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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 07.08.2008
Aktenzeichen: 9/12 Sa 1118/07
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 307
BGB § 612 Abs. 2
StGB § 291
Eine Vergütungsabrede über ein Probezeitgehalt, das 57 % des Eingangsgehaltes der niedrigsten Beschäftigungsgruppe des branchenüblichen Entgelttarifvertrages beträgt, ist wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig. Der Arbeitgeber schuldet das Tarifgehalt.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 03. Mai 2007 - 11 Ca 148/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.

Die Beklagte betreibt ein Reisebüro. Die Klägerin war bei ihr vom 1. Aug. 2005 bis 31. Dez. 2006 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22. Juli 2005 (Bl. 5 bis 10 d. A.) als Mitarbeiterin im Firmendienst tätig. Die Klägerin macht zweitinstanzlich noch eine Vergütungsdifferenz für die Zeit vom 1. Aug. 2005 bis 31. Jan. 2006 geltend. Die Probezeit beläuft sich nach § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages auf eine Dauer von sechs Monaten, für welche ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von EUR 800 vereinbart ist. Nach Ablauf der Probezeit beträgt das Gehalt EUR 1.500 brutto monatlich. In § 8 des Arbeitsvertrages ist eine zweistufige Ausschlussklausel vereinbart. Die Ausschlussfrist für die außergerichtliche Geltendmachung beträgt zwei Monate nach Fälligkeit, für die gerichtliche Geltendmachung zwei Monate nach Ablehnung der anderen Seite. Nach dem in der Branche zwischen der DRV-Tarifgemeinschaft (DRV-T) und Ver.di abgeschlossenen und seit 1. Juni 2005 gültigen Gehaltstarifvertrag erhielt eine Angestellte der Beschäftigungsgruppe B (Arbeitnehmer/innen, die Tätigkeiten ausführen, die Kenntnisse oder Fertigkeiten erfordern, wie sie in der Regel durch eine kurze Einarbeitung erworben werden; Beispiele: Anzulernende Kräfte bei längstens zwei Jahre Berufspraxis, Bürohilfskraft, Bote/Botin, ..., Mitarbeiter/in im Geschäftsreisebereich mit einfachen Tätigkeiten usw.) im fraglichen Zeitraum ein Anfangsgehalt in Höhe von EUR 1.417,-.

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 11. Dez. 2006 (Bl. 11, 12 d. A.) für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses eine Vergütungsdifferenz zu Beschäftigungsgruppe C in Höhe von monatlich EUR 843,-, insgesamt EUR 5.058,- geltend. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 18. Dez. 2006 (Bl. 13, 14 d. A.) Zahlung ab.

Mit ihrer am 5. Jan. 2007 eingereichten Klage ist die Klägerin der Auffassung gewesen, die Gehaltsvereinbarung für die Probezeit erfülle den Tatbestand des Lohnwuchers und sei nichtig, da die vereinbarte Vergütung lediglich 48,7 % des als angemessen anzusehenden Tarifgehaltes entspreche. Sie habe die Vergütung während der Probezeit nur akzeptiert, weil sonst der Arbeitsvertrag nicht zustande gekommen wäre. Die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel sei wegen Verstoßes gegen die §§ 305 ff. BGB unwirksam. Sie sei bis 1992 für eine ... Fluglinie und bis 31. Juli 2005 im Einzelhandel tätig gewesen. Bei urlaubsbedingter Abwesenheit der Büroleiterin habe sie diese zeitweise vertreten. Bei der IHK könne man die Tätigkeit einer Reiseverkehrsexpertin durch eine fünftägige Ausbildung erlernen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 5.058,- brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Dez. 2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, ein Fall des Lohnwuchers liege nicht vor. Die Klägerin sei als gelernte Verkäuferin völlig fachfremd in der Reisebranche gewesen. Ihre 1978 bis 1981 bei einer ... Fluglinie erworbenen Kenntnisse seien veraltet gewesen. Aus dem anlässlich des Vorstellungsgesprächs von der Klägerin ausgefüllten Fragebogen ergebe sich, dass sie die für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse nicht gehabt habe. Die Arbeitsleistung der Klägerin in der Anlernphase sei für die Beklagte nur bei einem Gehalt von EUR 800,-- brutto wirtschaftlich sinnvoll gewesen. Sie habe versucht, die Klägerin in der Probezeit auf den Stand zu bringen wie eine Mitarbeiterin nach drei Ausbildungsjahren. Das sei von der Klägerin auch akzeptiert worden. Das Arbeitsverhältnis habe am 31. Dez. 2006 mangels ausreichender Fähigkeiten der Klägerin geendet. Die Klägerin habe Fehler bei ihrer Arbeit gemacht und sich Kunden und Mitarbeitern gegenüber unangemessen verhalten.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch Urteil vom 3. Mai 2007 - 11 Ca 148/07 - in Höhe von EUR 3.702,- nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne die Differenz zu Beschäftigungsgruppe B unter dem Gesichtspunkt des Lohnwuchers beanspruchen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 3. Juli 2007 zugestellte Urteil am 25. Juli 2007 per Telefax Berufung eingelegt und diese am 16. Aug. 2007 ebenfalls per Telefax begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Klägerin in der Probezeit komplett habe angelernt werden müssen. Ihr sei erläutert worden, dass sie in dieser Zeit im Wesentlichen nicht wirtschaftlich einsetzbar sei, sondern weitere Mitarbeiter der Beklagten binden würde. Die Klägerin sei deshalb damit einverstanden gewesen, dass ihr nur EUR 800 brutto monatlich gezahlt werden könnten. Für die Höhe der Vergütung in der Anlernphase habe es mithin einen sachlichen Grund gegeben. Die Klägerin sei wirtschaftlich wie eine Auszubildende zu betrachten gewesen. Das Arbeitsgericht hätte darüber und über die vorgetragenen Schlechtleistungen der Klägerin Beweis erheben und bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Abwägung zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass zwischen einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht die Rede sein könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Mai 2007 - 11 Ca 148/07 - abzuändern und die Klage (insgesamt) abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und weist darauf hin, dass die Parteien keinen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hätten. Die Tätigkeit einer ausgebildeten Fachkraft habe sie als "Mitarbeiterin im Firmendienst" nicht geschuldet. Die Motivationslage der Beklagten sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrages geworden, der in § 9 Abs. 1 ein doppeltes Schriftformerfordernis enthalte. Die Tarifvertragsparteien hätten dem Umstand einer notwendigen Einarbeitung in den Tätigkeitsmerkmalen der Beschäftigungsgruppe B bereits Rechnung getragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 7. Aug. 2008 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, §§ 8 Abs.2 ArbGG, 511 ZPO, 64 Abs. 2 b) ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden, §§ 66 Abs.1 ArbGG, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig. Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht einen Betrag in Höhe von EUR 3.702,-- nebst Zinsen zuerkannt. Das Berufungsgericht macht sich die zutreffende Begründung des Arbeitsgerichts vollinhaltlich zu Eigen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug. Die Angriffe der Berufung führen nicht zu einer anderen Beurteilung.

Die Klage ist in vom Arbeitsgericht zuerkannter Höhe begründet. Die Klägerin hat nach § 612 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf die Differenz zwischen vereinbarter und üblicher, d.h. tarifgerechter Vergütung für die Zeit von 1. Aug. 2005 bis Jan. 2006, also monatlich EUR 617 und insgesamt EUR 3702. Die arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung über EUR 800,-- für die sechsmonatige Probezeit ist nichtig. Sie verstößt gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand (§ 134 BGB in Verb. mit § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) und gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Es besteht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung sind dabei in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs (BAG Urteil vom 24. März 2004 - 5 AZR 303/03 - EzA § 138 BGB 2002 Nr. 2). Dies gilt jedenfalls dann, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Denn dann kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nur zu den Tariflohnsätzen gewonnen werden können. Dass für Mitarbeiter in den Bereichen Reisebüro und Geschäftsreisen im A-Gebiet üblicherweise nicht der Tariflohn gezahlt wird, wird von der Beklagten nicht behauptet. Dem stünde auch die Vergütungsabrede für die Zeit nach Ablauf der Probezeit entgegen. In der Rechtsprechung wurde bereits in Lohnvereinbarungen, die sich auf 2/3 des Tariflohnes beliefen, ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gesehen (BAG a.a.O. Rdnr. 39 mit weiteren Nachw.; ebenso LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 28. Febr. 2007 - 15 Sa 1363/06 - Juris; ArbG Bremen-Bremerhaven Urteil vom 12. Dez. 2007 - 9 Ca 9331/07 - Juris). Hier liegt die vertraglich vereinbarte Vergütung um mehr als 43 % unter der üblichen, d.h. tarifvertraglichen Vergütung, also nochmals deutlich mehr als um 1/3. Eine Vergütungsvereinbarung, die knapp 57 % der üblichen Vergütung beträgt, ist mit den guten Sitten nicht vereinbar. Beschäftigungsgruppe B wäre bei Geltung des ab 1. Jan. 2005 gültigen Gehaltstarifvertrages zwischen der DRV-Tarifgemeinschaft (Arbeitgebervereinigung im deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verband e.V.) und der Gewerkschaft Ver.di abgeschlossenen Tarifvertrages einschlägig. Die Klägerin war weder als Auszubildende noch als Praktikantin angestellt, sondern als "Mitarbeiterin im Firmendienst, zuständig für IATA/DB und Touristik". Dies führt nach § 2 Ziff. 1 des Tarifvertrages dazu, dass sie in eine Beschäftigungsgruppe einzureihen ist. Niedrigste Beschäftigungsgruppe ist die Gruppe B. Zur Ausfüllung dieser Gruppe bedarf es keiner Kenntnisse und Fertigkeiten, wie sie in der Regel in einer fachbezogenen Berufsausbildung oder einer vergleichbaren Ausbildung erworben werden, denn diese werden erst in Beschäftigungsgruppe C mit einem Anfangsgehalt von EUR 1617 vorausgesetzt. In Gruppe B muss der Arbeitnehmer Tätigkeiten ausführen, die Kenntnisse oder Fertigkeiten erfordern, wie sie in der Regel durch eine kurze Einarbeitung erworben werden. Dass die Klägerin angelernt werden musste, entspricht mithin den Vorgaben dieser Beschäftigungsgruppe. Als Tätigkeitsbeispiele werden dementsprechend nur anzulernende Kräfte, Bürohilfskräfte, Boten, Mitarbeiter im Geschäftsbereich mit einfachen Tätigkeiten usw. genannt. Von der Qualität der Arbeitsleistung ist die tarifliche Vergütungshöhe nicht abhängig. Entsprach diese nicht den Vorstellungen der Beklagten, hätte sie das Arbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages während der Probezeit mit einer Frist von zwei Wochen kündigen können.

Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel erloschen. Bei dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB. Die Beklagte hat die für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen der Klägerin in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Die Parteien haben die Vertragsbedingungen nicht ausgehandelt (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB). Eine einzelvertragliche Ausschlussfrist, die die schriftliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als drei Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie ist mit wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr 1 BGB) und schränkt wesentliche Rechte, die sich aus der Natur des Arbeitsvertrags ergeben, so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr 2 BGB; BAG Urteil vom 28. Sept. 2005 - 5 AZR 52/05 - EzA § 307 BGB 2002 Nr. 8; BAG Urteil vom 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - EzA § 2007 BGB 2002 Nr. 3). Die in § 8 des Arbeitsvertrags vereinbarte Ausschlussklausel ist auf Grund der unangemessen kurzen Frist insgesamt unwirksam. Sie fällt bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen ersatzlos weg (§ 306 Abs. 1 und 2 BGB).

Der Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 286 Abs. 2 Ziff. 1, 288 BGB.

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Für die Zulassung der Revision ist mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache eine gesetzlich begründete Veranlassung nicht gegeben, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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