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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.10.2008
Aktenzeichen: 2 W 182/08
Rechtsgebiete: ZPO, RVG, RVG VV


Vorschriften:

ZPO § 91
ZPO §§ 103 ff.
RVG § 2 Abs. 2 S. 1 Anl. 1 Teil 3
RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
Eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anteilig anzurechnen, wenn sie denselben Gegenstand betrifft. Dabei ist es grundsätzlich gleichgültig, welcher Art dieses Verfahren ist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 W 182/08

20.10.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Kammergericht Steinecke am 20. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 28. Juli 2008 - 27 O 592/08 - abgeändert:

Die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 5. Juni 2008 - 27 O 592/08 - von der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu erstattenden Kosten werden auf 349,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Juni 2008 festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Gegenstandswert wird auf 433,75 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller nahm die Antragsgegnerin auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch. Das Landgericht Berlin gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 5. Juni 2008 statt und auferlegte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens.

Auf das Gesuch des Antragstellers hat das Landgericht Berlin die zu erstattenden Kosten mit dem angefochtenen Beschluss auf 783,33 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie geltend macht, dass die vorprozessual entstandene 1,5-fache Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist als sofortige Beschwerde zulässig. In der Sache hat es auch Erfolg, denn die von dem Antragsteller geltend gemachte Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG war anteilig um die Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 VV RVG zu kürzen.

Entgegen der im Beschwerdeverfahren geäußerten Auffassung des Antragstellers ist die sofortige Beschwerde nicht deshalb unzulässig, weil das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Zwar kann die gebotene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren vom Gegner als Einwand geltend gemacht werden. In der Sache ist es aber so, dass beim Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Anrechnung die Verfahrensgebühr bereits in ihrer Entstehung um den in Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG (im Folgenden: Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG) beschriebenen Teil der vorprozessual verdienten Gebühr gekürzt ist (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - Rn. 8 des juris-Ausdruckes, NJW 2008, 1323). Der ggf. auch erst im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Anrechnungseinwand zielt damit nur darauf ab, dass die vom Antragsteller des Kostenfestsetzungsverfahrens angemeldeten Gebühren in der Höhe festgesetzt werden, in der sie tatsächlich entstanden sind. Hierauf hat der Festsetzungsgegner unabhängig davon einen Anspruch, ob dem Antragsteller unter Umständen ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erstattung der gesamten Geschäftsgebühr zusteht. Damit steht dem Festsetzungsgegner aber auch das für die Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite.

Die Geschäftsgebühr war auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen. Die Frage, wie die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in der Praxis im Einzelnen zu handhaben ist, war in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (NJW 2008, 1323) zu den Streitfragen umfassend Stellung genommen. Danach ist die Vorschrift Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nummer 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Dieses folgt unmittelbar aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Anrechnungsvorschrift. Dabei ist es gleichgültig, ob die vom Prozessgegner ggf. auf materiellrechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist. Insbesondere ist die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten und anzuwenden.

Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen und nimmt für die weitere Begründung dieser Rechtsauffassung auf den zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofes Bezug. Inzwischen haben sich dieser Rechtsauffassung der 3. Zivilsenat (Beschluss vom 30.4.2008 - III ZB 8/08 - MDR 2008, 886), der 6. Zivilsenat (Beschluss vom 3.6.2008 - VI ZB 55/07 -) und der 4. Zivilsenat (Beschluss vom 16.7.2008 - IV ZB 24/07) des Bundesgerichtshofes angeschlossen. Der 8. Zivilsenat hat seine Auffassung in einem weiteren Beschluss (3.6.2008 - VIII ZB 3/08 -) bekräftigt. Maßgebend ist dabei, dass § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, auf den allein abzustellen ist, für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nummer 3100 VV RVG anknüpft, sodass diese Bestimmung auch unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der unmissverständlichen Formulierungen des Gesetzes vermochte sich der Senat auch nicht der abweichenden Auffassung des 1. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 31.3.2008 - 1 W 111/08 - AGS 2008, 216) anzuschließen. In Anbetracht der insoweit eindeutigen Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes erscheint es auch nicht mehr erforderlich, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in derartigen Fällen die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Die mit Schreiben vom 30. Mai 2008 durch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erfolgte Abmahnung der Antragsgegnerin hat nach dem Vortrag der Antragsgegnerin eine Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG ausgelöst. Diese ist wegen desselben Gegenstandes im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG entstanden. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen den Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit ein innerer und äußerer Zusammenhang besteht (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Auflage, VV 2300, 2301, Rn. 40). Folgt auf die Abmahnung ein Verfügungsverfahren, so stellt dieses bei ungezwungener und natürlicher Betrachtungsweise denselben Gegenstand im Sinne dieser Vorschrift dar (OLG München, WRP 1982, 542, zu § 118 Abs. 2 BRAGO). Zwar hat die Abmahnung zum einen die Funktion, eine Streitbeilegung in der Hauptsache ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu erreichen. Sie soll aber zugleich die Möglichkeit ausschließen, dass der Gegner ohne vorherige Abmahnung die Möglichkeit hat, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge aus § 93 ZPO anzuerkennen (BGH, Beschluss vom 6.12.2007 - I ZB 16/07- NJW 2008, 2040). Insoweit bereitet die Abmahnung zumindest auch ein mögliches einstweiliges Verfügungsverfahren vor. Es ist grundsätzlich gleichgültig, welcher Art das gerichtliche Verfahren ist, das sich der Abmahnung anschließt (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Auflage, VV 2300, 2301, Rn. 41). Die durch das Abmahnschreiben ausgelöste Gebühr ist daher auf das nachfolgende Verfahren (Verfügungsverfahren oder Hauptverfahren) anzurechnen. Nach dem Grundgedanken der Anrechnungsvorschrift ist dafür entscheidend, dass die vom Rechtsanwalt geleistete Vorarbeit im anschließenden Gerichtsverfahren verwertet wird (BGH, Beschluss vom 22.01.2008 - VIII ZB 57/07 - Rn. 11 des juris-Ausdruckes, NJW 2008, 1323). Dies trifft auch auf das Verfügungsverfahren zu (OLG Hamburg, WRP 1981, 470, 472, zu § 118 Abs. 2 BRAGO; OLG Frankfurt, RVGreport, 2008, 314).

Zwar hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts (Urteil vom 13.6.2006 - 9 U 251/05 - AfP 2006, 369) die Auffassung vertreten, dass das Abmahnschreiben und ein späteres Abschlussschreiben eine einheitliche Angelegenheit darstellen, für die der Rechtsanwalt nur eine Geschäftsgebühr geltend machen kann, die auf die Gebühren des Hauptsacheverfahrens zu verrechnen seien. Dies hat das Landgericht Hamburg, das in einem vergleichbaren Fall zwei verschiedene Angelegenheiten angenommen und die Abmahnung dem einstweiligen Verfügungsverfahren zugeordnet hat (Urteil vom 18.5.2007 - 324 S 6/06 - dokumentiert bei juris), veranlasst, die Revision zuzulassen. In seiner Revisionsentscheidung hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 4. März 2008 - VI ZR 176/07 - NJW 2008, 1744) das Landgericht Hamburg in seiner Auffassung bestätigt und ausgeführt, dass nach allgemeiner Auffassung das Abschlussschreiben zum Hauptsacheverfahren gehört und sich im Verhältnis zum Eilverfahren, dem die Abmahnung zuzuordnen ist, als eigenständige Angelegenheit darstellt. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keine Veranlassung, wegen der hier erfolgten Zuordnung der Abmahnung zum einstweiligen Verfügungsverfahren die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Soweit der Antragsteller die Auffassung vertreten hat, dass sich das Kostenfestsetzungsverfahren nicht dazu eigne, derart komplexe Fragen, wie die Anrechnung der Geschäftsgebühr, zu bewältigen, hat auch hierzu der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (NJW 2008, 1323) Stellung genommen und ausgeführt, dass ein anrechnungserhebliches vorprozessuales Tätigwerden in der Regel durch die entsprechenden und häufig schon bei den Gerichtsakten befindlichen Schriftwechsel dokumentiert sei und dass die Bemessung der Höhe einer Geschäftsgebühr durch die in Nummer 2300 VV RVG vorgesehene Regelgebühr sowie durch die in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehene Anrechnungskappung zumeist ebenfalls keinen übermäßigen Feststellungs- und Wertungsaufwand erfordere. Auch sei das Kostenfestsetzungsverfahren durchaus geeignet, auch streitigen Sachvortrag zu bearbeiten und zu klären. Dem schließt sich der Senat an und weist ergänzend daraufhin, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr auch nicht unzulässig in ein dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers des Festsetzungsverfahrens unter Umständen gemäß § 14 RVG zustehendes Ermessen eingreift, denn an sich ist es seine Sache bei der Anmeldung der Gebühren diese zutreffend zu berechnen und dabei eine mögliche Anrechnung einer Geschäftsgebühr zu berücksichtigen. Es hindert ihn daher niemand daran, sein Ermessen auszuüben. Aber selbst dann, wenn die Anrechnung erst auf den Einwand des Gegners in Betracht zu ziehen ist, steht es dem betroffenen Anwalt frei, sein Ermessen noch ausüben.

Unter Anwendung der dargelegten Grundsätze war die Geschäftsgebühr mit einem Satz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Die Antragsgegnerin hat mit der Beschwerdeschrift vortragen lassen, dass die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers außergerichtlich bereits eine 1,5-Gebühr abgerechnet haben. Dem ist der Antragsteller in der Sache nicht entgegengetreten, sondern hat lediglich vortragen lassen, dass die Antragsgegnerin weder substantiiert vorgetragen, noch glaubhaft gemacht habe, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr angefallen und von ihr zu erstatten sei. Die hier anzurechnende Geschäftsgebühr ist aber zunächst im Verhältnis zwischen dem Antragsteller und seinem Verfahrensbevollmächtigten entstanden, so dass es auch Sache des Antragstellers war, sich hierzu im Einzelnen zu erklären (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO). Vor diesem Hintergrund vermag der Senat in dem Vortrag des Antragstellers kein wirksames Bestreiten des Vortrags der Antragsgegnerin über Entstehen und Höhe der Gebühr zu sehen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es als realistisch erscheint, dass für das als Anlage ASt 2 in Fotokopie vorgelegte Schreiben eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,5 angefallen ist, was in Pressesachen dem Üblichen entspricht. Demnach war von dem bereits festgesetzten Betrag in Höhe von 783,33 € die Hälfte der Geschäftsgebühr in Höhe von 433,75 € (0,75 x 486,00 € = 364,50 zuzüglich 19% Mehrwertsteuer von 69,25 €) abzusetzen, so dass sich der neue Festsetzungsbetrag mit 349,58 € ergab.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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