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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.09.2009
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 240/09 (191/09)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 358 Abs. 1
StPO § 261
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 240/09 (191/09)

In der Strafsache

wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 21. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. März 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Auf die Berufung des Angeklagten sprach das Landgericht Berlin den Angeklagten mit Urteil vom 5. März 2008 frei, weil die Durchsuchung seiner Wohnung, bei der die Betäubungsmittel gefunden worden waren, rechtswidrig gewesen sei und die im Zusammenhang mit der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel einem Verwertungsverbot unterlägen. Das Landgericht nahm an, die eingesetzten Polizeibeamten hätten einen besonders groben Verstoß gegen Verfahrensrecht (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO) begangen, der einer bewussten Missachtung des Richtervorbehalts gleich stehe.

Der Senat hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin diese freisprechende Entscheidung mit Urteil vom 1. September 2008 ([4] 1 Ss 220/08 [136/08] - bei juris) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Er hat entschieden, dass unter Berücksichtigung der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. u.a. BGHSt 51, 285 ff) nach der vorzunehmenden Interessenabwägung kein Sonderfall einer schwerwiegenden Rechtsverletzung anzunehmen sei und deshalb ein Beweisverwertungsverbot nicht vorliege.

Nach der erneuten Berufungshauptverhandlung hat das Landgericht Berlin die Berufung des Angeklagten nunmehr mit der Maßgabe verworfen, dass dieser unter Einbeziehung rechtskräftig verhängter Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (Einzelstrafe für die vorliegende Tat: zwei Jahre und sechs Monate) verurteilt worden ist.

II.

Mit seiner Revision, deren Ziel in erster Linie seine Freisprechung ist, rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat teilweise (vorläufigen) Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erhielten Polizeibeamte am Samstag, dem 6. Januar 2007, zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen 7.20 Uhr und 8.00 Uhr den Auftrag, wegen einer Körperverletzung im Rahmen häuslicher Gewalt in die Lutherstraße 7 in Berlin-Spandau zu fahren. Dort angekommen, bemerkten die vier Beamten im Treppenhaus die im Gesicht blutende Geschädigte Frau Zeiske und einen Treppenabsatz höher den nur mit Boxershorts bekleideten, erheblich alkoholisierten Angeklagten. Sie beschlossen, den Angeklagten wegen des Verdachts der Körperverletzung vorläufig festzunehmen und zur Entnahme einer Blutprobe in die Gefangenensammelstelle zu verbringen. Sie legten ihm Handfesseln an, setzten ihn auf die Treppe und hielten ihn dort fest. Seine Personalien gab der Angeklagte nicht preis. Deshalb entschied sich der Beamte PHM Wagner, in der Wohnung des Angeklagten, auf die ein Hausbewohner aufmerksam gemacht hatte, nach Ausweispapieren zu suchen. Über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme machte er sich keine Gedanken; er sah das alleinige Suchen nach Ausweispapieren nicht als Durchsuchung im Rechtssinne an und wollte hierdurch eine erkennungsdienstliche Behandlung des Angeklagten auf der Gefangenensammelstelle vermeiden. Nachdem der Beamte W. und die Zeugin POM'in R. durch die lediglich angelehnte Wohnungstür die Wohnung betreten hatten, entdeckte die Zeugin alsbald auf dem Fußboden liegend eine vermeintlich zu einer scharfen Waffe gehörige Patrone. Nach kurzer Rücksprache mit ihren noch im Treppenhaus befindlichen Kollegen entschlossen sich die Polizeibeamten zu einer - jetzt auch von ihnen so bewerteten - Durchsuchung der Wohnung, weil man darin nunmehr eine scharfe Waffe vermutete. Hierzu führt das Landgericht aus: "Ohne näher darüber nachzudenken oder gar Vorgesetzte anzurufen, nahmen PHM W. und auch POM H. Gefahr im Verzug an". Um eine richterliche Anordnung bemühten sich die Beamten demgemäß nicht. Bei dieser Durchsuchung entdeckten die Beamten zwar keine Waffe, aber im Badezimmer unter der Badewanne, versteckt hinter zwei Fliesen, 934 g eines Kokaingemisches mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 845,4 g (Bestimmung bei einem relativen Messfehler von +/- 5%) sowie auf dem Balkon unter einem Karton einen Plastikbeutel mit ca. einem Kilogramm Cannabiskraut mit einem Wirkstoffgehalt von 37,29 g THC (+/- 10%).

Später noch hinzugekommene Polizeibeamte eines Fachdezernats, die weitere - nicht zum Auffinden relevanter Beweismittel führende - Durchsuchungsmaßnahmen vornahmen, fertigten ein Protokoll über die gesamte Durchsuchung und Beschlagnahmen, worin sie die Maßnahmen ohne nähere Ausführungen als nach der Strafprozessordnung durchgeführt und mit Gefahr im Verzug begründeten.

Dem Schuldspruch liegt die Feststellung der Kammer zugrunde, dass der Angeklagte die genannten Betäubungsmittel am 6. Januar 2007 gegen 8.00 Uhr ohne die erforderliche Erlaubnis in dem Bewusstsein aufbewahrte, dass sie zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch (nicht näher bekannte) Dritte bestimmt waren. Die Untersuchung der dem Angeklagten am selben Tage um 9.20 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,11 Promille.

2. Die Revision führt nicht zum Freispruch. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist das angegriffene Urteil nicht aufzuheben, weil das Landgericht hinsichtlich der aufgefundenen Betäubungsmittel und der sonstigen im Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung gewonnenen Beweismittel ein Beweisverwertungsverbot verneint hat. Der Senat hatte mit seinem Urteil vom 1. September 2008 dargelegt, dass vorliegend aus der Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung kein Beweisverwertungsverbot folgt. Auf dieser Ansicht beruhte die Aufhebung des freisprechenden Urteils des Landgerichts. Die neu erkennende Berufungskammer war nach § 358 Abs. 1 StPO an diese der Aufhebung zugrunde liegende rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch das Revisionsgericht gebunden.

a) Die aus der genannten Vorschrift folgende Bindungswirkung entfällt zwar, wenn die erneute Hauptverhandlung zu einer wesentlichen Änderung der Entscheidungsgrundlage geführt hat (vgl. nur Kuckein in KK-StPO 6. Aufl., § 358 Rdn. 16). Dies wäre dann der Fall, wenn das Landgericht neue, andere Feststellungen getroffen hätte, bei deren Zugrundelegung die Aufhebungsansicht des Senats nicht zum Tragen gekommen, die neue Fallgestaltung von der bisherigen Rechtsbeurteilung mithin nicht erfasst wäre (vgl. BGHSt 9, 324, 329; OLG Düsseldorf StV 1985, 274, 275 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 358 Rdn. 9; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rdn. 596; Momsen in SK-StPO, § 358 Rdn. 16; Temming in HK-StPO 4. Aufl., § 358 Rdn. 8; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 358 Rdn. 13 m.w.N.).

Eine solche Konstellation, in der sich der zu Grunde liegende Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise geändert hätte, ist vorliegend aber nicht gegeben. Soweit die Revision darauf hinweist, das neue tatrichterliche Urteil habe "die Motivlage der beteiligten Polizeibeamten näher beleuchtet", führt dieser Umstand nicht zu der Annahme, dass der nunmehr zur Beurteilung stehende Sachverhalt von den rechtlichen Erwägungen des Senats im Urteil vom 1. September 2008 nicht erfasst wäre. Die ergänzenden Feststellungen runden das Bild zwar ab. Sie sind einzustellen in die gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles; eine solche Gesamtbetrachtung führt unter Berücksichtigung insbesondere der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu der Entscheidung, ob ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist (vgl. zuletzt zum Fall einer rechtswidrigen Wohnungsdurchsuchung: BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 2 BvR 2225/08 - [juris]). Diese hiernach gebotene Gesamtwürdigung wird aber nicht nur von den durch die Revision genannten, negativ bewerteten neuen Aspekten geprägt. Vielmehr ist nach dem neu festgestellten Sachverhalt auf der anderen Seite ein Gesichtspunkt zu bedenken, der das Fehlverhalten der Beamten insgesamt nicht gewichtiger erscheinen lässt, als es sich nach den der Senatsentscheidung vom 1. September 2008 zugrunde liegenden Feststellungen darstellte. Ausweislich der den Senat bindenden neuen Feststellungen haben die Polizeibeamten - wenn auch im Ergebnis zu Unrecht - Gefahr im Verzug angenommen (Urteil vom 2. März 2009, vom UA S. 7). Dem ersten landgerichtlichen Urteil hingegen lag zugrunde, dass keiner der Beamten solches irrtümlich angenommen hätte (Urteil vom 5. März 2008, UA S. 6), die Beamten sich vielmehr "darüber im Klaren waren, dass kein Fall von Gefahr im Verzug vorliegt" (ebda. S. 7).

Die vom Senat im Urteil vom 1. September 2008 dargelegte rechtliche Bewertung gilt hiernach auch für den neu festgestellten, nicht in entscheidungserheblicher Weise modifizierten Sachverhalt. Der Senat weist lediglich ergänzend darauf hin, dass bei der gebotenen konkreten Betrachtung diejenige Durchsuchungsmaßnahme in den Blick zu nehmen sein dürfte, bei der die fraglichen Beweismittel gewonnen worden sind. Dies war die gezielte Suche nach einer Waffe, nicht aber jene nach einem Ausweispapier. Denn letztere hätte zweifellos nicht zur Ablösung der Fliesen im Bad oder zu dem Blick unter den umgedreht auf den Balkon liegenden Karton und in die darunter verborgene Plastiktüte geführt. Dass sich der Anlass für die schließlich vorgenommene Suche nach einer Waffe erst nach dem unzulässigen Betreten der Wohnung darbot, änderte an der rechtlichen Bewertung der konkreten Durchsuchungsmaßnahme im Ergebnis nichts Entscheidendes; dies gilt ungeachtet der Frage, ob zwischen beiden Maßnahmen möglicherweise sogar eine zeitliche und räumliche Zäsur eintrat, weil die beiden Beamten die Wohnung zwecks Verständigung mit ihren im Hausflur verbliebenen Kollegen verließen. Das mit dem ersten Betreten der Wohnung verbundene Fehlverhalten findet zwar Eingang in die Gesamtbetrachtung, die stets erforderlich ist (vgl. dazu etwa BGHSt aaO.), führt aber nicht dazu, dass der Frage, ob die Beamten für die hier maßgebliche Durchsuchungshandlung eine richterliche Anordnung hätten erwirken können, keinerlei Bedeutung mehr zukäme.

b) Auch der Hinweis der Revision auf einen weiteren rechtlichen Aspekt führt zu keiner anderen Entscheidung: Eine - in der Rechtsprechung mit der Folge eines Beweisverwertungsverbots beanstandete - Verfahrensweise, die die Missachtung des Richtervorbehalts im Rahmen einer "langjährigen Praxis" gleichsam als "Fehler im System" zur Grundlage hat (vgl. OLG Hamm StV 2009, 459, 462 [zu § 81a StPO]), ist vorliegend gerade nicht festgestellt. Anders als im dort entschiedenen Fall hatten die Beamten hier, wenn auch zu Unrecht, Gefahr im Verzug bejaht und sich nicht - wie dort seit jeher unter Fortsetzung einer einmal begonnenen langjährigen rechtswidrigen Praxis - von vornherein keinerlei Gedanken darüber gemacht.

c) Die Bindungswirkung nach § 358 Abs. 1 StPO gilt auch für das erneut mit der Sache befasste Revisionsgericht (sog. "Selbstbindung" der Revisionsinstanz, vgl. BVerfGE 4, 1, 5; BGHSt 51, 202ff. = NJW 2007, 853, 854; BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 3; KG JR 1958, 268; OLG Nürnberg StV 2000, 573, 574; Hanack aaO., Rdn. 15; Kuckein aaO., Rdn. 13; Meyer-Goßner aaO., Rdn. 10; Momsen aaO., Rdn. 2 m.w.N.) und bestimmt damit auch die vorliegend zu treffende Entscheidung des Senats. Diese Selbstbindung ist auch dann zu bejahen, wenn die erste Entscheidung des Revisionsgerichts fehlerhaft gewesen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. März 1999 - 4 Ws 41, 42/98 - m.w.N.) oder eine Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG verletzt worden sein sollte (vgl. OLG Nürnberg StV 2000, 573; Hanack aaO.; Temming aaO., Rdn. 7). Letztere bestand hier allerdings nicht. Anders als die Revision meint, steht der Ablehnung des Beweisverwertungsverbots nicht die Ansicht des Bundesgerichtshofs entgegen, dass im hier gegebenen rechtlichen Zusammenhang bei bewusster Missachtung des Richtervorbehalts oder gleichgewichtiger gröblicher Verkennung einem hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlauf keine Bedeutung zukommen könne (vgl. BGHSt 51, 285, 295f.: "bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts"). Denn die vom Senat vorgenommene Gesamtschau hatte zu seiner Auffassung geführt, dass ein solcher grober Verstoß - der Sonderfall einer besonders schwerwiegenden Rechtsverletzung - gerade nicht vorlag.

Der Senat braucht sich überdies nicht mit der umstrittenen Frage zu befassen, ob die Bindungswirkung des § 358 Abs. 1 StPO auch für den Fall gilt, dass das Revisionsgericht seine Rechtsauffassung ändert. Zum einen ist zu bedenken, dass vorliegend eine Änderung der Rechtsauffassung in dem diskutierten Sinne nicht in Rede stünde. Sondern es käme nur eine andere Bewertung der Umstände des konkreten Falles in Betracht als diejenige, die der Senat am 1. September 2008 - auf der Grundlage der weiterhin zutreffenden, mit der verfassungsgerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang stehenden Rechtsansicht - vorgenommen hatte. Zum anderen wird ein Entfallen der Selbstbindung überwiegend erst dann in Betracht gezogen, wenn das Revisionsgericht seine der Aufhebungsentscheidung zugrunde liegende Rechtsansicht bereits geändert und dies bekannt gegeben hat (vgl. Gms-OBG BGHZ 60, 392, 395ff.; OLG Düsseldorf StV 1985, 274, 275). Die Selbstbindung entfällt also nicht, wenn - nur dies käme hier in Frage - die Änderung der Rechtsauffassung erst anlässlich der neuen Entscheidung in derselben Sache erfolgen würde (vgl. OLG Nürnberg aaO. S. 574; Pfeiffer, StPO 3. Aufl., § 358 Rdn. 3; so wohl auch Kuckein Rdn. 13; Dahs/Dahs Rdn. 597). Offen bleiben kann schließlich auch, ob der für einen anderen Teil der Rechtsordnung vertretenen Ansicht zu folgen wäre, dass eine Änderung auch dann möglich sein soll, wenn das Revisionsgericht seine entsprechende Rechtsauffassung bei gleichzeitiger Entscheidung über mehrere Revisionen, die dieselbe Rechtsfrage betreffen, aufgibt und seine Rechtsprechung fortentwickelt (vgl. hierzu BFH NJW 1995, 216); denn eine solche Konstellation liegt hier nicht vor. Mit beachtlichen Argumenten wird teilweise ohnehin angenommen, dass die Besonderheiten des Strafverfahrens einer Einschränkung der Bindungswirkung entgegen stehen (so Hanack aaO., Rdn. 16; in diese Richtung auch BGHSt [GS] 33, 356, 362; ausdrücklich offen gelassen von BGHZ 60, 392, 399; grundsätzlich gegen das Entfallen der Bindungswirkung bei Änderung der Rechtsprechung des Revisionsgerichts etwa Meyer-Goßner aaO.; Momsen aaO. Rdn. 11, jeweils m.w.N.; zahlreiche weitere Nachweise bei Hanack aaO. Rdn. 16 zu Fn. 37).

3. Die Revision hat indessen mit einer anderen Verfahrensrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass das Landgericht unter Verstoß gegen § 261 StPO in seiner Beweiswürdigung einer verlesenen Urkunde einen Inhalt beigemessen hat, der im Widerspruch zu deren Wortlaut steht (vgl. BGHSt 29, 18, 21; NStZ-RR 2003, 52). Dem liegt Folgendes zugrunde:

a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zu dem Tatvorwurf nicht geäußert. Das Landgericht hat demgemäß - zutreffend und in zulässiger Weise - die Niederschriften über die richterlichen Vernehmungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren verlesen. Am 7. Januar 2007 war der Angeklagte anlässlich seiner Vorführung im Bereitschaftsgericht vernommen worden und hatte u.a. erklärt:

"Ich weiß nicht, wie diese Drogen in meine Wohnung gekommen sind. Ich selbst konsumiere keine Drogen (...) Ich gebe vielen Freunden und Bekannten meinen Wohnungsschlüssel (...)".

Im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung hatte er am 18. Januar 2007 gegenüber dem Ermittlungsrichter angegeben:

"Von dem, was unter der Badewanne gefunden wurde, hatte ich keine Kenntnis. Ich habe für die Wohnung zwei Schlüssel. Diese gebe ich auch häufig an Freunde. Freunde von mir, die Zeit mit ihrer Freundin verbringen wollen, halten sich dann teilweise mit meinem Einverständnis kurzzeitig in der Wohnung auf und ich lasse sie ungestört allein. Namen möchte ich nicht nennen. Ich hätte mich auch nicht so laut aufgeführt, wenn ich gewusst hätte, dass sich derartige Sachen in meiner Wohnung befinden".

b) Das Landgericht hat in seiner Beweiswürdigung ausgeführt, der Angeklagte habe in diesen beiden Vernehmungen "jeweils bestritten, von den Betäubungsmitteln in seiner Wohnung Kenntnis gehabt zu haben". Weiterhin hat die Kammer angenommen, dass drei als Zeugen vernommene Freunde des Angeklagten die Gelegenheit gehabt hätten, dessen Wohnung allein zu nutzen. Einer dieser Zeugen hatte hiernach sogar selbst einen Wohnungsschlüssel dauerhaft in Besitz und seinerseits die Möglichkeit, mit Einwilligung des Angeklagten Dritten die Nutzung der Wohnung einzuräumen. Das Landgericht hat dennoch ausgeschlossen, dass Dritte ohne Wissen des Angeklagten "die Betäubungsmittel" in der Wohnung zwischengelagert hätten. Dagegen spreche "schon die Lagerung des Cannabiskrauts auf dem vom Wohnzimmer gut einsehbaren Balkon". Das Landgericht fährt fort: "Hätte ein Dritter ohne Wissen des Angeklagten die Betäubungsmittel in der Wohnung lagern wollen, hätte er sicher auch das Cannabiskraut - wie das Kokain - so versteckt, dass es von dem Angeklagten als Wohnungsinhaber nicht ohne Weiteres hätte gefunden werden können. Der vermeintlich unbekannte Dritte hätte nämlich sonst damit rechnen müssen, dass das Cannabiskraut für ihn verloren wäre". Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist zulässig erhoben. Dies setzt voraus, dass mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden (vgl. BGHSt aaO.; BGH StV 1991, 549; 1993, 115; KG, Beschluss vom 16. Dezember 2002 - [3] 1 Ss 68/02 [48/02] -; BayObLG StV 1985, 226; OLG Bremen StV 1990, 536, 537; OLG Köln NStZ 1996, 245, 246; Meyer-Goßner aaO., § 261 Rdn. 38a, § 337 Rdn. 14; Schoreit in KK-StPO 6. Aufl., § 261 Rdn. 52 m.w.N.; s.a. BGHSt 38, 14, 16f.), etwa eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden ist (vgl. BGH StV 1993, 459). So liegt es hier bei der verlesenen Niederschrift über eine richterliche Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten (vgl. BGH StV 1991, 548 = BGHR § 261 StPO Inbegriff der Verhandlung 25). Die Revision hat ferner unter Mitteilung der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass sich der Angeklagte sonst im Verfahren nicht geäußert hat und in der Hauptverhandlung auch keine Vernehmungspersonen zu den in Rede stehenden Niederschriften als Zeugen gehört worden sind.

bb) Die Verfahrensbeschwerde ist auch begründet. Die Niederschrift über die richterliche Vernehmung des Angeklagten vom 18. Januar 2007 hat einen anderen Inhalt, als in den Urteilsgründen zugrunde gelegt. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in beiden Vernehmungen bestritten, von "den Betäubungsmitteln" in seiner Wohnung Kenntnis gehabt zu haben, ist vom Wortlaut der Niederschrift vom 18. Januar 2007 nicht gedeckt. In der zweiten richterlichen Vernehmung hat sich der Angeklagte - durch seinen nunmehr anwesenden Verteidiger - explizit (lediglich) zu dem "unter der Badewanne" Aufgefundenen geäußert. Dies war das Kokaingemisch. Angesichts dieser - ersichtlich bewusst gewählten - Differenzierung, die später Ausdruck finden sollte in dem in beiden Berufungshauptverhandlungen gestellten Hilfsantrag der Verteidigung, den Angeklagten allenfalls wegen Besitzes des Cannabiskrauts (zu einer Geldstrafe bzw. geringen Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung) zu verurteilen, hätte sich das Landgericht mit dem unterschiedlichen Inhalt der Einlassungen und der Änderung des Aussageverhaltens auseinandersetzen müssen. Entgegen der Bewertung durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist es nicht zulässig, aus dem Gebrauch des Plurals bei der Wendung "Sachen" den nicht zweideutigen Inhalt der Einlassung vom 18. Januar 2007 zu relativieren. Eine solche Relativierung wäre nicht nur mit dem Sinngehalt der Aussage nicht in Einklang zu bringen. Sie ist auch deshalb nicht zulässig, weil zu bedenken ist, dass - dies ist gerichtsbekannt - im Zusammenhang mit Drogen nicht selten von "Sachen" gesprochen wird, auch wenn keine Mehrzahl verschiedener Rauschgifte, sondern etwa nur eine größere Menge eines Vorrats einer Droge gemeint ist.

Das Landgericht ist bei seinen Feststellungen von dem tatsächlichen Inhalt des Vernehmungsprotokolls abgewichen. Es hat nicht etwa den Sinn der verlesenen Urkunde im Wege der Beweiswürdigung - in begründeter Form - anders ausgelegt oder lediglich aus dem Inhalt der Urkunde Schlüsse zuungunsten des Angeklagten gezogen, was allein revisionsrechtlich nicht angreifbar wäre. Sondern es hat den Widerspruch zwischen Urkundenlage und Urteilsfeststellung übersehen und diesen deshalb ungeklärt gelassen. Damit hat die Strafkammer eine Urkunde mit anderem Inhalt gewürdigt, so dass dem inneren Vorgang ihrer Überzeugungsbildung die äußere Grundlage fehlt (vgl. BGHSt 29, 18, 21; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987, 18 Nr. 11; OLG Köln aaO.; Meyer-Goßner aaO.); die Überzeugungsbildung beruht in diesem Punkt nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung, womit ein Verstoß gegen § 261 StPO vorliegt.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht die angefochtene Entscheidung (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Landgericht hat bei seiner Annahme, der Angeklagte habe von beiden Rauschgiftmengen in seiner Wohnung gewusst, als ausschlaggebend erachtet, dass er von dem Cannabiskraut auf dem Balkon angesichts dessen Art der Lagerung Kenntnis hatte, weil ein möglicher Dritter dieses anders, besser - ebenso wie das Kokain - vor den Blicken (auch) des Angeklagten verborgen hätte. Aus der Tatsache, dass der Angeklagte also Kenntnis von dem Cannabiskraut hatte, hat die Kammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe darauf geschlossen, dass er auch um die Existenz des Kokains wusste. Eine Differenzierung dahin, dass die Kenntnis von der Existenz des einen nicht zwangsläufig auch das Bewusstsein vom Vorhandensein des anderen Rauschgiftes bedeuten muss, hat die Kammer, weil sie den Umstand einer unterschiedlichen Einlassung zu den beiden Rauschgiftmengen oder zumindest die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung nicht bedacht hat, nicht vorgenommen.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung unterschiedlicher Einlassungen des Angeklagten das Ergebnis der Beweisaufnahme abweichend gewürdigt hätte. Ob eine andere Beurteilung tatsächlich geboten gewesen wäre, oder ob es - etwa nach Vernehmung des Ermittlungsrichters zu dessen Einschätzung von der Glaubhaftigkeit der zweiten Einlassung - zu derselben Ansicht gelangt wäre, ist nicht maßgeblich. Denn die bloße Möglichkeit, dass das Urteil auf dem Fehler beruht, reicht aus (vgl. Meyer-Goßner aaO., § 337 Rdn. 37 m.w.N.).

4. Nach allem war das angefochtene Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich nicht nur mit der Plausibilität des Aussagewechsels befassen müssen. Er wird auch Feststellungen dazu zu treffen haben, ob das Versteck des Kokains etwa auffällig, leicht zu entdecken war (in diesem Sinne verhält sich das erstinstanzliche Urteil, UA Seite 7), so dass angenommen werden könnte, es wäre für Nutzer des Bades gleichsam als "Blickfang" anzusehen gewesen mit der Schlussfolgerung, dass ein mutmaßlicher Dritter das erheblich wertvolle Rauschgift somit ohne weiteres der Entdeckung - auch und insbesondere durch den Angeklagten - preisgegeben hätte. Das Landgericht wird sich im Falle einer Schuldfeststellung angesichts der festgestellten Blutalkoholkonzentration jedenfalls mit der Frage der Schuldfähigkeit beschäftigen müssen; es wird überdies bei der Strafzumessung nunmehr auch die Verfahrensdauer in den Blick nehmen.



Ende der Entscheidung

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