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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.06.2008
Aktenzeichen: (2/5) 1 Ss 213/04 (6/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 206a
StPO § 260 Abs. 3
StPO § 329 Abs. 1
StPO § 354 Abs. 1a
1. Ein Verfahrenshindernis ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens von etwa drei Jahren im Berufungsrechtszug bei einer Gesamtdauer bis zum Berufungsurteil von etwa sieben Jahren rechtfertigt keine Teileinstellung des Verfahrens wegen des Vorwurfs der mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen geahndeten Behinderung des Betriebsrats.

2. Ist das Gericht aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung aufgrund tragfähiger Beweisanzeichen davon überzeugt, daß der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung auf keinen Fall am gerichtlich bestimmten Terminstag erschienen wäre, so darf es die Berufung auch dann nach § 329 Abs. 1 StPO verwerfen, wenn dem Angeklagten eine Krankheit attestiert war. Für die Anforderungen an die Beweiswürdigung gelten dieselben Grundsätze wie für die Schuld- und Straffrage.

3. Das Revisionsgericht muß das als Kompensation für die - in allen Rechtszügen geschehene - rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung erforderliche Maß der auf die Vollstreckung anzurechnenden Strafe in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst festsetzen, ohne daß es eines Antrages der Staatsanwaltschaft bedarf, wenn ihm die dafür maßgeblichen Tatsachen ohne eigene Ermittlungen zur Verfügung stehen. § 354 Abs. 1a StPO ist nicht einschlägig, weil die Kompensation kein Akt der Strafzumessung, sondern der Entschädigung ist.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: (2/5) 1 Ss 213/04 (6/05)

In der Strafsache gegen

wegen Konkursverschleppung u. a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 23. Juni 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Kammergericht Weißbrodt als Vorsitzender,

Richter am Kammergericht Alban, Richter am Landgericht Dr. Kessel als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 2004 dahin abgeändert, daß die Berufung des Angeklagten auf seine Kosten verworfen wird.

Die Revision des Angeklagten wird mit der Maßgabe verworfen, daß von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.

Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten fallen diesem zur Last.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin - erweitertes Schöffengericht - verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Verletzung der Konkursantragspflicht, der Bilanzierungspflicht in drei Fällen und der Buchführungspflicht, wegen Betruges, versuchten Betruges, Vereitelung der Zwangsvollstreckung, Behinderung der Wahl des Betriebsrates, Bankrotts und wegen Beitragsvorenthaltung in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Nachdem die Staatsanwaltschaft ihre gegen dieses Urteil gerichtete Berufung in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2004 zurückgenommen hatte, verwarf das Landgericht durch Urteil vom selben Tage gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, da der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei, die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe, daß der Angeklagte wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung, Bankrotts in fünf Fällen, Betruges und versuchten Betruges, wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung und wegen Beitragsvorenthaltung in 82 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wird. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe setzte es zur Bewährung aus und stellte das Verfahren im übrigen ein.

Die Einstellung erfolgte bezüglich des Vorwurfes der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates, weil nach Auffassung der Strafkammer insoweit das Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer gegeben sei. Das Landgericht führte deshalb (nach § 329 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz StPO) die erkannten Strafen unter mildernder Berücksichtigung der Verfahrensdauer auf die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zurück.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen, die Staatsanwaltschaft mit der ihren die des materiellen Rechts. Vollen Erfolg hat nur die Revision der Staatsanwaltschaft; diejenige des Angeklagten führt lediglich zu der Ergänzung, daß ein Teil der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

I.

Revision der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft hat die wirksame Stellung der Strafanträge zutreffend bejaht und zu Recht gerügt, daß das Landgericht wegen der Verfahrensdauer ein Verfahrenshindernis nicht hätte annehmen dürfen und zudem seine Ausführungen dazu im Urteil unzureichend sind.

1. Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen eines wirksamen Strafantrages bezüglich der (absoluten) Antragsdelikte des Vereitelns der Zwangsvollstreckung (§§ 288 Abs. 2, 77, 77 a StGB) und der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates (§ 119 Abs. 1 und 2 BetrVG, § 77 StGB) ergibt, daß in beiden Fällen die Strafanträge wirksam und rechtzeitig gestellt wurden.

a) Den Strafantrag bezüglich der Vereitelung der durch das Finanzamt für Körperschaften I betriebenen Vollstreckung hatte dessen Dienststellenleiter der Vollstreckungsabteilung, der damalige Oberregierungsrat Dr. B. am 9. Dezember 1997 gestellt. Er war, wie das Finanzamt für Körperschaften I mit Schreiben vom 26. November 2004 mitteilte, der antragsberechtigte Dienstvorgesetzte der mit der Vollstreckungshandlung befaßten Beamten. Von den vereitelnden Handlungen erfuhr der Antragsteller am Tage der Antragstellung.

b) Den Strafantrag bezüglich der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates (Tatzeit: 21. August 1996) hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund - Kreis Berlin - Nord - durch seinen Rechtssekretär und Prozeßbevollmächtigten R. N. am 29. August 1996 gestellt. Diesem - neben anderen - hatte der stellvertretende Vorsitzende des Landesbezirks Berlin-Brandenburg der Industriegewerkschaft Medien, die mit mindestens einem Mitglied in der "L. Theater Produktionsgesellschaft m.b.H." vertreten war (§ 119 Abs. 2 BetrVG), am 23. August 1996 Vollmacht zur Strafantragstellung erteilt. Er war, wie die vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. (mit Schreiben vom 17. Januar 2005) mitteilte, nach der seinerzeit (ab 24. Oktober 1995) geltenden Satzung als für Belange des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes zuständiger stellvertretender Vorsitzender des geschäftsführenden Landesvorstandes zur Stellung von Strafanträgen berechtigt.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie beanstandet, das Landgericht habe bezüglich des Tatvorwurfes der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates zu Unrecht in der langen Verfahrensdauer ein Prozeßhindernis gesehen, das Verfahren insoweit eingestellt und eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt, greift mit der allein erhobenen Sachrüge durch.

a) Es ist anerkannt, daß auf die Sachrüge hin - aber auch von Amts wegen - bei einem Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO nur das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Prozeßvoraussetzung oder eines Verfahrenshindernisses zu prüfen ist (vgl. BGHSt 21, 242, 243; OLG Karlsruhe NStE § 337 StPO Nr. 7; KG, Urteil vom 21. Februar 2003 - (3) 1 Ss 13/02 (25/02) -; Hanack in LR, StPO 25. Aufl., § 337 Rdn. 29).

In der Rechtsprechung besteht inzwischen Einigkeit darüber, wann Verfahrensverzögerungen mit der Sach- und wann mit der Verfahrensrüge zu beanstanden sind (vgl. BGHSt 49, 342, 344; NJW 2005, 300 = NStZ 2005, 223, 224). Bei den Fällen, in denen die Verfahrensrüge erforderlich ist, handelt es sich aber, wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zutreffend ausführt, - anders als hier - um Fälle, in denen bei der Strafzumessung revisionsrechtlich zu prüfen ist, ob das erkennende Gericht die Verfahrensverzögerung ausreichend berücksichtigt und dargelegt hat. Hier greift die Staatsanwaltschaft hingegen die Entscheidung des Landgerichts an, aufgrund der festgestellten Verfahrensverzögerung sei ein Verfahrenshindernis entstanden.

b) Ein Verfahrenshindernis ist nur in besonderen Ausnahmefällen und bei besonders gravierenden Verzögerungen anzunehmen:

- BVerfG NJW 1995, 1277, 1278 (Steuerverkürzung bezüglich 800.000,-- DM; Verfahrensverzögerung kann im Extrembereich zur Einstellung (nach § 153 Abs. 2 StPO) oder zu einem Verfahrenshindernis führen);

- BVerfG NJW 1993, 3254, 3255 = StV 1993, 352 (Verzögerungen im Extrembereich: vier Jahre fehlender Förderung reichen nicht bei Steuerhinterziehung von etwa 11.052,-- DM und versuchter Hinterziehung bezüglich 4.507,-- DM;

- BVerfG NJW 1984, 967 (Gesamtdauer zwölf Jahre und acht Monate: sieben Jahre keine nennenswerte Förderung reichen nicht bei einer Steuersache mit mehr als 400.000,-- DM Schaden);

- BGH wistra 2004, 181, 182; BGHSt 46, 159, 169-171 = NStZ 2001, 270 (nur in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen; 13 Jahre und sechs Monate seit Bekanntgabe des Tatvorwurfes reichen nicht);

- BGHSt 35, 137 (es ist eine außergewöhnliche, beispiellose Verzögerung erforderlich; fünf Jahre allein zwischen Eingang der Revisionsbegründung und Vorlage an den BGH);

- BGH NStZ 1992, 229, 230 (Zwischen Tat und angefochtenem Urteil etwa neuneinhalb Jahre. Zwischen der Aufhebung des Strafausspruchs durch den BGH und der neuen Entscheidung darüber lagen fast siebeneinhalb Jahre. Dies begründet kein Verfahrenshindernis, das die Einstellung nach §§ 153 ff StGB oder gar zum Abbruch des Verfahrens führen müßte);

- BayObLG StV 2003, 375, 376 (Verfahrenshindernis nur in Extremfällen; bei einem Schaden von 3,5 Millionen DM reichen etwa sieben Jahre zwischen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens und dem Prozeßurteil nicht aus); jew. m. weit. Nachw.).

Dabei betonen sowohl das Bundesverfassungsgericht (vgl. NJW 1984, 967; NJW 1993, 3254, 3255) als auch das BayObLG (aaO), daß Verfahrensverzögerungen, die durch den Angeklagten und seine Verteidiger, sei es auch durch zulässiges Prozeßverhalten, entstanden sind, nicht zu berücksichtigen sind.

c) Eine diesen Sachverhalten vergleichbare Verfahrensverzögerung liegt hier auch unter Berücksichtigung dessen nicht vor, daß der Tatvorwurf in der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates nicht besonders schwer wiegt und das Amtsgericht ihn mit (nur) 60 Tagessätzen Geldstrafe geahndet hat. Es handelt sich indes keineswegs um eine Bagatelltat, wie das Landgericht meint. Der Angeklagte hatte nach den dort zitierten Feststellungen des Amtsgerichts am 21. August 1996 einen Aushang "Ergebnisprotokoll zur Wahl eines Wahlvorstandes" vom 17. August 1996, der im Bereich des Mitarbeitereingangs zum Theater in einem Glaskasten angebracht war, entfernen lassen; dazu erklärte er einem Mitglied des Wahlvorstandes: "So lange ich in diesem Betrieb bin, dulde ich keinen Betriebsrat!" Zugleich kündigte er diesem Arbeitnehmervertreter fristlos und verhängte ein sofortiges Hausverbot gegen ihn. Weiteren Mitarbeitern gegenüber äußerte er: "Wer sich an irgendwelchen Maßnahmen zur Einleitung eines Betriebsrates beteiligt, kann sofort gehen."

Die Annahme eines Verfahrenshindernisses läßt sich auch nicht damit begründen, daß der Angeklagte sich vom 8. Oktober 1997 bis 4. Juni 1998 in Untersuchungshaft befunden hat. Abgesehen davon, daß sie angesichts der Gesamtheit der Tatvorwürfe nicht besonders lange dauerte, war sie vor dem amtsgerichtlichen Urteil und bereits vor dem Beginn der Verfahrensverzögerung beendet. Eine besondere Belastung des Angeklagten in der Zeit danach, also auch in der Phase der Verzögerung, ist weder dargetan noch ersichtlich. Abgesehen davon kann nicht die gesamte Zeit von der Aussetzung der ersten Berufungshauptverhandlung am 14. Juli 1999 bis zum ersten Terminierungsversuch im September 2003 als rechtsstaatswidrige Verzögerung angesehen werden. Da die erste Berufungsverhandlung nach 19 Tagen "nachhaltiger Konfliktverteidigung" wegen der Auswertung weiteren, außerordentlich umfangreichen Aktenmaterials ausgesetzt werden mußte, ist dies auf die - zwar prozessual zulässige, gleichwohl eine etwaige Verzögerung relativierende - "Konfliktverteidigung" zurückzuführen. Das Protokoll vom 14. Juli 1999 weist aus, daß beide Verteidiger erklärt hatten, im Falle der Fortführung der Hauptverhandlung das Mandat niederzulegen. Sie beantragten, das Verfahren auszusetzen, solange sie die beschlagnahmten Unterlagen nicht vollständig eingesehen hätten. Bereits vor der Hauptverhandlung am 5. Juli 1999 hatte der Verteidiger Rechtsanwalt H. beantragt, das Verfahren solange auszusetzen, bis sämtliche Unterlagen auch der Verteidigung zur Verfügung stünden und angemessene Zeit zur Durcharbeitung gewährt werden würde.

Dies wiederum ist darauf zurückzuführen, daß der Angeklagte - wie erneut kurz vor der zweiten Berufungsverhandlung, worauf das angefochtene Urteil hinweist, seinen damaligen Verteidiger Rechtsanwalt Z. mit Schreiben vom 11. Februar 1999 - die Hauptverhandlung begann am 18. Februar 1999 - hatte erklären lassen, er vertrete den Angeklagten nicht mehr. Es ist nicht nachvollziehbar und keine der Justiz anzulastende Verzögerung, wenn die kleine Strafkammer nach der für sie ungewöhnlich langen Dauer von 19 plötzlich vergeblichen Verhandlungstagen zunächst bemüht ist, deshalb zurückgestellte Sachen und etwaige neue Haftsachen vorrangig zu bearbeiten. Eine erneute Terminierung etwa ein Jahr nach der Aussetzung der Hauptverhandlung ist angesichts der generellen Belastung der Strafkammern deshalb für ein sehr umfangreiches Verfahren, für das kein Haftbefehl (mehr) besteht, nicht zu beanstanden. Ebenfalls nicht zu berücksichtigen sind die Verzögerungen, die dadurch entstanden sind, daß die Strafkammer sich bei der Terminierung nach den Wünschen des Angeklagten gerichtet hat.

d)Es traf zwar zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung nach der damaligen Rechtsprechung zu, daß eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung grundsätzlich im Rahmen der Strafzumessung auszugleichen war (vgl. EMRG StV 2001, 489 und die unter I 2 b genannten Fundstellen; BVerfG NJW 2003, 2225; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 12; NStZ 1999, 181; 1992, 229). Das bedeutet aber nicht, daß dies ungeachtet strafprozessualer Vorschriften auch in dem speziellen Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO zu geschehen hätte, in dem - was für die Änderung des Rechtsfolgenausspruches Voraussetzung wäre - zur Sache nicht verhandelt wird. Das hat auch die Strafkammer erkannt und in den Urteilsgründen (unter III b, bb) deutlich gemacht. Sie hat ein Verfahrenshindernis bezüglich des von ihr deswegen eingestellten Delikts nicht deshalb bejaht, weil eine besonders lange Verzögerung und eine dadurch bedingte besondere Belastung des Angeklagten dies ausnahmsweise - als ultima ratio - sachgerecht hätte erscheinen lassen, sondern allein deshalb, weil das Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO eine Korrektur des Rechtsfolgenausspruchs zugunsten des Angeklagten regelmäßig nicht zuließ. Dies hält der Senat nicht für zulässig, und es ist auch nicht der von der Strafkammer zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2003, 2225, 2226) zu entnehmen. Abgesehen davon, daß hier unter Berücksichtigung des Verhaltens auch des Angeklagten weder von einer (im Sinne der zitierten Rechtsprechung) besonders schwerwiegenden Verzögerung (bis zum Berufungsurteil) auszugehen ist, ein besonderer Ausnahmefall also nicht vorliegt, noch von besonderen Belastungen des Angeklagten, ergibt sich aus den genannten Entscheidungen nach Auffassung des Senats nicht, daß die zwingende Regelung des § 329 Abs. 1 StPO einfach dadurch - die Staatsanwaltschaft nennt es einen Trick - ausgehebelt werden darf, daß ein sachlich nicht begründetes Verfahrenshindernis bezüglich einer Tat bejaht wird, um so den Rechtsfolgenausspruch (gemäß § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO) korrigieren zu können, weil ein Verfahrenshindernis der Verwerfung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeht (vgl. Rieß NJW 1975, 81, 89). Diese Korrektur kann jetzt durch die "Vollstreckungslösung" geschehen (vgl. BGH NJW 2008, 860 = NStZ 2008, 234).

e) Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Strafkammer ein verzögerungsbedingtes Verfahrenshindernis gerade bezüglich des gravierenden Delikts der Behinderung der Wahl eines Betriebsrates (Tatzeit: 21. August 1996; Geldstrafe 60 Tagessätze), angenommen hat, nicht hingegen (auch) - abgesehen von den bis August 1996 begangenen mit je 5 Tagessätzen Geldstrafe geahndeten Fällen der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB) - etwa wegen der drei Fälle des Bankrotts (durch Verletzung der Buchführungspflicht), von denen zwei (für die Jahre 1994 und 1995) noch vor jener Tat begangen wurden und die - wie jene - jeweils mit Geldstrafen von 60 Tagessätzen sanktioniert wurden. Das mag darauf beruhen, daß die Strafkammer - wie die Urteilsgründe ausweisen - irrtümlich davon ausgegangen ist, die Behinderung der Wahl eines Betriebsrates sei nur mit zehn Tagessätzen Geldstrafe geahndet worden.

3. Der Erfolg der Revision der Staatsanwaltschaft bewirkt, daß die Korrektur des amtsgerichtlichen Urteils im Strafmaß, die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung und die Einstellungsentscheidung entfallen.

II.

Revision des Angeklagten

Der Revision des Angeklagten muß der Erfolg versagt bleiben. Die Strafkammer hat aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu Recht festgestellt, daß der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung am 22. Januar 2004 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erscheinen wollte. Die Begriffe des "Ausbleibens" und der "genügenden Entschuldigung" hat sie nicht verkannt und die fehlende Ursächlichkeit der attestierten Erkrankung zu Recht bejaht.

Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

1. Die Zulässigkeit der Rüge, das Ausbleiben des Angeklagten habe nicht als unentschuldigt angesehen werden dürfen, wird, wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zutreffend ausgeführt hat, nicht dadurch in Frage gestellt, daß als verletzte Norm § 244 StPO statt § 329 Abs. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl., § 329 Rdn. 48) bezeichnet wird. Der Revisionsbegründung ist jedenfalls das Angriffsziel der Rüge in ausreichender Weise zu entnehmen, zumal da der Sache nach eine Aufklärungsrüge erhoben wird, die sich auf Verletzung der Aufklärungspflicht in bezug auf das ärztlich attestierte Entschuldigungsvorbringen richtet (vgl. OLG Köln NStZ-RR 1999, 337, 338; OLG Saarbrücken NJW 1975, 1613, 1614).

2. Die zunächst zu behandelnde Rüge, der Angeklagte sei zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, ist (nach § 344 Abs. 2 StPO) nicht ausreichend ausgeführt und deshalb unzulässig. Wird das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung geltend gemacht, so müssen alle den Mangel begründenden Tatsachen von der Revision so vollständig mitgeteilt werden, daß das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. KG, Urteil vom 23. Juli 2004 - (3) 1 Ss 331/02 (1/03) -; Meyer-Goßner, § 344 StPO Rdn. 20 m. Nachw.). Dazu müssen die Umstände, in denen der Revisionsführer die Verletzung der Norm erblickt, bestimmt behauptet und nicht als nur möglich vorgetragen werden (vgl. BGH NJW 1987, 1776, 1777; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; KG, Urteil vom 23. Juli 2004 - (3) 1 Ss 331/01 (1/03) - und Beschluß vom 19. Mai 2004 - (5) 1 Ss 196/04 (32/04) -; Meyer-Goßner, § 339 StPO Rdn. 48; jew. m. weit. Nachw.).

a) Die Revisionsbegründungsschrift (vom 1. April 2004) teilt nur mit:

"Dem Urteil ist nichts zu entnehmen, wann und wo dem Angeklagten die Ladung zum 22. Januar 2004 zugestellt worden sein soll. Die Ladung zum 5. Januar 2004 ist dem Angeklagten auch nicht, wie im Urteil angegeben, am 12. Dezember 2003 zugestellt worden.

Wie das Gericht zu der Annahme gelangt, der Angeklagte sei gemäß § 145 a Abs. 2 StPO wirksam über den bevollmächtigten Verteidiger geladen worden, bleibt völlig offen. Anerkanntermaßen bedarf der Verteidiger einer gesonderten Ladungsvollmacht."

Das reicht nicht aus.

b) Selbst wenn man der Auffassung folgte (vgl. OLG Köln StV 1989, 53, wonach sogar eine Umdeutung des Wiedereinsetzungsantrages in eine Revision möglich sein soll), die Begründung des Wiedereinsetzungsantrages (nach § 329 Abs. 3 StPO) des Verteidigers (mit Schriftsatz vom 29. Januar 2004) könne, da mit ihm zugleich vorsorglich Revision eingelegt worden ist, als deren Begründung angesehen werden, wäre die Rüge nicht ausreichend ausgeführt. Denn auch dann hätte die Begründung der revisionsrechtlichen Anforderung an die Darlegungspflicht (vgl. Meyer-Goßner, § 344 StPO Rdn. 21-22) zu genügen. Das ist indes nicht der Fall.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils erfolgte die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung am 22. Januar 2004 unter anderem (nach § 145 a Abs. 2 StPO) über seinen dazu bevollmächtigten Verteidiger, damals noch Rechtsanwalt Be.. Will die Revision mit der Verfahrensrüge beanstanden, der Verteidiger sei entgegen der genannten Vorschrift zum Empfang von Ladungen für den Angeklagten nicht speziell bevollmächtigt gewesen, muß sie zunächst den Inhalt der Vollmacht (bzw. der Vollmachtsurkunde) wiedergeben und falls - wie hier - die Zustellungsvollmacht sich auch aus anderen Umständen ergeben kann, diese benennen bzw. widerlegen. Zu der Begründung des Ladungsmangels in dem Wiedereinsetzungsantrag wird aber nur ausgeführt:

"Ausweislich Bl. 114 des Ladungsbandes erteilte Herr B unter dem 24.10.2003 eine Vollmacht. In dieser Vollmacht nimmt Herr B Bezug auf ein Schreiben des Rechtsanwalts Be vom 22.10.2003, welches sich jedoch nicht bei den Akten befindet.

Der Umfang der Vollmacht muß sich aber, dies ist dem Text der von Herrn B erteilten Vollmacht zu entnehmen, aus dem Schreiben vom 22.10.2003 ergeben. Weil dieses Schreiben sich nicht bei den Akten befindet, kann auch nicht der Umfang der Vollmacht beurteilt werden. Zur Glaubhaftmachung beziehe ich mich insoweit auf den Akteninhalt."

Daraus ergibt sich, daß weder das Fehlen einer Ladungsvollmacht bestimmt behauptet wird ("... kann auch nicht der Umfang der Vollmacht beurteilt werden"), noch wird der Inhalt der bei den Akten befindlichen Vollmacht mitgeteilt. Es reicht nicht aus, daß nur behauptet wird, die - inhaltlich nicht mitgeteilte - Vollmacht erfülle nicht die strengen Anforderungen an eine solche zur Empfangnahme für Ladungen und es genügt auch nicht, wenn die Revision sich - nur im Wiedereinsetzungsverfahren ausreichend - zur Glaubhaftmachung auf den Akteninhalt bezieht.

c) Ist danach schon die Rüge des Verfahrensverstoßes der unwirksamen Ladung über den Verteidiger nicht zulässig, vielmehr von deren Wirksamkeit auszugehen, kommt es nicht mehr auf die Entscheidung der Frage an, ob eine Ladung im Wege der Rechtshilfe wirksam erfolgt ist. Denn selbst wenn deren Unwirksamkeit feststünde, was der Angeklagte im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrages behauptet, ließe die Unzulässigkeit der Rüge eine Urteilsaufhebung nicht zu.

Soweit die Revision (in dem Wiedereinsetzungsantrag) meint, hier sei - entsprechend der von dem Angeklagten gestellten Bedingung für die Ladungsvollmacht seines Verteidigers, generell auch auf diplomatischem Wege geladen zu werden - eine Ladung im Wege der Rechtshilfe zwingend nötig gewesen, um die Wirksamkeit der Ladungsvollmacht zu gewährleisten, teilt sie die erforderlichen Tatsachen (z. B. das Schreiben des Angeklagten, aus dem sich die Bedingung der Wirksamkeit der dem Verteidiger erteilten Ladungsvollmacht ergibt) ebenfalls nicht mit, sondern beruft sich (zur Glaubhaftmachung im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrages) auf den Akteninhalt und eine Anlage (Anordnung des Vorsitzenden vom 8. Januar 2004). Beides ist im Revisionsverfahren für die Begründung einer zulässigen Verfahrensrüge nicht ausreichend. Dies gilt auch, soweit sich die Revision zu der Behauptung, eine Zustellung im Wege der Rechtshilfe sei nicht erfolgt, wiederum auf den Akteninhalt bezieht, ohne etwa den Inhalt des Nachweises über die Zustellung über das Justizministerium der USA, "Marshal Service" in Florida am 12. Dezember 2003 und Tatsachen dafür zu nennen, warum dadurch die Bedingung für die Wirksamkeit der dem Verteidiger erteilten Ladungsvollmacht nicht erfüllt sein soll.

d) Abgesehen davon führt die Strafkammer zu Recht aus, daß Ladungsmängel - ebenso wie eine Erkrankung (dazu später) -, jedenfalls wenn - wie hier - der Angeklagte Kenntnis von Terminsort und -zeit hat, für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO nur dann von Bedeutung sind, wenn sie ursächlich dafür waren, daß der Angeklagte zur Berufungsverhandlung nicht erscheinen konnte (vgl. OLG Düsseldorf StV 1982, 216; BayObLG VRS 38, 292; Senat, Beschluß vom 3. Februar 2001 - 5 Ws (B) 495/00 -; GA 1975, 148; Gössel in LR, StPO 25. Aufl., § 329 Rdn. 4; Ruß in KK, StPO 5. Aufl., § 329 Rdn. 3 m. weit. Nachw. und Tolksdorf, § 217 StPO Rdn. 10; Rautenberg in HK, StPO 3. Aufl., § 329 Rdn. 19).

3. Wie für den Ladungsmangel gilt auch für eine etwaige Krankheit eines Angeklagten (hier von dem Internisten Dr. J. D. vom 19. Januar 2004 attestiert), daß sie ihn nur dann entschuldigt, wenn sie für sein Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung ursächlich war (vgl. BVerfG StV 1994, 113; OLG Oldenburg GA 1993, 462, 463; OLG Karlsruhe MDR 1978, 75; Ruß in KK, § 329 StPO Rdn. 10). Wenn das Gericht hingegen aufgrund rechtsfehlerfreier Würdigung vorhandener Indizien zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte sei ohnehin nicht bereit gewesen, zur Hauptverhandlung zu erscheinen, so kann es die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO auch dann verwerfen, wenn eine Krankheit attestiert wäre, die dem Angeklagten ein Erscheinen in der Hauptverhandlung unmöglich oder zumindest unzumutbar machte (vgl. KG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2007 - (4) 1 Ss 319/07 (211/07) -; 5. Februar 2007 - (3) 1 Ss 3/07 (10/07) - und 2. Januar 2007 - (4) 1 Ss 453/06 (229/06) -).

a) Selbst im Rahmen der Entscheidung über den Schuldspruch ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten (hier: Verhaltensvarianten) zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147). Solche wären hier nicht in der - angesichts seiner vorangegangenen Bemühungen zur Vereitelung des Hauptverhandlungstermins als deren "Schlußpunkt" zu erwartenden - Übersendung einer ärztlichen Bescheinigung zu sehen, sondern darin, daß der Angeklagte nunmehr entgegen jener Bemühungen willens ist, den Berufungstermin wahrzunehmen. Konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen. Ohne solche reicht die rein fiktive Erwägung nicht aus, der Angeklagte könne im letzten Moment trotz seiner Verweigerungshaltung plötzlich anderen Sinnes geworden sein und doch an dem Termin teilnehmen wollen.

b) An die getroffenen Feststellungen ist das Revisionsgericht gebunden. Es ist nicht berechtigt, diese im Wege des Freibeweises nachzuprüfen oder zu ergänzen. Um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen eines Prozeßurteils nach § 329 Abs. 1 StPO vorgelegen haben, namentlich der Begriff der "nicht genügenden Entschuldigung" nicht verkannt worden ist, ist das Berufungsgericht daher gehalten, in den Urteilsgründen die Tatsachen aufzuführen, auf denen das Prozeßurteil beruht (vgl. BGHSt 28, 384, 387; HansOLG Bremen StV 1987, 242; OLG Düsseldorf StV 1983, 193 und VRS 78, 129; KG, Beschluß vom 5. Dezember 2001 - (4) 1 Ss 340/01 (183/01) -; Meyer-Goßner, § 329 StPO Rdn. 48 mit weit. Nachw.). Die Bindung an die Feststellungen hindert das Revisionsgericht indes nicht daran, auf die Verfahrensrüge hin zu prüfen, ob dem Tatgericht bei der Beurteilung der tatsächlichen Umstände Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. BGHSt 28, 384, 387-388).

Hier ist die Strafkammer aufgrund eingehender und im Urteil umfangreich dargestellter Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe den Berufungstermin nicht wahrnehmen wollen. Folglich hat die Kammer die Frage etwaiger Hinderung der Terminswahrnehmung durch Krankheit - zu Recht - nicht weiter aufgeklärt. Diese Beweiswürdigung unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Kontrolle. Zwar kann sie nicht auf die von der Revision des Angeklagten auch erhobene Sachrüge hin erfolgen, denn diese Rüge gegen ein Urteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO führt nur zu der Prüfung, ob Verfahrenshindernisse gegeben sind (vgl. BGH NStZ 2001, 440, 441; KG, Beschluß vom 23. Februar 2000 - (4) 1 Ss 28/00 (21/00) -; Meyer-Goßner, § 329 StPO Rdn. 49; zu dem Sonderfall eines Urteils nach § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO vgl. nachfolgend unter 6.). Die Revisionsprüfung hat aber im Rahmen einer (zulässigen) Verfahrensrüge zu erfolgen, das Tatgericht habe den Angeklagten zu Unrecht als nicht entschuldigt angesehen. Denn die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht die sichere Überzeugung erlangt hat, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt. Bei bestehendem Zweifel daran fehlt es an einer Voraussetzung nach dieser Vorschrift. Hat daher ein Angeklagter schlüssige Tatsachen für eine Entschuldigung vorgetragen, so ist eine Verwerfung nur möglich, wenn das Gericht diesen Vortrag nach Prüfung im Freibeweisverfahren für widerlegt hält (vgl. BayObLG NJW 1998, 172; OLG Düsseldorf StV 1987, 9, 10; KG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - (4) 1 Ss 340/01 (183/01) - und 16. September 1999 - (4) 1 Ss 217/99 (101/99) -; Meyer-Goßner, § 329 StPO Rdnrn. 18, 19). Die dazu angestellten Erwägungen hat das Revisionsgericht zu überprüfen (KG StV 1987, 11). Entsprechendes hat für den - hier gegebenen - Fall zu gelten, daß das Berufungsgericht Entschuldigung durch Krankheit nicht als ursächlich für die Säumnis erachtet, sondern die fehlende Entschuldigung aus anderen Umständen ableitet.

c) Für die Prüfung der Erwägungen, auf die ein Berufungsgericht seine Überzeugung stützt, ein Angeklagter sei nicht entschuldigt, kann kein anderer - auch kein strengerer oder erweiterter - Maßstab gelten als für die Beweiswürdigung, auf der Feststellungen zum Schuldspruch beruhen. Auch in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, was der Bundesgerichtshof (BGHSt 28, 384, 387) zur Begründung der Verbindlichkeit der Feststellung eines Urteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ausgeführt hat:

"Denn auch jene enthalten nicht etwa nur die wertungsfreie Wiedergabe förmlicher Geschehensabläufe, sondern bilden zugleich die "sachliche" Grundlage der Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO und unterliegen als solche der Würdigung des Tatrichters. Damit aber sind sie den Feststellungen in einem die Schuld- und Straffrage erörternden Urteil vergleichbar und ebenso wie diese bindend (vgl. OLG Hamm NJW 1963, 65)."

Danach gilt: Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters, der nicht gehindert ist, aus bestimmten Tatsachen mögliche, nachvollziehbare, wenn auch nicht zwingende Folgerungen zu ziehen. Diese Beweiswürdigung darf das Revisionsgericht nicht durch seine eigene ersetzen oder sie nur deshalb beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung näher gelegen hätte. Das Revisionsgericht kann auf eine Rüge (hier wegen der Besonderheit des Verfahrens nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO die Verfahrensrüge) nur prüfen, ob die Würdigung Rechtsfehler enthält, insbesondere in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist, die Beweismittel nicht ausschöpft oder Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze enthält (vgl. BGHSt 29, 18, 20; 26, 56, 62; BGH NStZ-RR 2004, 238, 239; KG, Urteil vom 9. Juli 2003 - (4) 1 Ss 43/03 (58/03) - und Beschluß vom 13. Juli 1999 - (5) 1 Ss 207/99 (42/99) -; Meyer-Goßner, § 337 Rdnrn. 26-30; jeweils mit weit. Nachw.). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, nachvollziehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlußfolgerung letztlich nicht nur einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 1, 8, 11; NJW 1982, 882, 883; KG a.a.O.).

d) Die Revision (Seite 2 und 9 der Begründungsschrift vom 1. April 2004) hat mit der zulässigen aber unbegründeten Aufklärungsrüge geltend gemacht, die Strafkammer hätte angesichts der ärztlichen Bescheinigung erforschen müssen, "ob nach den besonderen Umständen des Einzelfalles dem Angeklagten die Erkrankung bzw. deren Diagnose in irgendeiner Art zum Vorwurf gemacht werden konnte. Nur dann hätte das Gericht ausschließen können, daß es sich bei der Erkrankung um einen nur vorgeschobenen Grund gehandelt hat".

Wie bereits ausgeführt, mußte sich das Berufungsgericht zu solchen freibeweislichen Ermittlungen aber nur dann gedrängt sehen, wenn es aufgrund der Würdigung der übrigen Verfahrensumstände zu der Überzeugung gelangt wäre, die Krankheit des Angeklagten sei für seine Abwesenheit ursächlich. Daß dies hier nicht so war, hat die Kammer auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien, nicht nur nachvollziehbaren, sondern auch überzeugenden Würdigung festgestellt. Rechtsfehler im Sinne der Grundsätze für die Revisionsprüfung haben weder die Revision noch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme aufgezeigt. Die Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift sind entweder nur allgemeiner Art, oder sie betreffen Umstände, die das Gericht im Urteil genannt hat (etwa die Feststellungen zum Verfahrensverlauf), oder sie sind in den speziellen Einzelheiten für die Entscheidung ohne Bedeutung (so die Ausführungen zu dem sachverständigen Zeugen W., die nur die im Urteil festgestellte Verzögerung betreffen).

e) Es kann - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin - keine Rede davon sein, die Strafkammer habe die Berufung auf den bloßen Verdacht hin verworfen, der Entschuldigungsgrund (Krankheit) sei nur vorgetäuscht. Was die Generalstaatsanwaltschaft Berlin für ihre Meinung vorbringt, trägt diese nicht.

aa) Aus dem Verhalten des Angeklagten im Vorfeld der Berufungshauptverhandlung am 22. Januar 2004 durfte das Berufungsgericht sehr wohl die Überzeugung gewinnen, der Angeklagte sei bestrebt, das Verfahren weiter zu verzögern. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er das Verfahren insgesamt "torpedieren" oder nur die Verhandlung seiner Berufung an dem anberaumten Termin (dem 22. Januar 2004) verhindern wollte. Mindestens dieses Ziel seines Handelns ist nachvollziehbarer und sehr viel näher liegender als andere Erklärungen, die das Gericht deshalb nicht näher zu erörtern brauchte.

Dies gilt insbesondere auch für das - anders als mit dem Boykott des Hauptverhandlungstermins nicht rational erklärbare - Wechselspiel des Angeklagten bezüglich seiner Ladung, der bedingten Erteilung einer Ladungsvollmacht an seinen Verteidiger und der Verweigerung der Annahme einer ihm durch einen Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats überbrachten Ladung und der nachfolgende Hinweis, sein Verteidiger sei nicht bevollmächtigt, Ladungen entgegenzunehmen (UA S. 4-5 unter II. 1. b)). Ebenso wie die Kammer vermag auch der Senat aus diesem Verhalten keinen anderen Schluß zu ziehen als den, der Angeklagte habe beabsichtigt, den Hauptverhandlungstermin zu boykottieren.

bb) Entsprechendes gilt für den Wechsel des am 3. Dezember 1999 bevollmächtigten Verteidigers Rechtsanwalt Be. kurz (zehn Tage) vor der Berufungsverhandlung am 22. Dezember 2004 mit der lapidaren Begründung, der Angeklagte habe kein Vertrauen mehr zu ihm. Folgerichtig - und dem Ziel dieses Vorgehens gemäß - meldete sich der neue Verteidiger mit dem Antrag, die Hauptverhandlung wegen fehlender Akteneinsicht auszusetzen. Dieses Spiel hatte der Angeklagte genauso bereits vor der Hauptverhandlung am 18. Februar 1999 inszeniert, als er seinem damaligen Verteidiger Rechtsanwalt Z. - ebenso wie Rechtsanwalt Be. ein gerichtsbekannt kompetenter Verteidiger - das Mandat entzog.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin argumentiert im Hinblick darauf in zweierlei Hinsicht unzutreffend: zum einen, in dem sie meint, aus diesem Vorgang lasse sich nichts Zwingendes bezüglich der Absicht des Angeklagten herleiten, die Verhandlung zu vereiteln. Selbst wenn dies zutreffen sollte, vermag diese Einzelbewertung eines Indizes einen Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung der Strafkammer nicht zu belegen. Denn sie hat ersichtlich und zutreffend ihre Überzeugung aus der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238, 239) des Verhaltens des Angeklagten hergeleitet. Selbst wenn keine der von der Kammer zugrunde gelegten einzelnen Indiztatsachen für sich genommen geeignet wäre, die Vereitelungsabsicht des Angeklagten zu beweisen, so können sie doch in ihrer Gesamtheit einen Schluß darauf zulassen und dem Gericht die gewonnene Überzeugung vermitteln (vgl. BGH a.a.O.; NStZ-RR 2000, 45). Würde ein möglicher und nachvollziehbarer Schluß aus einer Mehrheit von Beweisumständen oder einem Beweisanzeichen als "nicht zwingend" bewertet, stünde zu besorgen, daß die Anforderung an die Überzeugungsbildung überspannt worden sind (vgl. BGH a.a.O. S. 240).

Zum anderen beruft sich die Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu Unrecht auf die Entscheidung des BayObLG (StV 2001, 338, 339) zum Beleg ihrer Auffassung, aus dem hier (zum zweiten Mal) geschehenen Verteidigerwechsel Folge nicht unzweifelhaft und eindeutig die Vermutung, der Angeklagte wolle sein Rechtsmittel keinesfalls (siehe dazu die vorstehenden Ausführungen) mehr weiter verfolgen. Denn der genannten Entscheidung liegt ein anderer, mit dem hiesigen nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. In jener Sache hatte - wie aus der unvollständigen Sachverhaltsdarstellung zu folgern - die Angeklagte erst kurz vor dem Berufungstermin (erstmals) einen Verteidiger bestellt. Dort heißt es - soweit hier von Belang - lediglich, die Beauftragung eines Verteidigers und dessen Erscheinen in der Hauptverhandlung seien Umstände, die nicht die Vermutung stützen, die Angeklagte wolle ihr Rechtsmittel nicht weiter verfolgen. Für den hiesigen Fall läßt sich daraus nichts herleiten, zumal es - wie bereits ausgeführt - nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte seine Berufung keinesfalls weiter betreiben will, sondern schuldhaftes Ausbleiben in der Hauptverhandlung auch dann gegeben ist, wenn er nur den anstehenden Termin sabotieren will. Davon hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei überzeugt.

4. Die Verfahrensrüge, dem Verteidiger sei keine vollständige Akteneinsicht (§ 147 Abs. 4 StPO) gewährt worden und - zur vollständigen Begründung dieser Rüge erforderlich (vgl. KG VRS 83, 428, 429 mit weit. Nachw.) - sein deshalb gestellter Antrag auf Aussetzung des Hauptverhandlungstermins am 22. Januar 2004 sei zu Unrecht abgelehnt worden, ist bereits unzulässig, weil er nicht ausreichend (gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ausgeführt ist.

Die Revision meint, die unvollständige Akteneinsicht in Verbindung mit der Ablehnung des Aussetzungsantrages verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und stelle einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 8 StPO dar. Die Revision teilt zwar den Meldeschriftsatz mit dem Antrag auf vollständige Akteneinsicht (vom 13. Januar 2004) und den in der Hauptverhandlung (am 22. Januar 2004) gestellten Antrag auf deren Aussetzung mit, nicht jedoch den Inhalt des ihn ablehnenden Gerichtsbeschlusses, von dem sie selber spricht. Dessen wörtliche oder zumindest zusammengefaßte Wiedergabe seines wesentlichen Inhaltes wäre aber für die vorschriftsmäßige Ausführung dieser Verfahrensrüge erforderlich gewesen. Damit ist die Verfahrensrüge nicht so dargelegt worden, daß allein aufgrund der Revisionsschrift geprüft werden kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. Meyer-Goßner, § 344 StPO Rdn. 21 mit Rsprnachw.). Aktenteile oder Schriftstücke, auf die die Verfahrensrüge gestützt wird, müssen wörtlich oder wenigstens inhaltlich wiedergegeben werden (vgl. Meyer-Goßner, § 344 StPO Rdn. 22 mit Rsprnachw.). Wegen dieses Begründungsmangels ist es dem Senat nicht möglich zu prüfen, ob das Landgericht ermessensfehlerfrei die Aussetzung der Hauptverhandlung abgelehnt hat.

Abgesehen davon kam es nach der konkreten Verfahrens- und Beweislage sowie der Überzeugung des Gerichts von dem Willen des Angeklagten, nicht zur Berufungsverhandlung am 22. Januar 2004 erscheinen zu wollen, weder auf die (vollständige) Akteneinsicht, noch auf den Aussetzungsantrag an. Denn der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 8 StPO ist nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht, dieses also auf dem Fehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Es gehört deshalb zur Begründung der Rüge der Verletzung des § 147 Abs. 4 StPO zumindest, daß diese konkret-kausale Beziehung dargetan wird und - nach Einsicht in die vorenthaltenen Aktenteile - ein konkretes Ergebnis für die Fall vollständiger Akteneinsicht vorgetragen wird (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 50; NStZ 2000, 212, 213 mit Rsprnachw.). Solcher Darlegung bedarf es hier in besonderem Maße, weil es fern liegt, daß das Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO auf etwaig unvollständiger Akteneinsicht beruhen könnte, zumal der Verteidiger nach dem Vortrag der Revision jedenfalls die für den Verfahrensverlauf und die Grundlagen der Überzeugungsbildung des Gerichts allein maßgeblichen Hauptakten (Bände I. - XIII.) zur Einsicht hatte. Auf etwaige Sonder- oder Beweismittelakten zu den einzelnen Tatvorwürfen kam es nicht an.

5. Die Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 lit. c der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (MRK) und Art. 14 Abs. 3 lit. d des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) greift ebenfalls nicht durch.

Die Revision rügt konkret, das Landgericht habe die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, obgleich der Wahlverteidiger erschienen und bereit gewesen sei, den Angeklagten zu verteidigen. Dies sei konventionswidrig. Was in Bezug darauf mit dem weiteren Vortrag gemeint ist und welche Rüge damit erhoben sein soll, der Vorsitzende habe den Wahlverteidiger, ohne daß dieser sein Mandat niedergelegt habe, zum Pflichtverteidiger bestellt, erschließt sich dem Senat nicht.

a) Mit ihrer Kritik an der Verwerfung der Berufung meint die Revision, wie sich aus ihrem weiteren Vorbringen ergibt, daß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht anwendbar sei, weil seine Regelung im Widerspruch zu der in den eingangs genannten Artikeln der MRK und des IPBPR stehe, wonach jeder Angeklagte das Recht hat, sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen. Diese Frage ist zwar in der Rechtsprechung, die die Konventionswidrigkeit von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO einhellig verneint, und der Literatur umstritten (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2003, 86 mit Nachw. zum Streitstand). Sie ist aber spätestens durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (StraFo 2007, 190) - jedenfalls für die Rechtsprechung - entschieden. Danach ist in der Berufungsverhandlung zur Sache auch dann nicht zu entscheiden, wenn für den abwesenden Angeklagten ein verteidigungsbereiter Rechtsanwalt erschienen ist (vgl. KG, Beschluß vom 14. August 2003 - (4) 1 Ss 194/03 (103/03) -).

In dieser Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht unter anderem auch zu den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) geäußert, die die Revision für ihre - unzutreffende - Rechtsauffassung anführt (Poitrimol/ Frankreich ÖJZ 1994, 467; Lala/Niederlande ÖJZ 1995, 196; Geyseghem/ Belgien NJW 1999, 2353 und Krombach/Frankreich NJW 2001, 2387). Zu diesen Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß sie für andere Rechtsordnungen ergangen seien, indes kein Präzedenzfall des EGMR betreffend die Regelung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO existiere. Es hat ferner zu Recht ausgeführt, daß diesen - und anderen ähnlichen - Fällen andere Sachverhalte zugrunde lagen, so etwa - mit der Verfahrenslage nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO unvergleichbar - vorangegangene Abwesenheitsurteile. Solche sind der deutschen Strafprozeßordnung grundsätzlich fremd. In den nicht einschlägigen Sonderfällen der Verwerfung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl (§§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO) kann der Angeklagte sich durch einen Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2 StPO), und gemäß § 231 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten fortgeführt werden, wenn er sich eigenmächtig aus ihr entfernt oder - im Falle ihrer Unterbrechung - bei ihrer Fortsetzung fernbleibt, er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Im Streitfall hingegen wurde gegen den Angeklagte eine Verhandlung seiner Sache in erster Instanz in seiner Anwesenheit geführt, in der er sich mit Hilfe eines Rechtsanwalts gegen die Tatvorwürfe verteidigen konnte.

In anderen der dortigen Fälle konnten die Beschwerdeführer rechtliche Argumente nicht vorbringen, die nach der deutschen Strafprozeßordnung von Amts wegen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG a.a.O. S. 192-193). Im vorliegenden Verfahren hingegen wäre dies möglich gewesen. Der Verteidiger konnte für den abwesenden Angeklagten neben fehlenden Prozeßvoraussetzungen oder Verfahrenshindernissen alles geltend machen, was gegen die Anwendung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sprach (vgl. BVerfG a.a.O. S. 193; BayObLG NStZ-RR 2000, 307, 308).

b) In dem Fall Krombach/Frankreich war der Angeklagte zuvor vom Schwurgericht Paris in einer Verhandlung zur Sache in Abwesenheit wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Schwurgericht lehnte die Verteidigung durch den anwesenden Rechtsanwalt ab (a.a.O. S. 2388).

Im Fall Geyseghem/Belgien war die Angeklagte nach Verurteilung in Abwesenheit auf ihren Einspruch hin in ihrer Anwesenheit zu Freiheits- und Geldstrafe verurteilt worden. Zur Verhandlung über ihre und der Staatsanwaltschaft Berufung erschien weder sie noch ein Verteidiger; das vorherige Urteil wurde bestätigt. Zu der auf ihren erneuten Einspruch hin anberaumten Berufungsverhandlung erschien sie nicht, jedoch ihr Verteidiger, dessen rechtliche Ausführungen zur - nach der deutschen Strafprozeßordnung von Amts wegen zu prüfenden - Verjährungsfrage das Gericht ablehnte zu hören.

Die von der Verteidigung genannten Entscheidungen von Oberlandesgerichten (BayObLG NStZ-RR 2000, 307, das sich mit dem Fall Geyseghem/Belgien auseinandersetzt; OLG Oldenburg NStZ 1999, 156, das die Fälle Poitrimol/Frankreich und Lala/Niederlande behandelt; OLG Köln NStZ-RR 1999, 122, das sich mit den beiden vorgenannten Fällen auseinandersetzt) liegen auf der Linie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) und des Senats und weisen auf die anders gearteten Sachverhalte (Abwesenheitsurteile) und Verfahrensregeln hin. Anders als nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO gestatten jene die Verhandlung zur Sache in Abwesenheit des Angeklagten, dem die Verteidigung durch seinen Rechtsanwalt dennoch generell nicht erlaubt wird. Der in der Entscheidung des OLG Köln zitierte Aufsatz von Fahrenhorst (EuGRZ 1985, 629) behandelt nur die Fälle Colozza/Italien (ebenda S. 632) und Rubinat/Italien (ebenda S. 636), in denen - mit der hiesigen Konstellation ebenfalls nicht vergleichbar - die Regelung des italienischen Strafprozeßrechts (Art. 497 - 501) zugrunde liegt, wonach eine erstinstanzliche Hauptverhandlung auch beim Vorwurf schwerster Straftaten in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden kann. Selbst dies ist nicht konventionswidrig, falls der Angeklagte von dem Verfahren wußte, sich ihm entzogen oder bewußt und freiwillig auf seine Teilnahme daran verzichtet hat, ihm ein Verteidiger beigeordnet wurde und das Verfahren ansonsten prozeßordnungskonform abläuft.

c) Entgegen der Auffassung der Revision können die Entscheidungen des EGMR keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Sie entfalten direkte Wirkung nur unter den Parteien. Darüber hinaus kommt ihnen nur "normative Leitfunktion" (Bundesverwaltungsgericht NVwZ 2000, 810) und eine "Berücksichtigungspflicht" zu, das heißt, eine Befolgung nur im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung unter Beachtung vorrangigen deutschen Verfassungsrechts (BVerfGE 111, 307, 323 = StV 2005, 307 = NJW 2004, 3407 = JZ 2004, 1171 = EuGRZ 2004, 741; Peters Betrifft Justiz 2005, 160, 164-165).

Das Bundesverfassungsgericht (StraFo 2007, 190) hat im übrigen klargestellt, daß dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten eine Anwesenheitspflicht entspricht gemäß den Strukturprinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens. Dem Angeklagten könne wegen der nicht nur seiner Rechtsposition dienenden Funktion der Anwesenheit keine Dispositionsbefugnis über diese Verfahrensprinzipien und damit auch nicht die Möglichkeit gewährt werden, seine Anwesenheit an den Verteidiger zu delegieren. Es könne auch keine Rede davon sein, daß er für sein Ausbleiben gleichsam bestraft werde. Denn es sei allein seine Entscheidung, daß in seinem Verfahren nicht erneut zur Sache verhandelt werde (BVerfG a.a.O. S. 193). Dies entspricht der Rechtsauffassung des Senats.

6. Die Revision rügt die fehlerhafte Behandlung (Kompensation) der rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK).

a) Diese Rüge ist wegen der Besonderheiten des Urteils nach § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO als Sachrüge zulässig. Als Verfahrensrüge wäre sie mangels vorschriftsgemäßer Ausführung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unzulässig.

Die Sachrüge führt zwar bei einem reinen Prozeßurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nur zu der Prüfung, ob Verfahrenshindernisse bestehen (vgl. BGH NStZ 2001, 440, 441; KG, Beschluß vom 23. Februar 2000 - (4) 1 Ss 28/00 (21/00) -; Meyer-Goßner, § 329 StPO Rdn. 49), und sie ist unzulässig, wenn sie nur mit sachlichrechtlichen Angriffen gegen das Urteil begründet wird (Meyer-Goßner a.a.O. mit Rsprnachw.). Daß auch bezüglich der von der Strafkammer eingestellten Tat ein Verfahrenshindernis nicht gegeben ist, ist bereits erörtert worden.

Ebenso wie ein Sachurteil nach § 329 Abs. 2 StPO auch mit der Sachrüge angegriffen werden kann (vgl. Rieß NStZ 2000, 120, 123), muß diese Rüge auch gegen das hier angefochtene Urteil nach § 329 Abs. 1 Satz 3 möglich sein. Denn es kann auch bei einem solchen Urteil Fehler im Rechtsfolgenausspruch geben, die der Angeklagte mit der Revision angreifen können muß. Dementsprechend hat das OLG Stuttgart (Justiz 1998, 572 und in juris) ein solches Urteil im Rechtsfolgenausspruch insoweit aufgehoben, als das Landgericht mit Einzelstrafen aus einem anderen Urteil eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe (gemäß § 55 StGB) gebildet hatte. Das OLG Rostock (NStZ 1994, 401) hat auf die Sachrüge hin ein Urteil (gemäß § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO) ebenfalls im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, weil dort die Gesamtstrafenbildung (gemäß § 53 StGB) fehlerhaft war, die das Landgericht nach Einstellung (gemäß § 154 a StPO) eines Einzelaktes einer fortgesetzten Handlung vorgenommen hatte. Nach Einstellung auch der restlichen Einzelakte der fortgesetzten Handlung hat es die Bildung der (neuen) Gesamtstrafe (im Vorgriff auf die Regelung des § 354 Abs. 1 b) Satz 1 StPO) dem Beschlußverfahren nach § 460 StPO überlassen.

c) Die Verletzung des Beschleunigungsgebotes (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) kann zwar grundsätzlich nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. BGH NStZ 2004, 504). Ein auf die Sachrüge zu berücksichtigender Erörterungsmangel kann aber vorliegen, wenn sich nach den Urteilsgründen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufdrängt und das Urteil sich zu deren näheren Umständen nicht verhält (vgl. BGHSt 49, 342, 344 = NJW 2005, 300 = NStZ 2005, 569; NStZ-RR 2006, 50). So liegt es hier aber nicht.

d) Das angefochtene Urteil läßt in der Gesamtheit seiner Gründe die eingetretenen Verfahrensverzögerungen hinreichend deutlich erkennen. Entgegen dem Vorbringen der Revision trifft es keineswegs nur die Feststellung "... ist die seit 1996 bei Strafverfolgungsbehörden anhängige Sache bis zur Neuterminierung im September 2003 objektiv nicht gefördert worden". Das Urteil verhält sich vielmehr (nicht nur unter III. nebst Fußnoten) wesentlich genauer zu den eingetretenen Verzögerungen und ihren Gründen. Auch die im übrigen genannten Daten und sonstigen Feststellungen (unter I. und II.) insbesondere zu dem Verhalten des Angeklagten seit der Planung der Kammer (im September 2003) für einen Hauptverhandlungsbeginn Mitte Dezember 2003, die Grundlage ihrer Überzeugung vom eigenmächtigen Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2004 bilden, machen deutlich, daß von September 2003 bis zu dem angefochtenen Urteil jedenfalls keine von der Justiz zu vertretende Verzögerung gegeben ist. Aus den Urteilsfeststellungen wird auch deutlich, daß der Angeklagte gezielt kurz vor anstehenden Verhandlungsterminen seine Verteidiger wechselte, denen Akteneinsicht gewährt werden mußte. Ein solches Handeln ist - wenn auch prozessual zulässig - jedenfalls der Justiz nicht als Verzögerung zuzurechnen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50). Das Urteil gibt auch die Zeit der Untersuchungshaft (etwa acht Monate) vom 8. Oktober 1997 bis 4. Juni 1998 an. Die nach dem angefochtenen Urteil eingetretene Verzögerung (im Revisionsverfahren) kann der Senat selbst feststellen, und er muß sie von Amts wegen berücksichtigen (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320; NStZ 2005, 445).

e) Auch die vom Landgericht nach der damaligen Rechtsprechung vorgenommene Kompensation für die Verfahrensverzögerung hält sich (recht großzügig bemessen) noch im Rahmen des Angemessenen. Sie ist in dem - wenn auch rechtsfehlerhaften - Wegfall der eingestellten Tat, der Verringerung der Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre und in deren weiterer Minderung auf ein Jahr und sechs Monate zu sehen. Die bei der Beurteilung des Einzelfalles zu beachtenden Umstände (vgl. BVerfG NJW 2003, 225) hat das Landgericht zutreffend erkannt und im wesentlichen berücksichtigt. Daran ändert es - wegen der gebotenen isolierten Betrachtung der Revision des Angeklagten - nichts, daß auf die Revision der Staatsanwaltschaft diese Kompensation wegfällt und der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils damit ohne Abstriche bestehen bleibt.

f) Die Sachrüge ist dennoch teilweise begründet, soweit sie die rechtliche Beurteilung der Art und Weise der Kompensation für die Verfahrensverzögerung ergreift. Dieser ist jetzt - zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung - nicht die frühere "Strafzumessungslösung", sondern die "Vollstreckungslösung" zugrundezulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 5 StR 80/08 und 21. Februar 2008 - 3 StR 505/07 -), für die sich der große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluß vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - = NStZ 2008, 234 = NJW 2008, 860) als sachgerechter und sowohl verfahrens- als auch materiellrechtlich systemkonformer und den vom EGMR entwickelten Kriterien völlig entsprechend entschieden hat (vgl. BGH NStZ 2008, 234 Rdnrn. 1-4). Danach ist die überlange Verfahrensdauer als solche zunächst bei der Bemessung der Strafe bzw. der Gesamtstrafe zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, sodann zu prüfen, ob die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ausreichend ist und andernfalls festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt (vgl. BGH NStZ 2008, 234, 235-236 Rdnrn. 9-11).

7. Die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 MRK) nimmt der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst vor, und zwar sowohl bezüglich der im Revisionsverfahren entstandenen und von Amts wegen zu berücksichtigenden (vgl. BVerfG NStZ 2007, 710, 711; BGH NStZ-RR 2005, 320, 321; NStZ 2005, 445 Rdn. 3; § 354 Abs. 2 StPO; Senat, Beschluß vom 14. Mai 2008 - (2/5) 1 Ss 96/06 (14/06) -) als auch für die des gesamten Verfahrens (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 22; ebenfalls noch zur Strafzumessungslösung).

Der Senat sieht deshalb von einer Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und der Zurückverweisung an das Tatgericht (§ 354 Abs. 2 StPO entsprechend; vgl. BGHR StPO § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 10; BGH NStZ 1997, 29 mit zustimmender Anmerkung Scheffler) ab. Hier besteht die Besonderheit, daß der Rechtsfolgenausspruch nach der erfolgreichen Revision der Staatsanwaltschaft und der erfolglosen des Angeklagten gegen ein Urteil nach § 329 Abs. 1 Satz 3 StPO gemäß dem Urteil des Amtsgerichts (Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten) feststeht, was dem gesetzlichen Merkmal "absolut bestimmte Strafe" in § 354 Abs. 1 StPO entspricht.

a) Die Entscheidung des Revisionsgerichts über die Kompensation ist umso mehr dann veranlaßt, wenn eine Zurückverweisung der Strafsache an das Tatgericht das Verfahren - wie hier - weiter und in einer für den Angeklagten unzumutbaren Weise verzögern und damit die rechtswidrige Beeinträchtigung verlängert und vertieft würde (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.; NStZ 2006, 44, 45; 2005, 115; NStZ-RR 2005, 320, 321; NStZ 1997, 29). Das folgt aus der Verpflichtung aller staatlichen Gerichte, das Recht des Angeklagten auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist durchzusetzen (Art. 6 Abs. 1 EMRK). In der letztgenannten Entscheidung (dort indes § 354 Abs. 2 StPO [anstatt Abs. 1 dieser Vorschrift] irrtümlich als Rechtsgrundlage für die Minderung der Strafe genannt) hat der Bundesgerichtshof schon vor der Änderung des § 354 StPO (in entsprechender Anwendung von Abs. 1 dieser Vorschrift) von der Möglichkeit der Verringerung der Strafe wegen Verfahrensverzögerung (damals noch im Wege der Strafzumessungslösung) Gebrauch gemacht und in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 2 StPO von der Aufhebung und Zurückverweisung abgesehen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 10), wie es der Senat umso mehr jetzt nach der Etablierung der Vollstreckungslösung (durch die Entscheidung des großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs NJW 2008, 860 = NStZ 2008, 234) für rechtlich geboten hält.

Bei der Strafvollstreckungslösung ist die Entscheidung des Revisionsgerichts über die angemessene Kompensation weniger problematisch, weil es nicht mehr so sehr auf den Schuldspruch, eine etwa erforderliche Korrektur desselben (für diesen Fall hat das Bundesverfassungsgericht [NStZ 2007, 598, 600-601] die [neue] Strafzumessung durch das Revisionsgericht abgelehnt), die Anhörung des Angeklagten zu aktuellen Strafzumessungstatsachen und deren Abwägung ankommt, sondern nur auf die Zeit der Verzögerung und den dafür angemessenen Ausgleich. Würde die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, hätte es deshalb keine andere Tatsachengrundlage als jetzt das Revisionsgericht. Auch dies spricht gegen eine Zurückverweisung, die nur eine überflüssige, den Belangen des Angeklagten, der Rechtspflege und dem Zweck des - nach der geschehenen erheblichen Verzögerung besonders dringlichen - Beschleunigungsgebots zuwiderlaufende Verlängerung des Verfahrens bedeuten und eine erneute Hauptverhandlung erforderlich machen würde, in der (wegen § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO) eine Entscheidung nach Satz 1 dieser Vorschrift nicht mehr möglich wäre.

b) Die Grundsatzentscheidung des großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur künftigen Anwendung der Vollstreckungslösung bedingt es nach Auffassung des Senats, als Rechtsgrundlage für die Kompensation durch das Revisionsgericht nicht mehr § 354 Abs. 1 a StPO, sondern § 354 Abs. 1 StPO anzusehen. Denn die Vollstreckungslösung ist kein Akt der Strafzumessung, sondern der Entschädigung. Dies macht die genannte Entscheidung an zahlreichen Stellen - mit verschiedenen Formulierungen und rechtlichen Aspekten - sehr deutlich (BGH NJW 2008, 860, Gliederungsnummern - keine wörtlichen Zitate - 16 [durch die Trennung von Strafzumessung und Entschädigung beläßt die Vollstreckungslösung bei der unrechts- und schuldangemessenen Strafe ihre Funktion]; 31 [das Vollstreckungsmodell gestattet in einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung die gebotene Entschädigung des Angeklagten für das von ihm erlittene Verfahrensunrecht]; 35 [sie [die Kompensation ]ist Wiedergutmachung .... Durch sie wird eine Art Staatshaftunganspruch erfüllt .... Ein unmittelbarer Bezug zur Strafzumessung besteht daher nicht]; 42 [das Vollstreckungsmodell zieht neben dem Entschädigungsprinzip der EMRK auch den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB heran. ...]; 44 [die durch Anrechnung vorgenommene Kompensation stellt einen am Entschädigungsgedanken orientierten Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinne dar; ...]; 45 [der entschädigende Gesichtspunkt wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung gesondert ausgeglichen]).

c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält der Senat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (3. Strafsenat, Urteil vom 6. März 2008 - 3 StR 376/07 - in juris) nicht für überzeugend. Dort hatte der BGH zwar - so auch die Auffassung des Senats - ohne Aufhebung und Zurückverweisung im Wege der Vollstreckungslösung die verhängte Freiheitsstrafe gemindert, als Rechtsgrundlage dafür aber § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO herangezogen, weil er meinte, es habe sich insoweit durch den Übergang zur Vollstreckungslösung nichts geändert. Es handele sich, auch wenn die Kompensation nunmehr losgelöst von der (eigentlichen) Strafzumessung erfolge, um eine Zumessung der Rechtsfolgen im Sinne dieser Vorschrift. Der Senat sieht in dieser Argumentation einen Widerspruch: einerseits Entschädigung losgelöst von der Strafzumessung, andererseits dennoch Strafzumessung im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO (vgl. auch BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Anwendungsbereich 4).

Demgegenüber hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 12: Reduzierung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Wegfalls des besonders schweren Falles des Totschlags auf 15 Jahre Freiheitsstrafe in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO) jedenfalls für diesen Fall entschieden, die Einführung des § 354 Abs. 1 a und b StPO sei nicht für die Änderung der seit jeher ständigen Rechtsprechung heranzuziehen; dies begegne keinen systematischen Bedenken. Er hat auch in einer neueren Entscheidung (Beschluß vom 7. Mai 2008 - 5 StR 118/08 - in juris) die Kompensation der Verfahrensverzögerung mittels des Vollstreckungsmodells selbst und in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO vorgenommen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden (vgl. dazu die dort zitierten Entscheidungen BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 4 (5. Strafsenat); 8 = NStZ 1997, 29 (2. Strafsenat), 11 (derselbe)).

d) Da der Senat in Fällen, in denen er nur noch über die Kompensation der Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell zu entscheiden hat, § 354 Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage ansieht, bedarf es eines - von ihr verweigerten - Antrages der Generalstaatsanwaltschaft Berlin nicht (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 2008 - 5 StR 537/07 -). Denn ein solcher wäre nach dieser Vorschrift nur dann erforderlich, wenn auf die gesetzlich niedrigste Strafe zu erkennen oder das Absehen von Strafe angemessen wäre. Beides steht hier nicht in Rede.

e) Der Senat merkt an, daß die Weigerung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, für den Fall einer veränderten - wenn auch ihrem Antrag nicht entsprechenden - Verfahrenslage hilfsweise einen (etwa bei Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO erforderlichen) sachgerechten Hilfsantrag zu stellen und zum Maß der von ihr dann für angemessen gehaltenen Kompensation Stellung zu nehmen, den in Art. 6 Abs. 1 MRK wurzelnden Pflichten zuwiderläuft. Sie ist aus keinem rechtlichen Grund vertretbar, insbesondere nicht aus dem von ihr genannten, ein Hilfsantrag dürfe stets nur ein minus, jedoch kein aliud gegenüber dem Hauptantrag begehren. Mit dieser Begründung wäre auch der typische Hilfsantrag eines Angeklagten unzulässig, eine Bewährungsstrafe zu erhalten, wenn er nicht freigesprochen werde.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hätte damit den Senat (wäre er zu dem Ergebnis gelangt, es sei die vorgenannte Vorschrift anzuwenden) gezwungen, entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Lasten des Angeklagten mit der Folge weiterer erheblicher Verfahrensverzögerung von der Kompensation für die bisher geschehene abzusehen, das Urteil insoweit aufzuheben und die Sache allein wegen der vollstreckungsrechtlichen Kompensation an das Landgericht zurückzuverweisen, ohne daß das der Aufklärung neu hinzugetretener Tatsachen gedient (vgl. BVerfG NStZ 2007, 710, 711) hätte. Dort hätte - wie bereits erwähnt - allein zu diesem Zweck eine Hauptverhandlung stattfinden und der Angeklagte aus den USA anreisen müssen, oder die Sache hätte - im Falle seiner Weigerung - (wegen § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht mehr sachgerecht entschieden werden können.

8. Als Zeitraum, in dem das Verfahren in rechtsstaatswidriger Weise verzögert wurde, kommt derjenige nach der ersten Aussetzung der Berufungshauptverhandlung am 14. Juli 1999 bis zur erneuten Bearbeitung im September 2003, abzüglich von einem Jahr, das nach 19tägiger Hauptverhandlung für die Bearbeitung eiligerer (Haft-)Sachen abzusetzen ist (also eine Verzögerung von drei Jahren und zwei Monaten) in Betracht und die Zeit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320). Davon sind angemessene Bearbeitungszeiten bei der Staatsanwaltschaft, der Generalstaatsanwaltschaft und dem Revisionsgericht, auch für die Bearbeitung etwaiger Rechtsmittel oder -behelfe abzuziehen.

Am 6. Mai 2004 fertigte die Staatsanwaltschaft, die keine Gegenerklärung abgab, den Revisionsübersendungsbericht, der bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin am 18. Mai 2004 einging. Am 9. Juni 2004 erreichte den Senat die sofortige Beschwerde (Eingang beim Landgericht am 11. März 2004) des Angeklagten gegen die Verwerfung seines Wiedereinsetzungsantrages (am 19. Februar 2004) mit der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin dazu. Mit der Rechtsmitteleinlegung hatte der Verteidiger Akteneinsicht (für zwei Wochen) und ausreichende Frist zur beabsichtigten Begründung erbeten. Nach deren Bewilligung (am 14. Juni 2004) meldete sich der Verteidiger nicht mehr, schickte das Empfangsbekenntnis nicht zurück, nahm erst nach postalischer (erneuter) Zustellung Akteneinsicht und gab die Akten am 30. Juli 2004 zurück; die angekündigte (weitere) Begründung blieb aus. Der Senat verwarf das Rechtsmittel mit Beschluß vom 5. August 2004. Die Generalstaatsanwaltschaft überprüfte (durch Anfragen vom 21. Oktober 2004 bis zum Eingang der Antwort der Gewerkschaft "ver.di" am 17. Januar 2005) die Wirksamkeit der gestellten Strafanträge. Die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zu den Revisionen ging am 31. Januar 2005 beim Senat ein, bei dem die maßgebliche Verzögerung entstand. Da er überwiegend mit eiligen und vorrangigen Haftsachen im weiteren Sinne (zumeist Vollstreckungs- und Vollzugssachen) befaßt ist, mußte der Berichterstatter die begonnene Bearbeitung der Revisionen mehrfach zurückstellen. Für die reguläre Entscheidung über die Revisionen in der recht komplexen Sache ist ein Zeitraum von etwa neun Monaten angemessen. Es ergibt sich danach eine rechtsstaatswidrige Verzögerung im Revisionsverfahren von zwei Jahren und acht Monaten.

b) Die Kompensation kann bei einem Urteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO (anders als nach BGH a.a.O. S. 235-236 Rdnrn. 9, 12) nicht bei der Bemessung der Strafe oder - wie hier bei mehreren Straftaten - der Gesamtstrafe berücksichtigt werden, da diese feststehen und nicht abänderbar sind. Sie ist vielmehr - unter Beachtung dieses Umstandes - allein durch die Festlegung eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe zu bewirken, der als vollstreckt gilt (vgl. BGH a.a.O. S. 235-236 Rdn. 10).

Dabei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen wie etwa der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere der Tatvorwürfe, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes und die Auswirkung all dessen auf den Angeklagten (vgl. BVerfG NJW 2004, 2398; 2003, 2225; BGH a.a.O. S. 236 Rdn. 10).

Die von der Justiz zu verantwortenden Verzögerungen von insgesamt fast sechs Jahren (drei Jahre und zwei Monate im Berufungs- und zwei Jahre und acht Monate im Revisionsverfahren) ist recht erheblich. Das Verfahren dauerte seit der Anhängigkeit bei der Strafverfolgungsbehörde im Jahre 1996 - noch vor der letzten Tatzeit am 16. Juli 1997 - also etwa 12 Jahre. Der Verfahrensgegenstand ist komplex, wie sich aus der Aufstellung der abgeurteilten Taten (Tatzeiten: 1994 - 16. Juli 1997) aus dem wirtschaftlichen Bereich ergibt; ihr Gesamtunrechtsgehalt ist erheblich. Sie waren mit bedeutenden Risiken und Verlusten Dritter (Investoren, die bis Ende 1995 12 Millionen DM (= 6.135.502,50 Euro) eingelegt hatten und Sozialkassen) in Millionenhöhe verbunden. 950.000 DM (= 485.727,28 Euro) versteckte der Angeklagte allein bis zum 31. Dezember 2005 auf einem den Gläubigern unbekannten Konto.

Als besondere Belastung des Angeklagten kann nur die überlange Verfahrensdauer, verbunden mit dem Umstand, daß er in Florida lebt, gewertet werden und diejenige durch die (ausgesetzte) erste Berufungsverhandlung. Diese allerdings nur eingeschränkt, denn der Verurteilte hatte auch damals nur eine Woche vor dem Verhandlungstermin (am 18. Februar 1999) - wie später erneut - seinen Verteidiger gewechselt, und die Hauptverhandlung war von nachhaltiger Konfliktverteidigung geprägt. Die Untersuchungshaft hat schon das Amtsgericht bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, der beim Verlassen Deutschlands am Grenzübergang Lindau-Autobahn aufgrund eines bestehenden Haftbefehls festgenommen worden war. Die Untersuchungshaft hat im übrigen mit der Verfahrensverzögerung nichts zu tun; sie war lange vor deren Entstehen beendet.

Der Senat hält es nach zusammenfassender Würdigung aller maßgeblichen Umstände für angemessen, ein Jahr und drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten als verbüßt gelten zu lassen. Unter Anrechnung der etwa achtmonatigen Untersuchungshaft verbleibt sonach eine Reststrafe von etwa sieben Monaten, deren Aussetzung zur Bewährung (§ 57 Abs. 1 StGB) der Angeklagte mit guter Aussicht auf Erfolg sogleich (beim Amtsgericht) beantragen kann.

Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Revision des Angeklagten auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und derjenigen der Staatsanwaltschaft auf § 465 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung. Angesichts des sehr geringen Erfolges der Revision des Angeklagten ist die Anwendung von § 473 Abs. 4 StPO nicht gerechtfertigt, zumal davon auszugehen ist, daß der Angeklagte die Entscheidung des Landgerichts auch dann angefochten hätte, wenn sie der des Senats entsprochen hätte.

Ende der Entscheidung

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