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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.03.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 183/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 68 f Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
Zur Führungsaufsicht von Gesetzes wegen nach § 68 f Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann es nur kommen, wenn eine Einzelstrafe 2 Jahre erreicht.
Geschäftsnummer: 2 Ws 183/07

1 AR 321/07

In der Strafsache gegen

wegen Betruges u.a.

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Würzburg gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 19. Februar 2007 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und die im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer verbüßte bis zum 14. Februar 2007 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, zu der ihn das Landgericht Würzburg am 21. Dezember 2000 unter anderem wegen Betruges und wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und von Jugendlichen verurteilt hatte. Die Einsatzstrafe betrug ein Jahr vier Monate Freiheitsstrafe (nicht: neun Monate, wie die Strafvollstreckungskammer meint) wegen Betruges, die höchste Einzelstrafe für ein in § 181b StGB aufgeführtes Vergehen acht Monate Freiheitsstrafe.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 19. Februar 2007 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, daß mit der Entlassung des Verurteilten aus der Haft keine Führungsaufsicht eintritt.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die - von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin nicht vertretene - sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Würzburg (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 300 StPO), mit der sie die Auffassung vertritt, die Führungsaufsicht nach § 68f StGB setze nicht die Verurteilung zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren bzw. von einem Jahr wegen einer in § 181b StGB aufgeführten Straftat voraus, sondern es genüge die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Dabei beruft sie sich darauf, daß das für ihren Bezirk zuständige Oberlandesgericht Bamberg seine diesbezügliche Rechtsprechung kürzlich in der Weise geändert habe, daß die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ausreiche (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2007, 94 in Aufgabe von OLG Bamberg NStZ-RR 2000, 81). Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen des § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB für den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer hat in keinem Fall eine Einzelfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer Vorsatztat oder eine solche von mindestens einem Jahr wegen einer in § 181b StGB genannten Straftat verbüßt.

Zu einer erneuten Erörterung der seit dem Beschluß des Senats vom 17. Juni 1998 - 5 Ws 292/98 - (= NStZ-RR 1999, 138 LS) ständigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt NStZ 2006, 580; NStZ-RR 2005, 42 und Beschluß vom 16. Februar 2005 - 5 Ws 50/05 -), wonach die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren nicht ausreicht, bietet der Fall keinen Anlaß. Sie entspricht der immer noch überwiegenden Ansicht der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Dresden, Beschluß vom 13. Dezember 1999 - 2 Ws 641/99 - JURIS; OLG Köln NStZ-RR 1997, 4; OLG Hamm NStZ-RR 1996, 31; OLG Düsseldorf - 4. Strafsenat - OLGSt StGB § 68f Nr. 13; OLG Stuttgart NStZ 1992, 101; OLG Karlsruhe NStZ 1981, 182; Senat NStZ 2006, 580; NStZ-RR 2005, 42; Beschlüsse vom 16. Februar 2005 - 5 Ws 50/05 - und 17. Juni 1998 - 5 Ws 292/98 - = NStZ-RR 1999, 138 Ls; KG JR 1979, 421; a. A. OLG Bamberg NStZ-RR 2007, 94 in Aufgabe von OLG Bamberg NStZ-RR 2000, 81; OLG Düsseldorf - 3. Strafsenat - JR 2004, 163; OLG Düsseldorf - 2. Strafsenat - OLGSt StGB § 68f Nr. 12; OLG München NStZ-RR 2002, 183; OLG Nürnberg NStZ-RR 1998, 124; OLG Hamburg NStZ-RR 1996, 262; jew. mit weit. Nachw.) und der Kommentarliteratur (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 68 f Rdn. 3 - unter Aufgabe der bis zur 53. Aufl. vertretenen Gegenansicht; Hanack in LK, StGB 11. Aufl., § 68f Rdn. 14; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 68f Rdn. 4; Frehsee/Ostendorf in NK-StGB, § 68f I.2.a; - jew. mit weit. Nachw.; unentschieden Horn in SK-StGB, Stand Mai 1999, § 68f Rdn. 5; kritisch Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl., § 68f Rdn. 1).

Die Argumente für und wider beide Lösungsansätze sind ausgetauscht. Horn (in SK-StGB aaO) bezeichnet mit Recht beide als plausibel. Auch der Senat anerkennt das vom OLG Bamberg (NStZ-RR 2007, 94) - nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls des Rechtsinstituts der fortgesetzten Handlung - als stark bezeichnete Bedürfnis, die Tätergruppe, der auch der Verurteilte angehört, nach Vollverbüßung zu betreuen und zu überwachen. Für den Senat ist aber entscheidend, daß die automatische Begründung der Führungsaufsicht als - sogar strafbewehrter (§ 145a StGB) - Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage bedarf, aus der sich die Voraussetzungen klar und für den Bürger eindeutig erkennbar ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1, 43; BVerfG NJW 2006, 976, 980; zu den Weisungen nach § 68b Abs. 2 StGB explizit: BVerfG MedR 2006, 586 = GesR 2007, 41). Das ist gegenwärtig - wie der Meinungsstreit ausweist - nicht der Fall.

Der Umstand, daß - nach zwischenzeitlichen auf ihre Abschaffung gerichteten Bestrebungen (vgl. die Nachweise bei Hanack in LK, StGB 11. Aufl., vor § 68 Rdn. 27) - der Gesetzgeber die Führungsaufsicht wieder in verstärktem Maße als kriminalpolitisches Mittel tauglich erachtet und einsetzen will und zu diesem Zweck auch die verfahrensgegenständliche Streitfrage eindeutig dahin zu regeln gedenkt, daß auch Gesamtstrafen in dem Mindestmaß von zwei Jahren (bzw. einem Jahr für in § 181b StGB genannte Straftaten) ausreichen, rechtfertigt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Änderung der Rechtsprechung. Eher spricht das vom Gesetzgeber erkannte Bedürfnis, die Vorschrift im Sinne der Beschwerdeführerin zu ändern dafür, daß sie gegenwärtig den begehrten Rechtszustand nicht als für eine belastende Maßnahme klar genug ausweist.

Auch aus dem Stand des Vorhabens, das die 1. Lesung im Bundestag durchlaufen hat, folgt nichts anderes. Denn Gesetz geworden ist die Regelung noch nicht. Allein darauf kommt es an.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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