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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.03.2002
Aktenzeichen: 24 W 56/01
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 13 I
WEG § 15 I
WEG § 15 II
WEG § 21 III
WEG § 21 IV

Entscheidung wurde am 22.09.2002 korrigiert: in den Metaangaben Stichtworte durch Stichworte ersetzt
1. Ist streitig, ob in einem vermieteten Teileigentum unter der Bezeichnung "Sado/Maso-Studio" ein bordellartiger Betrieb geführt oder nur psychologische und medizinische Hilfe für sadomasochistisch veranlagte Menschen angeboten wird, verstößt ein Eigentümerbeschluss, der generell die "derzeitige Nutzung" gestattet, bereits deshalb gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung, weil mit seiner Bestandskraft auch der bordellartige Betrieb erlaubt würde.

2. Eine geltungserhaltene Reduktion eines Eigentümerbeschlusses im Sinne einer Änderung des Wortlauts bei einer zu weiten Fassung kann vom Gericht im Rahmen einer Beschlussanfechtung nicht vorgenommen werden.


KAMMERGERICHT Beschluss

24 W 56/01

In der Wohnungseigentumssache

hat der 24. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30. Januar 2001 - 85 T 212/00 WEG - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Briesemeister, die Richterin am Kammergericht Kingreen und den Richter am Kammergericht B.-D. Kuhnke am 20. März 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegner haben die Gerichtskosten dritter Instanz zu tragen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Geschäftswert dritter Instanz wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Wohnanlage im innerstädtischen Bereich besteht aus 30 Wohnungs- und zwei Gewerbeeinheiten. Die Teileigentumseinheit Nr. 5 wird in der Teilungserklärung vom 3. Dezember 1991 wie folgt beschrieben: "Laden Nr. 5: 8,05/100stel Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an den im Erdgeschoss liegenden, im Aufteilungsplan mit Nr. 5 bezeichneten Gewerberäumen, bestehend aus drei Ladenräumen, 3 Lagerräumen, 1 Vorraum, 1 Küche, 1 Speisekammer, 2 WC's, Flur sowie dem im Kellergeschoss gelegenen Keller Nr. 5." Nach der Teilungserklärung Teil IV § 3 Nr. 2 kann der Verwalter die Zustimmung zu einer gewerblichen Nutzung von einer Ausgleichszahlung abhängig machen. Der erste Verwalter wurde in der Teilungserklärung bestimmt. Es gilt das Objektstimmrecht. Nach einer Ergänzung der Teilungserklärung gehören zu der Einheit Nr. 5 nunmehr zwei Flure. Mit notariellem Kaufvertrag vom 22. April 1999 hat die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin zu I. 1 die Teileigentumseinheit Nr. 5 an den Antragsgegner und Beschwerdeführer zu I. 2 verkauft. In dem Kaufvertrag heißt es, dass mit Mietvertrag vom 27. April 1998 für fünf Jahre ca. 130 qm an den S/M-Verein vermietet sind und keinerlei Eigentümerbeschlüsse "hinsichtlich einer Nutzungsbeschränkung oder Untersagung für den Betrieb der Gewerbeeinheiten" bestehen. Der Antragsteller ist seit 1995 Eigentümer der Wohnung Nr. 28, die im 4. Obergeschoss des Vorderhauses gelegen ist. Die Nutzung durch den im Vereinsregister eingetragenen S/M-Verein wurde in den Eigentümerversammlungen mehrmals kontrovers diskutiert. In der Eigentümerversammlung vom 7. Juli 1997 wurden zu TOP 2 zum einen mit großer Mehrheit die Zustimmung zur Veräußerung der Einheit erteilt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass damit keine Duldung der gegenwärtigen Gewerbeausübung verbunden sei, zum anderen mit knapper Mehrheit die Duldung der "derzeitigen Nutzung" beschlossen. Gegen den Eigentümerbeschluss vom 5. Juli 1997 hinsichtlich der Duldung richtet sich der Anfechtungsantrag des Antragstellers. Diesen Eigentümerbeschluss hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Mai 2000 für ungültig erklärt. Die hiergegen gerichtete Erstbeschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 30. Januar 2001 zurückgewiesen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner ist gemäß §§ 27, 29 FGG, 45 WEG zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch in der Sache nicht gerechtfertigt. Der angefochtene Beschluss ist rechtsfehlerfrei (§ 27 Abs. 1 FGG).

1. Nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts ist der angefochtene Eigentümerbeschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden. Einwendungen hiergegen sind mit der Rechtsbeschwerdebegründung nicht vorgetragen worden.

2. Rechtlich einwandfrei hat das Landgericht angenommen, dass der angefochtene Eigentümerbeschluss in materiellrechtlicher Hinsicht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, auf deren Einhaltung jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch hat (§ 21 Abs. 4 WEG).

3. Das Landgericht hat nicht gegen seine Aufklärungspflicht nach § 12 FGG verstoßen, wenn es eine Beweisaufnahme darüber, welche Nutzung der Teileigentumseinheit Nr. 5 durch den S-M-Verein derzeit tatsächlich erfolgt und ob von dieser Nutzung konkrete Störungen ausgehen, für entbehrlich gehalten hat. Zutreffend führt der angefochtene Beschluss aus, dass Verfahrensgegenstand hier nicht der Anspruch auf Unterlassung der derzeitigen Nutzung der Einheit Nr. 5 ist, sondern allein die Anfechtung des Eigentümerbeschlusses vom 7. Juli 1999, nach dessen Inhalt die Eigentümergemeinschaft die derzeitige Nutzung der Einheit Nr. 5 billigt. Zur Prüfung der Frage, ob sich der Eigentümerbeschluss mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung verträgt, ist die Reichweite des Eigentümerbeschlusses zu bestimmen und dessen Verträglichkeit mit der Teilungserklärung, der Beschlusslage der Gemeinschaft und den Bestimmungen des WEG.

4. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht stimmt mit dem Landgericht in der Auslegung des Eigentümerbeschlusses darin überein, dass dieser nach Wortlaut und Sinn die gesamte derzeitige Nutzung gestattet, also nicht nur die Nutzung durch den S-M-Verein nach dessen Vereinszwecken, sondern auch als SADO/MASO-Studio, unter dem nach allgemeinem Sprachgebrauch jedenfalls auch ein bordellartiger Betrieb zu verstehen ist, wie er gegenwärtig möglicherweise ausgeübt wird. Hierzu hat der Antragsteller substantiiert behauptet, dass für den Betrieb in der Einheit Nr. 5 in der Berliner Tagespresse mit einschlägigen Annoncen sowie im Internet unter entsprechenden Rubriken geworben werde, dass von dem Betrieb, der sieben Tage die Woche tagsüber und nachts erfolge, Beeinträchtigungen ausgingen, dass Besucher bei verschlossener Haustür sämtliche Klingelknöpfe drückten, im Haus auf der Suche nach dem Studio herumirrten und fragten, "wo der Club sei". Es habe auch schon Polizeirazzien gegeben. Verkaufswert und Vermietbarkeit der Wohnungen seien dadurch gemindert.

5. Mit der generellen Genehmigung der (streitigen) "derzeitigen Nutzung" könnte bei Bestandskraft des Eigentümerbeschlusses ein späterer Unterlassungsanspruch wegen konkreter Beeinträchtigungen ausgeschlossen sein. Allein deswegen, weil der Eigentümerbeschluss zu weit gefasst ist und Beeinträchtigungen erlaubt, die nach § 14 Nr. 1 WEG nicht hingenommen werden müssen, verstößt der Eigentümerbeschluss gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung. Eine geltungserhaltende Reduktion des Eigentümerbeschlusses im Sinne einer Einschränkung und Klarstellung des Wortlauts auf erlaubte Zwecke ist dem Gericht im Beschlussanfechtungsverfahren verwehrt (BayObLG WE 1995, 245).

6. Es kann dahinstehen, ob die Antragsgegner widersprüchlich vortragen, wenn sie einerseits das Vorliegen eines bordellartigen Betriebs bestreiten, diesen aber andererseits unter Hinweis auf die gewandelten Moralvorstellungen für zulässig halten. Unerheblich ist, wie im Verwaltungsrecht bei der Erteilung einer Gaststättenkonzession der Gesichtspunkt der Prostitution zu beurteilen ist (vgl. VG Berlin GE 2001, 281). Auch die gesetzlich bestimmte Einklagbarkeit der Vergütung für sexuelle Handlungen durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I 3983) besagt nichts über die Störungen und Belästigungen, die für die Nachbarschaft von der Prostitution bei einer typisierenden Betrachtungsweise ausgehen. Für das Wohnungseigentumsrecht gilt in erster Linie § 14 Nr. 1 WEG, wonach jeder Wohnungseigentümer verpflichtet ist, von seinem Sondereigentum und dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in einer solchen Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Es kommt also nur auf die Vermeidbarkeit des konkreten Nachteils und der tatsächlichen Belästigung an, nicht darauf, wie die Rechtsverhältnisse öffentlichrechtlich oder zivilrechtlich zu bewerten sind. Die Wohnungseigentümer sind untereinander in einem Gemeinschaftsverhältnis verbunden, das positiv zu besonderer Rücksichtnahme und negativ zur Unterlassung vermeidbarer Störungen verpflichtet. Deshalb sind bordellartige Betriebe mit der Zweckbestimmung von Wohnungs- und Teileigentum nicht zu vereinbaren (Senat NJW-RR 2000, 1253 = ZMR 2000, 402 = NZM 2000, 879 = ZWE 2000, 228 (zum Sex-Shop); BayObLG NJW-RR 2000, 1323 = ZMR 2000, 689 = NZM 2000, 871 (Swinger-Club); OLG Karlsruhe ZMR 2002, 218 (Beherbergung von Prostituierten und Rauschgifthändlern)).

7. Zutreffend führt das Landgericht aus, dass die Nutzung der Teileigentumseinheit Nr. 5. Zum Zwecke eines SADO/MASO-Studios weder durch die Teilungserklärung noch durch die in dem Aufteilungsplan der Wohnanlage enthaltene Zweckbestimmung gedeckt ist. Dabei kann dahinstehen, ob die engere Bezeichnung der Sondereigentumsräume als "Laden" oder die weitere als "Gewerbe" vorrangig ist. Denn auch die allgemeinere Zweckbestimmung als "Gewerbe" umfasst nicht einen bordellartigen Betrieb (vgl. die vorstehenden Nachweise aus der Rspr.). Die vorübergehende Festsetzung eines zusätzlichen Nutzungsentgeltes für die Einheit Nr. 5 durch den Eigentümerbeschluss vom 7. September 1996 ist nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts allenfalls auf die Dauer der Zahlung dieses zusätzlichen Beitrages und die Nutzung nach den Vereinszwecken zu beschränken. Sie enthält keine Regelung auf Dauer, erst recht nicht über die (erlaubten) Vereinszwecke hinaus. Auch die Zustimmung zur Veräußerung durch Eigentümerbeschluss vom 7. Juli 1999 wurde ausdrücklich unter dem Vorbehalt erteilt, dass damit nicht die Zustimmung zum Betrieb eines SADO/MASO-Studios verbunden sei. Die Regelung in dem notariellen Kaufvertrag zwischen den Antragsgegnern zu 1. und 2. ist für das Verhältnis zur Eigentümergemeinschaft bedeutungslos. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob Unterlassungsansprüche von Wohnungseigentümern verwirkt sind.

8. Es entspricht billigem Ermessen, dass die Antragsgegner die Gerichtskosten ihres erfolglosen Rechtsmittels tragen (§ 47 S. 1 WEG). Dagegen besteht keine hinreichende Veranlassung, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§ 47 S. 2 WEG). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.



Ende der Entscheidung

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