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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.09.2002
Aktenzeichen: (4) 2 HEs 18/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 122 Abs. 3 Satz 3
StPO § 122 Abs. 4
StPO § 100a
StPO § 100b
StPO § 100a Satz 1 Nr. 2
StGB § 261 Abs. 2 Nr. 1
StGB § 261 Abs. 9 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 2 HEs 18/02 (4) 2 HEs 113/02 (4) 2 HEs 114/02 (4) 2 HEs 115/02

In der Strafsache

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 11. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft der Angeklagten dauert fort.

Bis zum Urteil, längstens bis zum 10. Dezember 2002, wird die Haftprüfung dem Landgericht Berlin übertragen.

Gründe:

Der Senat hat nach § 122 Abs.4 StPO erneut über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden; er ordnet sie an.

1. Die Angeklagten sind entgegen der Auffassung der Verteidigung weiterhin dringend verdächtig, im Jahre 2001 größere Mengen unversteuerter und unverzollter Zigaretten zur gewinnbringenden Weiterveräußerung erworben zu haben. Richtig ist zwar, daß der dringende Tatverdacht im Wesentlichen auf den Ergebnissen von Telefonüberwachungen beruht und entfiele, wenn die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht als Beweismittel verwertet werden dürften. Das wäre jedoch nur dann der Fall, wenn die Aufzeichnungen nicht ordnungsgemäß nach den §§ 100a, 100b StPO angeordnet worden wären (vgl. BGHSt 31, 304; 32, 68; 41, 31). So verhält es sich hier aber nicht. Die nach § 100a Satz 1 Nr.2 StPO auf die Katalogtat der Geldwäsche (§ 261 StGB) gestützten (richterlichen) Anordnungen der Telefonüberwachung sind nach vorläufiger Bewertung rechtmäßig. Sie sind nicht deshalb rechtswidrig (geworden), weil den Angeklagten mit der Anklage nicht mehr Geldwäsche als Katalogtat des § 100a StPO, sondern gewerbsmäßige Steuerhehlerei (§ 374 AO) zur Last gelegt wird. Es ist anerkannt, daß auch Erkenntnisse über Delikte, die nicht Katalogtaten sind, verwertet werden dürfen, wenn ein enger Bezug in Form von Tateinheit oder prozessualer Tatidentität (§ 264 StPO) zu der in der Überwachungsanordnung bezeichneten Katalogtat besteht (BGHR § 100a StPO Verwertungsverbot 10; BGH NJW 1979, 1370). Hier ist mit dem Steuerdelikt zugleich auch der Tatbestand des § 261 Abs.2 Nr. 1 StGB erfüllt und nur deshalb - zu Recht - nicht angeklagt, weil nach § 261 Abs.9 Satz 2 StGB eine Bestrafung wegen Geldwäsche dann ausscheidet, wenn der Täter an einer der in Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift genannten Vortaten (hier: Nr.3) beteiligt war. Die in dem Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 19.Juni 2002 (3 Ws 70/02) vertretene Auffassung, in derartigen Fällen müsse mit der Folge eines Verwertungsverbots stets schon zu Beginn der Ermittlungen davon ausgegangen werden, daß aufgrund des § 261 Abs.9 Satz 2 StGB eine Verurteilung wegen Geldwäsche nicht in Betracht komme, teilt der Senat nicht. Die durch Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse sind zwar dann unverwertbar, wenn der Verdacht einer Katalogtat von vornherein nicht bestanden hat (vgl. BGHSt 41, 30). Bei der Entscheidung, ob aufgrund bestimmter Tatsachen der Verdacht einer Katalogtat begründet ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht entgegensteht (§ 100a Satz 1 StPO), hat der die Telefonüberwachung Anordnende jedoch einen Beurteilungsspielraum. Die auf den Ermittlungsstand im Zeitpunkt der Anordnung bezogene Nachprüfung durch den Tatrichter und das Revisionsgericht ist auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt (vgl. BGH a.a.O.). Das hat hier zur Folge, daß die auf den Verdacht der Geldwäsche gestützten Anordnungen der Telefonüberwachung nach Aktenlage nicht zu beanstanden sind. Denn es war in dem jeweiligen Ermittlungsstadium keineswegs sicher, daß die Angeklagten der Steuerhehlerei überführt und nicht stattdessen bei unklarer Täterschaft - "nur" im Wege der Postpendenzfestellung - wegen Geldwäsche verurteilt werden könnten, wenn zumindest deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen würden.

2. Es besteht bei allen Angeklagten weiterhin Fluchtgefahr, die auch durch mildere Maßnahmen (§ 116 StPO) nicht entscheidend herabgesetzt werden kann. Insoweit nimmt der Senat auf seinen Beschluß vom 29. Mai 2002 Bezug. Das gilt auch für den Angeklagten N unabhängig davon, ob er sich - wie die Verteidigung mit Schriftsatz vom 3.September 2002 vorträgt - zuletzt tatsächlich bei seiner (geschiedenen) vietnamesischen Ehefrau aufgehalten hat. Die Straferwartung und damit auch die Fluchtgefahr haben sich noch dadurch erhöht, daß den Angeklagten mit der Anklage jeweils eine weitaus größere Anzahl von Straftaten als noch mit den Haftbefehlen des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. November 2001 zur Last gelegt wird.

3. Das Verfahren ist seit der letzten Haftprüfung durch den Senat weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden und hat am 27.Juni 2002 zur Anklageerhebung geführt. Das Landgericht hat am 16.Juli 2002 einen neuen Haftbefehl nach Maßgabe des Anklagesatzes erlassen und zügig über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Die kurzfristig bereits auf den 19.August 2002 terminierte Hauptverhandlung mußte ausgesetzt werden, weil die Erwartungen des Gerichts, das Verfahren ohne umfangreiche Beweisaufnahme abschließen zu können, sich nicht erfüllt haben, da die Verteidiger unter Berufung auf die zitierte Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg die Erkenntnisse aus den Telefonüberwachungen für unverwertbar halten und sich deshalb offensichtlich nicht in der Lage sahen, ihren Mandanten zu einem Geständnis zu raten. Mit der neuen Hauptverhandlung soll spätestens Anfang Oktober 2002 begonnen werden. Das ist angesichts der zu erwartenden umfangreichen Beweisaufnahme nicht zu beanstanden.

4. Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht bei allen Angeklagten zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

5. Die Übertragung der weiteren Haftprüfung auf das Landgericht beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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