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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 22.05.2008
Aktenzeichen: 2 AR 26/08
Rechtsgebiete: BGB, GVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1408
BGB § 1363 ff.
GVG § 23a Nr. 5
ZPO § 23a
1.) Eine Vermögensauseinandersetzung, die in Bezug auf einen einzelnen Vermögensgegenstand erfolgt und auf einer Vereinbarung beruht, welche den Güterstand der Parteien nicht gemäß § 1408 BGB verändert, stellt eine "güterrechtliche Streitigkeit" im Sinne von § 23a Nr. 5 GVG, §§ 1363 ff. BGB dar.

2.) Der Umstand, dass der Beklagte mit einem Anspruch aufrechnet, der, wenn er Gegenstand einer Klage wäre, dem Katalog des § 23a ZPO unterfiele, hat nicht zur Folge, dass der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Familiengerichte gerät.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 26/08

In Sachen

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 22. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg (Familienabteilung) streiten über die sachliche Zuständigkeit für einen Rechtsstreit, in welchem der Kläger die Beklagte auf hälftige Auskehr - in Höhe von 6.400 EUR - des Verkaufserlöses für einen gemeinsamen Pkw gemäß einer zuvor geschlossenen Vereinbarung in Anspruch nimmt. Die Beklagte ist die getrennt lebende Ehefrau des Klägers; gegen die unstreitige Klageforderung rechnet sie mit Unterhaltsansprüchen ihrer Kinder auf. Das Landgericht, bei dem die Klage eingereicht wurde, wies den Kläger zunächst telefonisch, später schriftlich, dass "nach der ... Aufrechnung mit Ansprüchen, die im Familienrecht wurzeln, die Zuständigkeit des Familiengerichts gegeben sein dürfte"; eine Begründung des Hinweises findet sich in der Gerichtsakte nicht. Der Kläger beantragte auf den zunächst erfolgten mündlichen Hinweis "hilfsweise" die Verweisung an das Amtsgericht, für den Fall dass das Landgericht dessen Zuständigkeit für gegeben erachten sollte; nach dem schriftlichen Hinweis beantragte er die Verweisung sodann unbedingt. Auch die Beklagte wünschte - nach einigem Schwanken - die Verweisung an das Amtsgericht. Das Landgericht erklärte sich darauf mit nicht begründetem Beschluss vom 14. April 2008 für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht. Das Amtsgericht erklärte sich mit Beschluss vom 4. Mai 2008 ebenfalls für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Zur Begründung führte es an, die Aufrechnung sei wegen fehlender Identität der Parteien unzulässig und der landgerichtliche Beschluss mangels Begründung nicht bindend; ob allein die Aufrechnung mit einem familienrechtlichen Anspruch den Rechtsstreiten zu einer Familiensache werden lasse, könne dahinstehen.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 621a Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich Land- und Amtsgericht mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für sachlich unzuständig erklärt haben.

2.

Das Landgericht ist gemäß §§ 71 Abs. 1, 23 f. GVG sachlich zuständig. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Klageforderung übersteigt die Streitwertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG und stellt keine Angelegenheit dar, für die das Amtsgericht gemäß §§ 23 Nr. 2, 23a GVG streitwertunabhängig zu ständig wäre. Insbesondere unterfällt die Klageforderung nicht dem Katalog der in § 23a GVG genannten familienrechtlichen Ansprüche (etwa Ehesache - Nr. 4; oder güterrechtlicher Anspruch - Nr. 5). Denn zwischen den Parteien ist kein Scheidungsverfahren o.ä. anhängig, das den Rechtsstreit zur "Ehesache" im Sinne von § 23a Nr. 4 GVG, § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO werden ließe. Ebensowenig stellt eine Vermögensauseinandersetzung, die - wie vorliegend - in Bezug auf einen einzelnen Vermögensgegenstand erfolgt und auf einer Vereinbarung beruht, welche den Güterstand der Parteien nicht gemäß § 1408 BGB verändert, eine "güterrechtliche Streitigkeit" im Sinne von § 23a Nr. 5 GVG, §§ 1363 ff. BGB dar (BGH, NJW 1978, 1923; Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 621 Rdnr. 62). Der bloße Umstand, dass die Parteien Eheleute sind, führt im Übrigen nicht zur Annahme einer Familiensache (Philippi in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 621 Rdnr. 1).

Auch hat der Umstand, dass die Beklagte mit einem Anspruch aufrechnet, der, wenn er Gegenstand einer Klage wäre, dem Katalog des § 23a ZPO unterfiele, nicht zur Folge, dass der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Familiengerichte gerät. Dies ist in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem anerkannt (vgl. BGH, NJW-RR 1989, 173 [174]; BayObLG, NJW-RR 1986, 6 [7]; OLG Stuttgart, FamRZ 1979, 717 [718]; Bernreuther in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 621 Rdnr. 10). Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Für die Auffassung spricht zum einen der klare Wortlaut der Regelung in §§ 71 Abs. 1, 23 f. ZPO. Zum anderen spricht für sie die Überlegung, dass dann, wenn man eine Aufrechnung mit "verfahrensfremden" Gegenansprüchen zulässt, notwendigerweise entweder das Gericht, welches für die Klageforderung zuständig ist, oder das Gericht, welches für die Gegenansprüche - bei ihrer klageweisen Durchsetzung - zuständig wäre, auch für das ihm "fremde" Recht zuständig ist; einen ungeschriebenen, gleichsam natürlichen Zuständigkeitsvorrang der Familiengerichte vor den Gerichten der streitigen Zivilgerichtsbarkeit - wie ihn das Landgericht anzunehmen scheint - ist dem Verfahrensrecht jedoch unbekannt. Dahinstehen kann daher die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung und der sich aus der (etwaigen) Unzulässigkeit ergebenden zuständigkeitsrechtlichen Folgen.

3.

Das Landgericht hat seine örtliche Zuständigkeit nicht nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen hat.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm in den Gründen des Verweisungsbeschlusses nicht erörtert und diese Norm eindeutig seine Zuständigkeit begründet (ständige Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 17. September 2007, 2 AR 37/07, Beschluss vom 5. Januar 2006, 2 AR 62/05; ähnlich: KG, 28. Zivilsenat, KGR 2000, 68 [69] "Weicht das [Gericht] ... von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, ... muss es dies wenigstens ... begründet haben"; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 "Bindungswirkung kann ... fehlen, wenn [der] Beschluss ... nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit einer einhellig gegenteiligen Rechtsansicht auseinander gesetzt hat").

Ist nach diesen Regeln Willkür anzunehmen, gilt sie u.a. dann als geheilt, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgte (BGH, NJW 2003, 3201 [3202]). Ein Einvernehmen der Parteien ist allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn der Kläger einen Verweisungsantrag stellt und der Beklagte der Verweisung zustimmt. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals von dem verweisenden Gericht aufgeworfen wurde und daher die Annahme fernliegt, dass die Haltung der Parteien durch das Gericht veranlasst wurde (Senatsbeschluss vom 17. September 2007, 2 AR 37/07; ebenso für die Heilung von Willkür wegen Abweichens von einer eindeutigen gesetzlichen Regelung: BGH, NJW 2002, 3634 [3636]; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, 646 [646]).

b)

Die genannten Voraussetzungen für die Annahme von Willkür sind vorliegend gegeben.

Wie aus den Ausführung unter Ziff. 2 ersichtlich ist, begründen §§ 71 Abs. 1, 23 f. GVG eindeutig die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin. Das Landgericht hat diese Vorschriften und insbesondere die hierzu ergangene, einhellige Rechtsprechung ersichtlich nicht in Betracht gezogen.

Eine abweichende Beurteilung ist durch den Umstand, dass der Kläger die Verweisung beantragt und die Beklagte der Verweisung letztlich zugestimmt hat, nicht gerechtfertigt. Denn die Frage der örtlichen Zuständigkeit wurde erstmals vom Landgericht aufgeworfen. Das Verweisungsverlangen der Parteien beruhte daher nicht auf ihrer autarken, einvernehmlichen Entscheidung, sondern wurde offenbar von dem Landgericht veranlasst.

4.

Der Senat hatte die Sache nicht nach § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Entscheidung vorzulegen, obwohl das OLG Karlsruhe - leicht abweichend von der o.g. Ansicht des Senats - meint, es sei unerheblich, ob das verweisende Gericht die maßgeblich Zuständigkeitsnorm in Betracht gezogen habe, weil für die Frage der Bindungswirkung allein entscheidend sei, ob die Verweisung im Ergebnis vertretbar erscheine (OLGR 2005, 139 [140]). Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist nämlich, dass die Rechtsfrage, in der das vorlegende Oberlandesgericht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen will, aus Sicht des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist (BGH, NJW 2003, 3201 [3201]). Eine Entscheidungserheblichkeit der o.g. Rechtsfrage ist vorliegend zu verneinen. Denn nach dem oben Dargelegten (Ziff. 2) wäre auch bei Zugrundelegung der Auffassung des OLG Karlsruhe Willkür zu bejahen.

Ende der Entscheidung

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