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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 6 Sa 463/03
Rechtsgebiete: EFZG, BetrVG


Vorschriften:

EFZG § 5 Abs. 1 Satz 1
EFZG § 5 Abs. 1 Satz 2
EFZG § 5 Abs. 1 Satz 3
BetrVG § 87 Abs. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziffer 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 463/03

Verkündet laut Protokoll am 05. November 2003

In dem Berufungsverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 6 in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 05. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Paki als Vorsitzende und den ehrenamtlichen Richter Koch und den ehrenamtlichen Richter Schweinsberg als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach/Main vom 04. Februar 2003 - 5 Ca 12/02 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rücknahme und Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.

Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten in Vollzeit als Teamleiter im Operating zu einem monatlichen Bruttogehalt von € ... beschäftigt.

Die Beklagte verlangt von dem Kläger die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit bereits ab dem ersten Tag des Bestehens der Arbeitsunfähigkeit. Sie macht damit Gebrauch von der in § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG dem Arbeitgeber eingeräumten Möglichkeit eine ärztliche Bescheinigung schon vor dem dritten Kalendertag des Bestehens einer Arbeitsunfähigkeit zu verlangen. Die entsprechende Aufforderung erhielt der Kläger mit Schreiben vom 22. Januar 2001, welches lautet:

"Zukünftige Krankmeldungen

Sehr geehrter Herr ...,

hiermit möchte ich Sie auffordern, zukünftig im Falle einer Arbeitsunfähigkeit diese sowie die voraussichtliche Dauer mir persönlich als Ihrem Vorgesetzten unmittelbar in den ersten Arbeitsstunden anzuzeigen. Sollte dies nicht möglich sein, ist die Meldung dem stellvertretenden Schichtleiter gegenüber zu machen.

Zusätzlich muss die Arbeitsunfähigkeit bereits ab dem ersten Tag der Krankheit durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen werden."

Anlass für diese Anweisung der Beklagten war der zwischen den Parteien unstreitige Umstand, dass der Kläger häufig kurzzeitige Arbeitsunfähigkeiten von 1 - 2 Arbeitstagen aufweist. Die Beklagte hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass im Durchschnitt der Kläger 30 Arbeitstage im Jahr mit Erkrankungen von nicht mehr als 2 Arbeitstagen ausfällt.

Der Kläger akzeptiert die Anweisung der Beklagten zur Vorlage eines Arbeitsunfähigkeitsattests ab dem ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit nicht Dies ist Gegenstand der vorliegend angegriffenen Abmahnung. Konkret wird also beanstandet, dass der Kläger an genau bezeichneten Tagen in der Vergangenheit der Aufforderung vom 22. Januar 2001 zur Vorlage eines Arbeitsunfähigkeitsattests nicht nachgekommen ist und ihm wird für den Wiederholungsfall weitergehende arbeitsrechtliche Schritte bis zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht.

Der Kläger greift die Rechtmäßigkeit der Anweisung der Beklagten vom 22. Januar 2001 unter allen rechtlichen Gesichtspunkten insbesondere auch wegen einer vermeintlichen Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG an.

Die Beklagte hält die Anweisung für rechtmäßig und die unstreitig vorliegenden Verstöße gegen diese Anweisung daher für zu Recht wirksam abgemahnt.

Das Arbeitsgericht hat die auf Zurücknahme und Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte des Klägers gerichtete Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, der dort gestellten Anträge und der Erwägungen des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 05. November 2003 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Der Kläger hält seine Rechtsansicht aufrecht, wonach die Aufforderung zur Vorlage eines Arbeitsunfähigkeitsattests ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit wegen Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG unwirksam sein soll und deshalb auch in der Nichtbefolgung dieser Anweisung keine abmahnungsfähige Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages zu sehen sein soll.

Der Kläger hat beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 04. Februar 2003 - Az.: 5 Ca 12/02 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 12, Dezember 2001 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Die Beklagte ist insbesondere der Ansicht, dass die Aufforderung vom 22. Januar 2001 nicht mitbestimmungspflichtig war, weil der hierfür erforderliche kollektive Bezug nach ihrer Ansicht fehlt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründungs- und der Berufungserwiderungsschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig.

Die Berufung ist aber in der Sache nicht begründet. Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass der Kläger wirksam abgemahnt ist und mithin ein Anspruch auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung des Klägers wie beansprucht nicht besteht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitnehmer die Berechtigung einer missbilligenden Äußerung des Arbeitgebers gerichtlich überprüfen lassen, wenn sie nach Form und Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen (vgl. BAG, Urteil vom 27.11.1985 -5 AZR 101/84 - AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Urteil vom 15.01.1986 - 5 AZR 70/84 - AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Urteil vom 13.04.1988 - 5 AZR 537/86 - AP Nr. 100 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Urteil vom 07.09.1988 - 5 AZR 625/87 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung; Urteil vom 10.11.1988 - 2 AZR 215/88 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; Urteil vom 13.10.1988 - 6 AZR 144/85 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung). Hierzu gehören neben schriftlichen Rügen, Verwarnungen und insbesondere Abmahnungen. Abmahnungen können, wenn sie unberechtigt sind, Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere arbeitsrechtliche Nachtelle mit sich bringen.

Rechtsgrundlage für das Beseitigungsbegehren des Arbeitnehmers ist sowohl die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 242 BGB) als auch ein Beseitigungsanspruch des Arbeitnehmers analog (§ 1004 BGB) wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Grundsätzlich steht daher dem Kläger das Recht zu, die Überprüfung der ihm erteilten Abmahnung gerichtlich durchzusetzen. Dabei ist zwischen den Parteien im Berufungsverfahren nur noch die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Beklagten vom 22. Januar 2001 hinsichtlich der Vorlage eines Arbeitsunfähigkeitsattests ab dem ersten Tag der Erkrankung bezogen auf eine nach Ansicht des Klägers vorliegende Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG im Streit. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Kläger gegen diese Aufforderung der Beklagten verstoßen hat, was Grundlage der ihm erteilten Abmahnung ist.

Die hiernach im Rahmen des grundsätzlich zulässigen Beseitigungsbegehrens des Arbeitnehmers vorzunehmende rechtliche Prüfung ist daher beschränkt auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufforderung der Beklagten vom 22. Januar 2001. Diese Rechtmäßigkeit ergibt sich zunächst aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer bereits am ersten Tag einer Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen (vgl. Kaiser/Dunkl/Holl/Kleinsorge, EFZG, 4. Aufl., § 5 RdZiff. 20; Schmitt, EFZG, 3. Aufl., § 5 RdZiff. 47). Der Arbeitgeber kann dieses Recht, soweit es nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag geregelt ist, im Wege des Direktionsrechts durchsetzen und muss dabei lediglich die Grenzen billigen Ermessens beachten (§ 315 BGB). Die Anordnung der früheren Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber unterliegt nur einer Missbrauchskontrolle durch das Gericht. Prüfungsmaßstab ist insoweit das Schikane- und Willkürverbot (vgl. Schmitt, a.a.O., § 5 RdZiff. 50 - 54).

Die Beklagte hat sich im Rahmen dieser gesetzlichen Vorgaben gehalten. Sie hat mit Schreiben vom 22.01.2001 von dem ihr gesetzlich eingeräumten Recht Gebrauch gemacht dem Kläger aus gegebenem Anlass im Wege des Direktionsrechts die Anweisung zu erteilen, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Hierfür gibt es aufgrund der häufigen Kurzerkrankungen des Klägers einen sachlichen Grund der einen Verstoß gegen das Schikane- und Willkürverbot ausschließt. Der Kläger hat hierzu auch keinen weiteren substantiellen Vortrag gehalten. Verwiesen sei in dieser Stelle noch in Replik auf die Einlassung des Klägers in erster Instanz, dass auch die arbeitsvertragliche Regelung in Punkt 5 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 29. November 1994 keinen Ausschluss der gesetzlichen Möglichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG enthält. Dieser Regelungspunkt des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien lautet dabei wie folgt:

'5'

Krankheit

Der Mitarbeiter ist verpflichtet, der Firma jede Dienstverhinderung und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und, sofern sie 3 Tage übersteigt, rechtzeitig durch eine ärztliche Bescheinigung zu belegen.

Die Parteien haben mit dieser Vereinbarung deklaratorisch lediglich die gesetzlichen Pflichten zur Anzeige und zum Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 EFZG nachgezeichnet. Ein Parteiwille dahingehend, die gesetzliche Möglichkeit des § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG auszuschließen, ist dem Vertragstext nicht zu entnehmen.

Die Anordnung der Beklagten vom 22. Januar 2001 verstößt entgegen der Rechtsansicht des Klägers auch nicht gegen § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG. Richtig ist zwar, dass die Anweisung des Arbeitgebers nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG auf Vorlage eines Arbeitsunfähigkeitsattests vor Ablauf des dritten Kalendertages der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nach § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG als eine Regelung der Frage der Ordnung des Betriebs mitbestimmungspflichtig sein kann (vgl. BAG, Beschluss vom 25.01.2000 - 1 ABR 3/99 - AP Nr. 34 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebs). Es ist insoweit nämlich anerkannt, dass der Arbeitgeber mit einer Anordnung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG keine Konkretisierung der Arbeitspflichten der Arbeitnehmer vornimmt. Eine solche Anordnung ist nicht auf den Arbeitsinhalt gerichtet. Vielmehr hat sie eine Regelung des Verhaltens des Arbeitnehmers im Falle einer Arbeitsverhinderung wegen Krankheit zum Inhalt. Als Regelung des Ordnungs- und nicht des Arbeitsverhaltens ist sie daher grundsätzlich mitbestimmungspflichtig. Dabei ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG keine gesetzliche Regelung im Sinne von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ist, die die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ausschließen könnte. Die Vorschrift eröffnet vielmehr einen Regelungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber von diesem Recht Gebrauch macht. Bei Ausfüllung dieses Regelungsspielraums ist der Betriebsrat zu beteiligen (vgl. BAG, Beschluss vom 25.01.2000 - 1 ABR 3/99 - a.a.O.).

Erforderlich für das Vorliegen eines Mitbestimmungstatbestandes nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist jedoch, dass ein kollektiver Tatbestand hinsichtlich der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit besteht. Dabei scheitert der kollektive Bezug zunächst nicht daran, dass offenbar von der Anordnung nach § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG durch die Beklagte vorliegend nur ein Mitarbeiter betroffen ist. Ob der erforderliche kollektive Bezug vorliegt oder nicht, hängt nämlich nicht von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer, sondern vom Inhalt der Maßnahme ab. Unter Maßnahmen mit kollektivem Tatbestand sind alle Fälle zu verstehen, die sich abstrakt auf den ganzen Betrieb oder eine Gruppe von Arbeitnehmern oder einen Arbeitsplatz beziehen. Dagegen gehören nicht zu den mitbestimmungspflichtigen generellen Regelungen oder allgemeinen Maßnahmen im Rahmen des Direktionsrechts Anordnungen und Vereinbarungen des Arbeitgebers, die durch die besonderen Umstände des einzelnen individuellen Arbeitsverhältnisses bedingt sind (vgl. Fitting, Kaiser, Heither, Engels, Schmidt, Kommentar zum BetrVG, 21. Aufl., § 87 RdZiff. 14 ff., 16 m.w.N.). Dies bedeutet für den vorliegenden Streitfall, dass der für das Vorliegen des Mitbestimmungsrechts erforderliche kollektive Bezug nicht feststellbar ist. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von der vom Kläger angeführten Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Mai 2000 - 5 TaBV 151/99 -. Die Beklagte hat im Streitfall lediglich gegenüber dem Kläger aufgrund der Besonderheiten dieses Arbeitsverhältnisses die Anweisung auf Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsattesten ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit im Wege der Ausübung des ihr zustehenden vertraglich nicht ausgeschlossenen Direktionsrechts verlangt. Wie ausgeführt, ist dieses Verlangen auch nicht rechtsmissbräuchlich.

Mithin hätte der Kläger diesem Verlangen nachkommen müssen. Mithin ist seines Weigerung vertragswidrig und abmahnungsfähig.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Eine gesetzlich begründete Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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