Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.04.2005
Aktenzeichen: 6/16 Sa 2242/04
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 9 I 1
EFZG § 3 I 1
Zu den Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers bei Arbeitsverhinderung in Folge einer Maßnahme der medzinischen Rehabilitation
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 01. Juli 2004 - 3 Ca 623/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche für eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation.

Die Klägerin ist die zuständige Berufsgenossenschaft, die aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) klagt. Der Arbeitnehmer der Beklagten führte nach Bewilligung der Klägerin vom 15. Februar bis 15. März 2001 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik C. in Bad D. durch. Sein Entgeltanspruch für diesen Zeitraum beträgt unstreitig € 2.678,43. Die Klägerin als Berufsgenossenschaft - und nicht die gesetzliche Krankenkasse des betroffenen Arbeitnehmers - übernahm dabei die Kostenpflicht für die Rehabilitationsmaßnahme, weil aus medizinischer Sicht ein Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers und einem Arbeitsunfall vom 30. August 1999 gesehen wird. Der betroffene Arbeitnehmer musste am 30. August 1999 während der Arbeit mit ansehen, wie ein Arbeitskollege von einem Zug erfasst und getötet wurde. Der Arbeitnehmer war daraufhin arbeitsunfähig krank bis zum 10. Juni 2000 und erneut vom 19. bis 31. Dezember 2000. Vor der Rehabilitationsmaßnahme war der Arbeitnehmer arbeitsfähig. Nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme war der Arbeitnehmer wieder arbeitsunfähig. Die Arbeitsvertragsparteien beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 31. Mai 2001.

Die Klägerin hat (soweit für die Berufungsinstanz noch bedeutsam) beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 2.678,43 sowie 5% Zinsen ab Rechtshängigkeit über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Erforderlichkeit der Rehabilitationsmaßnahme bestritten. Sie hat gemeint, die Klägerin und der behandelnde Chefarzt der Klinik C. wären hinsichtlich der Einschätzung der Erforderlichkeit der Rehabilitationsmaßnahme nicht objektiv. Sie hat gemeint, der Arbeitgeber müsse insoweit die Möglichkeit haben, die medizinische Erforderlichkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Zweifel an der Richtigkeit der medizinischen Erforderlichkeit ergäben sich im Streitfall daraus, dass der behandelnde Arzt des Arbeitnehmers diesen am 04. Januar 2001 für arbeitsfähig angesehen habe (Bl. 36 d.A.) und daraus, dass der vor Antritt der Rehabilitationsmaßnahme arbeitsfähige Arbeitnehmer nach der Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01. Juli 2004 der Klage stattgegeben. Es hat die Einschätzung der Klägerin und des Chefarztes der Klinik C. in Bad D. zur Erforderlichkeit der bewilligten Rehabilitationsmaßnahme durch die Einlassung der Beklagten als nicht erschüttert angesehen und darauf hingewiesen, dass die Argumentation der Beklagten, wonach der Arbeitnehmer arbeitsfähig gewesen sei und gemäß dem Attest des behandelnden Arztes lediglich ein Einsatz an Bahnstrecken ärztlicherseits abgelehnt worden sei, gerade nicht gegen die Notwendigkeit der Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme, sondern im Gegenteil dafür spreche, denn dieses Attest belege, dass der betroffene Arbeitnehmer offensichtlich die seinerzeitige Schocksituation noch nicht verarbeitet hat. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Erwägungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 06. April 2005 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Die Beklagte führt dabei ihre erstinstanzliche Argumentation zur medizinischen Erforderlichkeit der Rehabilitationsmaßnahme und zur geforderten gerichtlichen Überprüfung der ärztlichen Einschätzung fort und beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Hanau vom 01. Juli 2004 - 3 Ca 623/03 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt des Berufungsschriftsatzes vom 15. Dezember 2004 (Bl. 86 - 88 d.A.) und den Berufungserwiderungsschriftsatz vom 27. Januar 2005 (Bl. 94 - 98 d.A.) sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache ist die Berufung der Beklagten allerdings unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung der Klage stattgegeben.

Mit dem Arbeitsgericht geht das Berufungsgericht davon aus, dass der auf die Klägerin nach § 115 SGB X übergegangene Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers sich im Streitfall aus § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergibt. Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers ist danach allein, dass die Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, die ein Träger der Sozialversicherung bewilligt hat und die in einer Einrichtung der medizinischen Rehabilitation stationär durchgeführt wurde, vorliegt. Dies ist im Streitfall der Fall. Die Arbeitsverhinderung des betroffenen Arbeitnehmers für den fraglichen Zeitraum beruhte auf einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Dabei ist es unerheblich, ob ein Arbeitnehmer vor dieser Maßnahme arbeitsfähig oder arbeitsunfähig gewesen ist bzw. ob bestimmte Belastungssituationen, die möglicherweise für die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verantwortlich waren - wie im Streitfall das Arbeiten an Bahnstrecken - nicht mehr anfallen werden. Die medizinische Rehabilitationsmaßnahme verfolgt unabhängig von der Arbeitsfähigkeit den Sinn, eine bestimmte Erkrankung endgültig auszuheilen und die Gesundheit vollständig wieder herzustellen, und nicht nur die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen eines bestimmten Arbeitsverhältnisses für die dort von ihm verlangten Arbeitsleistungen wieder herzustellen. Dem Arbeitsgericht ist auch weiter darin zu folgen, dass im Streitfall keine Umstände dafür vorgetragen sind, dass die von dem Sozialversicherungsträger - hier der Klägerin - bewilligte medizinische Rehabilitationsmaßnahme in völliger Verkennung der medizinischen Erforderlichkeit dieser Rehabilitationsmaßnahme zur endgültigen Ausheilung einer Erkrankung und vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers nicht erforderlich war. Zwar muss die Rehabilitationsmaßnahme medizinisch notwendig sein, um den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers auszulösen. Dies steht jedoch im Regelfall fest, wenn die Maßnahme von einem öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsträger bewilligt worden ist. Die Ermessensentscheidung durch den Sozialleistungsträger lässt sich arbeitsgerichtlich nur daraufhin überprüfen, ob ein offensichtlicher Ermessensfehlgebrauch, z.B. in Gestalt der völligen Verkennung des Begriffs der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vorliegt. Zu denken ist insoweit etwa an den Fall, dass zwischen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und der im Zusammenhang damit bewilligten Rehabilitationsmaßnahme ein außergewöhnlich langer Zeitraum liegt (vgl. Schmitt, Kommentar zum EFZG, 5. Aufl., § 9 Rz 24 u. 25, m.w.N.). Solche für auf einen offensichtlichen Ermessensfehlgebrauch hinweisende Umstände sind im Streitfall nicht ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen. Der betroffene Arbeitnehmer war nach dem Arbeitsunfall in erheblichem Umfang, und zwar zunächst über 9 Monate bis Anfang Juni 2000 und dann erneut im Dezember 2000, arbeitsunfähig krank. Ein zeitlicher Zusammenhang zu der ihm dann ab 15. Februar 2001 bewilligten Rehabilitationsmaßnahme besteht ganz offensichtlich dahe , und zwar auch aufgrund ärztlicher Befunde vom 31. August 2000 durch Dr. A. (Internist), der auf seit dem Psychotrauma aus August 1999 zunehmende Schlafstörungen verweist, die die Arbeitsfähigkeit des Patienten ernsthaft beeinträchtigen und vom 25. Oktober 2000 durch den Diplom-Psychologen B., der eine stationäre Maßnahme befürwortet und auf den Befund vom 18. November 2000 des Facharztes für Nervenheilkunde und für physikalische und rehabilitative Medizin der Klinik C. verweist. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch gemeint, dass gerade das von der Beklagten angeführte Attest des Hausarztes Dr. A. vom 05. Januar 2001 (Bl. 36 d.A.) für die im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom August 1999 fortbestehende Gesundheitsbeeinträchtigung des betroffenen Arbeitnehmers spricht, da gemäß diesem Attest nach wie vor Arbeiten an Bahnstrecken vom Arzt für gesundheitlich ausgeschlossen erachtet werden. Auch für einen medizinischen Laien spricht dies dafür, dass der betroffene Arbeitnehmer offensichtlich das Traumata, welches er durch den schweren Arbeitsunfall erlitten hat, noch nicht verarbeitet hat. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf verwiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis zur Beklagten weiter an Bahnstrecken arbeiten muss oder nicht. Die Rehabilitationsmaßnahme soll dazu dienen, den Arbeitnehmer vollständig und gänzlich und in jeder Weise wieder gesund zu machen, sofern dies medizinisch möglich ist.

Es ist auch im Hinblick auf die soziale Schutzfunktion des Entgeltfortzahlungsgesetzes unbillig, Arbeitnehmer nach der erfolgten Entscheidung des Sozialversicherungsträgers dem Risiko auszusetzen, die medizinische Notwendigkeit gerade in Grenzfällen beweisen zu müssen. Eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers, der sich auf die fachlich zutreffende Ermessensentscheidung des bewilligenden Sozialleistungsträgers verlassen hat, ist deshalb abzulehnen (vgl. Kuhns/Weede, Kommentar zum EFZG, § 9 Rz 19, m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn auch ein Arbeitsgericht die medizinische Notwendigkeit nur anhand eines medizinischen Sachverständigen entscheiden könnte. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn eine vorsätzliche Täuschungshandlung durch den Arbeitnehmer gegeben wäre. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich kein Informationsanspruch des Arbeitgebers besteht, schon aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes des Arbeitnehmers, hinsichtlich des Grundes und der Art der Maßnahme und der Art und Ursache des Krankengeschehens (vgl. Kuhns/Weede, a.a.O., Rz 31, m.w.N.).

Eine arbeitsgerichtliche Überprüfung hat sich deshalb allein auf die Fälle zu beschränken, in denen der Arbeitgeber Umstände vorträgt - wie bei der Rechtsprechung zur Umkehr der Beweislast hinsichtlich durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes attestierter Fehltage im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses - die belegen, dass der Arbeitnehmer in keiner Weise einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme bedarf. Der Streitfall ist weit von solch einem grundsätzlich vorstellbaren Sachverhalt entfernt. Hier gibt es vielmehr durch das von der Beklagten angeführte Attest des Hausarztes wie der anderen ärztlichen Begutachtungen, auch wenn diese nur ansatzweise in den Prozess eingeführt sind, genügend Anhaltspunkte für die Annahme der medizinischen Erforderlichkeit der Rehabilitationsmaßnahme und für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen dieser und dem Arbeitsunfall aus August 1999.

Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

Ende der Entscheidung

Zurück