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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: 9 SaGa 593/04
Rechtsgebiete: GG, BGB, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
BGB § 823
BGB § 1004
ZPO § 935
ZPO § 940
ArbGG § 97
Keine Untersagung von Streikmaßnahmen gegenüber der Gewerkschaft der F. e.V. (6dF) im einstweiligen Verfügungsverfahren.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes ! Urteil

Aktenzeichen: 9 SaGa 593/04

Verkündet laut Protokoll am 22. Juli 2004

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 9, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2004

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bram als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Obladen und die ehrenamtliche Richterin Geil als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 03 März 2004 - 5 Ga 1/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die im Juli 2003 gegründete und am 15 Sept. 2003 in das Vereinsregister eingetragene Gewerkschaft ... e.V. (Verfügungsbeklagter) hat gegenüber der ... GmbH (Verfügungsklägerin) Arbeitskampfmaßnahmen angekündigt, um die Aufnahme von Tarifverhandlungen zu erzwingen. Eine Urabstimmung hat sie bereits durchgeführt. Die Verfügungsklägerin will dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung Arbeitskampfmaßnahmen untersagen lassen, weil sie ihm die Gewerkschaftseigenschaft und Tariffähigkeit aberkennt.

Der Verfügungsbeklagte hat etwa 1700 Mitglieder, die als Fluglotsen oder Flugsicherungstechniker oder -Ingenieure nahezu ausschließlich bei der Verfügungsklägerin beschäftigt sind. Diese hat insgesamt etwa 5.000 Arbeitnehmer, davon ca. 2.500 im sog. operativen Bereich. Der Organisationsgrad der GdF beträgt etwa 70 %. Außerhalb des Unternehmens der Verfügungsklägerin werden bundesweit etwa 330 Fluglotsen (128 beim LBA, etwa 200 bei regionalen Flughäfen) beschäftigt. Der Verfügungsbeklagte ist nach seiner Satzung überbetrieblich organisiert. Er konkurriert im Unternehmen mit der Gewerkschaft Ver.di. Die Berufsverbände der Fluglotsen und Techniker hatten zuvor einen Kooperationsvertrag mit Ver.di bzw. der DAG, der im Herbst 2002 von beiden Seiten gekündigt worden ist. In einer Parallelsache zwischen der ... GmbH, wo von etwa 15 Fluglotsen ca. 75 % Mitglieder bei dem Verfügungsbeklagten sind, und diesem haben das Arbeitsgericht Mainz und das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11. Juni 2004 - 11 Sa 2096/03 - Bl. 737 ff. d. A.) den Anträgen der Verfügungsklägerin stattgegeben und dem Verfügungsbeklagten den Streik untersagt.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens und Verfahrens sowie des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Offenbach hat die Anträge durch Urteil vom 3. März 2004 - 5 Ga 1/04 - zurückgewiesen, weil es den beabsichtigten Streik nicht als rechtswidrig angesehen hat. Es hat die Tariffähigkeit des Verfügungsbeklagten bejaht. Wegen der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Verfügungsklägerin am 1. April 2004 Berufung eingelegt und sie am 10. Mai 2004 begründet.

Die Verfügungsklägerin ist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Auffassung, das Arbeitsgericht habe den Streitgegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verkannt. Das Verfahren nach § 97 ArbGG dürfe nicht in den einstweiligen Rechtsschutz verlagert werden. Das Arbeitsgericht hätte eine Abwägung mit den Folgen vornehmen müssen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, wenn sich im Verfahren nach § 97 ArbGG herausstellte, dass der Verfügungsbeklagte nicht tariffähig sei. Die zu befürchtenden Schäden seien - wie die Folgen der streikähnlichen Aktionen der Fluglotsen 1973 gezeigt hätten - angesichts der Streiksensibilität des Luftverkehrs und der erheblichen Drittbetroffenheit beträchtlich. Ansprüche aus § 945 ZPO könnte der Verfügungsbeklagte angesichts seines relativ geringen Vermögens nicht erfüllen. Die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit, insbesondere Überbetrieblichkeit, Gegnerfreiheit, demokratische Organisation, Durchsetzungskraft sowie personelle und finanzielle Leistungsfähigkeit seien bei dem Verfügungsbeklagten nicht gegeben. Schließlich verletzten Arbeitskampfmaßnahmen die Friedenspflicht, da gemäß § 3 Abs. 3 TVG eine Tarifbindung bestehe.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 3. März 2004 - 5 Ga 1/04 - abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen, hilfsweise dem Verfügungsbeklagten eine Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils EUR 3.000.000 vor der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen aufzuerlegen, weiterhin hilfsweise die Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen gerichtet auf bestimmte Funktionen in bestimmten Bereichen, schließlich hilfsweise auch insoweit die Auferlegung einer Sicherheitsleistung vor Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 22. Juli 2004 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO, und begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken, § 64 Abs. 2 ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Wegen des anhängigen Verfahrens nach § 97 ArbGG verbietet sich mit Rücksicht auf den Eilcharakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens eine Aussetzung (LAG Hamm Urteil vom 31. Jan. 1991 - 16 Sa 119/91 - Juris; LAG Hamm Beschluss vom 12. Juni 1975 - 8 TaBV 37/75 - LAGE § 46 BetrVG 1972 Nr. 1; LAG München Beschluss vom 28. März 1983 - 3 Ta 58/83 - Juris). Vor einer Entscheidung im Verfahren nach § 97 ArbGG kann incidenter die Gewerkschaftseigenschaft einer Koalition im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 935, 940 ZPO nur bejaht werden, wenn hinreichende Erfolgsaussichten im Verfahren nach § 97 ArbGG prognostiziert werden können. Bestehen Zweifel, ist im Hinblick auf bevorstehende Arbeitskampfmaßnahmen im Rahmen der nach §§ 935, 940 ZPO vorzunehmenden Abwägung die Eingriffsintensivität, Eingriffsempfindlichkeit und Drittbetroffenheit ganz besonders zu berücksichtigen.

Eine Streikmaßnahme kann im einstweiligen Verfügungsverfahren nur dann untersagt werden, wenn sie rechtswidrig ist und dies glaubhaft gemacht ist (Hess. LAG Urteil vom 2. Mai 2003 - 9 SaGa 638/03 - BB 2003,1229 = NZA 2003,679; LAG Hamm Urteil vom 31. Mai 2000 - 18 Sa 858/00 - AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 25. November 1999 - 4 Sa 584/99 - LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 68 a). Die beantragte Untersagungsverfügung muss zum Schutz des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile geboten und erforderlich sein. Besteht ein Verfügungsanspruch, hat zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, eine Interessenabwägung stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind (LAG Köln, Urteil vom 14. Juni 1996 - 4 Sa 177/96 - LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 63).

Ein etwaiger Arbeitskampf ist hier nicht wegen Verletzung der Friedenspflicht rechtswidrig. Die gesetzliche, dem Tarifvertrag immanente - relative - Friedenspflicht eines Tarifvertrages verbietet den Tarifvertragsparteien, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, dass sie Änderungen oder Verbesserungen der vertraglich geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfes erreichen wollen (BAG Urteil vom 27. Juni 1989 - 1 AZR 404/88 - EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 94; BAG Urteil vom 5. März 1985 - 1 AZR 468/83 - AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 57; BAG Urteil vom 21. Dezember 1982 - 1 AZR 411/80 - EzA § 1 TVG Friedenspflicht Nr. 1; Hess. LAG Urteil vom 2. Mai 2003 - 9 SaGa 638/03 - BB 2003,1229 = NZA 2003,679; LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 10. Dezember 1996 - 6 Sa 581/96 - NZA-RR 1997, 401).

Es kann dahinstehen, ob die Tarifbindung für eine große Zahl von Mitgliedern des Verfügungsbeklagten, die über das Kooperationsabkommen neben ihrer Verbandsmitgliedschaft Verdi-Mitglieder waren und deren Mitgliedschaft durch die Kündigungen des Kopperationsabkommens geendet hat, gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortbestand (vgl. BAG Urteil vom 4. Mai 1955 - 1 AZR 493/54 - AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 2; Wiedemann/Oetker, TVG, 6. Aufl., § 3 Rz. 59; Reuter, RdA 1996, 207, 208; Bauer, DB 1993, 1085, 1086; ders. FS Schaub 1998, S. 19, 22,23; Matthes, FS Schaub 1998, S. 477, 478; a. A. LAG Hamm Urteil vom 31. Jan. 1991 - 16 Sa 119/91 - DB 1991, 1126). Ein Gewerkschaftsaustritt beseitigt auch für Arbeitnehmer die Tarifbindung nicht (BAG Urteil vom 16. Mai 2001 - 10 AZR 357/00 - EzA § 3 TVG Nr. 23; BAG Urteil vom 4. April 2001 - 4 AZR 237/00 - EzA § 3 TVG Nr. 22). Die Tarifbindung endete hier jedoch, weil die unter Geltung des Kooperationsabkommens abgeschlossenen Tarifverträge entweder gekündigt oder geändert worden sind. Eine Änderung des Tarifvertrages, gleich ob erheblich oder unerheblich, beendet die Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG. Dessen konzeptionelle Geschlossenheit und seine Funktion als Ausgleich der widerstreitenden Interessen wird durch das Herauslösen einzelner Bestimmungen zerstört (BAG Urteil vom 18. März 1992 - 4 AZR 339/91 -AP § 3 TVG Nr. 13 (... spricht viel dafür); Wiedemann/Oetker, TVG, 6. Aufl., § 3 Rz. 76). Der MTV hat durch den 9. ÄnderungsTV vom 14. Nov. 2002 zahlreiche Änderungen erfahren. Der Loss of Licence TV Lotsen besteht in geänderter Fassung vom 14. Nov. 2003. Für Nichtlotsen wurde ein Tarifvertrag am 14. Nov. 2002, also nach Beendigung des Kooperationsabkommens, abgeschlossen. Soweit der Verfügungsbeklagte den Abschluss eines AltersteilzeitTV für alle Mitarbeiter auf der Basis des AltersteilzeitTV für Techniker verlangt, wird nicht hinreichend deutlich, ob die Änderung des letztgenannten Tarifvertrages hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs verlangt wird. Der gesondert abgeschlossene Loss of Licence-TV für Nichtlotsen spricht dagegen.

Es besteht bereits kein Verfügungsanspruch, der aber neben dem Verfügungsgrund Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist. Auch das Arbeitsgericht hat angenommen, es bestünde bereits kein Verfügungsanspruch, weil die Verfügungsbeklagte tariffähig sei. Folgerichtig ist es dann nicht zu einer Abwägung nach §§ 935, 940 ZPO gelangt, denn der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO setzt wie eingangs ausgeführt einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund voraus (vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 65 Rz. 29). Auf die umfassenden und gründlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts, die das Berufungsgericht sich zu eigen macht, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die Angriffe der Berufung führen zu keiner anderen Beurteilung. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Arbeitskämpfe im Bereich des Luftverkehrs sind nicht von vornherein ausgeschlossen (Löwisch, ZfA 1988, 137, Rieble, Gutachten Flugsicherung S. 8, Bl. 87 d. A.) Es besteht zwar eine besondere Eingriffsempfindlichkeit des Luftverkehrs (vgl. Heinze, FS 50 Jahre BAG, 493 ff, Rüthers, ZfA 1987, 1, 39, 42 ff.). Das BVerfG (BverfGE 88, 103, 114) hat jedoch angenommen, die Koalitionsfreiheit sei auch den Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst gewährleistet, und zwar unabhängig davon, ob sie hoheitliche oder andere Aufgaben erfüllten. Art. 33 Abs. 4 GG stehe dem nicht entgegen. Er sichere die Kontinuität hoheitlicher Funktionen des Staates, indem er als Regel vorsehe, dass ihre Ausübung Beamten übertragen werde, verbiete jedoch nicht generell, dafür auch Arbeitnehmer einzusetzen. Da diesen die besonderen Rechte der Beamten nicht, zustünden, blieben sie darauf angewiesen, ihre Arbeitsbedingungen auf der Ebene von Tarifverträgen auszuhandeln. Wegen ihrer Unterlegenheit seien sie dabei auch auf das Druckmittel des Arbeitskampfes angewiesen. Soweit der Staat von der Möglichkeit Gebrauch mache, Arbeitskräfte auf privatrechtlicher Basis als Arbeitnehmer zu beschäftigen, unterliege er dem Arbeitsrecht, dessen notwendiger Bestandteil eine kollektive Interessenwahrnehmung sei. Ein politischer Handlungszwang durch einen streikbedingten Stillstand des Luftverkehrs ist also nicht auf dem Weg über das Arbeitskampfrecht zu bewältigen, sondern kann allenfalls zu einer gesetzlichen Regelung führen. Streiks in der Luftfahrt sind weder unter dem Gesichtspunkt des Verbots des Vernichtungsstreiks noch dem des Verbots von Gemeinwohlschädigungen von vornherein unverhältnismäßig (Löwisch, ZfA 1988,1, 148, 155). Den Abschluss einer Notdienstvereinbarung hat der Verfügungsbeklagte angeboten und überdies einen Entwurf vorgelegt.

Über die Voraussetzungen der Gewerkschaftseigenschaft einer Koalition herrscht Einigkeit. Sie muss sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Weiter ist Voraussetzung, dass sie ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehört einerseits eine hinreichende Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, zum anderen eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation. Durchsetzungskraft muss eine Arbeitnehmervereinigung besitzen, damit sichergestellt ist, dass der soziale Gegenspieler Verhandlungsangebote nicht übergehen kann. Ein angemessener, sozial befriedender Interessenausgleich kann nur zustande kommen, wenn die Vereinigung zumindest so viel Druck ausüben kann, dass sich die Arbeitgeberseite veranlasst sieht, sich auf Verhandlungen über eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen einzulassen. Die Arbeitnehmervereinigung muss von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen werden, so dass die Arbeitsbedingungen nicht einseitig von der Arbeitgeberseite festgelegt, sondern tatsächlich ausgehandelt werden. Ob eine Vereinbarung eine derartige Durchsetzungsfähigkeit besitzt, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Darüber hinaus muss die Vereinigung ihrem organisatorischen Aufbau nach in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Abschluss eines Tarifvertrages erfordert Vorbereitungen. Er muss darüber hinaus der Mitgliedschaft vermittelt und auch tatsächlich durchgeführt werden. Dies muss eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um Tarifverträge abschließen zu können (vgl. nur BVerfG Beschluss vom 20. Okt. 1981 - 1 BvR 404/78 - BverfGE 58, 233 = EzA § 2 TVG Nr. 13; BAG Beschluss vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - EzA § 322 ZPO Nr. 12; BAG Beschluss vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 10/99 - EzA § 2 TVG Nr. 24; Hess. LAG Beschluss vom 8. Aug. 2003 - 12 TaBV 138/01 - Juris). Die für die Anerkennung einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG erforderlichen Merkmale der Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit sind funktionsnotwendige Ausprägungen, ohne die eine Koalition den verfassungsrechtlichen Aufgaben der Interessenwahrnehmung ihrer Mitglieder nicht nachkommen kann (vgl. Höfling, RdA 1999, 182, 184). Wirtschaftliche Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler birgt die Gefahr, Verhandlungspositionen in den tariflichen Auseinandersetzungen nicht mit Nachdruck vertreten zu können (vgl. Höfling, RdA 1999, 182, 184). Die Gegnerunabhängigkeit soll auch durch das Merkmal der Überbetrieblichkeit gewährleistet werden (vgl. Höfling, RdA 1999, 182, 184). Die Prüfungsmerkmale Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit erfüllen indessen keinen Selbstzweck, sondern sind im Lichte der Funktion der Koalitionen zu sehen, den sozialen Gegenspieler durch sich einen im Rahmen der Rechtsordnung haltenden Druck oder Gegendruck zur Aufnahme von Tarifverhandlungen und zum Abschluss von Tarifverträgen veranlassen zu können und normativ wirkende Tarifverträge mit Richtigkeitsgewähr abzuschließen. Fehlende und nur theoretisch vorhandene Überbetrieblichkeit gibt aber auf jeden Fall Anlass, die Gegnerunabhängigkeit sorgfältig zu prüfen. Es besteht kein "richterliches Tarif-Konzessionssystem", sondern es geht darum, in diesem Sinne funktionsunfähige Kleinstverbände auszuscheiden (Rieble, FS Wiedemann, 519, 533, 541).

Gewerkschaften, die nur auf einzelne Unternehmen beschränkt sind, können nicht infolge der Kündigungsmöglichkeiten des Arbeitgebers als von diesem abhängig angesehen werden. Eine Kündigung wegen rechtmäßiger gewerkschaftlicher Betätigung hält, worauf schon das Arbeitsgericht hingewiesen hat, §§ 134 BGB in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht stand (dazu Rieble, Gutachten Flugsicherung S. 21, Bl. 100 d. A.; Stelling, NZA 1998, 920, 924). Die Verfügungsklägerin, deren Gesellschafter der Bund ist, hält sich an geltendes Recht. Auch sonst ist mit der Beschränkung der Koalition auf ein Unternehmen im Streitfall keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit verbunden. In Wirtschaftszweigen mit Monopolstrukturen relativiert sich - wie die Beispiele der in ihrem Bestand unangefochtenen Gewerkschaft der Postbediensteten oder der Gewerkschaft der Lokführer zeigen - das Merkmal der Überbetrieblichkeit ohnehin (ebenso Höfling, RdA 1999, 182, 184; Rieble, FS Wiedemann, 519, 529, 530, 535; Stelling, NZA 1998, 920, 924). Dass das Unternehmen mit der eigenen Liquidation oder Verlagerung nach Osteuropa drohen kann, um Zugeständnisse zu erreichen (vgl. Rieble, FS Wiedemann, 519, 533), tritt im Streitfall angesichts der weitgehenden aufgabenbedingten Standortgebundenheit der Verfügungsklägerin in den Hintergrund. Eine Reprivatisierung der Flugsicherung ist angesichts der erst 1992 durchgeführten Privatisierung und angesichts der derzeit vorherrschenden nationalen und globalen Wirtschaftspolitik nicht angedacht. Die Verfügungsklägerin hat jedenfalls derartige Absichten nicht vorgetragen, obwohl dieser Gesichtspunkt erst- und zweitinstanzlich Gegenstand des beiderseitigen Vorbringens war. Die Aberkennung der Koalitionsfähigkeit stellt eine Grundrechtsbeeinträchtigung dar (ebenso Höfling, RdA 1999, 182, 185), die nur durch tatsächlich feststehende Sachgründe gerechtfertigt werden kann.

Die Satzung des Verfügungsbeklagten (Hülle Bl 684 d. A.) unterscheidet sich hinsichtlich der Binnenstruktur nicht nennenswert von der Ver.di-Satzung (Auszug Bl. 687 ff. d. A.). Nach §§ 3 und 4 der Satzung ist der Verfügungsbeklagte überbetrieblich organisiert. Dass die Mitglieder des Verfügungsbeklagten nahezu ausschließlich bei der Verfügungsklägerin beschäftigt sind, hat seine Ursache in den Monopolstrukturen der Flugsicherung. Die Verfügungsklägerin bildet mit ihrem Geschäftsgegenstand nahezu den ganzen Wirtschaftszweig ab. Diese Faktizität kann jedoch nicht zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung führen und das Recht des Verfügungsbeklagten aus Art. 9 Abs. 3 GG, eine Arbeitnehmerkoalition zu bilden, beschneiden (LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 11. Juni 2004 - 11 Sa 2096/03 - S. 13 ff., Bl. 749 ff. d. A.). Auf die nominelle Mitgliederzahl des Verfügungsbeklagten kommt es nicht entscheidend an, da diese angesichts ihrer Schlüsselpositionen schon bei Arbeitskampfmaßnahmen geringen Umfanges eine große Wirkung erzielen können. Ihre Durchsetzungskraft hat der Verfügungsbeklagte, dem in Gestalt der Berufsverbände bereits eine Organisation zur Verfügung stand, durch die Umstände seiner Gründung sowie die Durchführung der Urabstimmung hinreichend unter Beweis gestellt. Seine personelle und organisatorische Stärke reicht angesichts der homogenen Mitgliederstruktur und des Umstandes, dass nur zwei verwandte Berufsgruppen zu betreuen sind, aus. Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht am 6. Juni 2000 (- 1 ABR 10/99 - a.a.O.) entschiedenen Fall der "Bediensteten der Technischen Überwachung" (BTÜ) hat der Verfügungsbeklagte ein externes Büro mit 270 qm, mit drei Verwaltungskräften und einem Vorstandsassistenten. Diese infrastrukturelle Ausstattung reicht aus, seit Monaten gegenüber der Verfügungsklägerin nachhaltig Tarifforderungen aufzustellen und eine Urabstimmung durchzuführen. Neben den laufenden Mitgliedsbeiträgen kann der Verfügungsbeklagte über die Kooperationsabkommen mit VDF und FTI über eine Streikkasse von mehreren Hundertausend EUR verfügen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum diese Infrastruktur nicht für die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahme ausreichen soll, die angesichts der homogenen Beschäftigungsstruktur der Mitglieder und deren örtlichen Zusammenfassung ohnehin mit relativ geringem Organisationsaufwand bewerkstelligt werden können (LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 11. Juni 2004 - 11 Sa 2096/03 - S. 15 ff., Bl. 751 ff. d. A.).

Ein Streik wäre auch nicht unverhältnismäßig, denn eine Auflösung der Tarifpluralität über den sog. Grundsatz der Tarifeinheit ist nicht geeignet, den Grundrechtsschutz einer Koalition im Kernbereich zu beschneiden. Welche Tarifverträge nach dem sog. Spezialitätsgrundsatz sich letztendlich durchsetzen, lässt sich erst nach deren Abschluss feststellen. Eine gerichtliche Tarifzensur schon vor dem Abschluss von Tarifverträgen ist mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Die Annahme, schon jetzt stünde fest, Tarifverträge, die vom Geltungsbereich her etwa die Hälfte der Belegschaft erfassen, müssten nach dem sog. Spezialitätsgrundsatz gegenüber bestehenden Tarifverträgen zurücktreten, lässt sich nicht begründen (Hess. LAG Urteil vom 2. Mai 2003 - 9 SaGa 638/03 - BB 2003,1229 = NZA 2003,679). Die Kritik an dieser Entscheidung (Buchner BB 2003, 2121; Rieble BB 2003, 1227) geht zu Unrecht davon aus, dass der sog. Spezialitätsgrundsatz zu eindeutigen Ergebnissen führe. Bei den Merkmalen der betrieblichen, fachlichen, persönlichen und räumlichen Nähe kann die Antwort für das einzelne Merkmal jeweils unterschiedlich ausfallen (Schaub RdA 2003, 379, 380). Sieht man als maßgeblich die Art der Arbeit an, die der überwiegende Teil der Arbeitnehmer zu leisten hat (Schaub a.a.O.), zeigt sich, dass in dem vom Verfügungsbeklagten vertretenen operativen Bereich der Verfügungsklägerin (Fluglotsen, Techniker, Ingenieure) etwa die Hälfte der Beschäftigten tätig sind. Eine seriöse Prognose, die insoweit abgeschlossenen Tarifverträge müssten nach dem Spezialitätsgrundsatz zurücktreten, lässt sich nicht treffen.

Die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels trägt die Verfügungsklägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 72 Abs. 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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