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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 1 W 357/05
Rechtsgebiete: RVG, RVG VV


Vorschriften:

RVG § 55
RVG § 56
RVG VV NR. 1000
RVG VV Nr. 2608
Durch den Abschluss einer Teilzahlungsvereinbarung über eine unbestrittene Forderung entsteht die Einigungsgebühr nach Nr. 2608 in Verbindung mit Nr. 1000 VV-RVG nur unter der Voraussetzung, dass der Gläubiger eine zusätzliche Sicherheit erhält, durch die eine Ungewissheit über die Durchsetzung der Forderung gegen den in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Schuldner beseitigt wird (Fortführung von Senat, KGR Berlin 05, 837 = Rpfleger 05, 697).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 357/05

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 5. September 2005 gegen den Beschluss der Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 24. August 2005 in der Sitzung vom 2. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer hat ohne Erfolg die Festsetzung einer Einigungsgebühr in Höhe von 125,00 EUR gemäß Nr. 2608 VV-RVG beantragt. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

Aufgrund eines Berechtigungsscheins nach § 6 BerHG machte der Beschwerdeführer für seinen Mandanten einen Anspruch gegen seine ehemalige Arbeitgeberin auf Abrechnung und Auszahlung rückständigen Lohns in Höhe von 1.500,00 EUR brutto geltend. Mit Schreiben vom 1. September 2004 teilte diese mit, sie habe am 30. August 2004 eine Rate von 150,00 EUR überwiesen; da sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befinde, bitte sie um Verständnis. Der Beschwerdeführer erwiderte mit Schreiben vom 15. September 2004, der Auftraggeber sei mit dem "Angebot, ... den offenen Lohn ... mit Ratenzahlungen monatlich in Höhe von 150,00 EUR zu zahlen", einverstanden. Die ehemalige Arbeitgeberin werde "deshalb" gebeten, "die Ratenzahlungen rechtzeitig zu erbringen", im Übrigen sei noch die einbehaltene Lohnsteuer für 2004 zu bescheinigen. Sollte dies nicht bis zum 24. September 2004 geschehen, werde der Anspruch bezüglich der Lohnsteuerkarte ohne weitere Vorankündigung gerichtlich geltend gemacht.

Die Vorinstanzen haben die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach Nr. 2608 VV-RVG aus unterschiedlichen Gründen verneint:

Nach Auffassung der Rechtspflegerin fehlt es an einem Streit oder einer Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis sowie einem Vertrag; es seien lediglich die Modalitäten zur Erfüllung der unstreitigen Verbindlichkeiten festgelegt worden. Die Erinnerungsrichterin des Amtsgerichts Wedding hält eine Einigungsgebühr bei einer Ratenzahlungsvereinbarung im Beratungshilfeverfahren nicht für gegeben. Das Landgericht als Beschwerdegericht vertritt die Auffassung, die geschlossene Ratenzahlungsvereinbarung diene lediglich der Regulierung einer unstreitigen Verbindlichkeit und damit der Beseitigung der Ungewissheit über die Realisierung der Forderung. Dies unterfalle nicht dem Tatbestand der Einigungsgebühr nach VV 1000, da diese Bestimmung - im Gegensatz zu § 23 BRAGO - nicht auf § 779 BGB und damit dessen ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 779 Abs. 2 verweise.

Das Landgericht hat die weitere Beschwerde zugelassen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG hat keinen Erfolg. Es fehlt an den Voraussetzungen für das Entstehen einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG, auf die Nr. 2608 verweist.

1. Anders als das Landgericht hat die Rechtspflegerin bereits das Vorliegen eines Vertrages verneint. Der Senat (KGR Berlin 06, 122) hat ausgeführt, dass die Einigung über Modalitäten der Vertragsabwicklung - dort über die Form der geschuldeten Nachbesserung - nicht notwendig den Abschluss eines neuen, den bisherigen Streit erledigenden Vertrages bedingt. Auch hier könnte fraglich sein, ob das Schreiben der Schuldnerin vom 1. September 2004, in dem sie Ratenzahlung anbot und um Verständnis für ihre finanziellen Schwierigkeiten bat, ein Vertragsangebot darstellte, das durch das anwaltliche Schreiben vom 15. September 2004 angenommen werden konnte. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an.

2. Allerdings überzeugt es nicht, wenn das Landgericht im Anschluss an Hansens (RVG-Report 2005, 224, 225) darauf abstellt, dass Nr. 1000 VV-RVG - im Gegensatz zum früheren § 23 Abs. 1 BRAGO - keine Verweisung auf § 779 BGB enthält, nach dessen Absatz 2 die Ungewissheit über die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs der Ungewissheit über das Bestehen des Anspruchs selbst gleichsteht. Diese formale Argumentation berücksichtigt nicht, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift der Nr. 1000 VV-RVG eine großzügigere Regelung gegenüber § 23 BRAGO schaffen wollte und davon ausgegangen ist, dass grundsätzlich auch Ratenzahlungsvereinbarungen unter dieser Norm fallen können (vgl. Kessel, EGVZ 2004, 179 m.w.N.), und zwar auch in der Zwangsvollstreckung, wenn lediglich die Verwirklichung des titulierten Anspruchs unsicher ist (Gerold/Schmidt/von Eicken, RVG 17. Aufl., VV 1000 Rdnr. 64 unter Hinweis auf die Motive zu VV 3310, abgedr. a.a.O. VV 3310 Rdnr. 2).

3. Eine Einigungsgebühr nach Nr. 2608 in Verbindung mit Nr. 1000 VV-RVG wäre demnach jedenfalls dann angefallen, wenn der Beschwerdeführer bei einem Vergleich im Sinne des § 779 BGB mitgewirkt hätte (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken a.a.O., VV 1000 Rdnr. 4). Die Voraussetzungen des § 779 BGB liegen hier jedoch nicht vor. Zwar bestand bei Abfassung des Schreibens vom 11. August 2004 zumindest eine Ungewissheit über die Durchsetzbarkeit des vom Mandanten geltend gemachten Anspruchs. Es fehlt aber daran, dass diese Ungewissheit im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wurde. Ein Nachgeben des Gläubigers kann zwar in der Einräumung der Möglichkeit, die Verbindlichkeit ratenweise abzuzahlen, gesehen werden. Denn dies enthält bei entsprechender vertraglicher Bindung (s. o. zu 1.) eine Stundungsabrede, aufgrund derer der Gläubiger darauf verzichtet, die Forderung zwangsweise durchzusetzen, solange der Schuldner die Ratenzahlungsvereinbarung einhält (pactum de non petendo). Es fehlt jedoch an einem Nachgeben der Schuldnerin. So kann das für einen Vergleich erforderliche Nachgeben auf Seiten des Schuldners zwar auch darin bestehen, dass dieser die zuvor bestrittene Forderung in vollem Umfang anerkennt (BGH NJW-RR 2005, 1303, 1304). Ist die Forderung - wie im vorliegenden Fall - unstreitig, liegt in dem Anerkenntnis des Schuldners allein aber kein Nachgeben (BGH a.a.O. m.w.N.). In den Fällen, in denen von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer Ratenzahlungsvereinbarung ein Vergleich oder eine Einigung im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG angenommen worden ist, hatte der Schuldner durch Abschluss des Vergleichs den Gläubiger einen Titel oder zusätzliche Sicherheiten verschafft (BGH a.a.O. sowie zuletzt Beschluss vom 24. Januar 2006 - VII ZB 74/05 -; Senat KGR Berlin 05, 837 = Rpfleger 05, 697). Im vorliegenden Fall hat der Gläubiger durch das Schreiben der Schuldnerin vom 1. September 2004 keinen Titel und auch keine zusätzliche Sicherheit erlangt. Etwaige Vorteile, die sich für ihn aus dem Schreiben ergeben können, beruhen ausschließlich auf dem in ihm enthaltenen Anerkenntnis, das auch dann, wenn es in vertraglicher Form erfolgt, keine Einigungsgebühr entstehen lässt, VV 1000 Anm. 1, Satz 1 2. Halbsatz.

4. Auch wenn für die Einigung vom Erfordernis des gegenseitigen Nachgebens (s. o. zu 3.) abgesehen wird, setzt sie doch weiterhin, wie der Vergleich nach § 23 BRAGO, § 779 BGB, einen Vertrag voraus, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis oder die Ungewissheit über die Verwirklichung des Anspruchs (s. o. zu 2.) beseitigt wird. Eine Ratenzahlungsvereinbarung in der hier vorliegenden Form war aber nicht dazu geeignet, die Ungewissheit des Gläubigers über die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs in irgendeiner Form zu beseitigen (Kessel a.a.O.; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG 9. Aufl., VV Teil 1 Rdnr. 4). Ob ein nach Grund und Höhe unstreitiger Anspruch verwirklicht werden kann, hängt neben der Leistungsfähigkeit des Schuldners noch von seiner Leistungswilligkeit ab. Bei fehlender Leistungswilligkeit des Schuldners muss der Gläubiger seinen Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen, wozu ein Titel erforderlich ist. Ungewiss bleibt auch dann, ob die Zwangsvollstreckung zum Erfolg führen wird. Es bleibt daher möglich und sinnvoll, diese fortbestehende Ungewissheit im Wege einer vertraglichen Einigung zu beseitigen, etwa durch Erleichterung der Zwangsvollstreckung oder durch Verschaffung weiterer Zugriffsmöglichkeiten oder Sicherheiten. Dasselbe gilt auch für das nicht titulierte Zahlungsversprechen des Schuldners. Die insoweit fortbestehende Ungewissheit über die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Schuldners kann durch eine Ratenzahlungsvereinbarung allein nicht beseitigt werden, sondern nur dann, wenn der Gläubiger eine zusätzliche Sicherheit erhält, die ihm die Durchsetzung seines Anspruchs erleichtert. Fehlt es daran - wie hier -, so führt eine bloße Ratenzahlungsvereinbarung ebenso wenig wie das Anerkenntnis des unstreitigen Anspruchs zu einer Beseitigung der Ungewissheit über die Verwirklichung des Anspruchs (im Ergebnis ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 4. Januar 2005 - 23 W 24/05 - veröffentlicht bei JURIS). Dieser Gesichtspunkt wird von der Gegenmeinung, die ohne Einschränkung die Ratenzahlungsvereinbarung über eine unstreitige Forderung für die Einigungsgebühr genügen lässt (Hartung/Römermann, RVG, VV Einführung Rdnr. 22; wohl auch Gerold/Schmidt/von Eicken a.a.O. Rdnr. 27, 64), nach Auffassung des Senats nicht hinreichend beachtet.

III.

Das Verfahren ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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