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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 8 Ta 200/06
Rechtsgebiete: ArbGG, InsO


Vorschriften:

ArbGG § 2
ArbGG § 3
InsO § 60
InsO § 61
Die Gerichte für Arbeitssachen sind zuständig für Schadensersatzansprüche, die ein Arbeitnehmer gegen einen Insolvenzverwalter geltend macht, sowohl wegen Verletzung von Arbeitgeberpflichten wie auch aus persönlicher Haftung dafür gemäß §§ 60, 61 InsO (Im Anschluss an BAG vom 09.07.2003 - 5 AZR 34/03 - DB 2003, 2132 unter Aufgabe von Hess. LAG vom 16.07.1996 - 8 Ta 455/95).
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Gießen vom 16. März 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob die Gerichte für Arbeitssachen für ihren Rechtsstreit zuständig sind.

Der Kläger war bei der X beschäftigt, über deren Vermögen am 01. Juni 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Beklagte A als Insolvenzverwalter bestellt wurde. Das Arbeitsverhältnis bestand fort, jedenfalls bis zum 01. März 2005, als der Betrieb der Insolvenzschuldnerin veräußert wurde. Der Kläger hatte sowohl mit der Insolvenzschuldnerin als auch mit dem Beklagten zu 1. vor dem Arbeitsgericht in Gießen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Kündigungen gestritten. Die Kündigungsschutzklagen waren erfolgreich. Für den Zeitraum vom 23.07.2001 bis 29.10.2004 hatte der Beklagte zu 1. in Hinblick auf eine Kündigung den Kläger nicht beschäftigt und nicht bezahlt. Nach dem Erfolg der diesbezüglichen Kündigungsschutzklage verlangte die Agentur für Arbeit die insgesamt erbrachten 6.155,48 € vom Beklagten zu 1. Dieser leistete den Betrag nicht an die Agentur für Arbeit. Am 03.05.2005 zeigte er Masseunzulänglichkeit an.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass dem Kläger im Jahre 2005 bewilligte Arbeitslosengeld niedriger und kürzer festgesetzt worden sei, weil die auf die Agentur für Arbeit in Gießen übergegangenen Teile der Vergütung für den Zeitraum vom 23.07.2004 bis 29.10.2004 in Höhe von 6.155,48 € nicht an diese abgeführt wurden. Auch weiter würden ihm im Hinblick auf Arbeitslosengeldzahlungen Schäden entstehen. Der Beklagte zu 1. sei als Insolvenzverwalter und - als Beklagter zu 2. - auch persönlich sei ihm zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet, da die Leistungen an das Arbeitsamt pflichtwidrig unterblieben seien.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung eines bereits entstandenen bezifferten Schadens sowie die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, ein Schaden sei dem Kläger nicht dadurch entstanden, dass die Abführung an das Arbeitsamt unterblieb. Jedenfalls seien nicht die Arbeitsgerichte für die Klage zuständig.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 16. März 2006 - auf den Bezug genommen wird - entschieden das der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben ist.

Gegen diesen den Beklagten am 27. März 2006 zugegangenen Beschluss richtet sich die am 07. April 2006 beim Arbeitsgericht in Gießen eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten. Die Beklagten machen geltend, dass es um Ansprüche auf sozialrechtlicher Grundlage ginge, für die die Sozialgerichte zuständig seien. Jedenfalls für Ansprüche gegen den Beklagten zu 2. persönlich aus den § 60, 61 InsO seien die Zivilgerichte zuständig.

Das Arbeitsgericht hat mit Nichtabhilfebeschluss vom 10. April 2006 seinem Beschluss nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht folgt den zutreffenden Gründen des Arbeitsgerichts. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitverhältnis in Zusammenhang stehen.

a.

Der Beklagte zu 1 war als Insolvenzverwalter seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Arbeitgeber des Klägers (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG 5. Auflage § 3 Randziffer 13 am Ende). Wenn der Kläger geltend macht, der Beklagte zu 1. habe ihn geschädigt, indem er die auf die Agentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche nicht an diese abgeführt hat, macht er einen Schadensersatzanspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend. Er beruft sich damit nämlich auf eine - auch - arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers, es zu unterlassen durch Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtung seine Arbeitnehmer zu schädigen. Eine solche Verpflichtung, deren Verletzung ein zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch zur Folge haben könnte, ist zu unterscheiden von der gegenüber der Agentur für Arbeit bestehenden sozialrechtlichen Verpflichtungen. Für Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber aus Verletzung einer solchen arbeitsvertraglichen Pflicht oder aus unerlaubter Handlung, die auch in der Verletzung eines Schutzgesetzes bestehen kann, ist die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig. Eine Frage der Begründetheit ist es, ob solche arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bestehen, ob sozialversicherungsrechtliche Vorschriften als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind, eine sonstige unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 oder des § 826 BGB in Betracht kommt und Verletzungshandlungen kausal für einen Schaden des Klägers waren. Zu letzterem sei angemerkt, dass es nach dem System des Sozialversicherungsrechts schwer nachvollziehbar erscheint, das die Höhe des Arbeitslosengeldes davon beeinflusst werden könnte, ob ein Arbeitgeber seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Agentur für Arbeit nachkommt oder nicht. Grundsätzlich ist es deren Aufgabe, ihre Forderungen einzutreiben.

b.

Die Zuständigkeit hinsichtlich des Beklagten zu 2. folgt aus § 3 ArbGG. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 09. Juli 2003 (5 AZB 34/03; EzA § 3 ArbGG 1979 Nr. 5; ZIP 2003, 1617; DB 2003, 2132) entschieden, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig ist, wenn eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO geltend gemacht wird. Danach genügt es, wenn ein Dritter den Rechtsstreit anstelle der in den §§ 2, 2 a ArbGG genannten Prozessparteien führt, etwa weil er dem Arbeitnehmer die Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche zusätzlich schuldet. Dies ist bei Schadensersatzansprüchen nach §§ 60, 61 InsO der Fall. Wenn Schadensersatzansprüche nach diesen Vorschriften - wie im vorliegenden Fall - in den Insolvenzverwalter persönlich geltend gemacht werden, so kommt diesem, wie das BAG sich ausgedrückt hat, gleichsam die Stellung eines Ersatzarbeitgebers zu. Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung an und gibt die entgegenstehende Rechtssprechung auf (Hess. LAG vom 16.07.1996 - 8 Ta 455/95) der sich die 2. Kammer des Hessischen Landesarbeitsgerichts 12.03.2004; 2 Ta 47/04) angeschlossen hatte.

Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da es erfolglos blieb.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein Grund. Das Bundesarbeitsgericht hat in der Rechtsfrage entschieden.

Ende der Entscheidung

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