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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 11.10.2001
Aktenzeichen: 12 U 1470/00
Rechtsgebiete: VVG, StVO, ZPO


Vorschriften:

VVG § 67
StVO § 5 Abs. 4 a
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 412
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 1470/00

Verkündet am: 11. Oktober 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzanspruchs aus Kraftverkehrsunfall

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Hinze und Philipp für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Januar 2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 20.592,40 DM.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht jede Haftung der Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 31. August 1996 gegen 17.30 Uhr auf der Bundesstraße B 180, etwa 2 km hinter der Ortsausfahrt Farnstedt in Richtung Querfurt, Landkreis Merseburg, verneint (vgl. § 67 VVG i. V. m. §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflVG). Zu der genannten Zeit fuhr der Polizeibeamte und Zeuge R H mit dem auf Frau I V zugelassenen Personenkraftwagen Trabant EIL die B 180 in Richtung Querfurt, also in südwestlicher Richtung. Ihm folgte der Beklagte zu 2. mit seinem bei der D Versicherungs AG - zwischenzeitlich mit der Beklagten zu 1. verschmolzen - gegen Haftpflicht versicherten Personenkraftwagen Toyota EIL. Dahinter folgte der Kraftfahrzeugmechaniker und Zeuge R N mit dem bei der Klägerin teil- und vollkaskoversicherten Personenkraftwagen Mercedes Benz C 180 mit dem amtlichen Kennzeichen SGH der M-D Kraftfahrzeuge GmbH. Der Zeuge N überholte den Beklagten zu 2. und geriet mit dem Mercedes Benz sodann gegen die linke Seite des Personenkraftwagens Trabant. Hiernach kam der Trabant rechts und der Mercedes Benz links von der Fahrbahn ab; beide Fahrzeuge überschlugen sich. Die Klägerin regulierte im Rahmen der Vollkaskoversicherung den Schaden am Mercedes Benz und macht erfolglos einen nach ihrer Ansicht auf sie gemäß § 67 VVG übergegangenen Schadensersatzanspruch entsprechend der Abrechnung auf S. 4 der Klageschrift vom 18. Juni 1998 (Bl. 4) nach einer Quote zu 2/3 geltend. Denn es lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Beklagte zu 2. durch seine Fahrweise schuldhaft dazu beigetragen hat, dass der Zeuge N (die Gewalt über den Mercedes Benz verloren hat und deshalb gegen den Trabant geraten und von der Fahrbahn abgekommen ist.

Weder der Zeuge N noch der Beklagte zu 2. können für sich in Anspruch nehmen, dass der Unfall für einen der beiden ein unabwendbares Ereignis darstellt (vgl. § 7 Abs. 2 StVG). Denn wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, haben weder die Klägerin noch die Beklagten dargetan oder bewiesen, dass sich der Zeuge N und der Beklagte zu 2. so sorgfältig verhalten hätten, wie es von einem "Idealfahrer" erwartet werden kann. Deshalb ist eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der beiden Kraftfahrer unter Berücksichtigung der von den Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahrgeboten (§ 17 Abs. 1 StVG). Hierbei sind neben unstreitigen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu beachten. Dabei erlangen die für einen sog. Unfall ohne Berührung geltenden Grundsätze Bedeutung.

I. Einer Haftung der Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG steht nicht schon entgegen, dass es zu keiner Berührung zwischen den vom Beklagten zu 2. geführten Personenkraftwagen Toyota und dem Fahrzeug Mercedes Benz des Zeugen N gekommen ist. Denn erforderlich ist für die Haftung, dass der Schaden "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeuges entstanden ist.

"Bei dem Betrieb" ist ein Schaden bereits dann eingetreten, wenn sich die von einem Fahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben; es muss sich um typische mit dem Betrieb des Fahrzeuges verbundene Gefahren handeln (vgl. BGH VersR 1972, 1074 = NJW 1972, 1808; NJW 1992, 2669; 1988, 2802 = DAR 1988, 269; KG VerkMitt 1983, 31 Nr. 37; 1988, 50 Nr. 50). Dabei ist ein bestimmtes Verhalten des in Anspruch Genommenen erforderlich, das bei objektiver Betrachtungsweise geeignet ist, auf den Fahrer des Unfallwagens einzuwirken. Es kommt darauf an, ob in einer konkreten Situation die Gegenwart des Fahrzeuges vom Lenker des unfallgeschädigten Fahrzeuges als gefährlich empfunden werden konnte und dessen Reaktion subjektiv vertretbar erscheint (BGH NJW 1990, 2885 f.). In diesen Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung zwischen dem Fahrzeug des Geschädigten und dem Wagen des in Anspruch genommenen Kraftfahrers gekommen ist, hat der Geschädigte den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeuges und seinem Schaden darzutun und zu beweisen; etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit des Betriebsvorganges für den Unfall gehen zu Lasten des Geschädigten (BGH VersR 1969, 58; NJW 1988, 2802; st. Rsp. des Senats, VersR 1997, 1291, 1292 = VerkMitt 1997, 3 Nr. 4; VersR 1998, 778, 779; NZV 2000, 43, 44 = KG Report 1999, 301, 302 = DAR 1999, 504 Ls = VerkMitt 2000, 10 Nr. 10; KG Report 2000, 316, 317; KG Report 2000, 401, 402; KG, Urteil vom 3. Februar 2000 - 12 U 6200/98 -).

II. Den Umständen des vorliegenden Falles und der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme lassen sich zwar Anhaltspunkte entnehmen, die darauf hinweisen, dass der Zeuge N (infolge des Fahrverhaltens des Beklagten zu 2. mit dem Mercedes Benz weiter nach links, über den Fahrbahnrand hinaus ausgewichen ist, als er am vom Beklagten zu 2. geführten Toyota - überholend - vorbeifuhr, deshalb anschließend nicht mehr in der Lage war, den Mercedes Benz zu beherrschen, sondern gegen den Trabant geriet und schließlich von der Fahrbahn abkam. Dies führt vorliegend jedoch noch nicht zur Feststellung, dass das Unfallgeschehen in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang des Personenkraftwagens Toyota i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG stehen könnte (vgl. KG VersR 1997, 1291, 1292).

Denn der Klägerin obliegt die Darlegung und der Beweis, dass der Betrieb des Anspruchsgegners für den Schaden ursächlich war (vgl. KG, a. a. O., S. 1292). Die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle allein rechtfertigt noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeuges entstanden (BGH VersR 1969, 58, 59). Daher müssen dafür hinreichende Anhaltspunkte feststehen, dass der Zeuge N sich infolge des vom Beklagten zu 2. geführten Personenkraftwagens Toyota zu der von ihm durchgeführten Fahrweise veranlasst sehen durfte, etwa weil er hätte befürchten müssen, anderenfalls mit dem Toyota zu kollidieren.

Hiervon ist gerade wegen der Bekundungen des Zeugen N vor dem Landgericht am 7. Oktober 1998 (Bl. 48) nicht auszugehen. Insoweit abweichend vom Vortrag der Klägerin hat der Zeuge angegeben, er habe sich etwa einen Meter von der hinteren Front des Toyota entfernt befunden, als der Beklagte zu 2. für ihn erkennbar den Toyota nach links hinübergezogen habe. Der Zeuge N schätzt, dass der Beklagte zu 2. eine Geschwindigkeit von etwa 80 oder 90 km/h eingehalten habe. Der Zeuge selbst will seine Geschwindigkeit zunächst auf 95 km/h herabgesetzt und den Mercedes Benz schließlich auf 105 oder vielleicht auf 110 km/h beschleunigt haben. Aufgrund dieser seiner Angaben kann nicht zugunsten der Klägerin festgestellt werden, dass der Zeuge bereits eine Geschwindigkeit von 100 km/h erreicht haben könnte, als er sich einen Meter hinter dem Toyota befand. Dann war in dieser Situation von dem Zeugen N als vernünftige Reaktion zu erwarten gewesen, dass er den Fuß vom Gaspedal nimmt und evtl. den Mercedes Benz noch leicht abbremst. Der Zeuge N hat verkehrswidrig und schuldhaft reagiert, wenn er in dieser Situation den Mercedes Benz beschleunigt hat; allein deshalb hat er schließlich die Gewalt über das Fahrzeug verloren.

III. Ferner steht der Klägerin gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu, weil sie nicht bewiesen hat, dass dem Zeugen N ein Überholvorrecht gegenüber dem Beklagten zu 2. zugestanden hat. Denn entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich ein Verstoß des Beklagten zu 2. gegen § 5 Abs. 4 StVO nicht feststellen. Weil die Klägerin einen die Haftung der Beklagten auslösenden Sachverhalt zu beweisen hat, gehen die Zweifel, wem der Überholvortritt zugestanden hat, zu Lasten der Klägerin.

1. Nach § 5 Abs. 4 StVO muss sich der Verkehrsteilnehmer, der zum Überholen ausscheren will, so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Wer ausscheren will, muss sich vorher durch Blick in den Rückspiegel vergewissern, dass er dies ohne Gefährdung aufrückender Verkehrsteilnehmer tun kann. Wo keine Geschwindigkeitsbegrenzung besteht, ist mit höheren Geschwindigkeiten Nachfolgender zu rechnen (vgl. KG VersR 1997, 1291, 1292; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, StVO § 5 Rdn. 42). Wer kurz vor einem aufrückenden Verkehrsteilnehmer zwecks Überholens ausschert, handelt grob fahrlässig. Andererseits braucht derjenige, der bereits klar überholt, nicht auf seine Nachfolger zu achten, die auch überholen wollen (Hentschel, a. a. O., Rdn. 41). Ferner sind die Grundsätze des sog. Überholvortritts zu beachten: Nähert sich von hinten ein Kraftfahrzeug und diesem ein schnelleres, so hat Überholvortritt, wer sich dem Vordermann so sehr genähert hat, dass er zwecks Überholens ausscheren muss (vgl. BGH NJW 1957, 502; Senat NZV 1995, 359, 360 = VerkMitt 1995, 38 Nr. 41; VersR 1997, 1291, 1293; KG, Urteil vom 12. Januar 1998 -12 U 4462/96-).

Soweit dieses Vortrittsrecht im Schnellverkehr auf Autobahnen Einschränkungen erfährt (vgl. BGH NJW 1971, 2030, 2031), ist darauf nicht näher einzugehen. Denn vorliegend hat sich das Unfallgeschehen nicht auf einer Autobahn, sondern auf einer Landstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ereignet.

2. Unter Berücksichtigung aller aufgezeigten Grundsätze ist Folgendes hervorzuheben:

a) Der mit der Beklagten zu 1. verschmolzene Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 2., die Deutsche Versicherungs AG, äußerte in dem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 25. November 1997 (Bl. 19 f.):

"Auf einen gefahrenauslösenden Moment in Gestalt des ebenfalls zum Überholen ansetzenden PKWs Toyota reagierte der Fahrzeugführer des PKW Mercedes durch ein Ausweichen nach links."

Wegen des weiteren Inhalts dieses Schreibens ist nicht davon auszugehen, dass dieser Haftpflichtversicherer und der Beklagte zu 2. einen Überholvortritt des Zeugen N eingeräumt hätten.

Auch der Beklagte zu 2. persönlich hat in seiner schriftlichen Aussage vom 12. Dezember 1996 zu dem Vorgang 5 des Polizeireviers Eisleben (in Ablichtung eingereicht von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. September 1997, Bl. 47) erklärt, er habe den Trabant überholen wollen; der Mercedes Benz sei noch weit entfernt gewesen. Seinen Angaben ist nicht zu entnehmen, dass ihm nicht mehr der Überholvortritt zugestanden hätte.

b) Der Zeuge R H hat vor dem Landgericht am 25. Januar 1999 erklärt, er mache seine schriftliche Aussage vom 6. Dezember 1996 zu dem zuvor genannten Vorgang des Polizeireviers Eisleben (dort Bl. 31) zum Gegenstand seiner Vernehmung. Diese schriftliche Aussage und die Angaben des Zeugen vor dem Landgericht lassen sich dahin zusammenfassen, dass er mit dem Trabant eine Geschwindigkeit von etwa 90 km/h einhielt. Über den Rückspiegel habe er genau erkannt, dass es sich bei dem ersten Personenkraftwagen hinter ihm um einen Toyota und dahinter um einen Mercedes gehandelt habe. Als der Zeuge diese Fahrzeuge zum ersten Mal gesehen habe, hätten sich diese beiden Wagen auf der rechten Fahrbahnhälfte befunden. Beide Fahrzeuge seien zusammen auf die freie Gegenfahrbahn hinübergewechselt und hätten fast gleichzeitig zum Überholen angesetzt. Er könne aber nicht sagen, welches der beiden Fahrzeuge zuerst auf die Gegenfahrbahn gewechselt sei und ob deren Fahrer die Richtungsanzeiger betätigt hätten.

Aufgrund der Bekundungen des Zeugen H ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2. begonnen hat, nach links auszuscheren, um den Trabant zu überholen. Dagegen ist nicht anzunehmen, dass der Beklagte zu 2. besonders weit nach links ausgeschert ist, weil es sonst wahrscheinlich gewesen wäre, dass der Zeuge N mit dem Mercedes Benz auf den Toyota aufgefahren wäre; dies ist jedoch nicht geschehen. Allerdings hat die beweispflichtige Klägerin mit dem Zeugen H nicht beweisen können, dass dem Zeugen N ein Überholvorrecht zugestanden hätte.

c) Auch mit dem Zeugen N hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass er gegenüber dem Beklagten zu 2. zum Überholen bevorrechtigt gewesen sein könnte. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass dieser Zeuge bemüht war, anlässlich seiner Vernehmung vor dem Landgericht am 7. Oktober 1998 (Bl. 49 ff.) ausschließlich seine Erinnerungen mitzuteilen. Doch wie seinen Angaben zu entnehmen ist, hat es sich dabei häufig um Annahmen und Meinungen, also um Vermutungen gehandelt. Außerdem hat er Angaben gemacht, die nur dahin zu verstehen sind, dass er zu spät angezeigt hat, den Beklagten zu 2. und den Zeugen H überholen zu wollen:

Der Zeuge N ist gleichfalls so zu verstehen, dass er mit dem Mercedes Benz zum vom Beklagten zu 2. geführten Toyota aufzuschließen begann. Wenn der Zeuge H bekundet hat, dass auch der Beklagte zu 2. ihn habe überholen wollen, so ergibt sich daraus, dass auch der Beklagte zu 2. mit dem Toyota zum Trabant aufzuschließen begonnen hatte. Damit hatte der Beklagte zu 2. als zum Trabant näher befindlichen Fahrer gegenüber dem Zeugen N den Überholvortritt. Den gesamten Angaben des Zeugen N ist nicht zu entnehmen, dass er aus dem Fahrverhalten des Beklagten zu 2. sicher hätte schließen können, dass er auf sein Überholvorrecht verzichtet hätte. Wenn also der Zeuge N dem Überholvortritt hätte zuvorkommen wollen, hätte er dies dem Beklagten zu 2. eindeutig, rechtzeitig und lange genug vor Beginn des Überholvorganges zu erkennen geben müssen.

Gerade aufgrund der Bekundungen des Zeugen N steht fest, dass er keine entsprechenden geeigneten Maßnahmen getroffen hat. So hat er angegeben, er "werde etwa 30 m geblinkt haben, bevor" er "nach links gewechselt" sei, also von der rechten auf die linke Fahrbahnhälfte übergewechselt ist (Bl. 51). Einmal ist dieser Ausdrucksweise nicht sicher zu entnehmen, dass der Zeuge tatsächlich über 30 m lang vor dem Fahrbahnwechsel den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat. Zum anderen hat der Zeuge nach seinen Angaben eine Geschwindigkeit von etwa 100 km/h eingehalten (Bl. 49). Sollte er also wirklich die Fahrtrichtungsanzeiger betätigt haben, so waren diese wegen seiner Geschwindigkeit auf 30 m lediglich 1,08 sec. lang wahrzunehmen. Damit hat es sich um eine zu kurze und deshalb ungeeignete Maßnahme i. S. d. § 5 Abs. 4 a StVO gehandelt, um den Beklagten zu 2. zu veranlassen, auf sein Überholvorrecht zu verzichten (vgl. hierzu BGH VRS 25, 264: bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h reichen 5 sec. vor dem Abbiegen oder Ausscheren aus; vgl. auch Hentschel, a. a. O., StVO § 5 Rdn. 46 - 48; § 9 Rdn. 20). Der Zeuge hätte jedenfalls 5 sec. lang und damit bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h etwa aus einer Entfernung von 139 m durch Betätigung der Fahrtrichtungsanzeiger seinen Überholvorgang anzeigen müssen.

Wie bereits hervorgehoben, hat der Zeuge N ferner erklärt, er sei mit dem Mercedes Benz etwa einen Meter von dem Heck des Toyota entfernt gewesen, als der Beklagte zu 2. für ihn erkennbar nach links hinübergelenkt habe. Der Zeuge N selbst will sich zu diesem Zeitpunkt bereits mittig auf der Gegenfahrbahn befunden haben, andererseits unmittelbar davor 15m hinter der Stoßstange des Toyota (Bl. 49). Diese seine Angaben erscheinen zweifelhaft und nicht nachvollziehbar, wenn der Zeuge 30 m lang, also 1,08 sec. lang den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt haben will, sich dann aber 15m hinter dem Toyota befunden haben und offenbar noch in demselben Zeitraum von gut 1 sec. auf die Gegenfahrbahn übergewechselt sein will.

Soweit der Zeuge angibt, der Beklagte zu 2. sei etwa einen halben Meter mit dem Toyota auf die Gegenfahrbahn geraten (Bl. 50, 52), handelt es sich um Schätzungen. Der Zeuge ist nach seinen Angaben nach links ausgewichen. Als der Beklagte zu 2. ihn bemerkt habe, sei er wieder nach rechts gefahren. Der Zeuge glaubt, der Beklagte zu 2. habe den Toyota hierbei abgebremst; gesehen habe er es nicht; es handelt sich also um eine Vermutung. Während der ganzen Phase, in der der Zeuge N mit dem Mercedes Benz an dem Toyota vorbeifuhr und ihn überholte, auch als der Zeuge nach seinen Angaben nach links ausgewichen ist, habe der Seitenabstand ständig 1,50 m betragen (Bl. 52); auch dies ist eine Schätzung.

Es kann dahinstehen, ob der Zeuge N die Fahrweise des Beklagten zu 2. zutreffend wahrgenommen hat und ob er stets einen Seitenabstand von etwa 1,50 m einhalten musste, als er schließlich am Toyota vorbeizog, aber nicht abzubremsen begann, als er sich nach seiner Erinnerung mit dem Mercedes Benz noch etwa einen Meter hinter dem Heck des Toyota befand und der Beklagte zu 2. erst jetzt oder überhaupt zu diesem Zeitpunkt nach links zu lenken begann. Entscheidend und zu wiederholen ist, dass die Bekundungen des Zeugen N nicht ausreichen, davon auszugehen, dass ein Überholvorrecht auf ihn übergegangen sein könnte.

An dieser Wertung ändert sich nichts durch die Berufungsbegründung der Klägerin mit Schriftsatz vom 18. April 2000 (Bl. 186 - 189). Es genügt nicht, dass die Klägerin auf das vom Zeugen N geschilderte Abdrängen um etwa einen halben Meter abstellt (S. 2 f. der Berufungsbegründung). Wenn die Klägerin meint, die Bekundungen der Zeugen N und H stimmten im Kern überein (S. 3 der Berufungsbegründung), ist ihr nicht zu folgen.

d) Im Übrigen sind das vom Landgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. U W vom 4. Oktober 1999 und seine ergänzende Stellungnahme vom 29. November 1999 (Bl. 80-117, 137 - 157) dahin zu verstehen, dass der Zeuge N mit dem Mercedes Benz spitzwinkelig gegen die vordere linke Ecke des Trabant geraten ist (S. 8 f. des Gutachtens) - also der Mercedes Benz bereits am Toyota vorbeigefahren war - und der Toyota die auf der rechten Fahrbahn langsam nach links auf die Gegenfahrbahn verlaufende Blockierspur zu zeichnen begann, als der Beklagte zu 2. die unmittelbar vor ihm auftauchende Gefahrensituation - die Kollision des Mercedes Benz mit dem Trabant - wahrgenommen hat und hierauf zu reagieren begann (GA S. 10, 15). Die ergänzende Stellungnahme enthält keine abweichenden Hinweise. Es ist nicht ersichtlich, weshalb an den Ausführungen des Sachverständigen gezweifelt werden müsste. Damit hat der Toyota die Blockierspur erst gezeichnet, nachdem der Zeuge N dieses Fahrzeug überholt hatte. Wenn der Toyota die Blockierspur schon während des Überholvorganges des Zeugen N gezeichnet hätte, wäre eine Kollision zwischen dem Mercedes Benz und dem Trabant nicht mehr vorstellbar; denkbar wäre nur eine Berührung zwischen dem Mercedes Benz und dem Toyota; dazu ist es jedoch nicht gekommen. Damit hat die Klägerin mit dem Gutachten gleichfalls kein Abdrängen des Mercedes Benz nach links durch den Beklagten zu 2. bewiesen. Ergänzend ist hervorzuheben, dass auch nach dem Gutachten nicht erkennbar ist, dass sich der Unfall infolge des "Betriebes" des Toyota ereignet haben könnte.

Aus diesen Gründen ist nicht gemäß § 412 ZPO auf Antrag der Klägerin ein weiteres Gutachten dazu einzuholen gewesen, dass aus den Feststellungen des Sachverständigen W zum Standort des Mercedes Benz bei Beginn der Gefahrenbremsung des Toyota und zum Standort des Toyota bei der Kollision Mercedes Benz und Trabant nicht zu schließen sei, dass der Zeuge N mit dem Mercedes Benz den Toyota schon passiert gehabt habe, als er eine Lenkbewegung - die auch S. 3 der Berufungsbegründung angesprochene - durchgeführt habe, und ferner dazu, dass es - bezogen auf die Blockierspur - durchaus möglich sei, dass das Lenken des Beklagten zu 2. auf die Gegenfahrbahn bereits eingetreten sei, als der Zeuge N überholt habe (S. 3 f. der Berufungsbegründung). Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, wieso die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W dazu, der Beklagte zu 2. werde den Toyota vor Beginn der Blockierspuren im Augenblick der Wahrnehmung der Gefahrensituation zwischen Mercedes Benz und Trabant reflexartig weggelenkt (GA S. 14 f.), also leicht nach links gelenkt haben, falsch sein sollen.

e) Hiernach kommt es auf die Berufungserwiderung der Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Juli 2000 (Bl. 194 - 199) nicht mehr an. Allerdings weisen die Beklagten zutreffend darauf hin, dass der Sachverständige W bei seiner Unfallrekonstruktion im Wesentlichen die Angaben des Zeugen N berücksichtigt hat (Bl. 195). Dagegen ist voranstehend ausgeführt worden, dass Zweifel bestehen, inwieweit dem Zeugen gefolgt werden kann.

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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