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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.07.2007
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 427/06 (24/07)
Rechtsgebiete: VersammlG


Vorschriften:

VersammlG § 15 Abs. 1
VersammlG § 25 Nr. 2
Zur Strafbarkeit eines Leiters einer Versammlung wegen Nichtbefolgung von Auflagen durch andere Teilnehmer eines Aufzugs.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 427/06 (24/07)

In der Strafsache gegen

wegen Vergehens gegen das Versammlungsgesetz u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 2. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 29. Mai 2006 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Die dagegen von der Angeklagten eingelegte, nach § 335 Abs. 1 zulässige (Sprung-)Revision, mit der sie allein betreffend die Verurteilung wegen Vergehens gegen das Versammlungsgesetz die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

1. Das Amtsgericht hat die Angeklagte rechtsfehlerfrei eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz schuldig gesprochen.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war die Angeklagte am 12. August 2005 zwischen 18.00 und 20.21 Uhr Leiterin eines Aufzuges in Berlin-Charlottenburg, für dessen Durchführung der Polizeipräsident in Berlin durch sofort vollziehbaren Bescheid vom 11. August 2005 unter anderem die Auflage erteilt hatte, dass Transparente und Plakate mit einer Gesamtlänge von mehr als 150 cm flächenmäßig nur frontal zur Marschrichtung des Aufzuges, nicht aber längs dessen Außenseiten getragen werden durften. Entgegen dem der Angeklagten bekannten Bescheid, dessen Inhalt den Aufzugsteilnehmern über einen mitgeführten Lautsprecherwagen bekannt gemacht worden war, trugen diverse Teilnehmer mehrere Transparente, die weit über 150 cm lang waren, längs der Außenseiten. Die Angeklagte ging - nach Aufforderung durch den als Verbindungsbeamten tätigen Zeugen PK K. - zu diesen Aufzugsteilnehmern und verlangte von ihnen jeweils erfolglos, die Transparente nicht seitlich zu führen oder aber einzurollen.

b) Das Amtsgericht hat das festgestellte Verhalten der Angeklagten zu Recht als nach § 25 Nr. 2 VersammlG strafbar gewürdigt, weil sie als Leiterin eines Aufzuges einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersammlG nicht nachgekommen ist.

Entgegen den Ausführungen der Revision ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass es sich bei der festgestellten Auflage um eine gemäß § 15 Abs. 1 VersammlG, d.h. vor dem Beginn des Aufzugs erteilte, sofort vollziehbare Auflage handelte. Nur die Nichtbefolgung einer solchen Auflage ist nach § 25 Nr. 2 VersammlG strafbewehrt (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit 14. Aufl., § 15 Rdnrn. 56, 144, § 25 Rdnrn. 5 f, 8 ff; Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht 4. Aufl., VersammlG § 25 Rdnr. 4). Die Auflage war Teil des für sofort vollziehbar erklärten Bescheides des Polizeipräsidenten in Berlin vom 11. August 2005, den der Zeuge PK K. nach seinen in dem Urteil wiedergegebenen Bekundungen der Angeklagten in ihrer Eigenschaft als Leiterin des Aufzugs (§ 19 VersammlG) am 12. August 2005 aushändigte und mit ihr erörterte. Dies geschah, wie sich den Urteilsgründen noch hinreichend deutlich entnehmen lässt, noch vor dem Beginn des Aufzugs, d.h. zu einem Zeitpunkt, als er im Rechtssinne noch nicht aufgestellt (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel aaO § 1 Rdnr. 214; Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengeset3ze, VersammlG § 1 Rdnr. 34; Köhler/Dürig-Friedl aaO VersammlG § 1 Rdnr. 8; Ott/Wächter, VersammlG 6. Aufl., § 1 Rdnr. 31) war und sich noch nicht in Bewegung gesetzt hatte.

Nach den Feststellungen ist die Angeklagte der Auflage vorsätzlich nicht nachgekommen. Denn sie hat nicht nur ihre Aufforderungen an die die Transparente tragenden Teilnehmer "ohne den erforderlichen Nachdruck" gerichtet, sondern den Aufzug auch trotz des ihr bekannten fortwährenden Auflagenverstoßes durch mehrere Teilnehmer, der seinerseits eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersammlG darstellte, weitergeführt. Das belegt, dass sie zumindest billigend in Kauf genommen hat, als Leiterin des Aufzugs der ihr obliegenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Auflage (vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1981, 126 f; Wache in Erbs/Kohlhaas aaO VersammlG § 25 Rdnr. 5) nicht nachzukommen. Ein "eigenhändiger" Verstoß des Aufzugsleiters gegen die Auflage ist, anders als die Revision offenbar meint, nicht erforderlich (vgl. OLG Celle aaO). Der Leiter eines Aufzuges kommt einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersammlG auch dann im Sinne des § 25 Nr. 2 VersammlG vorsätzlich nicht nach, wenn seine Bemühungen, die ihm nach § 19 Abs. 1 VersammlG obliegende Pflicht zu erfüllen, für den ordnungsmäßigen Ablauf des Aufzuges zu sorgen, erfolglos bleiben (vgl. Ott/Wächter aaO Einführung Rdnr. 68, § 19 Rdnr. 8). Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen er sich gegenüber den Teilnehmern des Aufzugs nicht durchzusetzen vermag; ein Verschulden ist nicht erforderlich (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel aaO § 19 Rdnr. 13; Wache in Erbs/Kohlhaas aaO VersammlG § 19 Rdnr. 5; Köhler/Dürig-Friedl aaO VersammlG § 19 Rdnr. 5). Es ist deshalb entgegen dem Vorbringen der Revision für die Strafbarkeit der Angeklagten auch ohne Bedeutung, dass der Leiter eines Aufzugs - anders als die Polizei - gegenüber dessen Teilnehmern lediglich weisungsbefugt ist und keine hoheitlichen Befugnisse, insbesondere keine Zwangsbefugnisse ausüben darf (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel aaO § 1 Rdnr. 235, § 19 Rdnrn. 13, 19; Köhler/Dürig-Friedl aaO VersammlG § 19 Rdnrn. 4, 6 f). Um die Auflage durchzusetzen, hätte sich die Angeklagte vielmehr der Hilfe der Polizei bedienen müssen. Das hat sie, wie sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt, aber nicht getan.

Die Rechtmäßigkeit der nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Auflage bedarf vorliegend keiner Erörterung. Auch die Revision hat sie nicht in Zweifel gezogen.

2. Gegen die Festsetzung der Geldstrafe wegen des Vergehens gegen das Versammlungsgesetz in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 20,00 € hat die Revision nichts vorgetragen. Der Rechtsfolgenausspruch und auch die Gesamtstrafenbildung sind, wie die Prüfung aufgrund der allgemeinen Sachrüge ergibt, rechtsfehlerfrei erfolgt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1.

Ende der Entscheidung

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