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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 06.10.2005
Aktenzeichen: 12 U 104/04
Rechtsgebiete: ZPO, StVG


Vorschriften:

ZPO § 286
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 2
Bei einer Kollision auf einer Kreuzung zwischen zwei Pkw, von denen der Wartepflichtige die Vorfahrt des anderen durch zu weites Vorrücken verletzt, der Vorfahrtberechtigte jedoch beim Abbiegen in die untergeordnete Straße gegen das Rechtsfahrverbot verstoßen und die Kurve geschnitten hat, kommt eine Schadensteilung 50:50 in Betracht. Die Angabe eines Zeugen vor dem Berufungsgericht, er könne sich nunmehr an den etwa 3 1/2 Jahre zurück liegenden Unfall besser erinnern als bei seiner Vernehmung vor dem Erstgericht 1 1/2 Jahre zuvor, weil er nun nochmals richtig und ausführlich über den Unfall nachgedacht habe, ist nicht überzeugungskräftig (§ 286 ZPO).
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 104/04

verkündet am : 06.10.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2005 durch die Richterin am Kammergericht Zillmann als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. April 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin - 17 O 532/03 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. April 2004 teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.641,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10. Mai 2003, die Beklagte zu 1) darüber hinaus seit dem 9. Mai 2003, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 79 %, die Beklagten 21 % zu tragen. Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger von den Beklagten seinen Schaden, soweit in der Berufung hierüber noch zu entscheiden war, in voller Höhe ersetzt verlangen kann. Die nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verschuldensanteile führt vielmehr dazu, dass der Kläger jedenfalls 50 % seines Schadens selbst zu tragen hat.

Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen können, dass die Fahrzeuge bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 11. Mai 2002 an der Kreuzung Neuer Hönower Weg/ Berliner Straße in Dahlwitz-Hoppegarten zusammenstießen, als er sich mit seinem Fahrzeug noch vollständig in der Berliner Straße befand, ohne den Einmündungsbereich der Kreuzung bereits erreicht zu haben.

Soweit die Berufung zunächst gerügt hat, das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass es sich bei der Vorfahrtstraße, auf welcher der Beklagte zu 2) gefahren ist, um die Berliner Straße und nicht den Neuen Hönower Weg gehandelt habe, ist dies ausweislich der beigezogenen Bußgeldakte 241 Js OWi 38783/02 der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder nicht richtig. Der Beklagte zu 2) befuhr den Neuen Hönower Weg, der an der Unfallstelle durch Zeichen 306 § 42 StVO als Vorfahrtstraße ausgewiesen ist, der Kläger befuhr die Berliner Straße, die an der Kreuzung zum Neuen Hönower Weg mit dem Zeichen 205 § 41 StVO Vorfahrt gewähren versehen ist.

Es konnte auch nach dem Ergebnis der wiederholten Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts ( § 286 ZPO) zweifelsfrei festgestellt werden, dass sich der Zusammenstoß der Fahrzeuge vollständig in der Berliner Straße ereignete, der Kläger mithin seinen Abbiegevorgang noch nicht durch Einfahren in den Kreuzungsbereich begonnen hatte.

Der bereits vor dem Landgericht vernommene Zeuge nnn hatte in seiner ersten Vernehmung ausgeführt, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 2) den aus der Seitenstraße kommenden Wagen des Klägers in der Kurve gestreift habe. Der Wagen habe sich im Zuge des Abbiegens befunden und mit der Stoßstange ein Stück auf der Straße gestanden. Sodann hatte der Zeuge nnn ausweislich des Protokolls der Verhandlung vom 24. März 2004 auf dem Foto Bl. 64 e der Akten den Standort des Fahrzeugs des Klägers eingezeichnet.

Soweit das Landgericht insbesondere aus dieser Zeichnung des Zeugen meinte entnehmen zu können, dass sich der Wagen des Klägers noch nicht im Neuen Hönower Weg befunden habe, kann dem nicht gefolgt werden. Der eingezeichnete Standort zeigt vielmehr ein Fahrzeug, welches bereits deutlich aus der untergeordneten Straße herausgefahren ist und sich im Bereich des Schnittpunktes der Straßen, mithin im Kreuzungsbereich befindet.

Das Landgericht hat insoweit auf Seite 5 der Urteilsabschrift auch ausgeführt, dass das Einbiegemanöver des Klägers nach der Aussage des Zeugen nnnn zumindest bei Weitem noch nicht beendet gewesen sei. Aus der von dem Zeugen nnn bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung gefertigten Skizze Bl. 72 hatte das Landgericht nicht entnehmen können, dass der Kläger schon nennenswert in den Neuen Hönower Weg eingeschwenkt gewesen wäre, Urteilsabschrift Seite 6. Diese Ausführungen des Landgerichts zeigen, dass es davon ausging, dass der Kläger sein Abbiegemanöver jedenfalls schon begonnen und, wenn auch nicht nennenswert, bereits auf den Neuen Hönower Weg eingefahren war. Diese Feststellungen widersprechen jedoch den einleitenden Ausführungen des Landgerichts auf Seite 5 der Urteilsabschrift, dass sich der Unfall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch vor einer gedachten Haltelinie in der Berliner Straße ereignet habe.

In seiner jetzigen Aussage hat der Zeuge nnn abweichend von seinen Angaben vor dem Landgericht zwar ausgeführt, der Kläger habe sich noch nicht so weit, wie auf Bl. 64 e der Akten eingezeichnet, auf dem Neuen Hönower Weg befunden und seine eigenen Skizze, Bl. 72, sei insoweit sogar falsch, als sie das Fahrzeug des Klägers bereits in den Neuen Hönower Weg hineinragend dargestellt habe. Weiter führte er aus, der später angefahrene Wagen habe vollständig in der Seitenstraße gestanden und der Wagen des Beklagten zu 2) habe die Kurve derart eng geschnitten, dass er über den Sandstreifen gefahren sei. Dies glaubte der Zeuge sodann auch anhand der Reifenspuren auf dem Foto Bl. 64 c der Akten erkennen zu können.

Die Aussage des Zeugen, der angab, eine noch gute Erinnerung an den Unfall zu haben und ihn sozusagen vor seinem inneren Auge habe ablaufen sehen, ist nicht geeignet, eine Unfallsituation als bewiesen anzusehen, bei der das Fahrzeug des Klägers noch vollständig in der Berliner Straße gestanden und die Schnittpunkte der Kreuzung noch nicht erreicht hatte.

Hierfür ist einerseits ausschlaggebend, dass sich der Zeuge, was absolut ungewöhnlich und unter normalen Umständen kaum nachvollziehbar ist, meinte nunmehr besser erinnern zu können, als bei seiner Aussage vor dem Landgericht, die immerhin 1 1/2 Jahre früher erfolgte. Auch wenn der Zeuge hierzu bei seiner Vernehmung angab, dies darauf zurückzuführen, dass er erst nach der ersten Aussage vor dem Landgericht nochmals richtig und ausführlich über den Unfall nachgedacht und sich die Einzelheiten ins Gedächtnis gerufen habe, lässt dies die zweite Aussage nicht wahrscheinlicher erscheinen, als die erste. Hinzu kommt, dass sich der Zeuge nunmehr an Vorkommnisse bei der ersten Verhandlung, wie bspw. das Einzeichnen der Umrisse eines Fahrzeugs auf einem Foto in den Akten, Bl. 64 e, gar nicht erinnern konnte, was nicht ungewöhnlich ist, aber ebenfalls gegen ein nunmehr besseres Erinnerungsvermögen des Zeugen spricht.

Weiterhin war für den Zeugen bei seiner Aussage entscheidend, dass der Beklagte zu 2) bei seinem Abbiegemanöver die Kurve so eng geschnitten habe, dass er über den unbefestigten Randstreifen gefahren sei, was nach Auffassung des Zeugen durch die von ihm erst jetzt auf dem Foto Bl. 64 c der Akten entdeckten Reifenspuren bestätigt werde. Diese Spuren veranlassten den Zeugen in seiner Vernehmung wiederholt zu der Angabe, dass das Fahrzeug des Klägers im Hinblick auf das enge Kurvenschneiden des Beklagten zu 2) ja weiter hinten gestanden haben müsse.

Es wird bei diesen Angaben des Zeugen einerseits deutlich, dass es sich jedenfalls teilweise um Schlussfolgerungen handelt und, dass der Zeuge das Foto Bl. 64 c der Akten für seine Aussage fehlerhaft ausgewertet hat. Die dort sichtbaren nassen Reifenspuren können nämlich keinesfalls vom Wagen des Beklagten zu 2) stammen, da dieser von dem ersichtlich trockenen Neuen Hönower Weg einbog, so dass nasse Reifenspuren seines Fahrzeugs nach dem Durchqueren der sichtbaren Pfütze in der Berliner Straße weiter verlaufen würden. Die Spuren müssen deshalb, sofern sie nicht von einem anderen, am Unfall unbeteiligten Fahrzeug stammten, vom Wagen des Klägers verursacht worden sein, und zwar bevor sich der Unfall ereignete. Nach dem Unfall stand das Fahrzeug des Klägers auf dem Seitenstreifen des neuen Hönower Weges und durchfuhr nicht nochmals die Pfütze. Dies ergibt sich aus den Fotos Bl. 64 a ff und der polizeilichen Unfallskizze Bl. 3 der Beiakten.

Die neue Aussage des Zeugen ist nicht geeignet, seine frühere Aussage vor dem Landgericht als falsch anzusehen. Der Zeuge, der kein Eigeninteresse an dem Ausgang dieses Prozesses hat, da er mit keiner der Parteien in irgendeiner Weise verbunden ist, hat nach der Auffassung des Gerichts keinesfalls nunmehr die Unwahrheit gesagt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass bei dem Zeugen durch wiederholte Beschäftigung mit dem Verkehrsunfall bestimmte Details, wie eben der genaue Ort des Zusammenstoßes, in veränderter Form im Gedächtnis verhaftet sind.

Nach der früheren Aussage des Zeugen nnnn kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass sich der Kläger mit seinem Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls noch vollständig in der Berliner Straße befunden hatte.

Die Aussage des Zeuge nnn war bereits für das Landgericht wenig ergiebig. Dies gilt auch für die erneute Aussage des Zeugen, der bemüht war, das Geschehen aus der Sicht des Beklagten zu 2), seines Vaters, zu schildern, da dieser gefahren sei. Seine Angaben sind wenig geeignet, einen Eindruck von dem damaligen tatsächlichen Geschehen zu vermitteln. Der Zeuge, der zum Unfallzeitpunkt zwölf Jahr alt war, gab zwar an, dass er das Verkehrsgeschehen genau verfolgt habe, konnte aber nicht überzeugend darlegen, weshalb er gedacht habe, der Kläger werde rechts abbiegen, wenn dieser nach seiner Aussage besonders weit in der Mitte der Berliner Straße gestanden haben soll.

Es spricht deshalb unter Würdigung der polizeilichen Unfallaufnahme, der Aussagen des Zeugen nnn sowie der in der Akte befindlichen Fotos alles dafür, dass sich der Unfall ereignete, als sich der Kläger mit einem Teil seines Fahrzeugs bereits auf dem Neuen Hönower Weg befand. Letzte Zweifel an der exakten Unfallstelle können zwar nicht ausgeräumt werden. Es bestehen jedoch keine Zweifel daran, dass der Kläger sich jedenfalls bereits im Zuge des Abbiegens befand, die Unfallstelle mithin nicht derart zurückgesetzt in der Berliner Straße lag, dass ein Vorfahrtverstoß des Klägers entfiele. Dass der Kläger den Abbiegevorgang bereits begonnen hatte und hierzu ein Stück in den Neuen Hönower Weg eingebogen war, hatte der Zeuge nnn ausweislich seiner Aussage vor dem Landgericht bezeugt.

Auch wenn letzte Zweifel an der exakten Stelle des Zusammenstoßes nicht ausgeräumt worden sind, greift der Grundsatz, dass ein Verschulden des Wartepflichtigen zu vermuten ist, hier ein.

Ereignet sich ein Unfall nämlich im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem Abbiegevorgang - wovon vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zweifelsfrei auszugehen ist - streitet der Beweis des ersten Anscheins für das alleinige Verschulden des Wartepflichtigen (KG, Urteil vom 21. Oktober 2002 - 22 U 359/01 - KGR 2003, 253), hier des Klägers. Bei der Kollision im Bereich einer vorfahrtgeregelten Kreuzung oder Einmündung spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung des Wartepflichtigen. (Senat, Urteil vom 21. Juni 2001 - 12 1147/00 -; Urteil vom 22. Februar 2001 - 12 U 7599/99 -, NZV 2002, 80).

Dass der Beklagte zu 2) auf der aus seiner Sicht Gegenfahrbahn des Neuen Hönower Weges gefahren ist, ändert an seinem grundsätzlichen Vorfahrtsrecht nichts. Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Vorfahrtstraße und geht dem Bevorrechtigten auch dann nicht verloren, wenn er die für ihn linke Fahrbahn befährt (Thüringer OLG, Urteil vom 9. Mai 2000, 5 U 1346/99, DAR 2000, 570; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 8 StVO, Rn 28).

Auch wenn der Beklagte zu 2) nicht ordnungsgemäß, sondern in einer zu engen Kurve links abgebogen wäre, die Kurve mithin geschnitten hätte, schränkte dies seine Vorfahrt gegenüber dem aus der nachgeordneten Straße Abbiegenden nicht ein (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 8 StVO, Rn 30; OLG Frankfurt, Urteil vom 27. April 1990, 2 U 217/89 NZV 1990, 472).

Ob der Kläger allerdings auf Grund der von ihm zu beachtenden besonderen Sorgfalt nicht einmal an die Schnittstelle der bevorrechtigten Straße hätte heranfahren dürfen, weil er mit einem derartigen Kurvenschneiden eines links abbiegenden Fahrzeugs hätte rechnen müssen (so OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. Mai 1988, 2 Ws 126/88 OWi), kann vorliegend dahinstehen, da sich die Beklagten eine Mithaftung von 50 % anrechnen lassen, es also nicht auf die Frage ankommt, ob der Kläger für sämtliche Schäden alleine haftet.

In welcher Höhe sich die auch gegenüber einem Vorfahrtverstoß des Klägers grundsätzlich zu beachtende Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 2) erhöht, wenn dieser beim Abbiegen in der Kurve nicht weit genug rechts gefahren ist (vgl. hierzu Thüringer OLG aaO; OLG Frankfurt Urteil vom 27. April 1990, aaO; Senat, Urteil vom 29. September 1977, 12 U 1179/77, DAR 1978, 20), bedarf ebenfalls keiner Entscheidung, da die Beklagten die Berufung auf 50 % des ausgeurteilten Betrages beschränkt und damit eine Mithaftung von 50 % anerkannt haben.

Kommen hier also Vorfahrtsverstoß des Klägers und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot und das Gebot, beim Abbiegen in die untergeordnete Straße deren linke Fahrbahnhälfte nicht zu schneiden durch den Beklagten zusammen, so haftet der die Vorfahrt missachtende Kläger jedenfalls zu 50 %.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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