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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 15.12.2008
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 316/08 (173/08)
Rechtsgebiete: StPO, StGB, GVG


Vorschriften:

StPO § 260 Abs. 3
StGB § 77 Abs. 1
StGB § 123
StGB § 123 Abs. 1
StGB § 123 Abs. 2
GVG § 121 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT

Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 316/08 (173/08)

In dem Strafverfahren gegen

wegen Hausfriedensbruchs

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 15. Dezember 2008, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Kammergericht xxx als Vorsitzende,

Richter am Kammergericht xxx, Richterin am Landgericht xxx als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt xxx als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Berlin,

Rechtsanwältin xxx als Verteidigerin,

Justizangestellte xxx als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. April 2008 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft legt der Angeklagten gemeinschaftlich begangenen Hausfriedensbruch zur Last, indem sie sich spätestens am 6. Juni 2005 gegen den Willen des Hausrechtsinhabers in das Haus Y.straße 59 in Berlin-Kreuzberg begeben und dort auf Grund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit 145 weiteren Personen im Hinterhaus aufgehalten habe, obwohl ihr bewusst gewesen sei, dass das Haus zwangsweise geräumt werden sollte; gegen 7.14 Uhr des 6. Juni 2005 sei sie von Polizeikräften aus dem Gebäude verbracht worden. Das Amtsgericht Tiergarten hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil kein wirksamer Strafantrag vorliege. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vermietete Ende der achtziger Jahre die damalige Eigentümerin des Grundstückes Y.straße 59 in Berlin-Kreuzberg das darauf befindliche vierstöckige Hinterhaus mit einer Nutzfläche von etwa 2.600 qm an den Verein "F. e.V." (im Folgenden: Verein). Dem Verein, der den Zweck verfolgte, dort ein Wohnprojekt zu etablieren, wurde gestattet, die Räume zur dauerhaften Wohnnutzung an seine Mitglieder unterzuvermieten. In den folgenden Jahren lebten und arbeiteten in dem Haus eine Vielzahl von Personen.

Am 20. Dezember 2003 erwarben die Gesellschafter der GbR Y.straße 59, W. und die W. Verwaltungsgesellschaft mbH, deren Geschäftsführer W. war, das Grundstück; sie wurden als Eigentümer in Gesellschaft bürgerlichen Rechts am 12. Oktober 2004 in das Grundbuch eingetragen.

Nachdem Verhandlungen zwischen den neuen Eigentümern und dem Verein über die neu festzusetzende Miethöhe gescheitert waren, verzichtete der Verein am 30. September 2004 auf die Ausübung seiner Option, das Mietverhältnis fortzusetzen, das daraufhin endete. Zu dieser Zeit bewohnten etwa 60 Vereinsmitglieder in mehreren Wohngemeinschaften aufgrund von Untermietverträgen das Hinterhaus. Der Verein hatte in den Jahren 1993 bis 1994 mit seinen Mitgliedern mehrere schriftliche Untermietverträge abgeschlossen und ihnen die Wohnraumnutzung auf unbestimmte Zeit gegen Zahlung eines Mietzinses überlassen. Die vereinbarte Kündigungsfrist betrug drei Monate. Die Untermieter durften bei Auszug einen Nachmieter bestimmen. Später wurden teilweise auch lediglich mündliche Untermietverträge geschlossen.

Der Verein und die Untermieter räumten das Gebäude nach Beendigung des Mietverhältnisses zum 30. September 2004 nicht. Die GbR Y.straße 59 (im Folgenden: GbR) verklagte daraufhin den Verein. Antragsgemäß verurteilte das Landgericht Berlin den Verein am 29. November 2004, die Räumlichkeiten des Objekts in der Y.straße 59 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben sowie Auskunft darüber zu geben, welche Personen aufgrund von Untermietverträgen die Räume im 1. bis 4. Geschoss des Gebäudes nutzen. In den Urteilsgründen führte das Gericht aus, dass der Auskunftsanspruch bestehe, weil die GbR zur Geltendmachung der Räumungsansprüche gegen die Untermieter auf die entsprechenden Auskünfte angewiesen sei. Das Urteil wurde am 4. März 2005 rechtskräftig.

Bereits am 25. Februar 2005 hatte der Verein eine Mitgliederversammlung einberufen. In dieser Versammlung, bei der die Bewohner des Hauses Y.straße 59 anwesend waren, wurden ihnen die Konsequenzen des Gerichtsurteils erläutert und die Kündigung der Untermietverträge ausgesprochen. Daraufhin brach unter den Versammlungsteilnehmern, die dies nicht hinnehmen wollten und sich durch den Vorstand "verraten" fühlten, ein Tumult aus, der zur Auflösung der Versammlung führte.

Nach der Rechtskraft des Urteils wurde der Obergerichtsvollzieher L. mit der Räumung des Hinterhauses in der Y.straße 59 beauftragt. Der Obergerichtsvollzieher war der Rechtsauffassung, dass gesonderte Titel gegen die Untermieter nicht notwendig seien, weil es sich um einen Gewerbemietvertrag handele. Er rechnete allerdings damit, dass aufgrund der Untermietverträge Vollstreckungseinwände erhoben würden und hätte die Vollstreckung des Titels dann sofort abgebrochen. Da bereits im Vorfeld deutlich wurde, dass mit erheblichem Widerstand der dort wohnenden Personen zu rechnen sein würde, versicherte er sich der Unterstützung durch die Polizei. Als Termin für die Räumung wurde der 6. Juni 2005 festgesetzt. Der Gerichtsvollzieher ging davon aus, dass in dem Haus etwa 60 Personen mit ihrem Hausstand wohnten.

Am 31. Mai 2005 stellte W. im Namen der GbR Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs auf dem Grundstück Y.straße 59 "gegen jede sich unberechtigt dort aufhaltende Person".

Am 6. Juni 2005 gegen 5.45 Uhr begann unter Aufsicht des Obergerichtsvollziehers L. die Räumung des Gebäudes. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich im 2. Obergeschoss des Hinterhauses 145 Personen, unter ihnen auch die Angeklagte, eingefunden, um gegen die Räumung zu protestieren. Die Angeklagte trug über ihrer Kleidung ein blaues Hemd mit dem Aufdruck "Räum mich doch du Eierloch". Als die Polizeibeamten den Hinterhof betraten, wurden sie aus den oberen Stockwerken mit Farbbeuteln beworfen. Die Eingangstüren zum Hinterhaus waren mit Schlössern gesichert, die durch die Polizei aufgebrochen werden mussten. Im Hinterhaus war die in die oberen Stockwerke führende Treppe durch dort gestapeltes Mobiliar derart versperrt, dass den in den oberen Stockwerken befindlichen Personen ein Verlassen des Hauses nicht mehr möglich gewesen wäre und die Polizeikräfte erhebliche Mühe hatten, die Treppe zu räumen. Nachdem dies gelungen war, trafen die Polizeibeamten im 2. Obergeschoss gegen 7.15 Uhr die dort befindliche Gruppe von insgesamt 145 Personen an. Die Angeklagte ließ sich durch die Beamten widerstandslos aus dem Gebäude führen, fotografieren und erkennungsdienstlich behandeln.

2. Die von der Revision nicht angegriffenen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass ein wirksamer Strafantrag nicht gestellt worden ist und damit eine Prozessvoraussetzung fehlt.

a) Gemäß § 123 Abs. 2 StGB wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist gemäß § 77 Abs. 1 StGB der Verletzte der Straftat, im Falle des § 123 Abs. 1 StGB somit derjenige, der zum Zeitpunkt der Tat das Hausrecht inne hatte (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl., § 123 Rdn. 44).

b) Die GbR, in deren Namen der Strafantrag gestellt worden ist, war im Tatzeitpunkt nicht Inhaberin des Hausrechts.

aa) Nach allgemeiner Auffassung steht das Hausrecht einem Mieter gegenüber dem Vermieter auch noch nach Beendigung des Mitverhältnisses zu, solange er sich im unmittelbaren Besitz befindet; daran ändert auch die schuldrechtliche Pflicht zur Rückgabe nichts (vgl. RGSt. 36, 322, 323; OLG Hamburg NStZ 1997, 38, 39; Fischer aaO, § 123 Rdn. 3; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 123 Rdn. 17 m.w.N.). Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Mieter die Sachherrschaft an den Mieträumen rechtmäßig begründet hat und ihm auch nach dem Ablauf des Mietvertrages bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung über das Bestehen der Pflicht zur Räumung eine schutzwürdige Position zusteht (vgl. Dölling, JR 1992, 167). Das Hausrecht des Mieters endet daher erst, wenn der Vermieter auf Grund eines Räumungstitels wieder den unmittelbaren Besitz am Mietgegenstand erlangt hat (vgl. OLG Hamburg aaO).

bb) Diese Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen dem Vermieter und denjenigen, an die der (Haupt-)Mieter den Mietgegenstand weiter vermietet hat. Das Hausrecht geht auf die Untermieter über. Der Umstand, dass die Untermieter nach der Beendigung des Hauptmietverhältnisses schuldrechtlich gegenüber dem Vermieter zur Räumung verpflichtet sind (§ 546 Abs. 2 BGB) - und zwar unabhängig davon, ob das Untermietverhältnis noch Bestand hat oder nicht -, ändert nichts daran, dass der Vermieter im Verhältnis zu den Untermietern Inhaber des Hausrechts erst dann wieder wird, wenn er den unmittelbaren Besitz des Mietgegenstands erlangt hat. Er muss daher gegen die Untermieter, sofern sie ihm den Mietgegenstand nicht freiwillig übergeben, den zivilrechtlichen Rechtsweg beschreiten. Der Räumungstitel gegen den Hauptmieter entfaltet gegenüber den Untermietern nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum keine rechtliche Wirkung (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1450, 1451; Palandt/Weidenkaff, BGB 67. Aufl., § 546 Rdn. 24 m.w.N.). Hiervon ist offenbar ursprünglich auch die GbR ausgegangen, da sie die Räumungsklage gegen den Hauptmieter mit der Klage auf Auskunftserteilung betreffend die Untermieter verbunden hatte; das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 29. November 2003 den Auskunftsanspruch damit begründet, dass die GbR zur Geltendmachung der Räumungsansprüche auf die entsprechenden Auskünfte angewiesen sei.

cc) Da somit das Hausrecht frühestens mit der Übergabe des Mietobjekts nach der Zwangsräumung an die GbR übergegangen sein kann, ist sie durch das Verhalten der Angeklagten nicht in dem durch § 123 StGB geschützten Recht verletzt worden.

dd) Entgegen der Auffassung der Revision steht diesem Ergebnis nicht das Urteil des OLG Düsseldorf vom 26. September 1990 - 2 Ss 208/90-41/90 III - (NJW 1991, 186 = JR 1992, 165 m. Anm. Dölling) entgegen; eine Vorlagepflicht gemäß § 121 Abs. 1 GVG besteht nicht.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf betraf einen Sachverhalt, bei dem nach einem abgeschlossenen Räumungsprozess die Räumung durch den Gerichtsvollzieher mit der Besetzung der Wohnung verhindert werden sollte. Das OLG Düsseldorf hat für diesen Fall den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Mieter, der seinen Besitz erkennbar auf Grund eines neuen Entschlusses nicht mehr aus dem früheren Vertragsverhältnis ableitet, sondern auf eine angemaßte und nicht schützenswerte vermeintliche Rechtsposition ("Hausbesetzung") stützt, sich wegen Hausfriedensbruchs strafbar macht. Voraussetzung dafür, dass das Hausrecht wieder an den Vermieter zurückfällt, ist aber, dass die "Hausbesetzung" nach Ablauf des Mietvertrages, etwaiger Räumungsfristen und zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten erfolgt (vgl. Dölling aaO, 168). So verhält es hier sich nicht, denn die GbR hatte einen Räumungstitel gegen die Untermieter nicht erwirkt und damit die - zwingend gebotene (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1450, 1451) - gerichtliche Klärung, dass die Untermieter zur Räumung verpflichtet sind, nicht herbeigeführt.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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