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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 16.10.2001
Aktenzeichen: 9 Ta 375/01
Rechtsgebiete: ArbGG, GVG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1
ArbGG § 2 Abs. 3
GVG § 17 a
Wird vom Geschäftsführer einer Baufirma (GmbH) eine Strohmannfirma gegründet, die als scheinbare Subunternehmerin der GmbH für die Erledigung eines Auftrages Arbeitskräfte einstellt, damit die GmbH mit diesen Arbeitskräften nicht in vertragliche Beziehungen treten muss, kann diese Konstruktion rechtsmissbräuchlich sein und eine Durchgriffshaftung auf die GmbH begründen.

Für die Frage des Rechtswegs reicht in einem solchen Fall nach den Grundsätzen zur Zuständigkeitsprüfung bei doppelrelevanten Tatsachen entsprechender (streitiger) Klägervortrag aus.


Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 9 Ta 375/01

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 9 des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf die sofortige Beschwerde d. Beklagten zu 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Kassel vom 06. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Bram als Vorsitzenden

am 16. Oktober 2001 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 06. Juni 2001 - 8 Ca 142/00 - wird auf seine Kosten aus einem Beschwerdewert von DM 2.833,-- zurückgewiesen.

Gründe:

Die Parteien streiten im Rahmen einer Schadensersatzklage um den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.

Der Kläger arbeitete in der Zeit von Juli bis Anfang August 1999 als Bauhelfer beim Abriss des ehemaligen "C K" in K, W. Er erhielt für diese Arbeitsleistung keine Vergütung. Die Arbeiten wurden im Auftrag der A C, bestehend aus den Firmen H -T AG und H. u. G. B GmbH & Co. KG durchgeführt. Beauftragt war zunächst die A A GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 3.) ist. Am 14. Juli 1999 wurde die Fa. A auf den Namen des Beklagten zu 4.) angemeldet. Am 15. Juli 1999 wurde ein Werkvertrag zwischen den Firmen A und A über die Abbrucharbeiten unterzeichnet.

Der Kläger hat behauptet, er habe insgesamt 340 Stunden gearbeitet, wofür ihm eine arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung von 25,- DM pro Stunde, also insgesamt 8.500,- DM, zustehe. Er habe mit dem Beklagten zu 4.) einen schriftlichen Arbeitsvertrag für die Zeit von 1. Juli bis 30. August 1999 geschlossen, der - insoweit unstreitig - von dem Beklagten zu 1.) unterzeichnet worden sei.

Der Kläger ist der Auffassung gewesen, sämtliche Beklagten seien als Gesamtschuldner verpflichtet, die Vergütung zu zahlen. Er hat behauptet, der Beklagte zu 3.) habe von Anfang an gewusst, dass er den Auftrag der Fa. H nicht mit Gewinn für die A A, GmbH ausführen konnte. Der Beklagte zu 3.) habe deshalb gemeinsam mit den Beklagten zu 1.) und 2.) - beide sind unstreitig Arbeitnehmer der A A GmbH - beschlossen, eine unerfahrene und leicht lenkbare Person als weiteren Subunternehmer einzuschalten, der die Arbeitnehmer beschäftigen werde. Diese sollten dann keine Vergütung erhalten. Der Beklagte zu 4.), der keine bauspezifische Ausbildung habe, mittellos sei und keine Betriebsmittel für ein Abbruchunternehmen besitze, sei wie geplant überzeugt worden, sich selbständig zu machen, um den Abbruchauftrag abzuwickeln. Die notwendigen Arbeitnehmer seien dann von den Beklagten zu 1.) und 2.) angeworben worden, die diese für die Firma A S angestellt hätten. Teilweise seien schriftliche Arbeitsverträge geschlossen worden, die der Beklagte zu 4.) blanko unterzeichnet hätte, teilweise hätten der Beklagte zu 1.) oder der Beklagte zu 2.) für den Beklagten zu 4.) "i. A." unterschrieben. Teilweise seien auch nur mündliche Arbeitsverträge geschlossen worden. Der Beklagte zu 2.) habe den Werklohn, den die H AG der A GmbH geschuldet habe, dort abgeholt und vorgegeben, diesen an die Arbeitnehmer auszahlen zu wollen. Wie verabredet hätten sich die Beklagten zu 1.), 2.) und 3.) den Werklohn von 422.400,72 DM für den Abbruchauftrag aufgeteilt, wobei geringe Zahlungen an den Beklagten zu 4.) geflossen seien. Der Gerichtsvollzieher habe bei Vollstreckungsversuchen im Auftrag anderer Arbeitnehmer festgestellt, der Beklagte zu 4.) habe einen kleinen Raum angemietet, in dem er weder wohne noch arbeite. Die Post stapele sich dort. Es handele sich um eine Scheinadresse.

Gegen die Beklagten zu 1.) und 2.) ist in dem auf den 16. März 2001 angesetzten Gütetermin ein Teil-Versäumnisurteil ergangen. Dieses Versäumnisurteil ist rechtskräftig geworden.

Der Beklagte zu 3.) hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gerügt und beantragt,

den Rechtsstreit an das für 57399 Kirchhunden zuständige Amtsgericht zu verweisen.

Der Kläger hat beantragt,

den Verweisungsantrag zurückzuweisen und hilfsweise den Rechtsstreit an das Amtsgericht Kassel zu verweisen.

Der Beklagte zu 3.) hat behauptet, das Unternehmen A A GmbH mit Sitz in L habe den Beklagten zu 4.) unter der Firma A S. als Subunternehmer beauftragt.

Der Beklagte zu 4.) hat keinen Antrag gestellt.

Das Arbeitsgericht Kassel hat durch Beschluß vom 6. Juni 2001 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig angesehen. Es hat angenommen, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen müsse aus den Darlegungen des Klägers schlüssig abgeleitet werden können. Das Vorbringen des Beklagten bleibe im Allgemeinen außer Betracht. Es komme vielmehr darauf an, ob sich aus den tatsächlichen Behauptungen des Klägers - ihre Richtigkeit unterstellt - Rechtsbeziehungen oder Rechtsfolgen ableiten ließen, die in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fielen. Maßgeblich sei, dass der Kläger Vergütungsansprüche geltend mache, die ihm aus einer Tätigkeit als Arbeitnehmer zustünden, und dass er die Beklagten zu 1.) bis 3.) als seine tatsächlichen Arbeitgeber benenne. Ob dies tatsächlich der Fall sei, sei nicht Gegenstand der Zuständigkeitsprüfung. Den Vortrag des Klägers als richtig unterstellt, hätten sich die Beklagte zu 1.) bis 3.) als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen, um über die Einschaltung des Beklagten zu 4.) als Strohmann Arbeitnehmer mit dem vorgefassten Plan zu beschäftigen, diese für ihre Arbeitsleistung nicht zu vergüten. Sie seien - wiederum das Vorbringen des Klägers als zutreffend unterstellt - damit materiell-rechtlich Arbeitgeber. Der Beklagte zu 4.) sei nach dem Vorbringen den Klägers dazu benutzt worden, dass formell keine arbeitsvertraglichen Bindungen zwischen den Arbeitnehmern einerseits und den Beklagten zu 1.) - 3.) andererseits oder der A A GmbH entstünden. Die unstreitige Beauftragung des Beklagten zu 4.) habe bezweckt, die Beklagten zu 1.) bis 3.) vor einer Inanspruchnahme durch die Arbeitnehmer zu schützen. Der Beklagte zu 4.) habe weder Arbeitnehmer ausgewählt noch diesen gegenüber Weisungen erteilt oder tatsächlich den Subunternehmervertrag erfüllt. Der Beklagte zu 4.) sei nämlich nach den aufgestellten Behauptungen nie auf der Baustelle des früheren "C-K"

in K gewesen. Er habe über keine Sachkenntnis und nicht über für Abbrucharbeiten notwendige Betriebsmittel verfügt. Umfang und Inhalte des Einsatzes der Arbeitnehmer seien von den Beklagten zu 1.) bis 3.) gesteuert worden. Diese seien wiederum nicht Arbeitnehmer oder Dienstnehmer des Beklagten zu 4.) gewesen. Die Funktion des Beklagten zu 4.) habe sich auf die Bereitstellung seines Namens und die Unterzeichnung eines Teils der Arbeitsverträge beschränkt.

Gegen diesen ihm am 14. Aug. 2001 zugestellten Beschluss hat der Beklagte zu 3.) per Telefax am 27. Juni 2001 und 22. Aug. 2001 sofortige Beschwerde eingelegt. Er begründet die Beschwerde damit, der Kläger behaupte nicht einmal selbst ein Arbeitsverhältnis mit den Beklagten zu 1.) bis 3.). Allein die abenteuerlichen Vermutungen des Klägers hinsichtlich der angeblichen Beteiligung des Beklagten zu 3.) genügten keinesfalls, eine Rechtswegzuständigkeit zu begründen. Die konstruierte Beteiligung hinsichtlich des Beklagten zu 4.) begründe die Zuständigkeit ebenfalls nicht. Der Beklagte zu 4.) sei nach Vortrag des Klägers dessen einziger Arbeitgeber. Er trage selbst vor, bei der Fa. A S eingestellt worden zu sein. Soweit möglicherweise den Arbeitsvertrag des Klägers eine andere Person im Auftrag unterschrieben habe, begründe auch dies kein Vertragsverhältnis mit dieser in Vollmacht auftretenden Person. Hier sei auch nach klägerischem Vortrag und dem schriftlichen Arbeitsvertrag nach für diesen Fall ein Arbeitsverhältnis allein mit dem Beklagten zu 4.) begründet worden. Andernfalls läge gar kein derartiges Vertragsverhältnis vor. Ohne eine Kenntnis von der behaupteten Vorgehensweise und dem Willen, mit den übrigen Beklagten zusammenzuwirken, sei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem angeblichen Ziel, den Kläger im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zu schädigen, nicht denkbar. Selbst wenn die Beklagten zu 1.) bis 3.) nach dem klägerischen Vortrag in betrügerischer Absicht gegen den Kläger vorgegangen wären, ließe sich kein Bezug dieser Personen zu dem Arbeitsverhältnis herstellen. Der Arbeitgeber und Beklagte zu 4.) habe mit den übrigen Beklagten nicht zusammengewirkt. Es gebe keinen erforderlichen Bezug der Beklagten zu 1) bis 3), insbesondere des Beklagten zu 3.), zu einem Arbeitsverhältnis. Ein Zusammenwirken im Rahmen einer GbR mit dem Arbeitgeber sei nicht gegeben.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft. Gegen die Entscheidungen der Arbeitsgerichte über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges findet das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statt, § 48 Abs.1 ArbGG i.V.m. § 17 a Abs.4 Satz 3 GVG. Sie ist auch zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt wurde, § 78 Abs.1 ArbGG i.V.m. §§ 569, 577 Abs. 2 ZPO.

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG i. V. m. § 3 ArbGG gegeben. Nach dieser Vorschrift besteht die in den §§ 2 und 2 a ArbGG begründete Zuständigkeit auch in den Fällen, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder durch eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist. Der Begriff der Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG ist nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum weit auszulegen (vgl. BAG Urteil 11. November 1986 - 3 AZR 186/85 - BAGE 53, 317, 321). Als Rechtsnachfolge in diesem Sinne kommt auch eine Durchgriffshaftung auf ein Unternehmen in Betracht, das neben der Gesellschaft, die Arbeitgeberin ist, für arbeitsvertragliche Ansprüche haften soll (BAG Beschluss vom 29. März 2000 - 5 AZB 69/99 - Juris).

Eine Durchgriffshaftung kommt auch in Frage bei vertraglichen Konstruktionen, bei denen die Arbeitsleistung nicht ausschließlich unmittelbar dem Vertragspartner des Arbeitnehmers zugute kommt (vgl. BAG, Urteil vom 20.07.1982 - 3 AZR 446/80 - AP § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5; LAG Bremen Urteil vom 9. September 1998 - 2 Sa 55/98 - Juris). Das Bundesarbeitsgericht hat angenommen, wenn ein Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitskräfte nicht selbst einstellt, sondern Dritte anweise, im eigenen Namen auf fremde Rechnung und nach bestimmten Richtlinien Arbeitsverträge mit diesen Arbeitskräften zu schließen, dann könne darin ein Mißbrauch der Rechtsform des mittelbaren Arbeitsverhältnisses und eine Umgehung von Gesetzen und Tarifverträgen liegen. Das sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Mittelsmänner unternehmerische Entscheidungen nicht treffen und keinen Gewinn erzielen können (BAG Urteil vom 20. Juli 1982 - 3 AZR 446/80 - EzA § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 1; auch LAG Berlin Urteil vom 1. September 1989 - 6 Sa 48/89 - Juris).

Einen solchen Sachverhalt hat der Kläger vorgetragen. Er hat behauptet, der Beklagte zu 3.) habe den geschäftsunerfahrenen Beklagten zu 4.), der weder eine Baufirma noch die erforderlichen Betriebsmittel besessen habe, nur als Strohmann vorgeschoben, um selbst nicht in vertragliche Beziehungen zu den Arbeitskräften treten zu müssen. Den Werklohn für die Abbrucharbeiten hätten die Beklagten zu 1.) bis 3.) einbehalten und dem Beklagten zu 4.) nur kleinere Beträge zukommen lassen. Als Inhaber einer Abbruchfirma habe der Beklagte zu 4.) nur auf dem Papier gestanden. Ob das Vorbringen des Klägers zur Durchgriffshaftung bewiesen werden kann oder auch nur als schlüssig anzusehen ist, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zuständigkeitsprüfung bei "doppelrelevanten" Tatsachen vorliegend ohne Bedeutung. In Fällen, in denen der Anspruch ausschließlich auf eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, jedoch fraglich ist, ob deren Voraussetzungen vorliegen (sog. sic-non-Fall), reicht die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus. Die entsprechenden Tatsachenbehauptungen des Klägers und seine Rechtsansicht sind dann "doppelrelevant", also sowohl für die Rechtswegzuständigkeit, als auch für die Begründetheit der Klage maßgebend. Besteht kein Arbeitsverhältnis, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Eine Verweisung des Rechtsstreits in einen anderen Rechtsweg wäre in diesem Fall sinnlos (BAG Beschluss vom 17. Juni 1999 - 5 AZB 23/98 - EzA § 2 ArbGG Nr. 46; BAG Beschluss vom 10. Dezember 1996 - 5 AZB 20/96 - EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 36; BAG Beschluss vom 21. Mai 1996 - 5 AZB 36/94. - Juris; BAG Beschluss vom 24. April 1996 -5 AZB 25/95 - EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 31).

Es liegt ein entsprechender Fall vor. Zuständigkeits- und anspruchsbegründende Tatsachen fallen teilweise zusammen. Die Klage kann nur Erfolg haben, wenn der Beklagte zu 3.) nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung haftet und damit Rechtsnachfolger im Sinne von § 3 ArbGG ist. Stellt sich hingegen heraus, dass er nicht haftet, fehlt es nicht nur an der Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG; es steht vielmehr zugleich fest, daß der Kläger den Beklagten zu 3.) nicht in Anspruch nehmen kann. Eine Verweisung des Rechtsstreits wäre sinnlos.

Die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde hat der Beklagte zu 3.) nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt gemäß § 3 ZPO ein Drittel des Hauptsachewertes.

Gegen diesen Beschluß findet gemäß § 78 Abs. 2 ArbGG, § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG keine weitere sofortige Beschwerde statt. Gründe für eine Beschwerdezulassung im Sinne des § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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