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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.06.2005
Aktenzeichen: 4 Ws 47/05
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, RVG


Vorschriften:

StPO § 141 Abs. 1
StPO § 143
StPO § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a
StPO § 397 a Abs. 1
StPO § 397 a Abs. 2
ZPO § 572 Abs. 3
ZPO § 573 Abs. 1
RVG § 15
RVG § 33 Abs. 3 Satz 1
RVG § 33 Abs. 3 Satz 3
RVG § 56 Abs. 2 Satz 1
RVG § 56 Abs. 2 Satz 2
RVG § 56 Abs. 2 Satz 3
RVG § 60 Abs. 1 Satz 1
RVG § 61 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: 4 Ws 47/05

In der Strafsache

wegen Vergewaltigung

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 9. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. Februar 2005 aufgehoben.

2. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Rechtsanwältin Ä---- O---- ist in dem vorliegenden Strafverfahren seit dem 15. Januar 2004 als Vertreterin der Geschädigten A-Sch---- tätig gewesen. Nach Erhebung der Anklage am 12. Juli 2004 hat das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 14. Juli 2004 die Geschädigte gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StPO als Nebenklägerin zugelassen und ihr gemäß § 397 a Abs. 1 StPO Rechtsanwältin O----- als Beistand bestellt. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin nach zweitägiger Hauptverhandlung am 29. September 2004 unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt. Rechtsanwältin O----- hat beantragt, die Vergütung für ihre Tätigkeit als Beistand der Nebenklägerin nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt festzusetzen:

Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) 132,00 € Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) 112,00 € Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren, erster Rechtszug (Nr. 4112 VV RVG) 124,00 € Terminsgebühren zwei Hauptverhandlungstage (Nr. 4114 VV RVG) 532,00 € Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 € Pauschale für 125 Ablichtungen (Nr. 7000 VV RVG) 36,25 € 856,25 € 16 v.H. Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 137,00 € 993,25 €.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat durch Beschluss vom 12. November 2004 den Antrag auf Festsetzung einer Vergütung nach dem RVG mit der Begründung zurückgewiesen, es sei das (alte) Gebührenrecht der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) anzuwenden. Mit Beschluss vom selben Tage hat er gemäß dem von der Rechtsanwältin hilfsweise gestellten Antrag die Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt:

Vorverfahrensgebühr (§§ 84 Abs. 1, 102 Abs. 2 Satz 1, 97 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) 120,00 € Gebühren für die Hauptverhandlung (§§ 83 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, 102 Abs. 2 Satz 1, 97 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) [lediglich in dieser Höhe beantragt] 435,00 € Post- und Telekommunikationspauschale (§ 26 BRAGO) 15,00 € Dokumentenpauschale für 125 Ablichtungen (§ 27 BRAGO) 36,25 € 606,25 € 16 v.H. Umsatzsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO) 97,00 € 703,25 €.

Auf die Erinnerung der Rechtsanwältin hat die 18. Strafkammer des Landgerichts mit Beschluss vom 4. Februar 2005 (RVGreport 2005, 188) den Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle aufgehoben und die Sache an diesen in entsprechender Anwendung der §§ 573 Abs. 1, 572 Abs. 3 ZPO zurückverwiesen zur erneuten Entscheidung über den Kostenfestsetzungsantrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer, wonach die Gebühren auf der Grundlage des RVG zu berechnen seien. Die dagegen gerichtete, gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Sätze 1 und 3 RVG zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin hat Erfolg.

1. Die der Rechtsanwältin aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung ist nach dem Gebührenrecht der BRAGO zu bemessen.

a) § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG sieht für die Entscheidung, ob altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden ist, zwei Anknüpfungspunkte (vgl. Burhoff, RVGreport 2005, 142) vor: den Zeitpunkt der unbedingten Übernahme des Wahlmandats und den Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung.

aa) Für den Sachverhalt, dass ein vor dem 1. Juli 2004 als Wahlverteidiger tätig gewesener Rechtsanwalt danach zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, hat sich das Kammergericht unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur angeschlossen, wonach es für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts allein auf den Zeitpunkt der Bestellung ankommt (vgl. Beschlüsse vom 17. Januar 2005 -(1) 2 StE 10/03-2 (4/03)-, 4. Februar 2005 -3 Ws 30/05-, 11. Februar 2005 -5 Ws 656/04- und 7. März 2005 -4 Ws 145/04-). Ausschlaggebend hierfür war der in den Materialien zum Gesetzentwurf (BT-Drucks. 15/1971, S. 203) geäußerte Wille des Gesetzgebers, dass sich die Pflichtverteidigervergütung nach dem neuen Recht bemessen soll. Die Gesetzesbegründung weist ausdrücklich darauf hin, dass bei Niederlegung des Wahlmandats und anschließender Bestellung zum Pflichtverteidiger "kein Zusammentreffen mehrerer Tatbestände im Sinne des Satzes 1 [der §§ 60 bzw. 61 RVG] vorliegt". Es fällt bei dieser Fallgestaltung der Anknüpfungspunkt der Übernahme des Wahlmandats weg, so dass es nur noch auch den Zeitpunkt der Bestellung ankommen kann.

Der Antrag eines Wahlverteidigers, ihn zum Pflichtverteidiger zu bestellen, enthält die Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Bestellung enden (vgl. BGH StV 1981, 12; OLG Köln NStZ 1991, 248, 249; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 142 Rdn. 7 m.w.Nachw.). Wird dem Antrag stattgegeben, erlöschen infolgedessen das Mandatsverhältnis und die Strafprozessvollmacht (vgl. BGH NStZ 1991, 94, 95). Dies entspricht den in den §§ 141 Abs. 1 und 143 StPO zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen des Gesetzgebers, wonach die Bestellung eines Verteidigers nur für den Angeschuldigten vorgesehen ist, "der noch keinen Verteidiger hat", und wonach die Bestellung zurückzunehmen ist, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt.

bb) Anders liegt es bei der hier zu beurteilenden anwaltlichen Tätigkeit für den Nebenklageberechtigten und späteren Nebenkläger.

Die Bestellung zum Beistand nach § 397 a Abs. 1 StPO setzt zwar, worauf der angefochtene Beschluss zutreffend hinweist, nicht voraus, dass zwischen dem Nebenklageberechtigten und dem Rechtsanwalt ein Mandatsverhältnis besteht. Liegt allerdings ein solches vor, wird es - abweichend von der dargestellten Rechtslage bei der Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger - durch die Bestellung zum Beistand nicht beendet. Denn der in den §§ 141 Abs. 1 und 143 StPO enthaltene Rechtsgedanke - das Nichtbestehen eines Wahlmandates - findet sich in § 397 a Abs. 1 StPO gerade nicht. Das Mandatsverhältnis bleibt daher nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG der Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des alten Gebührenrechts, wenn der spätere Nebenkläger dem Rechtsanwalt den unbedingten Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem 1. Juli 2004 erteilt hat (ebenso OLG Köln RVGreport 2005, 188 m. zustimmender Anmerkung Burhoff; so auch die Gesetzesmaterialien aaO für den ausdrücklich angesprochenen Fall einer Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe; Volpert in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, Teil B, Übergangsvorschriften (§§ 60 f) Rdn. 30; OLG Oldenburg JurBüro 1996, 472 zu § 134 BRAGO). Anlass, die Fälle einer Bestellung des Rechtsanwalts zum Beistand des Nebenklägers nach § 397 a Abs. 1 StPO und einer Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe nach § 397 a Abs. 2 StPO gebührenrechtlich unterschiedlich zu behandeln, besteht nicht, zumal die §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ("gerichtlich bestellt oder beigeordnet") zwischen ihnen nicht unterscheiden.

b) Die Geschädigte hat Rechtsanwältin O----- vor dem Stichtag 1. Juli 2004 einen unbedingten Auftrag zu ihrer Vertretung erteilt. Die Rechtsanwältin hat mit Schreiben vom 19. Januar 2004 unter Vorlage einer Vollmacht vom 15. Januar 2004 die "Vertretung der Geschädigten bekannt gegeben", erklärt, dass sich die Geschädigte dem Verfahren als Nebenklägerin anschließe, um Zulassung der Nebenklage gebeten und Akteneinsicht sowie ihre "Beiordnung gemäß § 397 a Abs. 1 StPO" beantragt. Anhaltspunkte dafür, dass das Mandat im Sinne einer aufschiebenden Bedingung von der Bestellung abhängig gemacht worden wäre, ergeben sich weder aus dem genannten Schriftsatz noch der Vollmacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Eine derartige Bedingung liegt auch angesichts der Gesamtumstände fern. Dass Unsicherheiten über die Erfolgsaussichten des Beiordnungsantrages bestanden hätten, ist nicht erkennbar, zumal die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 397 a Abs. 1 StPO offensichtlich vorlagen.

2. Der Senat hebt nach alledem den angefochtenen Beschluss auf und bestätigt damit die zutreffende Festsetzung der Gebühren und Auslagen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

Ende der Entscheidung

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