Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: 6/8/1 Sa 1612/05
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 3 I 1
EFZG § 3 III
EFZG § 8 I 1
Auch die einvernehmliche Verschiebung des Arbeitsbeginns aus Anlass der Erkrankung der Arbeitnehmerin wird von § 8 I 1 EFZG erfaßt und lässt den mit Ablauf der Wartefrist (§ 3 Abs. 3 EFZG) entstehenden Entgeltfortzahlungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Erkrankung nicht entfallen.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 - 7 Ca 55/05 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.286,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12. Februar 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist.

Die Klägerin klagt aus übergegangenem Recht. Bei ihr war die Arbeitnehmerin der Beklagten A gesetzlich krankenversichert. Die Versicherte und die Beklagte schlossen am 21. Mai 2004 einen Arbeitsvertrag (Bl. 15, 16 bzw. 43, 44 d.A.). Das Arbeitsverhältnis sollte nach diesem schriftlichen Arbeitsvertrag am 01. Juli 2004 beginnen. Die Versicherte wurde als Apothekerin eingestellt. Der Arbeitsvertrag nimmt auf den Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter Bezug. Er enthält eine zweistufige Verfallfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis und eine Schriftformklausel.

Die Arbeitnehmerin war seit dem 14. Juni 2004 arbeitsunfähig krank. Die Klägerin zahlte ab dem 29. Juli 2004 Krankengeld in Höhe von € 55,83 täglich.

Die Arbeitsvertragsparteien haben nach dem 01. Juli 2004 eine mündliche Vereinbarung getroffen, den Arbeitsbeginn auf den 01. August 2004 zu verschieben (vgl. Schreiben der Arbeitnehmerin vom 15. Juli 2004, Bl. 28, 29 d.A.). Die Beklagte kündigte dann das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Juli 2004 (Bl. 29 d.A.). Im Kündigungsschreiben heißt es:

"... wie bereits am 19. Juli 2004 telefonisch besprochen, muss ich leider den Arbeitsvertrag, der am 01.08.2004 beginnen sollte, kündigen, da Sie ja leider bis zu diesem Zeitpunkt nicht wieder arbeitsfähig sind und ich dringend jemand brauche."

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht 6-wöchige Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 29. Juli bis 08. September 2004 in Höhe von insgesamt € 2.286,75, hilfsweise für die Zeit ab dem 23. August 2004. Die Klägerin machte ihre Ansprüche mit Schreiben vom 11. August, 26. August und 08. September 2004 (Bl. 11 - 14 d.A.) erfolglos geltend und stellte am 21. Dezember 2004, eingegangen beim Arbeitsgericht am 29. Dezember 2004 den Antrag auf Mahnbescheid.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass durch die mündlich vereinbarte Verlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den 01. August 2004 der Arbeitsvertrag nicht aufgehoben worden sei. Die ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses stehe im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit und lasse den Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus für insgesamt 6 Wochen nach Ablauf der Wartezeit nicht entfallen. Die Klägerin hat weiter gemeint, dass auch eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aufhebe. Die Klägerin verweist auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellung von Aufhebungsvertrag und Kündigung beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit und meint, dass auch die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit der Versicherten den zu diesem Zeitpunkt bereits aufschiebend bedingt für den Zeitpunkt nach Ablauf der Wartefrist entstandenen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht beseitigen konnte.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 2.286,75 zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, dass das Arbeitsverhältnis mit der fristlosen Kündigung vom 29. Juli 2004 wegen des einvernehmlich und unter stillschweigender Aufhebung der arbeitsvertraglichen Schriftformvereinbarung verschobenen Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den 01. August 2004 vor seiner Entstehung beendet worden sei; ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall setze jedoch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Es hat sich der Rechtsmeinung der Beklagten angeschlossen. Es ist davon ausgegangen, dass ein Arbeitsverhältnis der Parteien nicht begründet wurde, weil dieses Arbeitsverhältnis rechtswirksam erst zum 01. August 2004 entstehen sollte und vor diesem Zeitpunkt durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2004 beendet wurde. Es hat weiter mit der Beklagten angenommen, dass damit eine Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, nämlich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht gegeben ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 29. März 2006 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

Die Klägerin meint, das Arbeitsgericht verkenne, dass § 3 Abs. 1 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht an die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers während de Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG knüpfe, sondern dass vielmehr der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses genüge. Die Klägerin meint weiter, dass im Streitfall unstreitig ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien, beginnend ab dem 01. Juli 2004, begründet wurde. Die Klägerin meint, dass dieses Arbeitsverhältnis nach dem 01. Juli 2004 nicht mehr mit Rechtswirkung für den Entgeltfortzahlungsanspruch aufgehoben werden konnte. Die Klägerin verweist auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Mai 1999 - 5 AZR 476/98 - und meint, dass Bundesarbeitsgericht habe entschieden, dass auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Wartezeit die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit nach Ablauf der Wartezeit nicht vermeiden könne. Die Klägerin meint unter Bezugnahme der Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2004, dass Gleiches für eine krankheitsveranlasste Kündigung nach Ablauf der Wartezeit zu gelten habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 - 7 Ca 55/05 - die Beklagte zu verurteilten, an sie € 2.286,75 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10. Februar 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, dass vorliegend die Kündigung vom 29. Juli 2004 aufgrund des einvernehmlich auf den 01. August 2004 verschobenen Arbeitsbeginns weder während noch nach der Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZG erklärt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz der Klägerin vom 11. November 2005 (Bl. 83 - 87 d.A.) und auf den Berufungserwiderungsschriftsatz der Beklagten vom 16. Dezember 2005 (Bl. 91, 92 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. Juli 2005 - 7 Ca 55/05 - ist statthaft und außerdem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig.

Auch in der Sache ist die Berufung der Klägerin erfolgreich. Der Klägerin steht nach § 115 SGB X aus übergegangenem Recht der Entgeltfortzahlungsanspruch für den 6-wöchigen Zeitraum vom 29. Juli bis 08. September 2005 in der eingeklagten Höhe gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG zu. Die Vorschrift des § 3 Abs. 3 EFZG steht dem nicht entgegen. Der Anspruch ist gem. § 115 SGB X auf die Klägerin übergegangen.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein wegen Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen. Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG entsteht dieser Anspruch, wenn das Arbeitsverhältnis 4 Wochen ununterbrochen bestanden hat. Wird das Arbeitsverhältnis eines erkrankten Arbeitnehmers vor Ablauf der 4-wöchigen Wartefrist wieder beendet, ist die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit, in der das Arbeitsverhältnis bestanden hat, ausgeschlossen. Für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht gegeben. Etwas anderes gilt nur unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Nach dieser Vorschrift wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Die Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber zu Lasten der Sozialversicherung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht entzieht. Zugleich soll sie den Arbeitnehmer davor bewahren, noch während der Erkrankung einen anderen Arbeitsplatz suchen zu müssen. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn dem erkrankten Arbeitnehmer zwar der Schutz des Entgeltfortzahlungsgesetzes eingeräumt würde, es dem Arbeitgeber aber möglich wäre, ihm diesen Schutz durch eine wegen der Erkrankung ausgesprochene Kündigung wieder zu entziehen (vgl. BAG, Urteil vom 26.05.1999 - 5 AZR 476/98 - AP Nr. 10 zu § 3 EFZG, m.w.N.). Weiter geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch nicht dadurch berührt wird, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit zum Anlass nimmt, mit dem Arbeitnehmer die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren (vgl. BAG, Urteil vom 20.08.1980 - 5 AZR 589/79 - AP Nr. 15 zu § 6 LohnFG).

Für den Streitfall bedeutet dies, dass entscheidend ist, wie man die nach Begründung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung auf Verlegung des Arbeitsbeginns aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin wertet. Richtigerweise ist darin eine Aufhebung des zum 01. Juli 2004 begründeten Arbeitsverhältnisses zu sehen. Diese Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 steht auch unstreitig im Zusammenhang mit der Erkrankung der Arbeitnehmerin. Dabei ist es unschädlich, dass es den Arbeitsvertragsparteien mit der Verschiebung des Arbeitsbeginns auf den 01. August 2004 subjektiv nicht um die Umgehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs ging. Entscheidend ist vielmehr, dass die Vereinbarung der Parteien objektiv diese Wirkung hatte. Damit aber ist mit der eingangs zitierten Rechtsprechung die Rechtsfolge für den Entgeltfortzahlungsanspruch, dass die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 01. Juli 2004 nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG den mit Ablauf der Wartefrist nach § 3 Abs. 3 EFZG - hier zum 29. Juli 2004 - entstehenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 6 Wochen gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht beseitigt (vgl. BAG, Urteil vom 26.05.1999 - 5 AZR 476/98 - a.a.O., unter IV. 2. b) und V. 2. d.Gr.). Dies gilt auch für die hier vorliegende einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 20.08.1980 - 5 AZR 589/79 - a.a.O.).

Die Einhaltung der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist war zwischen den Parteien nicht im Streit. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Anspruch im Sinn dieser Verfallfrist erloschen wäre. Die Klägerin hat den Anspruch unzweifelhaft rechtzeitig schriftlich im Sinne der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist geltend gemacht. Für die gerichtliche Geltendmachung bestand entgegen der arbeitsvertraglichen Regelung keine Frist. Die vereinbarte Frist für die gerichtliche Geltendmachung beträgt hier 2 Monate. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - AP Nr. 1 zu § 310 BGB) ist die zweite Stufe der Ausschussfrist unanwendbar gem. § 306 Abs. 2 BGB. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Frist für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis von weniger als 3 Monaten im Rahmen einer einzelvertraglich vereinbarten 2-stufigen Ausschlussfrist unangemessen kurz und führt dazu, dass die zweite Stufe der Ausschlussfrist insgesamt unwirksam ist (§§ 307 Abs. 1 Satz 1, 306 Abs. 2 BGB). Dies gilt auch für den Fall, dass keine allgemeine Geschäftsbedingung vorliegt in Anwendung von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB für vorformulierte Verträge. Im Streitfall liegt jedenfalls ein vorformulierter Arbeitsvertrag vor. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitnehmerin entgegen der Vorformulierung Einfluss auf den Inhalt der Klausel nehmen konnte. Die Unabdingbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs gem. § 12 EFZG steht allerdings grundsätzlich nicht entgegen. Ausschlussfristen betreffen nicht die durch das Entgeltfortzahlungsgesetz gestaltete Entstehung von Rechten des Arbeitnehmers und deren Inhalt, sondern ihren zeitlichen Bestand.

Der Zinsanspruch im zuerkannten Umfang ist begründet aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Beklagte hat als unterlegene Partei gem. § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Zulassung der Revision ist begründet in der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage im Rahmen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

Zurück