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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 2 W 158/07
Rechtsgebiete: ZPO, RPflG


Vorschriften:

ZPO § 93
ZPO § 103 Abs. 1
ZPO § 104 Abs. 3
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 567 Abs. 2
ZPO § 569
ZPO § 572 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 574 Abs. 2
RPflG § 11 Abs. 1
1. a) Auch im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Ausgangsgerichtes durch einen Beschluss zu erfolgen; eine bloße Verfügung ist unzureichend.

b) Erfolgt die Nichtabhilfe und Vorlage durch bloße Verfügung kann das Beschwerdegericht die Sache zur ordnungsgemäßen Bescheidung an das Ausgangsgericht zurückverweisen; es kann allerdings auch über die Beschwerde sogleich entscheiden.

2. Die anwaltliche Geschäftsgebühr, die der spätere Prozessbevollmächtigte des Kostengläubigers wegen seines vorprozessualen, anspruchszurückweisenden Schreibens verlangen kann, ist nicht Teil der Kosten des Rechtsstreits, die im Kostenfestsetzungsverfahren Berücksichtigung finden können (entgegen OLG Hamburg, OLGR 2006, 691 [692]).


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 W 158/07

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 20. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammgericht Dr. Hawickhorst, den Richter am Landgericht Franz und den Richter am Kammergericht Dr. Glaßer beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 17. April 2007 - Geschz.: 27 O 1332/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 335,90 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Nach Veröffentlichungen der Beschwerdeführerin über die Beschwerdegegnerin forderte diese die Beschwerdeführerin unter Fristsetzung auf, bestimmte Äußerungen über sie künftig zu unterlassen. Die Beschwerdeführerin gab darauf durch Anwaltsschreiben vom 11. Dezember 2006 (Bl. 25 f. d.A.) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hinsichtlich eines Teiles der beanstandeten Äußerungen ab und bestritt im Übrigen den Unterlassungsanspruch der Beschwerdegegnerin. Diese beantragte unter dem 18. Dezember 2007 beim Landgericht, es der Beschwerdeführerin durch einstweilige Verfügung zu verbieten, die übrigen Behauptungen weiter zu verbreiten. Schließlich wurde die Beschwerdegegnerin in erster Instanz zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beschwerdeführerin die Festsetzung der vorprozessual angefallenen Geschäftsgebühr in Höhe von 0,65 Gebühren - 315,90 EUR - sowie des diesbezüglichen Teils der Pauschale für Telekommunikationsdienstleistungsentgelte - 20 EUR - beantragt (Bl. 68 f. d.A., Bl. 18 f. d.AH). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass das Anwaltsschreiben vom 11. Dezember 2006 der Abwehr eines konkreten gerichtlichen Verfahrens diente, weshalb die Geschäftsgebühr, die durch dieses anwaltliche Tätigwerden ausgelöst wurde, gemäß der Entscheidung des OLG Hamburg vom 7. Juni 2006 (OLGR 2006, 691) als Kosten des Rechtsstreits festsetzungsfähig sei. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. April 2007, der Beschwerdeführerin zugestellt am 3. Mai 2007, lehnte das Landgericht die Festsetzung dieser Positionen ab (Bl. 78 f. d.A., Bl. 20 f. d.AH). Gegen die Nichtfestsetzung der beantragten Kostenpositionen richtet sich die bei Gericht am 8. Mai 2007 eingegangene sofortige Beschwerde (Bl. 119 ff. d.A.). Das Landgericht hat ihr mit Verfügung vom 30. August 2007 nicht abgeholfen und sie dem Kammgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 131 d.A.).

II.

1.

Das Beschwerdegericht ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde befugt.

Zwar ist die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Landgerichts gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO insofern verfahrensfehlerhaft als diese Entscheidung durch schlichte Verfügung getroffen wurde. Dass die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung durch Beschluss zu ergehen hat, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Stuttgart MDR 2003 110 [111]; OLG Koblenz Rpfleger 1978, 104 [105], zur Nichtabhilfe und Vorlage nach § 11 RPflG a.F.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Hartmann in Baubach/Lauterbach, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 8; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 571 a.F. Rdnr. 4 und 6). Dieser Auffassung hat sich der Senat in einer Reihe kürzlich ergangener Entscheidungen angeschlossen (zuletzt KG, Beschl. vom 6. September 2007 - 2 W 147/07). Für die Auffassung spricht vor allem, dass bei sofortigen Beschwerden gegen Entscheidungen von Kollegialspruchkörpern der gesamte Spruchkörper - durch Beschluss - über die Nichtabhilfe und Vorlage entscheiden soll, nicht aber etwa nur sein Vorsitzender durch Verfügung. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Nichtabhilfeverfahren je nach Zusammensetzung der Einheit des Ausgangsgerichts, die für die angefochtene Entscheidung zuständig ist - sei es als Kollegium, sei es als eine mit einem einzelnen Richter bzw. Rechtspfleger besetzte Einheit -, unterschiedlich ausgestaltet ist. Im Übrigen ist es in aller Regel angemessen und für den weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens zweckmäßig, wenn das Ausgangsgericht den Parteien Kenntnis von seiner Nichtabhilfe, d.h. insbesondere von den der Nichtabhilfe zu Grunde liegenden Erwägungen, und von der Vorlage der sofortigen Beschwerde an das Beschwerdegericht gibt. Eine solche Kenntnisgabe ist im Falle des Erlasses eines Beschlusses, anders als bei einer schlichten Verfügung, eine natürliche verfahrensrechtliche Folge.

Der Mangel des Vorlageverfahrens führt jedoch nicht zu einer Unwirksamkeit der Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung. Die durch bloße Verfügung bewirkte Nichtabhilfe und Vorlage hat daher einen Devolutiveffekt und lässt das Beschwerdeverfahren beim Beschwerdegericht anhängig werden. Das Beschwerdegericht ist folglich auch bei mangelhaftem Abhilfeverfahren zur Entscheidung über die Beschwerde befugt (ebenso: OLG Stuttgart, a.a.O.; KG, a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 14). Von seiner gleichwohl bestehenden Befugnis, die Sache an das Ausgangsgericht zur ordnungsgemäßen Bescheidung zurückzuverweisen (ebenso: OLG Stuttgart, a.a.O.; KG, a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.), macht der Senat vorliegend keinen Gebrauch.

2.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig. Über sie entscheidet ausnahmsweise der Senat in seiner vollständigen Besetzung, da der an sich zuständige Einzelrichter die Sache mit Beschluss vom 18. September 2007 auf den Senat in dieser Besetzung übertragen hat.

3.

Das Landgericht hat die Geschäftsgebühr und den diesbezüglichen Teil der Pauschale für Telekommunikationsdienstleistungsentgelte zu Recht unberücksichtigt gelassen.

Denn im Kostenfestsetzungsverfahren können nach § 103 Abs. 1 ZPO nur "Prozesskosten" geltend gemacht werden. Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass hierzu nicht allein die durch Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern auch vorprozessual angefallene Kosten gehören, wenn sie der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Prozesses dienen (BGH, BGH-Report 2006, 270 [271]; OLG Hamburg, OLGR 2006, 691 [692]; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 91 Rdnr. 13 "Vorbereitungskosten"; Hartmann in Baubach/Lauterbach, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 91 Rdnr. 270; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 91 Rdnr. 39). Jedoch kann hierzu jedenfalls nicht die anwaltliche Geschäftsgebühr gezählt werden, die der spätere Prozessbevollmächtigte des Kostengläubigers wegen seines vorprozessualen, anspruchszurückweisenden Schreibens verlangen kann (ebenso KG, 1. Zivilsenat, Beschl. vom 11. August 2005, 1 W 359/05, unveröffentlicht). Hierfür spricht dreierlei:

Zum einen ist die vorprozessuale Anspruchszurückweisung, die über die bloße Nichtleistung der inanspruchgenommenen Partei hinausgeht, für die Prozessaussichten dieser Partei unerheblich. Die Anspruchszurückweisung "dient" daher nicht der Vorbereitung des Prozesses der inanspruchgenommenen Partei, sondern allein der vorprozessualen Erledigung der Angelegenheit. So wird die Nichtversendung eines vorprozessualen, anspruchszurückweisenden Schreibens im späteren Prozess nicht etwa als Anerkenntnis oder als Indiz dafür gewertet oder als Grundlage für die Präklusion bestimmten Vortrages der inanspruchgenommenen Partei herangezogen. Auch kostenrechtlich knüpfen sich keine Nachteile an das vorprozessuale Schweigen dieser Partei; eine "umgekehrt analoge" Anwendung von § 93 ZPO zugunsten des Klägers bzw. Antragstellers wird in der Rechtsprechung und von der herrschenden Meinung in der Literatur verneint (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 93 Rdnr. 2 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund vermag der Senat die vom OLG Hamburg (OLGR 2006, 691 [692]) vertretene - allerdings nicht näher erläuterte - Auffassung nicht nachzuvollziehen, die "zur [vorprozessualen] Abwehr ... aufgewandten Kosten [könnten] konkret der Abwehr des gerichtlichen Verfahrens dienen".

Zum anderen würde die Festsetzbarkeit der Geschäftsgebühr, die wegen eines anspruchszurückweisendes Anwaltsschreiben entstanden ist, in kaum erklärbarem Widerspruch zu der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH betreffend die Festsetzbarkeit der Geschäftsgebühr wegen eines anspruchsbehauptenden Schreibens stehen. Der BGH hat entschieden, dass die Geschäftsgebühr, die für ein vorprozessuales Mahnschreiben (BGH-Report 2006, 1070 [1071]) oder ein vorprozessuales Abmahnschreiben in einer Wettbewerbssache (BGH-Report 2006, 270 [271]) entstanden ist, keine Prozesskosten im Sinne von § 103 Abs. 1 ZPO darstellt. Zur Begründung führt der BGH an, dass die Mahnung bzw. Abmahnung zwar insofern Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten der anspruchstellenden Partei in ihrem künftigen Prozess hätte, als hierdurch z.T. materiell-rechtliche Folgen - im Hinblick auf den Schuldnerverzug und die daraus erwachsenden Ansprüche - sowie kostenrechtliche Folgen - im Hinblick auf § 93 ZPO - ausgelöst werden. Jedoch sei diesen Rechtsfolgen keine "den Prozess unmittelbar vorbereitende Funktion" zuzuerkennen (BGH, BGH-Report 2006, 1070 [1071]; BGH, BGH-Report 2006, 270 [271]). Denn "Zulässigkeit und Begründetheit der Klage hängen nicht von einer vorangegangenen Abmahnung [bzw. Mahnung] ab" (BGH, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist für das vorprozessuale Anwaltsschreiben der inanspruchgenommenen Partei zunächst festzustellen, dass dieses noch viel weniger, nämlich gar nicht (s.o.) für die Prozessaussichten dieser Partei von Bedeutung ist. Die kostenfestsetzungsrechtliche Besserstellung der inanspruchgenommenen Partei im Vergleich zur anspruchstellenden Partei wäre daher nicht nur nicht gerechtfertigt, sondern kontraindiziert.

Schließlich ist das Kostenfestsetzungsverfahren ungeeignet, im Einzelfall die Höhe der Geschäftsgebühr zu bestimmen und das Vorliegen der (etwaigen) Voraussetzungen für die Festsetzbarkeit dieser Gebühr abschließend zu prüfen. Denn das Kostenfestsetzungsverfahren ist mit seinem begrenzten prozessualen Instrumentarium auf eine rasche, vereinfachte, anhand der Prozessakte vorzunehmende gebührenrechtliche Überprüfung der Tätigkeit des Rechtsanwaltes zugeschnitten (BGH, NJW-RR 2005, 1731 [1732]). Da die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG als bloße Rahmengebühr ausgestaltet ist, muss im Einzelfall festgestellt werden, wie umfangreich und schwierig die vorprozessuale Tätigkeit des Anwaltes war. Dies ist in aller Regel den gerichtlichen Akten nicht zu entnehmen und erfordert im Konfliktfall einen Umfang an Glaubhaftmachung (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und ggf. Gehörsgewährung (Art. 104 GG), der das schlanke Kostenfestsetzungsverfahren sprengen würde. Ferner müsste geklärt werden, inwieweit das außergerichtliche Tätigwerden des Rechtsanwaltes für die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung seines Mandanten - mittelbar - dienlich war und ob dieser Grad an Dienlichkeit für die Festsetzbarkeit im Sinne des § 103 Abs. 1 ZPO ausreicht. Auch hierfür ist das Kostenfestsetzungsverfahren ungeeignet (BGH, NJW-RR 2005, 1731 [1732]).

4.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zugelassen. Denn die Frage der Festsetzbarkeit vorprozessualer Anwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren ist für das Kostenerstattungswesen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO); von ihr sind nahezu alle Anwaltsprozesse und - für die Verhältnisse des Kostenfestsetzungsverfahrens - in aller Regel keine geringen Beträge betroffen. Vor dem Hintergrund der o.g. Entscheidung des OLG Hamburgs erfordert zudem die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichtes (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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