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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 24.04.2003
Aktenzeichen: 9 Ta BV Ga 48/03
Rechtsgebiete: MitbestG, 2. WO, BetrVG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

MitbestG § 3
MitbestG § 22
2. WO § 3 Abs. 2
2. WO § 8 der
BetrVG § 5
BetrVG § 7
ArbGG § 85 Abs. 2
ZPO § 935
ZPO § 940
Der Unternehmenswahlvorstand hat gegenüber dem Betriebswahlvorstand eine im Eilbeschlussverfahren durchsetzbare Berichtigungskompetenz hinsichtlich der Streichung von nicht Wahlberechtigten (hier: der Beamten) von der Wählerliste zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Beschluss

Aktenzeichen: 9 Ta BV Ga 48/03

Verkündet laut Protokoll am 24. April 2003

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren im Beschlussverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 9 in Frankfurt am Main auf die mündliche Anhörung vom 24. April 2003 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Bram als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Opel und den ehrenamtlichen Richter Groß als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 11. März 2003 - 5 BV Ga 16/03 - abgeändert.

Dem Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, eine Wählerliste zur Wahl der Arbeitnehmer des Betriebes "A" in den Aufsichtsrat der D GmbH zu erstellen, die keine durch das L überlassenen Beamten als aktiv oder passiv wahlberechtigt ausweist.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die Wahlberechtigung von Beamten bei Wahl der Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsrat der D GmbH (Beteiligte zu 3).

Im Zuge der sogenannten Organisationsprivatisierung der Flugsicherung in Deutschland wurde die hoheitliche Aufgabe der Luftverkehrsverwaltung (Artikel 87 d Grundgesetz) mit Wirkung vom 1. Januar 1993 von der gleichzeitig aufgelösten B (B) auf die im Jahre 1992 gegründete D GmbH übertragen. Alle ehemaligen Beschäftigten der D (Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes) wurden auf das L (L) als neuen Dienstherrn überführt. Arbeitnehmer der D GmbH wurde, wer mit dem Unternehmen einen Arbeitsvertrag schloss. Für die übrigen Arbeitnehmer gilt weiterhin Artikel 7 Abs. 1 des 10. Änderungsgesetzes zum Luftverkehrsgesetz, wonach Beamte die für das L tätig sind, Aufgaben der Flugsicherung in dem Flugsicherungsunternehmen (der D GmbH) wahrnehmen.

Die D GmbH beschäftigt zur Zeit rund 5.100 eigene Arbeitnehmer sowie 320 Beamte, die ihre Aufgaben bei der D GmbH wahrnehmen. Die D GmbH hat einen 12-köpfigen Aufsichtsrat, für den für Mai 2003 Neuwahlen beabsichtigt sind. Bei den zurückliegenden Wahlen war allen dienstüberlassenen L-Beschäftigten - auch den Beamten - das aktive und passive Wahlrecht eingeräumt worden; gleiches war bei allen seit 1993 stattfindenden Betriebsratswahlen der Fall. Parallel dazu hatte diese Personengruppe das aktive und passive Wahlrecht zu den Wahlen der L-Personalräte.

Die Beteiligte zu 3) leitete mit der Bekanntmachung vom 26. November 2002 die Aufsichtsratswahlen für das Jahr 2003 ein (Blatt 83 d. A.). Die betriebliche Gliederung beruht auf dem entsprechenden Tarifvertrag nach § 3 BetrVG vom 17. September 2001 (Blatt 84 - 88 d. A.). Der Unternehmenswahlvorstand (Beteiligter zu 1) konstituierte sich am 9. Dezember 2002, der Betriebswahlvorstand des Betriebes "A" (Beteiligter zu 2) am 12. Dezember 2002 (Blatt 89 und 90 d. A.).

Mit einer Richtlinie vom 17. Dezember 2002 wies der Beteiligte zu 1) darauf hin, dass er der Ansicht sei, dass Beamte kein aktives oder passives Wahlrecht zur Wahl des Aufsichtsrates besitzen (Blatt 91 d. A.). Mit weiterem Schreiben vom 29. Januar 2003 wies er den Beteiligten zu 2) darauf hin, dass keine Beamten in die Wählerlisten aufzunehmen seien (Blatt 94 - 95 d. A.). Der Beteiligte zu 2) vertrat demgegenüber die Rechtsauffassung, dass den Beamten nach wie vor ein aktives und passives Wahlrecht zustünde und nahm keine Streichungen dieser Personen auf den Wählerlisten vor.

Der Unternehmenswahlvorstand der Ansicht gewesen, Beamten stünde, auch wenn sie in einen von einem privaten Rechtsträger allein oder gemeinsam in einen von einem öffentlichen Rechtsträger geführten Betrieb eingegliedert seien, keine Wahlberechtigung zur Wahl, der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat zu.

Er hat beantragt,

1. dem Beteiligten zu 2) aufzugeben, eine Wählerliste zur Wahl der Arbeitnehmer des Betriebes A in den Aufsichtsrat der D GmbH zu erstellen, die keine durch das L überlassenen Beamten als aktiv oder passiv wahlberechtigt ausweist;

2. für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus dem Antrag Ziffer 1 dem Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Richters gestellt wird, das aber wenigstens 10.000,00 Euro betragen sollte, ersatzweise Ordnungshaft, anzudrohen.

Der Beteiligte zu 2) hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2) ist der Ansicht gewesen, es fehle dem Beteiligten zu 1) bereits an der Antragsbefugnis. Des weiteren ist er der Ansicht gewesen, die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt habe, seien auf die Situation bei der Beteiligten zu 3) nicht zu übertragen. Schließlich hat der Beteiligte zu 2) die Ansicht vertreten, in das laufende Wahlverfahren könne nicht im Wege der einstweiligen Verfügung mit der vom Beteiligten zu 1) gegebenen Begründung eingegriffen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf die Sachdarstellung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Das Arbeitsgericht Offenbach hat die Anträge durch Beschluss vom 11. März 2003 zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Anträge seien unzulässig, weil dem Beteiligten zu 1) die Antragsbefugnis fehle.

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) am 2. April 2003 per Telefax Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Der Beteiligte zu 1) ist weiterhin der Auffassung, die Antragsbefugnis für dieses Verfahren ergebe sich aus seiner Richtlinien- und Berichtigungskompetenz. Die der Beteiligten zu 3) zur Dienstleistung überlassenen Beamten hätten kein Wahlrecht.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 11. März 2003 - 5 BV Ga 16/03 - abzuändern und dem Beteiligten zu 2) aufzugeben, eine Wählerliste zur Wahl der Arbeitnehmer des Betriebes A. in den Aufsichtsrat der D GmbH zu erstellen, die keine durch das L überlassenen Beamten als aktiv oder passiv wahlberechtigt ausweist;

Die Beteiligte 3) schloss sich diesem Antrag an.

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2) verteidigt unter Vertiefung seiner Vorbringens die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 24. April 2003 verwiesen.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist begründet.

Ebenso wie in laufende Betriebsratswahlen kann im Wege der einstweiligen Verfügung in die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat eingegriffen werden, wenn ein erheblicher Verfahrensfehler mit Sicherheit festgestellt und auf diesem Wege beseitigt werden kann. Ebenso wie die Eintragung von Arbeitnehmern in die Wählerliste schon vor Abschluss der Wahl einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann, ist dies bei einer Streichung von Wählern aus der Wählerliste möglich. Die Beteiligten sind nicht darauf beschränkt, den darin liegenden Verstoß gegen Vorschriften über das Wahlrecht und die Wählbarkeit durch eine Anfechtung der Wahl geltend zu machen. Sinn und Zweck solcher Beschlussverfahren ist es, Fehler im Wahlverfahren nach Möglichkeit rechtzeitig zu korrigieren, um so eine Anfechtung der Wahl zu vermeiden (vgl. BAG Beschl. vom 20. Jan. 1991 - 7 ABR 85/89 - EzA § 22 MitbestG Nr. 1; BAG Beschluss vom 25. Aug. 1981 - 1 ABR 61/79 - BAGE 37, 31). Ein Eilgrund ergibt sich aus dem Ablauf des Wahlverfahrens. Dadurch eintretende Verzögerungen im Ablauf des Wahlverfahrens sind in Kauf zu nehmen, wenn erkennbar ist, dass die vorgekommenen Rechtsverstöße das Wahlergebnis beeinflussen und in anderer Weise nicht zu beheben sind.

Nach §§ 2 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ArbGG findet das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) statt. Der Unternehmenswahlvorstand ist beteiligtenfähig im Sinne des § 10 ArbGG und auch antragsbefugt (vgl. BAG Beschluss vom 25. Aug. 1981 - 1 ABR 61/79 - BAGE 37,31), weil es möglich ist, dass er in einer eigenen rechtlichen Position nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes betroffen ist.

Der Antrag ist auch begründet. Der Beteiligte zu 1) hat die Sachbefugnis für dieses Verfahren. Es ist Aufgabe des Unternehmenswahlvorstandes, für die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen und Verfahrensfehler zu berichtigen (insoweit ebenso BAG Beschl. vom 20. Jan. 1991 - 7 ABR 85/89 - EzA § 22 MitbestG Nr. 1; LAG Baden-Württemberg Beschluss vom 15. Febr. 1988 - 8 Ta BV 2/88 - BB 1988, 1344; Raiser MbG 4. Aufl., § 22 Rz. 29). Der Wahlvorstand hat gemäß §§ 3 Abs. 2 der 2. WO, 22 MitbestG insoweit eine Richtlinien- und Berichtigungskompetenz. Die Wahl wird nach § 3 Abs. 2 der 2. WO in den einzelnen Betrieben im Auftrag und nach den Richtlinien des Unternehmenswahlvorstandes durchgeführt. Das Bundesarbeitsgericht (Beschl. vom 20. Jan. 1991 a.a.O., zu I 1 a) ) nimmt eine einschränkungslose Berichtigungskompetenz des Wahlvorstandes und an meint zu Recht, eine Beschränkung der Berichtigungsmöglichkeit auf bestimmte Verstöße sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dass der Betriebswahlvorstand nach § 8 der 2. WO die Wählerliste aufzustellen hat, bedeutet nicht, dass die Wählerliste nicht vom übergeordneten Hauptwahlvorstand, in dessen Auftrag und nach dessen Richtlinien er die Wahl durchzuführen hat, nicht auf Fehler überprüft werden kann und er nicht verpflichtet ist, Fehler in den Wählerlisten im Rahmen der Berichtigungskompetenz des Unternehmenswahlvorstandes zu beseitigen. Dementsprechend wurde es in der Entscheidung des BAG vom 20. Jan. 1991 (a.a.O.) für den Betriebswahlvorstand als verbindlich angesehen, dass der Hauptwahlvorstand die Zuordnung von Arbeitnehmern zu einer bestimmten Gruppe vorgegeben hat. Diese Berichtigungskompetenz kann sich nicht in Empfehlungen gegenüber dem untergeordneten Wahlvorstand erschöpfen, sondern muss auch zu einer entsprechenden Sachbefugnis im Beschlussverfahren führen. Sie liefe sonst leer und könnte ihrem Zweck, Fehler einer Wahl rechtzeitig zu berichtigen, nicht gerecht werden.

Die Aufsichtsratswahl wäre mit einem schwerwiegenden Verfahrensfehler behaftet, wenn die bei der Beteiligten zu 3) tätigen Beamten des L den Aufsichtsrat mitwählten. Diese sind nicht wahlberechtigt, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG, 5 Abs.1, 7 BetrV, weil sie keine Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 oder 7 Satz 2 BetrVG sind. Diese hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 28. März 2001 (- 7 ABR 21/00 - EzA § 7 BetrVG 1972 Nr. 2 ) entschieden und damit seine durch Beschluss vom 25. Februar 1998 (- 7 ABR 11/97 - EzA § 5 BetrVG 1972 Nr. 62) geänderte Rechtsprechung bestätigt. Das Bundesarbeitsgericht hat angenommen, Beamte seien mit Ausnahme der spezialgesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle keine wahlberechtigten Arbeitnehmer im Sinne des § 7 Abs. 1 BetrVG, wenn sie in einen von einem privaten Rechtsträger geführten Betrieb eingegliedert sind. Die Entscheidung vom 28. März 2001 behandelt zwar Beamte, die von einer Kommune an einen Zweckverband überlassen wurden, in der entscheidenden Rechtsfrage der Arbeitnehmereigenschaft von Beamten ist der Beschluss jedoch einschlägig.

Der Streitfall bietet keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuweichen. Soweit die Kommentarliteratur (etwa Lorenzen BPersVG § 1 Rz. 32 a ff.; Fitting u.a./Engels, 21. Aufl., § 5 Rz. 282, 284) teilweise anderer Auffassung ist, hat das Bundesarbeitsgericht sich mit dieser Kritik im Wesentlichen bereits auseinandergesetzt. Auch die Neufassung des § 7 Satz 2 BetrVG führt nicht zu einer anderen Beurteilung, denn auch nach dieser Vorschrift kommt es darauf an, dass dem Arbeitgeber Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers zur Arbeitsleistung überlassen werden. Die Vorschrift behandelt die Überlassung von Beamten zur Dienstleistung nicht.

Eine spezialgesetzliche Regelung wie in § 24 Abs. 2 PostPersRG oder § 19 Abs. 1 DBGrG besteht nicht. Die Rahmenvereinbarung vom 23. Dez. 1992 stellt keine gesetzliche Regelung dar. Es besteht zwar dadurch eine Beteiligungslücke, die Lorenzen (a.a.O.) durch eine Doppelrepräsentanz ausfüllen will. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch eine gesetzliche Regelung erforderlich. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat durch Schreiben vom 17. März 2003 (Bl. 197 d. A.) entsprechenden Regelungsbedarf beim BMI angemeldet. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Gesetzgeber in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vorzugreifen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 12 Abs. 5 ArbGG. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 92 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ArbGG.

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