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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.08.2004
Aktenzeichen: (3) 1 Ss 210/04 (71/04)
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 47 Abs. 1
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: (3) 1 Ss 210/04 (71/04)

In der Strafsache gegen

wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin auf Grund der Hauptverhandlung vom 18. August 2004, an der teilgenommen haben:

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 23. Juni 2003 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt - gebildet aus Einzelfreiheitsstrafen von drei Monaten und vier Monaten - und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf eines Jahres keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Auf die dagegen eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Die dagegen gerichtete, von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, führt zum (vorläufigen) Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ergreift das angefochtene Urteil in vollem Umfang.

Die Staatsanwaltschaft hat in der Revisionsbegründung zwar nur gegen die Strafaussetzung zur Bewährung argumentiert und das Urteil damit in einem Punkt angegriffen, auf den das Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 328 Rdn. 18, 20, § 344 Rdn. 4). Sie hat diese Ausführungen aber vorweg im Anschluß an die Erhebung der allgemeinen Sachrüge ausdrücklich als "nur beispielhaft" bezeichnet. Darin liegt die Äußerung eines Vorbehalts gegen eine einengende Auslegung des Rechtsmittels.

An der umfassenden Reichweite änderte sich selbst dann nichts, wenn die Revision gleichwohl als auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt anzusehen wäre. Sie so einzustufen käme im Hinblick darauf in Betracht, daß über den Punkt der Strafaussetzung zur Bewährung hinaus kein Überprüfungsinteresse der Staatsanwaltschaft zu ersehen ist. Woran der Staatsanwaltschaft nach den gesamten Umständen allein noch als Ziel gelegen sein könnte, ist eine Heraufsetzung der Strafe. Die aber ist nicht möglich, weil der Angeklagte auf seine alleinige Strafmaßberufung nicht schlechter gestellt werden darf (§ 331 StPO). Die aufgrund dieser Überlegungen zur Interessenlage der Staatsanwaltschaft angenommene Beschränkung wäre dann jedenfalls unwirksam, weil die Erwägungen zum Strafmaß in dem angefochtenen Urteil derart unzulänglich sind, daß sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden können (vgl. KG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - [5] 1 Ss 404/03 [69/03]).

2. Die Ausführungen zur Bemessung der Strafe im angefochtenen Urteil sind so lückenhaft, daß sie nicht erkennen lassen, ob das Landgericht sich überhaupt des Grundsatzes (vgl. KG, Beschluß vom 23. August 2000 - [4] 1 Ss 157/00 [121/00]- Juris) bewußt gewesen ist, daß die Berufung im Umfang der Anfechtung zu einer völligen Neuverhandlung der Sache führt und es im Gegensatz zum Revisionsgericht nicht Sache des Berufungsgerichts ist, das angefochtene Urteil zu prüfen, sondern nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung neu zu entscheiden, was im Falle einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung, wie sie hier vorliegt, einschließt, losgelöst von den Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils eine eigene umfassende Strafzumessung vorzunehmen. Ob eine solche hier stattgefunden hat - wegen der Festsetzung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten, die nach § 47 Abs. 1 StGB nur in Ausnahmefällen verhängt werden dürfen, war diesbezüglich eine umfassende Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände vonnöten (vgl. nur BGH StV 1994, 370) -, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen.

Die Ausführungen des Landgerichts in dem die Strafzumessung betreffenden Abschnitt (UA S.4 untere Hälfte bis S.5 Zeile 2) erschöpfen sich im Kern in einer bloßen Bezugnahme auf den entsprechenden Teil im Urteil des Amtsgerichts. Mit der Angabe des Strafrahmens einschließlich Verneinung der Milderungsmöglichkeit wegen verminderter Schuldfähigkeit, der Nennung zweier mildernd zu berücksichtigender Gesichtspunkte ("einsichtiges und reuiges Verhalten"; Härteausgleich für Nichteinbeziehbarkeit einer weiteren Verurteilung) und eines belastenden Aspekts (kein Versicherungsschutz bei den Fahrten) ist nur ein begrenzter Ausschnitt von Einzelpunkten angesprochen, die Kernaussage bildet hingegen der zentrale Satz: "Gleichwohl waren vor diesem Hintergrund die vom Amtsgericht Tiergarten verhängten Einzelfreiheitsstrafen und die Zurückführung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten nicht zu beanstanden, weil die dort dargelegten Strafzumessungserwägungen auch aus der Sicht der Kammer in jeder Hinsicht tragfähig und überzeugend sind."

Mit diesem Inhalt enthält das Urteil keine ausreichenden Gründe zur Strafzumessung. Es lehnt sich ganz überwiegend an die Ausführungen des Amtsgerichts an, ohne daß ausgeschlossen werden kann, daß es dessen Erwägungen bloß nach Art eines Revisionsgerichts auf ihre Vertretbarkeit überprüft und übernommen hat, anstatt, wie auf die Berufung geboten, selbst die notwendige umfassende Abwägung vorzunehmen und zu einer eigenen Bemessung der Strafe zu gelangen. Darin liegt ein sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27. Februar 1980 - 4 Ss 2430/79 - Juris). Er führt auf die mit der Revision erhobene Sachrüge der Staatsanwaltschaft nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision.

Zusätzlich auch der Überprüfung, ob das Landgericht mit der - dem Senat durchaus angreifbar erschienenen - Strafaussetzung zur Bewährung die ihm gezogenen Grenzen des rechtlich Vertretbaren überschritten hat, bedarf es nicht. Allein der sachlich-rechtliche Mangel im Punkte der Strafzumessungserwägungen rechtfertigt die Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang.

Ende der Entscheidung

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