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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.03.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 23/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 33a S. 1
StPO § 210 Abs. 1
Der gemäß § 210 Abs. 1 StPO einer Anfechtung durch den Angeklagten entzogene Eröffnungsbeschluss ist eine Entscheidung, auf die die Anhörungsrüge nach § 33a S. 1 StPO Anwendung findet (Rn.6).
KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 23/07

1 AR 227/07

In der Strafsache gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. März 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 18. Januar 2007 wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 8. Februar 2006 zur Last, sich in sieben Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, davon einmal in Tateinheit mit Körperverletzung, und in zwei Fällen des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen schuldig gemacht zu haben. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 hat das Landgericht die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Dagegen hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 3. Januar 2007 Beschwerde eingelegt, hilfsweise Gegenvorstellung erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil der Eröffnungsbeschluss erlassen worden sei, ohne ihm ergänzende Akteneinsicht zu gewähren und Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme zu den Tatvorwürfen zu geben. Mit Schreiben vom 18. Januar 2007 hat der Strafkammervorsitzende auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hingewiesen und zugleich die Entscheidung der Strafkammer mitgeteilt, die Gegenvorstellung nicht als Gehörsrüge nach § 33 a StPO anzusehen, weil diese Vorschrift nicht auf Eröffnungsbeschlüsse anwendbar sei. Auf entsprechende Anfrage des Strafkammervorsitzenden hat der Verteidiger ausdrücklich die Weiterleitung der Beschwerde vom 3. Januar 2007 an das Kammergericht begehrt und sie mit Schriftsatz vom 5. Februar 2007 begründet. Der Senat behandelt diesen Schriftsatz gemäß § 300 StPO als Beschwerde gegen die Entscheidung der Strafkammer vom 18. Januar 2007. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde vom 3. Januar 2007 ist unzulässig. Denn gemäß § 210 Abs. 1 StPO kann der Beschluss, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, von dem Angeklagten nicht angefochten werden.

2. a) Der Angeklagte hat zwar gegen die ihm mit Schreiben des Strafkammervorsitzenden vom 18. Januar 2007 bekannt gegebene Entscheidung der Strafkammer, die in der Beschwerde vom 3. Januar 2007 enthaltene Anhörungsrüge als unzulässig anzusehen, nicht ausdrücklich Beschwerde eingelegt. Indessen ist der Schriftsatz des Verteidigers vom 5. Februar 2007, in dem dieser im Wesentlichen zur behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs vorträgt und zum Verfahren nach § 33 a StPO Stellung nimmt, gemäß § 300 StPO als Beschwerde gegen diese Entscheidung zu behandeln.

b) Die Beschwerde ist zulässig. Trifft das Gericht im Nachverfahren gemäß § 33 a StPO keine sachliche Überprüfungsentscheidung, sondern lehnt es - wie hier - die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Änderung seiner Entscheidung aus formellen Gründen ab, ist der Rechtsbehelf gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2005 - 4 Ws 142/05 -; Lemke in Heidelberger Kommentar, StPO 3. Aufl., § 33 a Rdnr. 13; Graalmann-Scherer in Löwe/Rosen-berg, StPO 26. Aufl., § 33 a Rdnr. 27; Maul in Karlsruher Kommentar, StPO 5. Aufl., § 33 a Rdnr. 12; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 33 a Rdnr. 10; jeweils m.w.Nachw.).

c) Die Beschwerde ist nicht begründet.

aa) Das Landgericht hat allerdings zu Unrecht die Anhörungsrüge als unzulässig angesehen. Denn der gemäß § 210 Abs. 1 StPO einer Anfechtung durch den Angeklagten entzogene Eröffnungsbeschluss ist eine Entscheidung, auf die das Nachverfahren nach § 33 a Abs. 1 StPO Anwendung findet (vgl. KG, Beschluss vom 20. August 1997 - 3 ARs 12/97 - und 25. Januar 2005 - 5 Ws 542/05 - [betreffend Anhörungsrüge gegen einen gemäß § 309 Abs. 2 StPO erlassenen Eröffnungsbeschluss]; Lemke in Heidelberger Kommentar aaO § 33 a Rdnr. 4; Seidl in KMR, StPO, § 201 Rdnr. 33, § 207 Rdnrn. 42 f, § 210 Rdnr. 2; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg aaO § 33 a Rdnr. 13; Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 201 Rdnr. 34, § 207 Rdnr. 35, § 210 Rdnr. 6 b; Meyer-Goßner aaO § 210 Rdnr. 1; Paeffgen in Systematischer Kommentar, StPO, § 207 Rdnr. 22, § 210 Rdnr. 4; jeweils m.w.Nachw.).

bb) Der Erlass des Eröffnungsbeschlusses hat den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Ausweislich der Akten hat der Verteidiger des Angeklagten im Ermittlungs- und im Zwischenverfahren mehrfach Akteneinsicht genommen. Bereits vor der am 24. Februar 2006 erfolgten Erhebung der Anklage hatte er umfänglich zu den Tatvorwürfen Stellung genommen sowie einzelne Beweiserhebungen angeregt oder beantragt. Gemäß § 201 Abs. 1 StPO wurde ihm mit Zustellung der Anklageschrift eine Erklärungsfrist von zwei Wochen eingeräumt. Innerhalb dieser Frist wiederholte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. April 2006 nach vorheriger Akteneinsicht unter anderen die Beweisanträge auf Vernehmung der Zeugin Gilde und Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens betreffend die mutmaßliche Geschädigte. Diesen Anträgen ging die Strafkammer nach. Zum Zeitpunkt der vor der Eröffnungsentscheidung letztmalig ab dem 2. November 2006 genommenen Akteneinsicht war das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin G. Bestandteil der Akten; das Sachverständigengutachten war dem Verteidiger bereits im Oktober 2006 übersandt worden. In zeitlichem Zusammenhang damit kündigte er (weitere) Stellungnahmen weder an noch gab er sie ab. Bei diesem Verfahrensgang ist nichts für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Anfang Dezember 2006 Auskünfte der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) bei dem Landgericht eingegangen waren, in die der Verteidiger entgegen seinem Antrag vom 15. Dezember 2006 und trotz entsprechender Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 19. Dezember 2006 aus nicht nachvollziehbaren Gründen keine Einsicht erhielt. Denn diese Auskünfte hatten keinen den Angeklagten belastenden, für die Eröffnungsentscheidung beachtlichen Inhalt, sondern bestätigten vielmehr Angaben der - mit dem Angeklagten verheirateten - Mutter der mutmaßlichen Geschädigten über die Zugehörigkeit deren Vaters sowie des Großvaters mütterlicherseits zum früheren Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR.

Das weitere Vorbringen in dem Schriftsatz vom 5. Februar 2007 ist gleichfalls nicht geeignet, die behauptete Rechtsverletzung zu belegen. Dem Angeklagten und seinem Verteidiger ist es unbenommen, Beweiserhebungen, die die Strafkammer im Zwischenverfahren nicht vorgenommen hat, in der Hauptverhandlung erneut anzuregen oder zu beantragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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