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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.01.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 786/05
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 307
BGB § 611
GG Art. 12
Auch unter der Geltung der §§ 305 ff BGB wird daran festgehalten, dass Stichtagsregelungen bei Bonuszusagen grundsätzlich auch dann zulässig sind, wenn sie den Arbeitnehmer zum Erhalt des Bonusanspruchs bis weit in das Folgejahr an das Arbeitsverhältnis binden.

Ob darin eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB liegt, hängt von den Bedingungen des Einzelfalls ab. (Dies wurde im vorliegenden Fall bei einer Bindung bis zum 30. September des Folgejahres und einer Bonushöhe, die fast das Jahresfixgehalt erreichte, verneint.)


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2005 - 17 Ca 5470/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung einer so genannten Marktzulage und eines Bonus'.

Der Kläger war bei der beklagten Bank vom 01. Juli 2001 bis zum 31. März 2004 als Softwareentwickler beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 10. Juni 2002, der eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende vorsah und wegen dessen Inhalt im übrigen auf Bl. 7 - 12 d.A. verwiesen wird, befinden sich u.a. folgende Regelungen:

4. Vergütung im Investmentbanking

Der Mitarbeiter wird im Geschäftsfeld A (B, C u.a.) der Bank beschäftigt und erwirtschaftet Erträge für die Bank oder ist im Vorfeld beim Erwirtschaften von Erträgen tätig. Er nimmt an der nachstehend beschriebenen Vergütungsregelung "Total Compensation" teil.

Der Mitarbeiter erhält eine außertariflich geregelte Vergütung:

a) Das Jahresfestgehalt beträgt brutto Euro 47.868,00, zahlbar in gleichen monatlichen Raten von brutto Euro 3.989,00

b) Individuelle Marktzulage:

Der Mitarbeiter erhält zusätzlich zum Jahresfestgehalt eine nicht pensionsfähige individuelle Marktzulage. Diese Zulage ist ausschließlich an die o.g. Funktion des Mitarbeiters gebunden. Die Marktzulage beträgt in dieser Funktion jährlich brutto Euro 5.429,90 und wird in monatlichen Raten von brutto Euro 452,49 mit dem Festgehalt ausgezahlt.

c) Bonus:

Der Mitarbeiter erhält in Anerkennung der geleisteten Arbeit für das jeweils zurückliegende Geschäftsjahr sowie in Erwartung weiterer engagierter Tätigkeit und Betriebstreue einen jährlichen Bonus, soweit das Geschäftsfeld des Mitarbeiters einen anerkennenswerten Nettoertrag erzielt hat und die Bank eine Dividende ausschüttet.

Die Höhe des Bonus liegt im Ermessen der Bank und orientiert sich am Ergebnis des Geschäftsfeldes sowie an dem individuellen Beitrag des Mitarbeiters. Entsprechend den im Investment Banking üblichen Gepflogenheiten kann bei schlechten Ergebnissen des Geschäftsfeldes, bzw. nicht ausreichendem Beitrag des Mitarbeiters der Bonus vollständig entfallen.

Die Bank kann gemäß der Betriebsvereinbarung "Vergütung im Investment Banking" Teile des Bonus in Folgejahren zur Auszahlung bringen.

d) Fälligkeit des Bonus

Die Auszahlung des für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bonus ist abhängig von dem Ergebnis der Geschäftsfeldrechnung und erfolgt spätestens im März des Folgejahres.

...

6. Zahlungsvorbehalt

Die Bonuszahlung für das zurückliegende und das laufende Geschäftsjahr entfällt, wenn bis einschließlich 31.03. eines Kalenderjahres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen oder eine einvernehmliche Aufhebung vereinbart wurde. Wird in der Zeit zwischen 01.04. und 31.12. eines Kalenderjahres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen oder eine einvernehmliche Aufhebung vereinbart, so entsteht für das laufende Kalenderjahr und ggf. für das Folgejahr kein Anspruch auf eine Bonuszahlung.

Wird das Arbeitsverhältnis gekündigt oder durch eine einvernehmliche Aufhebungsvereinbarung beendet, entfällt die Marktzulage ab dem der Kündigung bzw. dem Abschluss des Aufhebungsvertrages folgenden Monat.

Mit Schreiben vom 09. Juli 2003 (Bl. 13 d.A.) sagte die Beklagte dem Kläger für das Jahr 2003 einen Bonus von 40.000,00 € zu. Gleichzeitig teilte sie dem Kläger mit:

"Dieser Bonus steht unter dem Vorbehalt Ihres Ergänzungsvertrages bzw. Ihres Total Compensation Vertrages, dass Sie sich bis einschließlich 31. März 2004 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden."

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2003 (Bl. 29 d.A.) kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2004.

Die Beklagte zahlte dem Kläger weder den Bonus für 2003 noch die Marktzulage in Höhe von zuletzt 650,00 € monatlich für die Monate Januar, Februar und März 2004.

Der Kläger hat die Ansicht geäußert, dass ihm trotz seiner Kündigung sowohl der Bonus als auch die Marktzulage zustehe.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 40.000,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2004 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.950,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 650,00 € seit dem 01. Februar 2004, seit dem 01. März 2004 und seit dem 01. April 2004 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Abrechnung für die unter Ziff. 1 und 2 eingeklagten Beträge zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung geäußert, auf Grund des vertraglich vereinbarten Zahlungsvorbehaltes stünden dem Kläger die geltend gemachten Beträge nicht zu.

Das Arbeitsgericht hat die Klage unter Zugrundelegung der Rechtsgrundsätze, die das Bundesarbeitsgericht zu Rückzahlungsvereinbarungen von Sonderzuwendungen entwickelt hat, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 12. Januar 2005 (Bl. 34 - 37 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist der Auffassung, die Stichtagsklausel in § 6 des Arbeitsvertrags verstoße wegen ihrer kündigungserschwerenden Wirkung sowohl gegen Art. 12 Abs. 1 GG als auch gegen das Transparenzgebot i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Insbesondere angesichts der Bindungswirkung der Stichtagsklausel über den 30. Juni des Folgejahres hinaus werde der Kläger durch die vertragliche Klausel unangemessen benachteiligt. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung werde nachträglich völlig neu definiert. Dies sei deshalb unangemessen, da der betroffene Vergütungsanteil über 25 - 30% der Gesamtvergütung liege und damit den Kern des Austauschverhältnisses berühre.

Der Kläger beantragt

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2005 - 17 Ca 5470/04 abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 40.000,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2004 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.950,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 650,00 € seit dem 01. Februar 2004, seit dem 01. März 2004 und seit dem 01. April 2004 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Abrechnung über die zu Ziff. 1 und 2 eingeklagten Beträge zu erteilen.

Die Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht im Ergebnis und im wesentlichen auch in den Gründen, auf die ergänzend Bezug genommen wird, § 69 Abs. 2 ArbGG. Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt Anlass zu folgenden Ergänzungen:

1. Die durch den Vorbehalt, dass das Arbeitsverhältnis am 31. März des Folgejahres ungekündigt sein muss, bezweckte Bindungsdauer ist auch nicht angesichts der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln im Hinblick auf das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes gem. Art. 12 GG unwirksam.

Eine Gleichstellung von Bindungsklauseln mit Stichtagsregelungen außerhalb des Bezugszeitraums einerseits und Rückzahlungsklauseln andererseits ist allerdings nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 30. November 1989 6 AZR 21/88 n.v.) grundsätzlich nicht angebracht. Zwar hat auch das Bundesarbeitsgericht die Auffassung vertreten, dass wegen der Problematik des durch Rückzahlungsklauseln erzielten Betriebsbindungseffekts und der Stichtagsregelung außerhalb des Bezugszeitraums eine gewisse Parallelität besteht. Es hat aber gleichzeitig auf den gravierenden Unterschied zwischen beiden Problemkreisen verwiesen. Von einer Rückzahlungsverpflichtung zu einer in der Regel bereits ausgegebenen Geldsumme geht eine stärkere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers aus, ob er jetzt kündigen soll oder nicht, als von einer zukünftig zu zahlenden Geldsumme, auf die bei Ausübung des Kündigungsrechts verzichtet wird. Es möge zutreffend sein, dass im Einzelfall Arbeitnehmer beide Bindungsklauseln für gleich hinderlich halten, doch rechtfertigt das nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keine rechtsfortbildende Gleichbehandlung für den Regelfall. Dem folgt auch das Landesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung (Kammerurteil vom 28. November 2001 7 Sa 1517/01 - und vom 26. Mai 2003 - 7 Sa 415/01).

Nach den weiteren Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts kann die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Stichtagsregelung außerhalb des Bezugszeitraums nur getroffen werden, wenn mit dem Versprechen einer zukünftig fällig werdenden Leistung eine übermäßig lange Bindung erreicht wird. Wann eine übermäßig lange Bindung angenommen werden kann, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Dafür kann die Lage des Bezugszeitraums ebenso maßgebend sein wie der Zeitraum zwischen Bezugszeitraum und Versprechen einerseits und Auszahlung andererseits. Ferner ist die Anzahl der Kündigungsmöglichkeiten zu beachten, auf die der Arbeitnehmer verzichten muss, will er in den Genuss der Gratifikation kommen. Auch die Gesamtdauer der Bindung, die durch die Kombination mit einer Rückzahlungsklausel verlängert werden kann, ist zu betrachten. Ebenso ist bei der Beurteilung nicht unwesentlich, ob die Jahresabschlussvergütung bei der Zusage bereits berechenbar war oder der Höhe nach von zukünftigen Rechnungsabschlüssen, Hauptversammlungen und anderem abhängig ist.

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann im Streitfall nicht von einer unwirksamen Bindungsklausel ausgegangen werden.

Zwar hatte die Beklagte im vorliegenden Fall im Gegensatz zu vielen anderen ähnlichen Fällen bereits im August 2003 den Bonus hinsichtlich der Höhe und aller weiteren im Arbeitsvertrag genannten Parameter definiert und auf 40.000,00 € festgelegt, so dass der Anspruch nicht mehr von irgend welchen Leistungen des Klägers oder Geschäftserfolgen der Beklagten, sondern nur noch vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses über den 31. März 2004 hinaus abhängig war. Damit war er einer ungewissen Entwicklung bis zum Auszahlungstermin weitgehend entzogen. Dasselbe gilt für die so genannte Marktzulage, die ohnehin monatlich in gleicher Höhe zur Auszahlung gelangte und sich durch den Zahlungsvorbehalt mit Stichtagsregelung in § 6 des Arbeitsvertrags in eine (weitere) Treueprämie - innerhalb der Branche der Finanzdienstleister auch Halteprämie genannt - umwandelte.

Dennoch erscheint in Ansehung der Höhe der Prämie einerseits und der Dauer der Bindung andererseits die arbeitsvertragliche Stichtagsregelung gerade noch zulässig. Denn auf Grund der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist (3 Monate zum Quartalsende) war der Kläger bis zum 30. September des Folgejahres an das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gebunden, wenn er den Bonus erhalten wollte. Dies ist bei einer zusätzlichen Zahlung, die annähernd die Höhe des festen Bruttojahresgehalts erreicht, nicht unzulässig.

2.An diesem Ergebnis kann auch die Durchführung der Inhaltskontrolle i.S.v. § 307 BGB nichts ändern.

Zur Prüfung der Frage, ob eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen - damit auch in den von der Beklagten unstreitig allgemein den Arbeitsverhältnissen vergleichbarer Arbeitnehmer zu Grunde gelegten Vertragsbedingungen - den Vertragspartner unangemessen benachteiligt, kann auf die bereits näher beschriebenen Grundsätze der BAG-Rechtsprechung zu arbeitsvertraglichen Stichtagsregelungen Bezug genommen werden.

Insbesondere hat das Bundesarbeitsgericht in der zitierten Entscheidung gerade die Vereinbarkeit einer Stichtagsregelung zum Verbot einer unzumutbaren Kündigungsbeschränkung, wie es aus Art. 12 GG und dem auf diesem Rechtsgedanken beruhenden § 622 Abs. 6 BGB folgt, ins Verhältnis gesetzt und ist dabei zu den beschriebenen Feststellungen gelangt. Dem entspricht die nunmehr nach der Einführung der §§ 305 ff BGB durchzuführende Prüfung i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, ob eine vertragliche Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.

Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers verstößt die Regelung auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, denn sie ist insofern völlig eindeutig, als die Zahlung des Bonus vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am 01. April des Folgejahres, die Zahlung der so genannten Marktzulage vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am jeweiligen Monatsanfang abhängig ist. Dies ist eine klare und für jeden Vertragspartner durchschaubare Regelung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die die Behandlung von Stichtagsregelungen in Arbeitsverträgen hat, gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Angesichts der sich weiter verbreitenden Praxis gerade im Bereich des Finanzdienstleistungsgewerbe, Boni in einer Höhe zuzusagen, die einen großen Teil des Jahreseinkommens ausmachen, und deren Auszahlung mit einer Stichtagsregelung zu verbinden, erscheint es geboten, der unterlegenen Partei die Überprüfung im Rahmen der Revision zu ermöglichen.

Ende der Entscheidung

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