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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.05.2009
Aktenzeichen: 2 AR 16/09
Rechtsgebiete: ZPO, RVG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
RVG § 23 Abs. 3 S. 2
1. Hat das Gericht zwar die Stellung eines Verweisungsantrages wegen sachlicher Unzuständigkeit angeregt, vollzieht diese Anregung jedoch eine Streitwertangabe des Antragstellers nach, welche sich außerhalb der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bewegt, und ist der Antragsteller anwaltlich vertreten, so ist der hieraus ergehende Verweisungsbeschluss nur dann nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend, wenn die Annahme der Zuständigkeit des Gerichts, an das verwiesen wurde, völlig unvertretbar ist ( Fortführung von Senat, Beschluss vom 15. September 2008, 2 AR 46/08).

2. Bei der sachlichen Zuständigkeitsbewertung eines Anspruches auf Unterlassung von Negativmitteilungen an die Schufa Holding AG und andere Wirtschaftsinformationsdienste ist es nicht völlig unvertretbar auch dann einen Betrag von über 5.000,-- € anzunehmen, wenn es dem Kläger lediglich um den Erhalt seiner "Ehre" als guter Schuldner geht und nicht um den Schutz irgendwelcher Vermögensnachteile. Die Annahme eines Wertes von 2.500,- € ist in aller Regel zu niedrig.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 16/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 25. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin streiten über die sachliche Zuständigkeit für einen Rechtsstreit, der zunächst beim Amtsgericht Mitte anhängig gemacht wurde. Während dort die klägerische Telefongesellschaft den Ausgleich offener Telefonrechnungen vom Beklagten begehrte, verlangt der widerklagende Beklagte Unterlassung von Negativmitteilungen an die Schufa Holding AG und andere Wirtschaftsinformationsdienste wegen der offenen Rechnungen. Der Beklagte gab den Wert der Widerklage mit 15.000 EUR an, woraufhin das Amtsgericht dem Beklagten mitteilte, dass die Streitwertgrenze des Amtsgericht überschritten sein dürfte; eine Begründung enthielten das Hinweisschreiben nicht. Der Beklagte beantragte sodann die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht, woraufhin sich das Amtsgericht durch wiederum nicht weiter begründeten Beschluss vom 6. März 2009 für sachlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Landgericht verwies. Die Klägerin stimmte der Verweisung zu. Mit Beschluss vom 28. April 2009 erklärte sich auch das Landgericht für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der Streitwert der Widerklage betrage lediglich 2.500 EUR, weil der Beklagte keinerlei konkrete ihm aus der Mitteilung an die Schufa Holding AG drohende Nachteile benannt habe und es daher lediglich um die Verhinderung des allgemeinen Makels als säumiger Schuldner gehe.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Mitte und sodann das Landgericht Berlin mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2.

Das Landgericht ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts sachlich zuständig.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel in den Entscheidungsgründen nicht erörtert und die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts mit gewisser Eindeutigkeit zu bejahen ist oder wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen erörtert, jedoch zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571; Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 20/08, KGR 2008, 749-751). Dabei ist ein begründungsloser Verweisungsbeschluss einem mit Begründung versehenen Verweisungsbeschluss gleichzusetzen, wenn jener auf Antrag beider Parteien ergangen ist und das verweisende Gericht die Antragstellung zuvor nicht angeregt hat (vgl. BGH, NJW 2003, 3201 [3202]; BGH, NJW 2002, 3634 [3636]; BGH, FamRZ 1988, 943 [943]). Ein solcher Beschluss kann daher allenfalls dann willkürlich sein, wenn die Annahme der Zuständigkeit des Gerichts, an das verweisen wurde, völlig unvertretbar ist (Senat, Beschluss vom 15. September 2008, 2 AR 46/08). Gleiches gilt, wenn das Gericht zwar die Antragstellung wegen sachlicher Unzuständigkeit angeregt hat, die Anregung aber eine Streitwertangabe des Antragstellers nachvollzieht, welche sich außerhalb der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bewegt, und der Antragsteller anwaltlich vertreten ist. Denn jedenfalls der anwaltlich vertretenen Partei ist bei der Angabe des Streitwertes bewusst, dass die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - durch die Höhe des Streitwertes bestimmt wird; zugleich ist ihr die Streitwertgrenze zwischen amts- und landgerichtlicher Zuständigkeit (5.000 EUR) bekannt. Daher gibt der Antragsteller in derartigen Fällen nicht lediglich dem gerichtlichen Druck nach, sondern strebt die Verweisung eigeninitiativ an.

b)

Demgemäß ist vorliegend Willkür nicht zu bejahen. Denn zum einen hat der Widerkläger den Streitwert der Widerklage schon in der Widerklageschrift mit einem Betrag (15.000 EUR) angegeben, der unzweifelhaft nicht mehr in die Zuständigkeit des Amtsgerichts fällt. Zum anderen ist es jedenfalls nicht völlig unvertretbar, den Streitwert der Widerklage auf zumindest 5.001 EUR festzusetzen und folglich die Streitwertgrenze als überschritten anzusehen. Dies belegt die Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 11. Mai 2005, NJW 2005, 2401, das in einer ähnlichen Fallkonstellation (Unterlassung von Negativmeldungen einer Telefongesellschaft an die Schufa zu Lasten des Telefonkunden sowie Widerruf bereits erfolgter, derartiger Meldungen) einen Streitwert von insgesamt immerhin 10.000 EUR festgesetzt hat. Ferner belegt dies die Entscheidung des AG Elmshorn vom 2. Juni 2005, NJW 2005, 2404, das in einer noch ähnlicheren Fallkonstellation (Unterlassen von Negativmeldungen einer Telefongesellschaft an die Schufa zu Lasten des Telefonkunden) einen Streitwert von 2.000 EUR für einen Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren festgesetzt hat; bei Zugrundelegung des in der Rechtsprechung zumeist angenommenen Verhältnisses des Wert eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zum Wert des diesbezüglichen Hauptsacheverfahrens von 1:3 (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 Rdnr. 16 "Einstweilige Verfügung") entsprächen den genannten 2.000 EUR ein Hauptsachestreitwert von 6.000 EUR.

III.

Vorsorglich weist der Senat daraufhin, dass das Landgericht bei der Festsetzung des Gebührenstreitwertes nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Streitwertüberlegung gebunden, die der amtsgerichtlichen Verweisungsentscheidung stillschweigend zu Grunde liegt. Daher könnte letztlich durchaus ein Streitwert von unter 5.000 EUR festzusetzen sein. Allerdings deutet § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG - wonach in Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte der (Anwaltsgebühren-Streitwert bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen mit 4.000 EUR zu bewerten ist - darauf hin, dass selbst dann, wenn es dem Widerkläger lediglich um den Erhalt seiner "Ehre" als guter Schuldner geht und nicht um den Schutz vor irgendwelchen Vermögensnachteilen, der vom Landgericht angesetzte Wert von 2.500 EUR zu niedrig liegen dürfte (vgl. auch Senat, Beschluss vom 2. April 2009 - 2 AR 8/09, wo in einer ähnlich gelagerten Angelegenheit die Wertfestsetzung des Landgerichts von unter 5.000 EUR nicht zu beanstanden war).

Ende der Entscheidung

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