehnte Verhandlungen mit diesem über einen Interessenausgleich und Sozialplan ab.

Die Arbeitgeberin hatte mit Schreiben vom 24. Februar 2005 gegenüber der Bundesagentur für Arbeit die Entlassung von 32 Arbeitnehmern zum 31. März 2005 oder zu späteren Terminen angezeigt. Sie kündigte die Arbeitsverhältnisse in der Folgezeit. Mitte Juli 2005 bestanden noch sieben Arbeitsverhältnisse. Vier von diesen endeten aufgrund zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftiger gerichtlicher Vergleiche zum 31. Juli 2005. Das Arbeitsverhältnis eines der Betriebsratsmitglieder endete zum 30. Juni 2005. Die beiden anderen Betriebsratsmitglieder schieden zum 31. Juli 2005 aus. Ersatzmitglieder waren nicht mehr vorhanden. Am 15. Juli 2005 wurde aufgrund einer sieben Arbeitnehmer umfassenden Wählerliste eine Wahlversammlung zur Neuwahl eines Betriebsrats am 28. Juli 2005 ausgeschrieben. An diesem Tag wurde der antragstellende, aus drei Mitgliedern bestehende Betriebsrat gewählt. Die Arbeitgeberin hält die Wahl für nichtig. Angefochten hat sie die Wahl nicht. Der Betriebsrat verfolgt im vorliegenden Verfahren sein außergerichtlich erfolglos geltend gemachtes Anliegen weiter, eine Einigungsstelle zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans zu bilden.

Wegen der Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts, des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der dort gestellten Anträge wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 111 - 114 d.A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen, da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Der Betriebsrat sei erst zu einem Zeitpunkt errichtet worden, als mit der Umsetzung der Betriebsänderung bereits begonnen worden sei. Deshalb bestehe kein Mitbestimmungsrecht gemäß §§ 111, 112 BetrVG. Der Betriebsrat habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Betriebsratswahl seit Februar 2005 von der Arbeitgeberin rechtswidrig verzögert worden sei.

Der Betriebsrat legte gegen den am 27. September 2005 zugestellten Beschluss am 11. Oktober 2005 Beschwerde ein und begründete diese gleichzeitig. Der Betriebsrat tritt der Würdigung des Arbeitsgerichts entgegen und ist der Auffassung, seine Wahl im Juli 2005 sei nicht nichtig gewesen. Wegen des Ausscheidens aller Mitglieder des im April 2005 gewählten Betriebsrats aus dem Unternehmen sei gerade auch wegen des Streits um den Sozialplan eine Neuwahl erforderlich gewesen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die Schriftsätze vom 11. Oktober und 09. November 2005 Bezug genommen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2005 - 15 BV 923/05 - abzuändern und

1. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik Interessenausgleich und Sozialplan wegen der Liquidation der A AG i.L. den Direktor des Arbeitsgerichts a.D. B zu bestellen,

2. die Zahl der Beisitzer auf zwei pro Seite festzusetzen.

Die Arbeitgeberin verteidigt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Wegen des zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den Schriftsatz vom 31. Oktober 2005 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Anträge sind zurückzuweisen, da sie nicht zulässig sind. Der Betriebsrat ist nicht antragsbefugt, weil die Wahl vom 28. Juli 2005 nichtig ist.

In Zusammenhang mit einer Betriebsratswahl kann über die im gesetzlich geregelten Anfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG geltend zu machenden Wahlmängel hinaus das Wahlrecht in einer solchen Weise verletzt werden, dass das Entstehen eines Betriebsrats von vornherein ausgeschlossen ist. Dazu muss der Wahlmangel grundlegende Wahlvorschriften gravierend und evident verletzen. Bei der Wahl muss gegen wesentliche Grundsätze des Wahlrechts in einem so hohen Maß verstoßen worden sein, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl gewahrt wird (ständige Rechtsprechung, etwa BAG 29. April 1998 - 7 ABR 42/97 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 58, zu B II 2; 19. Januar 1999 - 1 AZR 342/98 - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 37, zu III 1; 22. März 2000 - 7 ABR 34/98 - BAGE 94/144, zu B I 2 b). Dazu genügt es nicht, wenn der Betriebsrat zwar unter Verkennung des Betriebsbegriffs der §§ 1, 3, 4 BetrVG gewählt wird, aber für eine betriebliche Einheit, die an sich betriebsratsfähig ist (BAG 19. Januar 1999 a.a.O., zu III 1, 2 b; 19. November 2003 - 7 AZR 11/03 - AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 19, zu C I 1; 03. Juni 2004 - 2 AZR 577/03 - EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 55, zu B). Nichtig ist dagegen eine Betriebsratswahl für einen eindeutig nicht betriebsratsfähigen Betrieb (GK-BetrVG-Kreutz 8. Aufl. § 19 Rz 137; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock BetrVG 6. Aufl. § 19 Rz 18; Richardi-Thüsing BetrVG 9. Aufl. § 19 Rz 73; ErfK-Eisemann 5. Aufl. § 19 BetrVG Rz 18; Etzel Betriebsverfassungsrecht 8. Aufl. Rz 153; Schneider in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 9. Aufl. § 19 Rz 40; entsprechend für den Fall der Wahl eines Betriebsrats für einen Betrieb, der gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG nicht dem Geltungsbereich des BetrVG unterliegt BAG 30. April 1997 - 7 ABR 60/95 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 66, zu B; 29. April 1998 a.a.O., zu B II 3 a). Ein aus einer nichtigen Wahl hervorgegangener Betriebsrat verfügt von Anfang an über keine betriebsverfassungsrechtlichen Rechte. Der gerichtliche Ausspruch der Nichtigkeit der Wahl hat lediglich deklaratorische Bedeutung (BAG 13. März 1991 - 7 ABR 5/90 - BAGE 67/316, zu B; 29. April 1998 a.a.O., zu B II 2).

Nach diesem Maßstab war die Betriebsratswahl vom 28. Juli 2005 nichtig. Der Betriebsrat wurde zu einem Zeitpunkt gewählt, zu dem feststand, dass im Betrieb mit dem Beginn der auf die Wahl folgenden Woche und damit vom ersten Tag der Amtszeit des neu gewählten Betriebsrats an bis zur vollständigen Stilllegung des Betriebs allenfalls noch drei Arbeitnehmer beschäftigt werden würden. Dies verletzte §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 9 Satz 1 BetrVG eindeutig und gravierend. Nach diesen Vorschriften sind nur Betriebe betriebsratsfähig, in denen regelmäßig mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Dies war vorliegend bereits zum Zeitpunkt der Wahlausschreibung nach der gemäß § 9 BetrVG erforderlichen Prognose der zukünftigen Betriebsgröße eindeutig und ohne jeden ernsthaft begründbaren Zweifel zu verneinen. Dass es nicht richtig sein kann, einen dreiköpfigen Betriebsrat für einen Betrieb zu wählen, in dem vorübergehend noch drei Arbeitnehmer beschäftigt werden und der sodann stillgelegt werden soll, hätte sich jedem verständigen Betrachter aufdrängen müssen.

An der Nichtigkeit der Wahl ändert auch der Hinweis des Betriebsrats auf den aus seiner Sicht noch abzuschließenden Sozialplan nichts. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht eine Möglichkeit zur Wahl eines Betriebsrats ausschließlich zur Wahrnehmung eines Restmandats nicht vor. Das Restmandat nach § 21 b BetrVG hat vielmehr der im Zeitpunkt der Beendigung des Vollmandats im Amt befindliche Betriebsrat auch über das Ende seiner Amtszeit und über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse seiner Mitglieder hinaus inne (BAG 12. Januar 2000 - 7 ABR 61/98 - AP BetrVG 1972 § 24 Nr. 5, zu B II 2 d bb; 05. Oktober 2000 - 1 AZR 48/00 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 141, zu II 1 b; GK-BetrVG-Kreutz a.a.O., § 21 b Rz 16, 18, 19). Träfe demgegenüber die Auffassung des Betriebsrats zu, würden die wenigen zum Zeitpunkt der Wahl noch beschäftigten Arbeitnehmer die Mitglieder des für die Ausübung des Restmandats zuständigen Gremiums alleine bestimmen, obwohl das Restmandat alle von der Betriebsstilllegung betroffenen Arbeitnehmer umfasst. Ein solches Mandat wäre nicht hinreichend demokratisch legitimiert.

Ende der Entscheidung

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