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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.09.2009
Aktenzeichen: 23 U 8/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 524 Abs. 4
ZPO § 97 Abs. 1
Bei einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO trägt der Berufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung, weil die Anschlussberufung durch die Zurückweisung der Berufung nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verloren hat, ohne dass über ihre Zulässigkeit oder Begründetheit entschieden worden wäre.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 23 U 8/09

21.09.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 23. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Domke und die Richter am Kammergericht Wagner und Dr. Sdorra beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin vom 29.01.2009 gegen das am 08.12.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 90 0 12/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf insgesamt 40.176,72 € festgesetzt.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin war gemäß § 522 Absatz 2 Satz 1 ZPO aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom 17.8.2009 als unbegründet zurückzuweisen. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 09.9.2009 haben dem Senat nach nochmaliger eingehender Überprüfung keine Veranlassung zur Änderung seiner Auffassung gegeben.

Soweit die Klägerin an den von ihr konkret für ihre Tankstelle elektronisch ermittelten Stammkundendaten zur Berechnung ihres Ausgleichsanspruches nach § 89 b HGB festhält, hält der Senat im vorliegenden Fall aus den im Hinweisbeschluss genannten Gründen auch weiterhin die vom Bundesgerichtshof gebilligten statistischen Daten der MAFO-Studie zur Ermittlung des Stammkundenanteils für vorzugswürdig. Die von der Klägerin vorgetragenen Zahlen bieten keine hinreichende Aussagekraft, da sie deutlich unter 50 % der Kunden und des Treibstoffumsatzes liegen. Selbst dann, wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass der Bundesgerichtshof (Urteil vom 10.7.2002 - VIII ZR 58/00) einen Mindestanteil von 50 % Kartentankern für nicht notwendig hält, sieht sich der Senat dadurch nicht zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung gezwungen, zumal die von der Klägerin konkret ermittelten Zahlen für eine Beurteilung nicht ausreichen. Eine Übertragbarkeit des anhand der Kartenkundenumsätze ermittelten Stammkundenanteils auf die Barzahlerumsätze kommt hier - worauf der Senat bereits mit Beschluss vom 17.8.2009 hingewiesen hat - bereits deshalb nicht in Betracht, weil barzahlende Kunden unstreitig an der vor-mals von der Klägerin betriebenen Tankstelle durchschnittlich 18,13 Liter Treibstoff je Tankvorgang abnahmen, im selben Zeitraum aber Kartentanker mit 37,25 Litern mehr als die doppelte Menge tankten. Unter diesen Umständen sind die statistischen Angaben der MAFO-Studie zur Er-mittlung der Anspruchshöhe nach § 287 ZPO vorzuziehen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Frage, ob die konkret ermittelten elektronischen Kundendaten auch dann für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs heranzuziehen sind, wenn sie weniger als 50 % vom Tankgeschäft ausmachen, nicht von grundsätzlicher Bedeutung i. S. d. § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache immer dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (BGH NJW 2002, 3029, BGH NJW 2002, 2957 jeweils m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Vielmehr handelt es sich bei der hier vorzunehmenden Ermittlung der Anspruchshöhe um eine Beweisfrage über die tatsächliche Höhe des Ausgleichsanspruchs. Im Hinblick auf die sich dabei ergebenden tatsächlichen Schwierigkeiten, in dem anonymen Massengeschäft einer Tankstelle den Stammkundenumsatzanteil konkret zu ermitteln, hat der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2002, VIII ZR 58/00, zitiert nach juris Rn. 16 m. w. N.) in diesem Bereich eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zugelassen. Damit ist die allein erhebliche Rechtsfrage, ob die für die Ermittlung der Höhe des Anspruchs maßgebliche "Tatsache" zur vollen Überzeugung des Richters bewiesen werden müssen oder auch geschätzt werden können, bereits höchstrichterlich geklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 524 Abs. 4 ZPO. Die Klägerin hat auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen, weil die Anschlussberufung durch die Zurückweisung der Berufung ihre Wirkung verloren hat, ohne dass über ihre Zulässigkeit oder Begründetheit entschieden worden wäre.

Bei einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist die Frage, wer die durch eine -wie hier - zulässige Anschlussberufung, die nach § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos geworden ist, entstandenen Kosten zu tragen hat, in der Zivilprozessordnung nicht geregelt. Während nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. NJW-RR 2005, 727 f.; NJW-RR 2006, 1147 f.; NJW-RR 2007, 786 f.) der Berufungsführer, der auf einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO die Berufung zurücknimmt, gemäß § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen hat, ist die Frage umstritten, wer die Kosten einer (zulässigen) Anschlussberufung nach Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO tragen muss.

Die wohl vorherrschende Auffassung geht im Rahmen einer entsprechenden Anwendung der §§ 91, 92 Abs. 1, 96 ZPO von einer anteiligen Kostentragungspflicht des Anschlussberufungsführers aus (vgl. KG, Beschluss vom 21.8.2006, 20 U 10/05, AnwBl. 2007, 386 = KGR Berlin 2007, 568 KG, Beschluss vom 17.4.2008, 12 U 86/07, KGR Berlin 2008, 718; OLG Celle MDR 2005, 1017 f. und NJW 2003, 2755; OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 80; OLG Koblenz, OLGR Koblenz 2005, 419; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2005, 507 f.; OLG München, OLGR München 2004, 456; OLG Dresden MDR 2004, 1386; OLG Brandenburg, OLGR Brandenburg 2004, 308 f.; OLG Düsseldorf MDR 2003, 288; jüngst auch OLG Schleswig MDR 2009, 532, ferner Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 524 Rn. 27; Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl. 2008, § 524 Rdnr. 31 a; MK/ Rimmelsbacher, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 524 Rn. 62; Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2004, § 524 Rn. 53; wohl auch Zöller/Heßler, a.a.O., § 524 Rn. 44; Pape, NJW 2003, 1150, 1152; Fölsch, NJW 2006, 3521, 3523 f). Diese Ansicht stützt sich auf die Entscheidung des Großen Senates für Zivilsachen des Bundesgerichtshofes vom 11.3.1981, GSZ 1/80, BGHZ 80, 146, nach der hinsichtlich der ähnlichen Konstellation der unselbständigen Anschlussrevision nach § 554 b ZPO a. F. die Kosten der Anschließung nicht dem Revisionskläger, sondern dem Anschließenden auferlegt werden, wenn die Revision nicht angenommen wurde. Der Gedanke, dass der Anschließende von vornherein wisse, dass sein Anschlussrechtsmittel von der Begründetheitsprüfung des Hauptrechtmittels abhänge, könne auch bei der Anschlussberufung greifen (Zöller/Heßler a.a.O. § 524 Rn. 44). Anders wäre der Fall nur zu beurteilen, wenn es im Belieben des Berufungsführers stehen würde, die Anschlussberufung in die Wirkungslosigkeit zu führen, z. B. indem er die Berufung zurücknehme (vgl. BGH, Beschluss vom 07.02.2006, XI ZB 9/05, zitiert in juris). Wenn es demgegenüber zu einer gerichtlichen Sachentscheidung komme, entspreche es dem kostenrechtlichen Grundprinzip, dass der Unterliegende die Kosten eines erfolglos gebliebenen Angriffsmittels, zu dem auch die unselbständige Anschlussberufung zähle, zu tragen habe (vgl. KG, Beschluss vom 21.8.2006, 20 U 10/05, AnwBl. 2007, 386 = KGR Berlin 2008, 718 f.).

Die Gegenansicht (vgl. KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KG OLG Report 2009, 673; OLG Hamm, Beschluss vom 27.3.2008, 28 U 116/07, AnwBl. 2008, 796; OLG Bremen, OLGR Bremen 2008, 719 f; OLG Frankfurt, OLGR 2006, 1095 f; OLG Dresden BauR 2006, 1791 f.; OLG Thüringen OLG-NL 2005, 42- 44; OLG Hamburg MDR 2003, 1251; OLG Celle MDR 2004, 592; OLG Köln, OLGR Köln 2004, 397 f; Hülk/Timme, MDR 2004, 14 f.; Ludwig MDR 2003, 670 f) nimmt eine Kostentragungspflicht des Berufungsführers nach § 97 Abs. 1 ZPO auch für die durch die wirkungslos gewordene Anschlussberufung entstandenen Kosten an. Einer quotenmäßigen Aufteilung nach den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO stehe entgegen, dass die Anschlussberufung kein eigenes Rechtsmittel sei, sondern nur ein Angriff innerhalb des vom Berufungskläger eingelegten Rechtsmittels, und daher § 97 Abs. 1 ZPO, wonach die Kosten eines erfolglos eingelegten Rechtsmittels von demjenigen zu tragen seien, der es eingelegt habe, hier nicht zu Lasten des Anschlussberufungsklägers zur Anwendung kommen könne. Letztlich gingen auch die Kosten der Anschlussberufung auf die Veranlassung des Berufungsklägers zurück; denn ohne seine Berufung hätte sich der Berufungsbeklagte mit dem Urteil des ersten Rechtszuges zufrieden gegeben. Das Anschlussrechtsmittel sei eine durch die Berufung veranlasste Reaktion des Gegners. Dementsprechend kämen dem Berufungsführer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch in Fällen der Berufungsrücknahme die §§ 91 ff. ZPO weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung zugute, wenn durch die Rücknahme die Anschlussberufung ohne gerichtliche Sachentscheidung hinfällig werde. Es könne nicht danach differenziert werden, ob sich eine Sachentscheidung über die Anschlussberufung infolge einer Berufungsrücknahme oder aber deswegen erübrigt habe, weil die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen worden sei. Beiden Fällen sei gemeinsam, dass die Anschlussberufung durch die Berufung veranlasst wurde und eine gerichtliche Entscheidung über sie nicht stattfinde. Es gebe keinen Grund, die Fälle verschieden zu behandeln und dabei den Berufungsführer, der nach gerichtlichem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO von einer Rücknahme absehe, kostenmäßig besser zu stellen. Für den Berufungsbeklagten sei das Risiko einer Anschlussberufung nicht kalkulierbar, er könnte die - je nach dem Verhalten des Prozessgegners eintretenden - unterschiedlichen Folgen weder beeinflussen noch vorhersehen.

Der Senat schließt sich aus den vorstehenden Gründen der letztgenannten Auffassung an und erlegt der Klägerin auch die Kosten der Anschlussberufung auf.

Die Anschlussberufung ist ihrem Wesen nach nicht selbst ein Rechtsmittel, sondern nur ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb der vom Gegner eingelegten Berufung (BGHZ 4, 233). Nur wenn ausnahmsweise über das Anschlussrechtsmittel in der Sache entschieden würde, ist das Anschlussrechtsmittel auf Kosten dessen zu verwerfen, der es eingelegt hat (vgl. BGH, Beschluss v. 26.01.2005, XII ZB 163/04, NJW-RR 2005, 727). Dies gilt sowohl im Fall der Rücknahme der Berufung nach einem gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilten Hinweis (so ausdrücklich BGH, Beschluss v. 07.02.2006, XI ZB 9/05, NJW-RR 2006, 1147) als auch bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO (ebenso KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KG OLG Report 2009, 673 m.w.N.; der BGH lässt diese Frage im vorgenannten Beschluss v. 07.02.2006 ausdrücklich offen). Wenn der Berufungsführer sogar bei einer Rücknahme der Berufung die Kosten des Anschlussrechtsmittels zu tragen hat, gibt es keinen Grund, ihn hinsichtlich der Kosten zu privilegieren, wenn trotz des Hin-weises eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts über die Berufung erforderlich wird (KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KG OLG Report 2009, 673). Etwas Anderes lässt sich auch nicht aus der im Revisionsverfahren entschiedenen Kostenteilung im Fall der Nichtannahme der Revision und der daraus folgenden Wirkungslosigkeit des Anschlussrechtsmittels herleiten (vgl. BGH, Großer Senat, Beschluss v. 11.3.1981, BGHZ 80, 146). Schon die Annahme der Revision nach der seinerzeit geltenden Regelung ist nicht mit dem Verfahren gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vergleichbar, in dem die Begründetheit der Berufung insgesamt geprüft wird und in dem in jedem Fall eine Sachentscheidung über die Berufung ergeht, während der nach damals geltendem Recht zur Anschlussrevision Berechtigte schon von vornherein mit einer Nichtannahme der Revision, also dem Ausbleiben einer Sachentscheidung über das Hauptrechtsmittel rechnen musste (KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KGR Berlin 2009, 673). Zudem hat schon der Große Senat des Bundesgerichtshofs einen Interessenwiderstreit darin gesehen, dass der Anschlussberufungskläger nach der damals geltenden Regelung ohne Kenntnis über die Annahme der Revision gezwungen war, binnen eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung das Anschlussrechtsmittel einzulegen. Dieser Konflikt ist von dem Gesetzgeber seinerzeit nach der Entscheidung des Großen Senats dahingehend gelöst worden, dass die Anschlussrevision noch binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Annahme der Revision eingelegt werden konnte (vgl. § 556 Abs. 1 ZPO in der Fassung durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz v. 17.12.1990, BGBl. I 2847).

Nach dem heute geltenden Berufungsrecht ist der Berufungsgegner und potentielle Anschlussberufungsführer gemäß § 524 Abs. 2 ZPO ebenfalls gezwungen, die Anschließung binnen der ihm gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zu erklären, im Regelfall ohne zu diesem Zeit-punkt bereits wissen zu können, ob das Berufungsgericht eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO in Aussicht nimmt. Wiederum stellt sich also der bereits erkannte Interessenkonflikt, ohne dass der Gesetzgeber diesen Fall wie seinerzeit im Rahmen des § 556 Abs. 1 ZPO zugunsten des Anschlussberufungsführers geregelt hätte (KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KGR Berlin 2009, 673). Allerdings ist dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht zu entnehmen, dass er im Gegensatz zu der Änderung des § 556 ZPO a. F. bewusst das Kostenrisiko dem Anschlussberufungskläger auferlegen wollte (KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KGR Berlin 2009, 673). Vielmehr ist angesichts der unvollständigen gesetzlichen Regelung von dem Grundsatz auszugehen, dass das unselbständige Anschlussrechtsmittel nur dann Kosten zu Lasten des Anschlussberufungsführers verursachen kann, wenn tatsächlich eine Entscheidung darüber ergeht, was gemäß § 524 Abs. 4 ZPO bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ebenso wie bei einer Rücknahme der Berufung nicht der Fall ist (KG, Beschluss vom 09.10.2007, 14 U 179/06, KGR Berlin 2009, 673).



Ende der Entscheidung

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