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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 31.07.2001
Aktenzeichen: 18 U 92/00
Rechtsgebiete: ZGB DDR, EGBGB, BGB, ZGB, ZPO


Vorschriften:

ZGB DDR § 57 Abs. 2
ZGB DDR § 297 Abs. 1 Satz 2
EGBGB § 1
ZGB § 297
ZGB § 55 Abs. 2
ZGB § 53 Abs. 3
BGB § 242
ZPO § 91
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 18 U 92/00

Verkündet am: 31. Juli 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 18. Zivilsenat des Kammergerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Erich, der Richterin am Kammergericht Dr. Ehinger und des Richters am Kammergericht Dr. Weber auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. August 1997 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 9 O 643/96 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 125.000,00 DM abwenden, falls nicht die Beklagten zuvor eine Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des Urteils des Senats vom 21. Juli 1998 (18 U 7277/97) Bezug genommen. Nachdem der Bundesgerichtshof unter Aufhebung des vorgenannten Urteils die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen hat und die Parteien dieselben Anträge gestellt haben wie in der Verhandlung, die dem Urteil des Senats vom 21. Juli 1998 zugrunde liegen, ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Zeugen E S und P. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 17. November 2000 (III/74-82) und 17. Juli 2001 (111/114-118) verwiesen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst beigefügter Anlagen insbesondere auf die Vollmacht des Ministerrats der DDR, Ministerium der Finanzen und Preise, Stellvertreter des Ministers vom 10. Januar 1990, den notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 20. Februar 1990 zur Notariats-Registernummer 15/1990 des Notars Dr. und auf die vom Amtsgericht Schöneberg beigezogenen Nebenakten des früheren Notars P zur Notariats-Registernummer 15/1990 Bezug genommen.

Die Berufung ist begründet. Wegen der Rechtslage bezieht sich der Senat auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 1999 (V ZR 325/98) und auf das des Senats vom 21. Juli 1998, soweit die rechtliche Beurteilung von der des Bundesgerichtshofs nicht abweicht. Die Klage ist nicht begründet. Zwar ließ sich nicht feststellen, dass die Verkäuferin bei Abschluss des Vertrages vom 20. Februar 1990 ordnungsgemäß vertreten war. Die Berufung der Klägerin darauf verstößt indes gegen Treu und Glauben.

Nach den gemäß Artikel 232 § 1 EGBGB maßgebenden §§ 57 Abs. 2, 297 Abs. 1 Satz 2 ZGB DDR hätte der Vertreter der Versorgungseinrichtung des Ministerrats der DDR (VEM) J bei Abschluss des notariell beurkundeten Vertrages vom 20. Februar 1990 eine beglaubigte Vollmacht dieser Einrichtung vorlegen müssen. Die Stellung E als Leiter der Abteilung Recht und Grundstücksverkehr bei der VEM allein reichte nicht aus, um in Anwendung des § 53 Abs. 3 ZGB von dessen Vertretungsbefugnis zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrags auszugehen. Zwar begründen in diesem Zusammenhang Organisationserlasse die Befähigung der zuständigen Amtswalter, mit Wirkung gegen eine staatliche Institution die im Erlass beschriebenen Handlungen vorzunehmen (vgl. dazu im Einzelnen BGH ZOV 1999, 121). Nach § 55 Abs. 2 ZGB gelten Mitarbeiter von Betrieben - wozu auch die VEM im Sinne dieser Vorschrift gehört - als bevollmächtigt, solche Rechtshandlungen vorzunehmen, die zur Erfüllung des sich aus ihrer Tätigkeit ergebenden Aufgaben üblich sind. Unstreitig war E in seiner Leiterfunktion für den Grundstücksverkehr der VEM zuständig. In welcher Form er zur Vertretung befugt war, ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan der VEM. Nach Nr. 3.5 Abs. 2 dritter Spiegelstrich dieses Planes war Voraussetzung für die Vertretung der Einrichtung im Rechtsverkehr die Vollmacht des Direktors. Dies haben im Übrigen sowohl E als auch der Zeuge S, der damalige Direktor der VEM, als Zeugen bekundet und darauf hingewiesen, dass die in Nr. 3.5 Abs. 2 8. Spiegelstrich aufgeführte Berechtigung, auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen alle weiteren Rechtsgeschäfte in Grundstückssachen abzuschließen, keine ausreichende Ermächtigung für den Abschluss eines Grundstückskaufvertrags war. Dies wird des Weiteren dadurch bestätigt, dass der Zeuge S dem Zeugen E später, nämlich am 12. März 1990, eine privatschriftliche Generalvollmacht erteilte, die diesen ermächtigte, die in der Rechtsträgerschaft der VEM befindlichen volkseigenen Grundstücke bzw. Wohnhäuser zu veräußern.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass E bei Abschluss des Vertrages ordnungsgemäß bevollmächtigt war. Dazu reichte die Urkunde des Ministerrats der DDR, Ministerium der Finanzen und Preise, vom 10. Januar 1990, mit der der VEM die Vollmacht erteilt wurde, das betreffende Einfamilienhaus an die Beklagten zu verkaufen, nicht aus. Diese Ermächtigung besagt nichts darüber, wer in welcher Form als Vertreter der VEM den Vertrag abzuschließen befugt war. Dies richtet sich wiederum nach dem Geschäftsverteilungsplan der VEM entsprechend den vorstehenden Ausführungen.

Der Zeuge E hat bei seiner Vernehmung vor dem Senat am 17. November 2000 zwar erklärt, dass er bei der Beurkundung am 20. Februar 1990 bei dem Notar P eine vom Direktor der Versorgungseinrichtung zuvor ausgestellte Vollmacht besaß, die vom Direktor dem Zeugen S unterschrieben und mit einem Dienstsiegel versehen war und in der der Verkauf des Gebäudes an die Beklagten genannt war. Auch der Zeuge S hat bekundet, dass er dem Zeugen E eine von ihm unterschriebene und gesiegelte Vollmacht mit diesem Inhalt vor Abschluss des Vertrages übergeben habe. Im Hinblick auf die notarielle Urkunde des Zeugen V dessen Zeugenaussage vom 17. Juli 2001 und seine Nebenakten zu dem Beurkundungsvorgang sind diese Zeugenaussagen jedoch nicht geeignet, den Nachweis zu erbringen, dass bei Abschluss des Vertrages tatsächlich eine entsprechende Vollmacht vorlag.

In der notariellen Urkunde sind zwei Vollmachten erwähnt, nämlich die des Ministerrats der DDR vom 10. Januar 1990 sowie eine des Rates des Stadtbezirks Berlin-Pankow. Dagegen findet sich kein Hinweis auf eine. Vollmacht des Direktors der VEM. Der Zeuge V selbst hat zwar ausgeführt, dass der Zeuge E mehrere Schriftstücke zu seiner Legitimation übergeben habe. Er konnte sich jedoch an diese Schriftstücke nicht mehr im Einzelnen erinnern. Nach der Aussage des Zeugen E ist die von ihm zum Beurkundungstermin mitgebrachte Vollmacht der VEM beim Zeugen V verblieben. In der Nebenakte des Zeugen V befindet sich indes keine solche Vollmacht. Der Zeuge V hielt zwar den Zeugen E auf Grund einer "Funktionsvollmacht" und der Vollmacht des Ministerrats der DDR vom 10. Januar 1990 nach seiner Darstellung für ausreichend legitimiert zum Abschluss des Kaufvertrages. Er hat ferner ausgeführt, dass E zu Beurkundungsterminen trotz seiner Funktionsvollmacht regelmäßig zusätzliche Vollmachten für das jeweilige Einzelgeschäft mitgebracht habe. Ferner hat der Zeuge V erklärt, dass er zusätzliche Papiere, die er nicht für notwendig gehalten habe, zum Vorgang genommen habe. Daraus folgert, dass V eine Vollmacht des Direktors der VEM, die der Zeuge E nach seiner Aussage beim Notar belassen hat, zu dem entsprechenden Vorgang (Nebenakten) genommen hätte. Wie ausgeführt, befindet sich eine solche Vollmacht dort jedoch nicht. Der Zeuge hat ferner erläutert, dass die vom Amtsgericht Schöneberg beigezogenen Nebenakten in der Form, wie sie dem Senat in der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2001 vorlagen, von ihm geführt worden waren, nämlich lediglich mit einer Aktenklammer zusammengefügt ohne Aktendeckel. Der Zeuge hat in diesem Zusammenhang allerdings darauf hingewiesen, dass viele seiner Akten beschlagnahmt worden waren und mehrere Schriftstücke dabei abhanden gekommen seien. Für die fernliegende Möglichkeit, dass zu solchen abhanden gekommenen Schriftstücken eine Vollmacht der VEM zum Abschluss des Kaufvertrages mit den Beklagten gehören könnte, bestehen keine Anhaltspunkte. Da die Nebenakten geheftet sind, hätte eine Vollmacht nur gezielt entheftet und entnommen werden können. Dafür gibt es keine Anzeichen. Der Zeuge V hat dann zwar des Weiteren erläutert, dass er, wenn er zu einem Beurkundungsvorgang Notizen, zum Beispiel über besondere Schwierigkeiten, gemacht oder Visitenkarten entgegengenommen habe, diese Unterlagen jeweils in einem besonderen grünen Aktendeckel verwahrt habe. Auch wenn der Notar im Februar 1990 die "Funktionsvollmacht" und die Vollmacht des Ministerrats der DDR als ausreichende Legitimation für E zum Abschluss des Kaufvertrages für ausreichend hielt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er eine für überflüssig angesehene gesiegelte Vollmacht der zum Grundstücksverkauf ermächtigten Einrichtung der DDR nicht zu den Nebenakten genommen, sondern in dem vom Zeugen erwähnten grünen Aktendeckel verwahrt hätte. Dies gilt um so mehr, als der Zeuge der Beurkundung wegen der Stellung der Beklagten eine besondere Bedeutung zum Beispiel in der Weise beigemessen hat, dass er die Beurkundung nicht im üblichen Besprechungszimmer, sondern in seinem eigenen Sprechzimmer vorgenommen hat. Hinzu kommt, dass in der damaligen Umbruchsituation der Zeuge als Notar in besonderem Maße darauf bedacht sein musste, etwaigen Unsicherheiten bei der rechtlichen Beurteilung Rechnung zu tragen, so dass auch aus diesem Grunde nichts dafür spricht, ein amtliches Schriftstück, selbst wenn es für überflüssig gehalten worden ist, nicht in den Nebenakten abzuheften, und es in den notariellen Beurkundungstext nicht aufzunehmen.

Fehlt es folglich am Nachweis für eine ordnungsgemäße Vertretung der VEM bei Vertragsabschluss, so verstößt doch die Berufung darauf durch die Klägerin gegen Treu und Glauben. Auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit des DDR-Rechts nach Artikel 232 § 1 EGBGB ist § 242 BGB und sind die aus ihm abgeleiteten Rechtsinstitute auf Altverträge anzuwenden. Dem Grundsatz von Treu und Glauben ist reformatorischer Charakter und sofortige Wirksamkeit zuzuerkennen (Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. Art. 231 § 1 EGBGB RdNr. 10 m.w.N.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein an sich formnichtiger Grundstückskaufvertrag nur in besonderen Ausnahmefällen als wirksam zu behandeln, wenn die Nichtigkeit mit Treu und Glauben unvereinbar ist, wobei insbesondere zwei Fallgruppen anerkannt sind: die Fälle einer Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils (BGH NJW 1985, 1778 m.w.N). Im öffentlichen Recht sind diese Grundsätze entsprechend anwendbar, wenn die nach dem öffentlichen Recht für die ordnungsgemäße Vertretung erforderliche Form nicht eingehalten worden ist (BGH NJW 1973, 1494). Sind bei einem Rechtsgeschäft mit der öffentlichen. Hand deren zuständige Organe aufgetreten und haben sie dabei die erforderlichen Formvorschriften nicht eingehalten, so bleiben sie gleichwohl ausnahmsweise gebunden, wenn es bei Würdigung aller Umstände untragbar wäre, den Vertrag an einer Nichtbeachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten scheitern zu lassen (Palandt/Heinrichs a.a.O. § 125 RdNr. 5 a). So liegt es hier. Der Vertrag vom 20. Februar 1990 erfüllt sämtliche materiellen Voraussetzungen des § 297 ZGB. Nach den insoweit vom Senat nicht in Zweifel gezogenen Bekundungen der Zeugen E und S entsprach die vom Notar beurkundete Erklärung des Verkäufers, der VEM, auch dem Willen der verkaufsberechtigten Einrichtung. Dies wird zusätzlich durch die Vollmacht vom 10. Januar 1990 des übergeordneten Rechtsträgers, nämlich des Ministerrats der DDR, Ministerium der Finanzen und Preise, bekräftigt. Diese Vollmacht konnte zwar - wie vorstehend erläutert - die erforderliche gesiegelte Vollmacht des Direktors der VEM nicht ersetzen. Bei der Wertung, ob sich die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der DDR auf einen Mangel der Vertretungsmacht eines DDR-Organs berufen kann, muss aber die Einschätzung des beurkundenden Notars mit berücksichtigt werden. Unstreitig war der Ministerrat der DDR nach deren Rechtsverständnis gegenüber der VEM höherrangig. Aus der Sicht des Zeugen V hatte deshalb die Vollmacht des Ministerrats eine viel größere Bedeutung als die der VEM. Diese Einschätzung mag dadurch mitgeprägt gewesen sein, dass die Bestimmungen über die Vertretungsbefugnis für Amtswalter aufgrund von Rechtsvorschriften im Sinne des § 53 Abs. 3 ZGB kompliziert, unübersichtlich und in ihrem Regelungsgehalt nicht immer eindeutig waren (Göhring, NJ 1992, 411). Die ausgeübte Rechtspraxis stand deshalb nicht immer im Einklang mit den entsprechenden Vorschriften (vgl. Schnabel DtZ 1997, 343 (344)). Eine solche Rechtspraxis muß aber in die Bewertung, ob die Berufung auf eine nicht ordnungsgemäße Vertretung gegen Treu und Glauben verstößt, einfließen. Dies gilt um so mehr, als dem Zeugen V der Geschäftsverteilungsplan der VEM nach seiner Aussage nicht bekannt war. Vor allem bedarf aber ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger im Sinne des Rechtsverständnisses der Bundesrepublik Deutschlands nicht des Schutzes, zu dessen Zweck Gesetze bestimmten Rechtsgeschäften Formerfordernisse unterwerfen. Dieser Zweck besteht unter anderem darin, den Erklärenden wegen der Risiken solcher Geschäfte vor übereilten Bindungen zu schützen (Warnfunktion). Bei der Beteiligung staatlicher Organe spielt dies keine Rolle. Hinzu kommt, daß nach DDR-Recht Grundstückskaufverträge der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung bedurften, so dass gewissermaßen in einem zweiten Schritt die Rechtsverbindlichkeit eines solchen Vertrages nochmals überprüft wurde. Bei Würdigung all dieser Umstände kann sich die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der DDR auf einen möglichen Vertretungsmangel bei Abschluss des Vertrages vom 20. Februar 1990 nicht berufen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, § 546 Abs. 2, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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