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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 09.07.2001
Aktenzeichen: 12 U 1397/00
Rechtsgebiete: RVO, SGB VII, ZPO


Vorschriften:

RVO § 637
RVO §§ 636 f.
SGB VII § 105
SGB VII §§ 104 ff.
SGB VII § 106 Abs. 3
SGB VII § 105 Abs. 2
SGB VII § 105 Abs. 1
SGB VII § 106 Abs. 3 3. Fall
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 1397/00

Verkündet am: 9. Juli 2001

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Philipp und Hinze

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Dezember 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 374/98 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Tatbestand:

Die am 18. Februar 2000 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zum 20. April 2000 mit einem am 20. März 2000 eingegangenem Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten richtet sich gegen das am 19. Januar 2000 zugestellte Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 1999, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Die Beklagten verfolgen ihr erstinstanzliches Abweisungsbegehren weiter und machen geltend, das Landgericht habe den Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte verkannt. Dieser sei entsprechend der herrschenden Meinung weit auszulegen. Eine gemeinsame Organisation sei nicht erforderlich, vielmehr reichte das Zusammenarbeiten im Rahmen eines Großunternehmens (große Baustelle) oder eine ARGE aus. Für eine weite Auslegung des § 106 Abs. 3 SGB VII spräche auch der Befriedungsaspekt, der dieser Vorschrift innewohne.

Zwischen dem Arbeitgeber des Klägers gäbe es konzernähnliche Strukturen. Es habe eine regelmäßige Lieferbeziehung bestanden, an der immer dieselben Personen beteiligt gewesen seien. Gegen ein bloß zufälliges Zusammentreffen von Kläger und Beklagten zu 1. spräche, dass es Aufgabe des Klägers als "Platzmeister" gewesen sei, Fahrzeugbewegungen auf dem Betriebsgelände zu koordinieren und die Fahrer anzuweisen.

Hilfsweise regen die Beklagten an, die Revision zuzulassen. Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, der Beklagte zu 1. sei lediglich etwa ein bis zwei Mal pro Woche auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin des Klägers erschienen. Er meint, die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 SGB VII gelte allenfalls für die handelnden Personen, hier also für den Beklagten zu 1., nicht aber für Drittunternehmen, so dass die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Lkws in jedem Fall hafte.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Hinsichtlich der Feststellungen zum Unfallhergang und der unfallbedingten Verletzungen sowie der daraus resultierenden Schäden des Klägers folgt der Senat den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, die auch von den Beklagten nicht im Einzelnen angegriffen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO). Dasselbe gilt für die Ausführungen des Landgerichts auf Seite 6 f. des angefochtenen Urteils, mit denen es einen Haftungsausschluss des Beklagten gemäß § 104 Abs. 1 sowie § 105 Abs. 1 SGB VII verneint hat.

Soweit die Beklagten mit der Berufung geltend machen, entgegen der Ansicht des Landgerichts sei ihre Haftung gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII in Verbindung mit §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen, da das Landgericht den Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 SGB VII verkannt habe, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

1. Die zuvor in Rechtsprechung und Schrifttum heftig umstrittene Frage der Auslegung des Begriffs der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII ist zwischenzeitlich durch den Bundesgerichtshof durch Urteil vom 17. Oktober 2000 - VI ZR 67/00 -, NJW 2001, 443 entschieden worden. Danach geht der Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII über die bisherige gesetzliche Regelung in den §§ 636 f. RVO hinaus. Andererseits wollte der Gesetzgeber den Kreis der Schadensfälle nicht ausufern lassen, in denen eine Haftungsbefreiung einsetzen soll, wenn das Zusammentreffen der Risikosphären mehrerer Betriebe zum Schadensfall führt (BGH NJW 2001, 443, 444). Damit ist der Bundesgerichtshof der von den Beklagten unter Bezugnahme auf die Veröffentlichungen von Jahnke (unter anderem in NJW 2000, 265, 266) vertretenen weiten Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte, wonach jede, wenn auch lose Verbindung zwischen den einzelnen Verrichtungen ausreicht, nicht gefolgt (BGH a. a. O.). Vielmehr setzt der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VI ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf voraus, das zwar nicht nach einer rechtlichen Verfestigung oder auch nur ausdrücklichen Vereinbarung verlangt, sich aber zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt (BGH a. a. O. sowie BGH Urteil vom 23. Januar 2001 - VI ZR 70/90 -, MDR 2001, 570 f.; zustimmend Freyberger, MDR 2001, 541 m. w. N.).

Die Haftungsfreistellung aus § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII erfasst mithin betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen und unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt (BGH NJW 2001, 443, 444 m. w. N.; Freyberger a. a. O. Seite 542). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Beklagten betonten Befriedungsaspekt, der den Regelungen der §§ 104 ff. SGB VII innewohnt. Das sogenannte "Friedensargument" (vgl. Jahnke, NJW 2000, 265, 266) schließt an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 34, 118) an, wonach der Haftungsausschluss gemäß § 637 RVO verfassungskonform sei, weil die betriebliche Gefahrengemeinschaft Sonderregelungen erlaube, die nicht zuletzt dazu dienten, den Betriebsfrieden zu wahren. Im Hinblick auf die zunehmende Zusammenarbeit rechtlich selbständiger Unternehmen müsse der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII weit ausgelegt werden. Kommt es bei der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen auf derselben Baustelle zu schädigenden Handlungen untereinander, so führten die daran häufig anschließenden Auseinandersetzungen über die Verantwortlichkeit dazu, dass der verletzte Handwerker von künftigen anderweitigen Aufträgen faktisch "als Störenfried" ausgeschlossen werde. Gerade hier führe § 105 Abs. 2 SGB VII zu einer gewissen Befriedung (Jahnke a. a. O.).

Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an, der der von Jahnke a. a. O. vertretenen weiten Auslegung des Begriffs der gemeinsamen Betriebsstätte nicht gefolgt ist, um ein Ausufern derjenigen Fälle zu vermeiden, in denen die Haftungsbefreiung eingreift.

2. Im vorliegenden Fall haben die Beklagten, die nach den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Haftungsausschlusses zu tragen haben, die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII nicht hinreichend dargetan. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger zum Zeitpunkt des bedauerlichen Unfalls vom 5. August 1997 als Platzmeister auf dem Betriebsgelände der D M GmbH tätig war. Auch ist der Kläger de Vorbringen der Beklagten nicht entgegengetreten, er sei aufgrund seiner Eigenschaft als Platzmeister dafür zuständig gewesen, Fahrzeugbewegungen auf dem Betriebsgelände zu koordinieren und die Fahrer anzuweisen, wo angelieferte Stoffe abzuladen und gegebenenfalls weiter zu transportierende Stoffe abzuladen waren.

Ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken zwischen dem Kläger und Beklagtem zu 1. im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte wäre daher grundsätzlich in Betracht gekommen, etwa wenn der Kläger den Beklagten zu 1. tatsächlich eingewiesen hätte und bei dieser Gelegenheit von dem vom Beklagten zu 1. geführten Lkw erfasst worden wäre.

Die Beklagten tragen indessen nicht vor, dass im konkreten Fall und im Unfallzeitpunkt eine, wenn auch nur stillschweigende, Verständigung zwischen dem Kläger und dem Beklagten stattgefunden hätte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erklärungen des Klägers und des Beklagten zu 1. bei ihrer Anhörung durch das Landgericht im Termin vom 1. Februar 1999. Nach der Aussage des vom Landgericht vernommenen Zeugen R war es vielmehr so, dass sich der Kläger vor dem Unfall mit dem Zeugen R unterhalten hatte, der zur fraglichen Zeit in dem von ihm geführten Lkw saß. Unter diesen Umständen käme allenfalls im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Zeugen R ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII in Betracht, nicht aber im Verhältnis zu dem Beklagten zu 1. und seinem Arbeitgeber. Die bloße Möglichkeit, dass es theoretisch auch zu einem Zusammenwirken zwischen Kläger und Beklagten zu 1. hätte kommen können, etwa dann, wenn der Beklagte zu 1. den Kläger darum gebeten hätte, ihn einzuweisen, reicht für die Annahme eines Haftungsausschlusses im Sinne des § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII nicht aus. Dies zeigt auch derjenige Sachverhalt, der der grundlegenden Entscheidung des BGH in NJW 2001, 443 zugrunde lag. Dort wäre eine Zusammenarbeit zwischen den beklagten Lokführern und Rangierleitern und dem geschädigten Mitarbeiter einer Reinigungsfirma durchaus in Betracht gekommen, etwa wenn es Aufgabe der dortigen Beklagten gewesen wäre, einen der durch den Geschädigten zu reinigenden Reisezugwagen in die Waschhalle zu fahren, und es hierbei zum Unfall gekommen wäre.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von den Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Karlsruhe in r + s 1999, 375. In dem dort zu entscheidenden Fall hatte der Geschädigte als Fahrer eines Lieferwagens Waren angeliefert. Beim gemeinsamen Abladen hatte ein Angestellter des Empfängers den Geschädigten mit einem Gabelstapler verletzt. Das OLG Karlsruhe hat in dem gemeinsamen Entladen des Lieferwagens ein (konkretes) Zusammenwirken zwischen Schädiger und Geschädigtem gesehen, welches zu einem Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII führe (OLG Karlsruhe a. a. O. Seite 376).

3. Da schon die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses gemäß § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII nicht festgestellt werden können, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob ein Haftungsausschluss nur dem Beklagten zu 1. zugute käme, oder auch der S Eisen-Metallverwertung GmbH als Halterin des vom Beklagten zu 1. geführten Lkws und damit im Ergebnis auch der Beklagten zu 2. als deren Haftpflichtversicherer (für eine Haftungsbefreiung auch des Drittunternehmers: OLG Karlsruhe, r + s 1999, 373 f.; OLG Saarbrücken, r + s 1999, 374; Jahnke, NJW 2000, 265; gegen eine Haftungsbefreiung des Drittunternehmers wenden sich unter Hinweis auf den Wortlaut des § 106 Abs. 3 SGB VII: OLG Karlsruhe, r + s 1999, 375, 376 mit zustimmender Anmerkung Lemcke, r + s 1999, 376, 377; Kater-Leube, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII § 106 Rdnr. 16).

4. Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nach Auffassung des Senats nicht, nachdem der Bundesgerichtshof in den zitierten Entscheidungen (NJW 2001, 443, 444 und MDR 2001, 570, 571) den Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 3. Fall SGB VII einer Klärung zugeführt hat und der Senat von der dortigen Auslegung nicht abweicht.

5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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