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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 15.08.2007
Aktenzeichen: 12 U 202/06
Rechtsgebiete: ZPO, StVO, StVG


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 513 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 531
ZPO § 531 Abs. 2
StVO § 7 Abs. 5
StVO § 10
StVG § 17 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 202/06

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Dr. Wimmer und die Richterin am Kammergericht Zillmann am 15. August 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Berufungskläger erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe:

1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Die ist nicht der Fall, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges sich bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweisaufnahme abzuweichen.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall allein haftet. Das Landgericht hat sich an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung gehalten und der Senat sieht auch in der Sache keinen Anlass, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme abzuweichen.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu Lasten des Klägers anzuwenden sind, weil dieser auch nach seinem eigenen Vorbringen vom Fahrbahnrand angefahren ist.

Kommt es bei dem Anfahren eines Kfz vom Fahrbahnrand zu einer Kollision mit einem Fahrzeug im fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall dadurch zustande gekommen ist, dass der vom Fahrbahnrand Anfahrende die ihm nach § 10 StVO obliegende gesteigerte Sorgfalt nicht hinreichend beachtet hat (OLG Brandenburg, Urteil vom 6. März 2002 - 14 U 119/01 - DAR 2002, 307; OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Februar 1978 - 12 U 169/77 - VersR 1978, 852).

Wer vom Fahrbahnrand anfährt, hat sich nach § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung des fließenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Der Anfahrende darf nicht darauf vertrauen, dass der rechte Fahrstreifen frei bleibt, sondern muss stets mit einem Fahrstreifenwechsel eines Teilnehmers des fließenden Verkehrs rechnen (Senat, Beschluss vom 4.Januar 2006 -12 U 202/05 -). Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren vom Fahrbahnrand zu einer Kollision mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs, das nach rechts den Fahrstreifen wechselt, ohne den Anfahrenden rechtzeitig erkennen zu können, so haftet der Anfahrende allein, denn der Schutzzweck des § 7 Abs. 5 StVO dient nicht dem ruhenden Verkehr oder dem vom Fahrbahnrand Anfahrenden (Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - DAR 2004, 387= NZV 2004, 632; OLG München, Urteil vom 25. März 1994 - 10 U 4856/93 - NJW-RR 1994, 1442).

Geschieht ein Unfall derart beim Anfahren vom Fahrbahnrand, dass zwischen dem Vorgang des Einfahrens in Richtung Fahrbahnmitte und der Kollision mit dem durchgehenden Verkehr ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Anfahrenden, wobei ein Zusammenstoß nach etwa 10 bis 12 m vom Ort des Anfahrens für einen unmittelbaren Zusammenhang ausreichend sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Februar 1978 - 12 U 169/77 - VersR 1978, 852; Senat, a.a.O.).

Der Einfahrvorgang endet nämlich erst, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (OLG Köln, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 U 35/04 - DAR 2006, 27 = VRS 109, 99; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Oktober 1980 - 1 U 42/80 - VersR 1981, 754; vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 10 StVO Rn 4). Dabei muss jede Einflussnahme des Anfahrvorgangs auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen sein (Senat, Beschluss vom 29. Dezember 2006 - 12 U 94/06 -; OLG Köln VersR 1986, 666).

Das Landgericht ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze zu Recht zu der Beurteilung gekommen, dass sich der Unfall bereits nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Zusammenhang mit dessen Anfahren vom Straßenrand ereignete. Auch die Berufung trägt hierzu nichts Erhebliches vor, insbesondere nicht, dass der Kläger entgegen seiner eigenen Bekundungen bereits eine derart weite Fahrtstrecke zurückgelegt hätte, dass von einem räumlichen Zusammenhang mit seinem Anfahren zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr ausgegangen werden könne.

Weiterhin richtig führt das Landgericht aus, dass der Kläger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht zu entkräften vermochte. Die Zeugin Mnn hat in ihrer Aussage keine Angaben dazu gemacht, aus denen sich entnehmen ließe, dass der Unfall nicht auf mangelnder Sorgfalt des Klägers beim Anfahren vom Fahrbahnrand beruhte. Sie hat lediglich angegeben, dass der Lkw von hinten "hervorgeschossen" kam, wobei bereits nicht ersichtlich ist, was die Zeugin damit genau angeben wollte. Ihre weitere Schilderung, dass der Lkw auf die rechte Spur gezogen sei und sich dabei der Unfall ereignet habe, führt ebenfalls nicht dazu, dass damit eine mangelnde Sorgfalt des Klägers beim Anfahrvorgang ausgeräumt wäre. Schließlich bestätigt die Zeugin, dass sich der Unfall im engeren räumlichen Zusammenhang mit dem Ausparken des Klägers ereignet haben muss, wenn sie angibt, dass ihr Standort, mithin der Parkplatz auf welchen der Kläger einbiegen wollte, noch 10 bis 15 m vom Unfallort entfernt gewesen sei. Unter Berücksichtigung der weiteren örtlichen Verhältnisse und der vorhandenen Parkplätze kann der Kläger damit zum Zeitpunkt des Unfalls erst wenige Meter zurückgelegt haben.

2. Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren behauptet, die im Termin vom 9. August 2006 anwesende Dolmetscherin Angelika XX habe mit der Zeugin Miller YY gesprochen, weshalb Zweifel daran bestünden, dass die Aussage der Zeugin vollständig und richtig übersetzt worden sei, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Dolmetscherin Angelika XX ausweislich des Dolmetscherverzeichnisses aus dem Jahr 2004 für die Sprachen Englisch und Russisch vereidigt war; daher ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, sie könne Polnisch gesprochen haben.

Das diesbezügliche streitige Vorbringen des Klägers, welches dieser erstmals mit der Berufungsbegründung vorträgt, ist außerdem gemäß den §§ 529, 531 ZPO verspätet und nicht ersichtlich, weshalb es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen wäre.

3. Schließlich verhilft auch das Vorbringen des Klägers zur nach seiner Auffassung fehlerhaften Beweiswürdigung des Landgerichts der Berufung nicht zum Erfolg.

Dabei ist bereits nicht ersichtlich, welche fehlerhafte Würdigung der Kläger dem Landgericht vorwirft, wenn er - zutreffend - darauf hinweist, dass dem Protokoll Angaben der Zeugin zu einem Ausparkmanöver des Klägers nicht zu entnehmen sind. Wenn die Zeugin ein Ausparkmanöver des Klägers nicht schildert, so ist, wie das Landgericht dies richtig gesehen hat, davon auszugehen, dass sie ein solches nicht gesehen hat. Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es auffallend ist, wenn die Zeugin Angaben zum Fahrverhalten des Lkw vor dem Unfallort machte, nicht jedoch zum Fahrverhalten des Klägers vor dem Unfall.

4. Eine fehlerhafte Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG durch das Landgericht ist ebenfalls nicht ersichtlich, da der Kläger den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet hat, weshalb von seinem alleinigen Verschulden auszugehen ist.

5. Nach alledem wird anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu überdenken.

Ende der Entscheidung

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