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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: 1 W 430/07
Rechtsgebiete: FGG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 12
FGG § 15
FGG § 69f
FGG § 70h
ZPO § 406
Gibt der den Untergebrachten behandelnde Arzt auf Bitten des Gerichts eine Stellungnahme über die in der aktuellen Unterbringung getroffenen Befunde ab, unterliegt dieses ärztliche Zeugnis nicht der Befangenheitsablehnung nach §§ 15 FGG, 406 FGG, vielmehr sind die vorgetragenen Befangenheitsgründe bei der Würdigung nach § 12 FGG zu prüfen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 430/07

05.05.2009

In der Unterbringungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 3. September 2007 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking sowie die Richter am Kammergericht Hinze und Müller am 5. Mai 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde sowie der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe werden zurückgewiesen

Gründe:

I. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 70g Abs. 3, 70m Abs. 1 S. 1, 22, 27, 29 FGG. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die sofortige weitere Beschwerde kann nur noch mit dem im Hilfsantrag enthaltenen Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung verfolgt werden. Denn die mit dem Hauptantrag angestrebte Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die damit verbundene Entlassung des Betroffenen kommen wegen des Ablaufs seiner Unterbringung nicht mehr in Betracht. Dadurch ist das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers jedoch nicht entfallen. Die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme ist möglich. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Eine Unterbringungsmaßnahme ist ein tief greifender Grundrechtseingriff (BVerfG, NJW 1998, 2432 ff; BVerfGE 104, 220 ff). Aufgrund der bis zum 5. September 2007 vorläufig angeordneten Unterbringung konnte der Betroffene auch keine Entscheidung in den von der Verfahrensordnung vorgegebenen Instanzen erreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2000 - 1 W 2749/00, FGPrax 2000, 213f.).

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts, worauf die Nachprüfung durch das Gericht der weiteren Beschwerde beschränkt ist, vgl. §§ 27 FGG, 546 ZPO.

1. Nach §§ 70h Abs. 1, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGG kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme getroffen werden, wenn dringende Gründe im Sinne einer erheblichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 2000, 220 ff; Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 70h FGG, Rdn. 3) für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für eine endgültige Unterbringung gegeben sind und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre, sowie die weiteren in § 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 4 FGG genannten Voraussetzungen vorliegen. Die freiheitsentziehende Unterbringung nach dem in Berlin geltenden Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) ist eine Unterbringungsmaßnahme im Sinne des § 70h Abs. 1 FGG, vgl. § 70 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 FGG. Die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme erfordert vorwiegend die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse und kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur darauf überprüft werden, ob sie von irrigen rechtlichen Grundlagen ausgeht, gegen Denkgesetze oder gegen Verfahrensvorschriften verstößt oder ob Schlüsse gezogen werden, die mit feststehenden Beweisregeln oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind, oder ob solche Anforderungen an eine Überzeugungsbildung sonst überspannt oder vernachlässigt werden (Senat, a.a.O.). Derartige Fehler vermag der Senat nicht festzustellen.

a) Das Landgericht hat die zutreffenden rechtlichen Grundlagen herangezogen. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 PsychKG können psychisch Kranke gegen oder ohne ihren Willen nur untergebracht werden, wenn und solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten ihr Leben, ernsthaft ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Psychisch Kranke in diesem Sinne sind Personen, die an einer Psychose, einer psychischen Störung, die in ihren Auswirkungen einer Psychose gleichkommt, oder einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden und bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, § 1 Abs. 1 Nr. 2a und Abs. 2 PsychKG.

Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auf der Grundlage des Zeugnisses der Amtsärztin H , den Angaben der Ärztin P im Anhörungstermin des Vormundschaftsgerichts vom 15. August 2007 sowie der von dem Landgericht eingeholten schriftlichen Stellungnahme des behandelnden Oberarztes Dr. H vom 21. August 2007 gefolgert hat, diese Voraussetzungen lägen vor. Die drei Ärzte haben übereinstimmend bei dem Betroffenen eine schwere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die Ärzte P und Dr. H eine paranoide Schizophrenie, die Dr. H nach ICD-10: F20.0 einordnete. Dies steht nicht im Gegensatz zu der bei der Aufnahme des Betroffenen in der Klinik erstellten Diagnose einer akuten polymorphen psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie (ICD-10: F23.1). In der Klassifizierung zu F23.1 heißt es, dass bei Andauern der schizophrenen Symptome die Diagnose in Schizophrenie (F20.-) zu ändern ist. Das hat Dr. H vorliegend im Rahmen seiner Stellungnahme vom 21. August 2007 getan.

Der Verwertung seiner Stellungnahme stand das Ablehnungsgesuch des Betroffenen vom 27. August 2007 nicht entgegen. Zwar ist über ein Ablehnungsgesuch gemäß §§ 15 Abs. 1 S. 1 FGG, 406 Abs. 4 ZPO regelmäßig in einem gesonderten Beschluss und nicht in den Gründen der Hauptsacheentscheidung zu entscheiden (vgl. BayObLGZ 1994, 263, 267). Das war hier aber nicht erforderlich. Das Landgericht hat den behandelnden Oberarzt nicht als Sachverständigen beauftragt. Als solcher wäre er verpflichtet gewesen, ein Gutachten über die von dem Landgericht gestellten Fragen zu erstellen, §§ 15 Abs. 1 S. 1 FGG, 407 ZPO. Hierzu war er aber nicht beauftragt worden. Das Landgericht hatte ihn lediglich mit Schreiben vom 21. August 2007 um ein Attest gebeten. Eine förmliche Beweisaufnahme beabsichtigte das Landgericht danach nicht. Die Anfrage an den behandelnden Oberarzt erfolgte lediglich im Rahmen der Pflicht des Landgerichts, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, § 12 FGG. Das war auch ausreichend, denn im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen gerade nicht erforderlich, es genügt ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen, §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG (vgl. BT-Drs. 11/4528, S. 178 li. Sp.). Ein ärztliches Zeugnis unterliegt nicht der Ablehnung nach § 406 ZPO, vielmehr sind die vorgetragenen Befangenheitsgründe bei der Beweiswürdigung zu prüfen.

Zu Recht hat das Landgericht das ärztliche Zeugnis des Oberarztes Dr. Hohl-Radke vom 21. August 2007 als Entscheidungsgrundlage nach §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG verwertet. Die Einwände gegen die Verwertung als ärztliches Zeugnis greifen nicht durch. Sie können insbesondere nicht auf seine Stellung als behandelnder Arzt gestützt werden. Auch ist die Würdigung, Dr. H sei nicht befangen, nicht zu beanstanden. Die Ausführungen des Oberarztes in seiner Stellungnahme vom 29. August 2007 ergeben keine Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit gegenüber dem Betroffenen, die die Tauglichkeit des ärztlichen Zeugnisses als Beweismittel im besonders eilbedürftigen Verfahren der einstweiligen Anordnung in Frage stellte.

Der Verwertung der Stellungnahme des behandelnden Oberarztes stand auch nicht dessen ärztliche Schweigepflicht entgegen. Der Arzt hat dem Gericht insoweit über die in der aktuellen Unterbringung nach §§ 8, 10 PsychKG getroffenen Befunde berichtet. Es ist nicht ersichtlich, dass er darüber hinaus der ärztlichen Schweigepflicht unterliegende Kenntnisse als behandelnder Arzt verwertet hätte. Auch der Betroffene rügt dies nicht.

Die Ärztin P und Dr. H haben übereinstimmend eine Störung der Impulskontrolle des Betroffenen und erhebliche verbale Aggressionen festgestellt. Das steht in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Vormundschaftsgerichts in der Anhörung vom 15. August 2007. Der Betroffene war dort gereizt, unterschwellig aggressiv und hatte laut geschrien. Im Verlauf seiner Unterbringung hatte er weibliche Pflegekräfte mit obszönen Bezeichnungen beleidigt und gegen einen Wagen getreten.

b) Bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Unterbringungsantrag konnte nicht abgewartet werden, weil mit dem Aufschub der Unterbringungsmaßnahme Gefahr verbunden gewesen wäre, vgl. §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGG. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aus dem Verhalten des Betroffenen geschlossen hat, bei seiner Entlassung wäre die körperliche Unversehrtheit des 13-jährigen Mädchens gefährdet. Das hat das Landgericht frei von Rechtsfehlern aus den Tätigkeitsberichten der Polizisten J und K vom 14. August 2007 (Bl. 56ff der Akte) und der hierauf bezugnehmenden Stellungnahme des Dr. H hergeleitet.

Entgegen dem Einwand der weiteren Beschwerde bedurfte es für die einstweiligen Anordnung nach §§ 70h FGG, 8 PsychKG keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Nach § 8 PsychKG genügt die Gefährdung besonders bedeutender Rechtsgüter anderer, die durch die Unterbringung des Betroffenen geschützt werden sollen, zu konkreten Rechtsgutsverletzungen seitens des Betroffenen muss es noch nicht gekommen sein. Die einstweilige Anordnung hat nach §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 Nr. 1 FGG zu ergehen, wenn dringende Gründe für die Annahme einer solchen Gefährdung bestehen und mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre. Aufgrund der in den Polizeiberichten mitgeteilten Vorkommnisse und den - von den Ärzten diagnostisch bestätigten - Auffälligkeiten im Verhalten des Betroffenen konnte das Landgericht dies ohne weitere Sachaufklärung bejahen. 2. Die vorläufige Unterbringung ist auch verfahrensmäßig nicht zu beanstanden. Der erforderliche Antrag des örtlich zuständigen Bezirksamts Spandau von Berlin lag vor, vgl. § 11 PsychKG. Der Antrag beinhaltete bereits ein ärztliches Zeugnis über den Zustand des Betroffenen, vgl. §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG. Das Zeugnis war ausreichend, weil es nicht nur Feststellungen zum Zustand des Betroffenen, sondern auch Äußerungen über die Notwendigkeit seiner Unterbringung enthielt (vgl. Marschner, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 5). Die angeordnete Dauer von drei Wochen entsprach dem Rahmen des § 70h Abs. 2 S. 1 FGG und war von der Amtsärztin empfohlen worden.

Vor Anordnung der vorläufigen Unterbringung vom 15. August 2007 ist der Betroffene durch das Vormundschaftsgericht persönlich angehört worden, §§ 70h Abs. 1 S. 1, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 4 FGG. Das Ergebnis der Anhörung ist ausreichend protokolliert worden. Das Landgericht hat eine nochmalige Anhörung vor der Kammer nicht für erforderlich gehalten, weil hiervon neue Erkenntnisse nicht zu erwarten seien, §§ 70 m Abs. 3, 69g Abs. 5 S. 3 FGG. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal der Betroffene durch seinen Verfahrensbevollmächtigten neue Tatsachen, die das Landgericht im Rahmen des Eilverfahrens hätte würdigen müssen, nicht hat vortragen lassen.

Der Bestellung eines Verfahrenspflegers bedurfte es nicht, weil der Betroffene anwaltlich vertreten wird, §§ 70h Abs. 1 S. 1, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 67 Abs. 1 S. 6 FGG.

IV. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 128 KostO.

V. Prozesskostenhilfe war zu versagen, weil die Rechtsverfolgung durch den Betroffenen aus den Gründen, die zur Zurückweisung seiner Rechtsmittel führten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Damit ist keine unzulässige Betrachtung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Nachhinein verbunden. Zwar soll die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen, so dass bei der Beurteilung des Anspruchs auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht auf die in der Hauptsache gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden darf (BVerfG, NJW 2005, 3489, 3490). Die Entscheidung in der Hauptsache beruht hier jedoch nicht auf neuen Erkenntnissen des Senats, sondern auf dem bei Erlass der angefochtenen Entscheidung gegebenen Sachverhalt, §§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 559, Abs. 1 S. 1 ZPO, den das Landgericht beanstandungsfrei gewürdigt hat.

Ende der Entscheidung

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