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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: 20 U 91/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
1. Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann nur unter den Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen werden; es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ein solcher von der Partei nachvollziehbar dargetan wird.

2. Eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht nur auf krasse Ausnahmefälle beschränkt. Im Arzthaftungsprozess wird in der Regel das Erfordernis einer umfangreichen oder aufwändigen Beweisaufnahme im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzunehmen sein.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 20 U 91/05

verkündet am: 18. September 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2006 durch seine Richter Budde, Balschun und C. Kuhnke für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11. Mai 2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin - 6 O 193/04 - aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld von mindestens 20.000 €, Schadenersatz von 151,33 € (Medikamentenzuzahlung) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden. Er wirft der Beklagten vor, deren Ärzte hätten anlässlich seines Aufenthaltes im Krankenhaus der Beklagten in der Zeit vom 28. März bis zum 26. April 2003 die gebotene Thromboseprophylaxe unterlassen, weshalb er eine tiefe Beinvenenthrombose links erlitten habe.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat durch am 11. Mai 2005 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit seiner rechtzeitigen Berufung macht der Kläger geltend, das Landgericht habe auf seine Anträge den Sachverständigen zur Anhörung laden und ein weiteres (Ober-) Gutachten einholen müssen. Ferner führt er u.a. zu dem Gutachten aus, dass nicht nur ein mittleres, sondern ein hohes Thromboserisiko bestanden habe und es auch asymptomatische Thrombosen gebe, weshalb der Zeitpunkt des Eintritts einer Thrombose erst am 12./13. Mai nicht sicher sei. Die Nichtdurchführung der Prophylaxe sei grob fehlerhaft.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 2005 - Az. 6 O 193/04

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehenden materiellen und immateriellen Schäden, die auf die Fehlbehandlung durch die Beklagte zurückzuführen sind, zu ersetzen.

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 151,33 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

hilfsweise,

Aufhebung und Zurückverweisung.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint sinngemäß, ihre Ärzte hätten durch den Verzicht auf jegliche Thromboseprophylaxe bei dem gegebenen mittleren Thromboserisiko nicht gegen gesicherte medizinische Erkenntnis verstoßen und daher nicht behandlungsfehlerhaft gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist mit der Maßgabe begründet, dass auf Antrag des Klägers gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen war, weil das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet (1.) und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche (oder aufwändige) Beweisaufnahme notwendig ist (2. und 3.).

1. Das Landgericht hat - was regelmäßig einen wesentlichen Verfahrensmangel begründet - gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen, indem es dem Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen nicht stattgegeben hat. Eine Begründung hierfür lässt sich bereits dem Urteil nicht entnehmen, vielmehr wird der Antrag dort nicht gewürdigt. An seinem Antrag hatte der Kläger trotz der Ausführungen des Landgerichts mit Verfügung vom 5. Januar 2005 jedoch ausdrücklich festgehalten (Schriftsätze vom 20. Januar und 4. März 2005). Die in der - insoweit nicht maßgeblichen (die Begründung hat im Urteil stattzufinden) - Verfügung geäußerte Annahme, die Einwendungen seien nicht entscheidungserheblich, war zudem unzutreffend, denn es waren gerade die entscheidungserheblichen Einzelheiten von den Einwendungen betroffen, sodass die Einwendungen nicht vorab - wie dort geschehen - zu würdigen waren. Insbesondere hatte der Kläger sinngemäß darauf hingewiesen, dass zum Unterlassen der risikofreien physikalischen Prophylaxe der Gutachter sich nicht geäußert hätte. Abgesehen davon, darf ein Anhörungsantrag auch dann nicht zurückgewiesen werden, wenn das Gericht meint, die schriftliche Begutachtung sei ausreichend und überzeugend und deshalb selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht. Das Recht der Partei, den Sachverständigen mündlich zu befragen, besteht grundsätzlich uneingeschränkt. Die Grenze des Antragsrechts der Partei sind anerkanntermaßen Prozessverschleppung und Rechtsmissbrauch (vgl. u.a. BGH mit Beschluss vom 10. Mai 2005 -VI ZR 245/05 - MDR 2005, 1308; BGH - VI. Zivilsenat - NJW-RR 2003, 208 [209]; vgl. ferner BGH NJW 1997, 802 [803, II.1.b)]; NJW 1986, 2886 [2887, II.3.b)]). Es genügt, wenn die Partei allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht, und es ist nicht erforderlich, die Fragen schon konkret zu formulieren (BGH NJW-RR 2003, 208 [209, II.1.] unter Bezug auf BGHZ 24, 9 [14f.] = NJW 1957, 870). Dies hat der Bundesgerichtshof nun nochmals ausdrücklich klargestellt (Urteil vom 8. November 2005 - VI ZR 121/05): Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von der Partei nachvollziehbar dargetan worden ist (vgl. nun auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., E 18 f.). Lediglich begründungslose Anhörungsanträge bei fehlendem objektivem Klärungsbedarf stellen danach im Hinblick auf die Begründungspflicht der Partei (§ 411 Abs. 4 ZPO) und eine angemessene Vorbereitungsmöglichkeit der anderen Verfahrensbeteiligten Rechtsmissbrauch dar.

2. Zur Sache wird Folgendes zu beachten sein:

a) Bei dem Kläger lag nach Ansicht der Gutachterin des MDK sowie des Gerichtsgutachters zumindest in der ersten Woche aufgrund seiner Erkrankung (entzündliche Darmerkrankung und Dehydrierung) und der damit einhergehenden (weitgehenden) Immobilität ein dispositionelles Risiko vor, weshalb er hier in die mittlere Risikogruppe einzuordnen war (MDK-Gutachten vom 8. Januar 2004, S. 9 f.; MDK-Gutachten vom 22. Juli 2004, S. 3 zu 2. und 3.; Gutachten Prof. Hnnnn, S. 7, S. 11 f.; MDK-Gutachten vom 25. Februar 2005, S. 4); insoweit ist das Bemühen des Klägers um Einordnung in eine hohe Risikogruppe nicht nachvollziehbar.

b) Es ist bislang nicht nachvollziehbar, weshalb eine physikalische Thromboseprophylaxe unterlassen werden durfte.

aa) Nach der maßgeblichen Leitlinie "Stationäre und ambulante Thromboembolie-Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin" (AMWF-Leitlinien-Register Nr. 003/001), die erst im April 2003 veröffentlicht wurde, aber den Stand der Medizin wiedergibt, ist dabei zwar hinsichtlich der Maßnahmen im Einzelfall abzuwägen, die Leitlinie gibt aber unter "Umfang der Thromboembolieprophylaxe" eine eindeutige Indikation vor. Aus der Formulierung "empfehlen" (so in der bis 4/2003 noch gültigen Leitlinie Nr. 037/003) auf Unverbindlichkeit zu schließen, dürfte zudem unzutreffend sein, jedenfalls ist eine konkrete Abwägung im Einzelfall zu treffen und auch vom Gutachter eine entsprechende Prüfung und Einordnung zu erwarten. Die Leitlinien sehen schließlich nicht ein freies Belieben der Ärzte vor. Bei niedrigem Risiko genügen Basismaßnahmen (insbesondere Frühmobilisation) sowie weitere physikalische Maßnahmen (Kompressionsstrümpfe, intermittierende pneumatische Kompression: Leitlinie bis 4/2003: Die Wirksamkeit ist bei Patienten mit einem mittleren Thromboserisiko vergleichbar mit jener einer medikamentösen Prophylaxe.), ab einem mittleren Risiko ist daneben auch eine medikamentöse Prophylaxe indiziert.

bb) Der Gutachter hat zwar überzeugend ausgeführt, dass vorliegend wegen der Blutungsgefahr im Darm eine solche medikamentöse Therapie kontraindiziert war (Gutachten Prof. Hnnnn, S. 8 oben, S. 12). Jedenfalls war das Unterlassen insoweit ärztlich vertretbar gewesen und daher im Ergebnis nicht fehlerhaft. Die MDK-Gutachterin hatte sich hier nicht festgelegt und hat auch in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2005, S. 4, wieder ein Festlegung vermieden, jedoch dort zugestanden, dass eine medikamentöse Prophylaxe bei einer hochakuten (Pan-)Colitis ulcerosa wegen der Blutungsgefahr sehr problematisch sein könne.

cc) Da aufgrund des sicherlich schlechten Allgemeinzustandes auch der Gutachter Prof. Hnnnn davon ausgeht, dass der Kläger anfangs immobil war (Gutachten S. 11 unten), stellt sich aber die Frage, weshalb hier auch noch auf die nicht belastenden physikalischen Maßnahmen (Kompressionsstrümpfe, Kompression) verzichtet werden durfte (vgl. auch MDK-Gutachten vom 25. Februar 2005, S. 7). Das erläutert der Gutachter nirgends und er führt doch selbst aus, dass dies risikofrei gewesen wäre (Gutachten S. 8), sodass schon keine Erwägungen dagegen sprachen. Dass die Maßnahmen als Prophylaxe ungeeignet wären, wenn man von einer medikamentösen Prophylaxe absieht, ist kaum anzunehmen und würde der damals gültigen Leitlinie widersprechen (s.o. Klammerzusatz und auch der heute gültigen). Die MDK-Gutachterin führt dementsprechend aus, dass das Risiko deutlich niedriger gewesen wäre (MDK-Gutachten vom 25. Februar 2005, S. 5), was aufgrund der Leitlinie überzeugt. Der Gerichtsgutachter vermischt hier die Frage des Behandlungsfehlers mit der Kausalität. Ein ärztliches Handeln kann auch dann fehlerhaft sein, wenn es sich nicht auswirkt (und deshalb keine Haftung begründet). Zweifel an der Kausalität besagen nichts zu der Frage, ob das Handeln falsch war; immerhin sollte die hier unterlassene Prophylaxe gerade vor dem eingetretenen Schaden schützen und irgendwelche Erwägungen der Ärzte der Beklagten zur physikalischen Prophylaxe sind bislang nicht erkennbar (auch Prof. Hnnnn hat keinerlei Abwägung oder Befunderhebung gefunden, Gutachten S. 12; vgl. auch MDK-Gutachten vom 25. Februar 2005, S. 5, 1. Abs.), sodass sich bei risikofrei möglicher physikalischer Thromboseprophylaxe mangels Abwägung durch die behandelnden Ärzte die Annahme eines groben Behandlungsfehlers aufdrängt.

c) Zwar entspricht es auch den Erfahrungen des Senats, dass eine sichere Vermeidung nicht beweisbar sein wird, sodass es zur Feststellung der Ursächlichkeit auf die Frage der Beweislast ankommen wird, die sich bei - hier nahe liegender - Annahme eines groben Behandlungsfehlers zu Ungunsten der Beklagten verschieben würde. Insoweit ist die Ausführung von Prof. Hnnnn, es bestünde kein Zusammenhang, womit der Gegenbeweis geführt wäre, angesichts des Sinn und Zwecks der Prophylaxe und des zeitlichen Zusammenhangs nicht ohne Weiteres überzeugend und wäre schon mit Rücksicht auf die abweichende Ansicht der MDK-Gutachterin zu klären gewesen. Der Senat versteht Prof. Hnnnn dahin, dass er aus dem Auftreten von Schmerzen in "klassischer" Weise und der "plötzlichen" Schwellung schlussfolgert, dass hier keine länger bestehende blande Form vorhanden gewesen sein kann (Gutachten vom 3. November 2004, S. 8 f.), weshalb die tiefe Beinvenenthrombose, deren Symptome erstmals am 12. Mai 2003 bemerkt wurden, durch eine Prophylaxe im Krankenhaus nicht zu vermeiden gewesen wäre. Ob mit dem vom Sachverständigen genannten "Manifestationszeitpunkt" das Entstehen bzw. der Beginn der Thrombose bezeichnet ist, bleibt jedoch unklar. Die MDK-Gutachterin hat hierauf zwar die Schwellung als Spätzeichen (MDK-Gutachten vom 22. Juli 2004, S. 4) nicht mehr erläutert, aber ausgeführt, dass bei nur teilweisem Verschluss nicht aller Venen die klinischen Symptome fehlen können und diese erst beim kompletten Verschluss der Venen eindeutig hervortreten würden (Gutachten vom 25. Februar 2005, S. 5 f., S. 6 unten), was der Äußerung des Gerichtssachverständigen zum Entstehenszeitpunkt entgegen stehen würde und daher zu klären wäre. Mangels hinreichender Sachkunde vermag das Gericht ohne nähere Erläuterung nicht zu entscheiden, welche Aussage zutrifft. Die Manifestation mit dem Entstehen gleichzusetzen, erscheint jedoch auf den ersten Blick nicht plausibel.

3. In der Neufassung der ZPO hat der Gesetzgeber neben dem Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels den Antrag einer Partei sowie das Erfordernis einer umfangreichen oder aufwändigen Beweisaufnahme als Voraussetzung einer Zurückverweisung geregelt, während dies im Rahmen des § 539 ZPO a.F. bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden war. Der gegenüber § 538 Abs. 1 ZPO gesetzestechnisch als Ausnahmetatbestand gestaltete § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist schon dem Wortlaut nach nicht nur auf krasse Ausnahmefälle beschränkt, weil dies die Hinzufügung weiterer Eigenschaften (besonders, sehr oder ähnliches) erfordern würde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber dieser Vorschrift in der praktischen Umsetzung letztlich den Anwendungsbereich entziehen wollte. Vielmehr hat er sich hinsichtlich des Anwendungsbereichs darauf beschränkt, festzustellen, dass die einfache Vernehmung eines Zeugen im Inland keine umfangreiche Beweisaufnahme darstellt, während die Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen oder Sachverständigen als Beispiel für eine umfangreiche Beweisaufnahme genannt ist (BT-Ds. 14/4722 S. 102 f.). Konkrete Vorgaben zur Zahl der Beweismittel oder der beweisbedürftigen Tatsachen sind dort also erkennbar unterblieben, was es nicht rechtfertigt, die Tatbestandsvoraussetzungen so eng zu interpretieren, dass nur noch wenige Ausnahmefälle innerhalb der Fälle, in denen ein wesentlicher Mangel des Verfahrens in erster Instanz vorliegt, erfasst wären. Dabei würde übersehen, dass die Vorschrift - was der Gesetzgeber mangels inhaltlicher Änderung in diesem Zusammenhang nicht begründet hat - dem Interesse der Parteien an der Erhaltung einer (ihnen zu Unrecht genommenen) Überprüfungsmöglichkeit in einer zweiten Tatsacheninstanz dient, weshalb auch konsequenterweise ein Antrag einer Partei nunmehr zwingende Voraussetzung ist, was wiederum das (den Parteien dienende) Prozessbeschleunigungsinteresse des § 538 Abs. 1 ZPO relativiert. Bei der Betrachtung des Umfanges oder Aufwandes der erforderlichen Beweisaufnahme ist daher auch darauf abzustellen, ob es den Parteien zumutbar ist, auf eine (tatsächliche) Nachprüfungsinstanz zu verzichten. Das (mögliche) Kosteninteresse steht dabei mit Rücksicht auf den Antrag der Parteien eher im Hintergrund. Deshalb kommt es - soweit nicht der Umfang im Einzelfall bereits erheblich ist - jedenfalls auch entscheidend einerseits auf die Anzahl der Beweismittel und andererseits die Zahl der beweisbedürftigen Tatsachen an, um zu beurteilen, ob es einer Partei zuzumuten ist, angesichts des Aufwandes bzw. des Umfanges der erforderlichen Beweisaufnahme auf eine Instanz zu verzichten. Beim Unterlassen einer Sachverständigenanhörung im Arzthaftungsprozess werden diese Voraussetzungen regelmäßig anzunehmen sein, weil sich die Anhörung im Zweifel auf den vollen Umfang der Beweisfragen erstreckt und prognostisch die weitere Entwicklung sich anschließender Beweiserhebungen einzubeziehen ist. Jedenfalls ist vorliegend auch im Einzelfall die Beweisaufnahme aufwändig, weil zunächst die Anhörung des Sachverständigen nachzuholen sein wird. Es dürfte sich dabei zur Beschleunigung empfehlen, ergänzend die Anhörung der MDK-Gutachterin als Sachverständige anzuordnen und die Diskrepanzen gemeinsam mit den Sachverständigen zu klären. Sollte sich dabei eine ausreichende Klärung bzw. Übereinstimmung der Gutachter nicht ergeben, wird ein Obergutachten in Betracht zu ziehen sein.

4. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO. Mangels vollstreckungsfähigen Inhaltes war eine Sicherheitsleistung nicht festzusetzen.

5. Der Wert des Streitgegenstandes in zweiter Instanz entspricht dem erstinstanzlich festgesetzten Streitwert (21.135,33 €).

Ende der Entscheidung

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