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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 22.10.2001
Aktenzeichen: 12 U 2346/00
Rechtsgebiete: StVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 2 Satz 1
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1 Satz 2
BGB § 254
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 2346/00

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 22. Oktober 2001

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Hinze sowie den Richter am Amtsgericht Dr. Wimmer für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 10. Februar 2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 529/97 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.005,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. November 1997 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 69 % und die Beklagten 31 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt für keine der Parteien 60.000,00 DM.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Der Sache nach kann der Kläger von den Beklagten vollen Schadensersatz verlangen (A). Bezüglich der Höhe muss er jedoch Abzüge von den geltend gemachten Forderungen hinnehmen (B).

A Zutreffend beanstandet der Kläger das angefochtene Urteil insoweit, als das Landgericht dem Grunde nach von einer hälftigen Mithaftung des Klägers für diejenigen Schäden ausgegangen ist, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalles vom 27. Mai 1997 auf dem in Berlin gelegenen S Damm in Höhe der Einmündung des R Weges entstanden sind.

1. Der Unfall stellt sich für keine der Parteien als unabwendbares Ereignis i. S. d. § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG dar, so dass die Ersatzpflicht der einen oder der anderen Seite nicht von vornherein ausgeschlossen ist. In derartigen Fällen hängt nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG die Verpflichtung zum Schadensersatz wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 StVG, § 254 BGB, sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.

2. Da der Beklagte zu 1. unstreitig aus dem R Weg kommend nach links in den bevorrechtigten S Damm einbiegen wollte, hatte er das durch Verkehrsschild angeordnete Vorfahrtsrecht des Klägers zu beachten. Gegen ihn spricht mithin der Anschein schuldhafter Vorfahrtsverletzung (§ 8 StVO). Grundsätzlich tritt bei Vorfahrtsverletzungen die Betriebsgefahr des bevorrechtigten Kraftfahrzeugs zurück, so dass der Wartepflichtige in der Regel den gesamten Schaden zu tragen hat (Senat, Urteil vom 22. März 2001 - 12 U 8148/99; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 StVO Rdnr. 69 m. w. N.).

3. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann ein unfallursächliches Mitverschulden des Klägers nicht festgestellt werden.

a) Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf die sog "Lückenrechtsprechung" berufen.

aa) Nach dieser Rechtsprechung muss ein Kraftfahrer, der bei dichtem Verkehr eine Kolonne stehender oder langsam fahrender Fahrzeuge links oder rechts überholt, sich unter Umständen auf Querverkehr aus freigelassenen und für ihn erkennbaren größeren Lücken einrichten. Er muss es insbesondere Verkehrsteilnehmern im Querverkehr ermöglichen, aus der freigehaltenen Lücke heraus bis zur Erlangung freier Sicht auf den vor der haltenden Kolonne nicht besetzten Straßenraum herauszufahren, indem er entweder mit ausreichendem Sicherheitsabstand an der Kolonne vorbeifährt oder aber eine so geringe Geschwindigkeit einhält, dass er notfalls vor einem aus der Lücke herausragenden Verkehrsteilnehmer anhalten kann (KG DAR 1976, 296 f.; Senat, Urteil vom 8. Juni 1998 - 12 U 1878/97; Urteil vom 22. März 2001 - 12 U 8148/99; Hentschel a. a. O. § 5 StVO Rdnr. 41; § 8 StVO Rdnr. 47 jeweils m. w. N.; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 6. Aufl., Rdnrn. 58 bis 61).

bb) Im vorliegenden Fall haben die Beklagten zwar die Voraussetzungen für einen sog. "Lückenfall" behauptet, sie haben jedoch den ihnen obliegenden Beweis hierfür nicht angetreten. Bereits in erster Instanz hatte der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Januar 1998 vorgetragen, der Beklagte zu 1. habe sich nicht vorsichtig in den äußerst linken Fahrstreifen des S Dammes Fahrtrichtung Westen hineingetastet, sondern er sei "in den S Damm hineingeprescht, um dann unmittelbar vor dem klägerischen Fahrzeug abrupt abzubremsen". Er hat den Vortrag der Beklagten, der Beklagte zu 1. habe zunächst im Einmündungsbereich des S Dammes angehalten, bestritten.

Darüber hinaus hat der Kläger auf S. 4 der Berufungsbegründung (Bd. II Bl. 14) geltend gemacht, zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 1. in den S Damm eingefahren sei, hätten sich die Fahrzeuge im ersten und zweiten Fahrstreifen des S Dammes wieder in Bewegung gesetzt, nachdem die Ampel vor der Kreuzung mit dem Wiesendamm für ihre Fahrtrichtung auf Grün umgeschaltet habe. Es wäre daher Sache der Beklagten gewesen, den Beweis dafür zu führen, dass der Beklagte sich vorsichtig in den bevorrechtigten S Damm hineingetastet hat und die im ersten und zweiten Fahrstreifen des S Dammes befindlichen Fahrzeuge auch zu diesem Zeitpunkt noch angehalten hatten, um dem Beklagten zu 1. ein Passieren zu ermöglichen. Diesen Beweis haben sie nicht angetreten.

Allein der Umstand, dass unstreitig vor dem Beklagten zu 1. ein anderes Kraftfahrzeug aus dem R Weg nach links in den S Damm eingebogen war, ist nicht geeignet, zu beweisen, dass auch zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 1. in den S Damm eingefahren war, die Fahrzeuge dort noch hielten, um ihm ein Passieren zu ermöglichen.

b) Soweit die Beklagten behaupten, der Kläger habe sich mit dem von ihm geführten Fahrzeug zunächst im mittleren Fahrstreifen des S Dammes befunden und sei dann unversehens in den äußerst linken Fahrstreifen hinübergewechselt, um den Einmündungsbereich mit dem R Weg zu passieren, als der Beklagte zu 1. bereits in den S Damm eingefahren war, kann dahinstehen, ob ein derartiges Verhalten geeignet wäre, eine Mithaftung des Klägers zu begründen. Denn die insoweit beweispflichtigen Beklagten haben für ihre Behauptung keinen Beweis angetreten.

c) Entgegen der Ansicht des Landgerichts lässt sich eine Mithaftung des Klägers zu 50 % auch nicht damit begründen, dass - unstreitig - kurze Zeit vor dem Beklagten zu 1. ein anderes Kraftfahrzeug aus dem R Weg kommend ebenfalls nach links in den S Damm eingebogen war.

Grundsätzlich darf der berechtigte darauf vertrauen, dass sein Vorfahrtsrecht beachtet wird. Er muss insbesondere nicht damit rechnen, dass ein für ihn nicht sichtbarer Wartepflichtiger in die Vorfahrtsstraße einfahren werde, ohne seine Vorfahrt zu beachten (allgemeine Meinung, Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 8 StVO Rdnr. 50 mit zahlenreichen weiteren Nachweisen). Sieht der Berechtigte etwa vor sich einen Lkw einbiegen, so muss er nicht damit rechnen, dass dieser nur Zugfahrzeug eines Abschleppzuges sei (OLG Hamm, VersR 1980, 685; Hentschel a. a. O. § 8 StVO Rdnr. 50). Wird ein Kraftfahrer, der beobachtet, wie sich ein Kind aus einer am Fahrbahnrand stehende größere Gruppe löst und ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs die Fahrbahn betritt, damit rechnen müssen, dass weitere Kinder dem ersten folgen werden. Gegenüber einem wartepflichtigen Kraftfahrer gilt dieser Grundsatz jedoch nicht. Hier darf der Vorfahrtsberechtigte grundsätzlich darauf vertrauen, dass jeder wartepflichtige Kraftfahrer eigenverantwortlich für sich selbst prüft, ob ein gefahrloses Einbiegen in die vorfahrtsberechtigte Straße möglich ist und nicht "blindlings" einem voranfahrenden Fahrzeug folgt.

B Hinsichtlich der Höhe der vom Kläger geltend gemachten Schäden gilt Folgendes:

1. Im Berufungsrechtszug ist unstreitig geworden, dass der Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt 18.000,00 DM betrug, so dass sich unter Berücksichtigung des Restwertes von 6.500,00 DM ein reiner Fahrzeugschaden von 11.500,00 DM ergibt. Der Kläger hat sich nunmehr ausdrücklich dem Gutachten des Sachverständigen angeschlossen. Die Beklagten haben in zweiter Instanz ihre Einwendungen gegen das Gutachten zwar mit der Berufung pauschal in Bezug genommen. Der Sachverständige hatte jedoch bereits in erster Instanz hierzu ergänzend Stellung genommen. Diese ergänzende Stellungnahme haben die Beklagten nicht mehr angegriffen.

2. Nutzungsausfallentschädigung

Nachdem der Kläger sein ursprüngliches Vorbringen, er sei in der Zeit vom 27. Mai 1997 bis zum 10. Juni 1997 infolge von bei dem Unfall erlittenen Verletzungen arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen, fallengelassen hat, bestehen keine Bedenken, ihm den geltend gemachten Nutzungsausfallschaden für die geschätzte Dauer der Wiederbeschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges von 14 Tagen dem Grunde nach zuzusprechen. Die für die Bewilligung der Nutzungsausfallentschädigung erforderliche Nutzungsmöglichkeit ist nunmehr außer Streit.

Der Höhe nach kann der Kläger Nutzungsausfallentschädigung jedoch nicht nach den allgemeinen Tagessätzen, sondern nur in Höhe der Vorhaltekosten beanspruchen, die nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten lediglich 100,00 DM täglich betragen.

Zwar hat allein das Alter eines Geschädigten Fahrzeugs (hier knapp neun Jahre) regelmäßig keinen Einfluss auf die Höhe der Entschädigung für Nutzungsausfall (KG VRS 70, 432; NZV 1993, 478, KG VersR 1981, 536 = DA 1981, 56 sowie Senat, Urteil vom 26. April 1993 - 12 U 2137/92; vom 14. Februar 2000 - 12 U 7859/98 -; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 12 StVG Rdnr. 44 m. w. N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn es sich um ein Fahrzeug handelt, dessen Nutzungswert mit demjenigen eines neueren Fahrzeugs des gleichen Typs schlechterdings nicht mehr vergleichbar ist, weil es mit zahlreichen erheblichen Mängeln behaftet ist (BGH NJW 1988, 484, 486). So liegt der Fall hier. Nach den - vom Kläger in zweiter Instanz nicht mehr beanstandeten - Feststellungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 28. Oktober 1998 wies das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mehrere zum Teil erhebliche Mängel auf. So waren das abnehmbare Hubdach und das Lenkrad bereits beschädigt, ohne dass sich diese Schäden auf den streitigen Unfall zurückführen ließen. Sie müssen also schon vorher bestanden haben. Gleiches gilt für die Beschädigung an der linken Flanke des linken Vorderreifens, die Schäden an der Motorhaube und an der Windschutzscheibe. Zudem ist unstreitig, dass das Fahrzeug des Klägers bereits im Jahr 1992 einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hatte.

3. Im Ergebnis zu Recht, wenn auch ohne ein Wort der Begründung, hat das Landgericht die vom Kläger geltend gemachten Gutachterkosten in Höhe von 1.596,78 DM nicht zugesprochen Wie die vor dem Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hat, war das Gutachten des Sachverständigen im Ergebnis zur Schadensregulierung ungeeignet, da es zahlreiche erhebliche Vorschäden nicht berücksichtigt hat und daher zu einem unzutreffenden Ergebnis hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes des klägerischen Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt gekommen ist. Zwar besteht ein Erstattungsanspruch wegen der Sachverständigenkosten grundsätzlich auch bei einem unrichtigen Gutachten, denn die Gutachterkosten gehören zum Herstellungsaufwand und der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Gläubigers, so dass ein etwaiges Verschulden des Sachverständigen dem Geschädigten nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 12 StVG Rdnr. 50; Kääb/Jandel, NZV 1992, 16, 17). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat, sei es, weil ihn ein Auswahlverschulden trifft, sei es, dass er ihm bekannte Vorschäden verschwiegen hat (Hentschel a. a. O.). Hier ist davon auszugehen, dass dem Kläger, der selbst geltend macht, Kfz-Meister zu sein und über die entsprechende Sachkunde zu verfügen, die ohne weiteres erkennbaren erheblichen Vorschäden bzw. Mängel seines Fahrzeugs bekannt waren. Wenn er diese dem Sachverständigen gleichwohl nicht mitgeteilt hat, muss er sich eine hieraus resultierende Unbrauchbarkeit des Gutachtens zur Schadensregulierung zurechnen lassen, so dass ein Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten nicht besteht.

4. Ummeldekosten und Nebenkostenpauschale sind unstreitig, zusammen 105,00 DM.

Damit ergibt sich folgende Schadensberechnung:

Fahrzeugschaden 11.500,00 DM Nutzungsausfallentschädigung (14 Tage x 100,00 DM) 1.400,00 DM Ummeldekosten pauschal 75,00 DM Nebenkostenpauschale 30,00 DM insgesamt 13.005,00 DM

Auf diesen Betrag hat die Beklagte zu 2 9.000,00 DM gezahlt, so dass ein Restbetrag in Höhe von 4.005,00 DM verbleibt, den der Kläger noch beanspruchen kann C Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 515 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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