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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.05.2006
Aktenzeichen: 5 ARs 1/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 462a Abs. 1
StPO § 462a Abs. 4
Die sachliche, örtliche und funktionale Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet erst mit ihrer abschließenden Entscheidung, nicht hingegen mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft.
KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: 5 ARs 1/06

In der Strafsache gegen

wegen Beleidigung

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 28. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Für die Nachtragsentscheidung über die Strafaussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 - 10 Ds 307 Js 100787/03 - zur Bewährung ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin zuständig.

Gründe:

Zwischen dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin besteht Streit über die sachliche Zuständigkeit für eine in dem Verfahren 10 Ds 307 Js 100787/03 (des Amtsgerichts Augsburg; 606 VRs 307 Js 10787/03 - StA Augsburg; 275 AR 48/04 Amtsgericht Tiergarten in Berlin) zutreffende Nachtragsentscheidung (§ 453 Abs. 1 StPO) über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Beide Spruchkörper halten den jeweils anderen für zuständig.

In dem genannten Verfahren hatte das Amtsgericht Augsburg mit Urteil vom 17. Mai 2004, rechtskräftig seit dem 28. Juni 2004, unter Einbeziehung der Strafe (von drei Monaten Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung wegen Beleidigung) aus dem rechtskräftigem Strafbefehl desselben Gerichts - 10 Cs 307 Js 144643/01 - vom 4. März 2003 auf eine Gesamtstrafe von sechs Monaten erkannt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. In dem Bewährungsbeschluß zu diesem Urteil hat das Amtsgericht bestimmt, daß es bei der Zahlungsauflage (1.000,00 DM in Raten zu je 50,00 DM zu zahlen an die Landesjustizkasse Bamberg) aus dem Bewährungsbeschluß zu dem Strafbefehl sein Bewenden hat.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hatte auf die entsprechenden Beschlüsse des Amtsgerichts Augsburg hin die Nachtragsentscheidungen bezüglich des Strafbefehls mit Beschluß vom 3. September 2003 und die hinsichtlich des Urteils zum 17. Mai 2004 mit Beschluß vom 17. Januar 2005 übernommen. Mit dem Beschluß vom 10. November 2004 - 275 AR 15/03 - hatte das Amtsgericht Augsburg in Unkenntnis der durch das Urteil vom 17. Mai 2004 erfolgten Einbeziehung, die durch den Strafbefehl bewilligte Strafaussetzung wegen gröblichen und beharrlichen Auflagenverstoßes (der Verurteilte hatte nichts gezahlt) widerrufen. Nachdem er sich nicht zum Strafantritt in der Justizvollzugsanstalt Heiligensee in Berlin gestellt hatte, erließ die Staatsanwaltschaft Augsburg am 20. Juli 2005 Vollstreckungshaftbefehl unter dem Aktenzeichen des Strafbefehls, aufgrund dessen der Verurteilte am 20. Juli 2005 verhaftet wurde. Bis zum 26. Juli 2005 befand er sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit.

An diesem Tage stellte die Staatsanwaltschaft Augsburg fest, daß der Strafbefehl vom 4. März 2003 keine geeignete Voll-streckungsgrundlage mehr war, weil seine Strafe in die des Urteils des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 einbezogen worden und folglich auch der Widerruf und der Vollstreckungshaftbefehl zu Unrecht ergangen waren. Den ebenfalls am 26. Juli 2005 (per Fax) bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin gestellten Antrag auf Erlaß eines Sicherungshaftbefehls wies diese mit Schreiben vom selben Tage zurück, worauf die Staatsanwaltschaft Augsburg die Entlassung des Verurteilten anordnete, die auch ausgeführt wurde.

Am 26. Juli 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft Augsburg (unter dem unzutreffenden Aktenzeichen 606 VRs 144643/01) und erneut am 23. August 2005 (auch unter dem richtigen Aktenzeichen 606 VRs 100757/03), die Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 zu widerrufen.

Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, ihre Zuständigkeit sei nicht gemäß § 462 a Abs. 1 StPO begründet worden, da es sich bei der irrtümlich ohne Rechtsgrund vollzogenen Haft nicht um Strafhaft im Sinne dieser Vorschrift handele und sie verwies die Sache deshalb an das Amtsgericht Tiergarten. Nachdem dieses - wohl mit dem Ziel der Rücknahme des Widerrufsantrages - vergeblich seine Bedenken gegen das Vorliegen eines Widerrufsgrundes der Staatsanwaltschaft Augsburg mitgeteilt hatte, hat es (in dem Vermerk vom 5. Januar 2006) die Meinung vertreten, die Strafvollstreckungskammer sei sachlich zuständig und es hat die Sache dem Kammergericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

Die Vorlage ist zulässig, die Auffassung des Amtsgerichts zutreffend und folglich ist die Zuständigkeit der Strafvoll-streckungskammer des Landgerichts Berlin festzustellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat dazu ausgeführt:

"1. Die Vorlage ist zulässig.

Dass das Amtsgericht Tiergarten die Vorlage unter dem Aktenzeichen 275 AR 15/03 verfügt hat, ist unschädlich. Zwar sind in dieser mit dem Verfahren 606 VRs 307 Js 144643/01 der Staatsanwaltschaft Augsburg korrespondierenden Bewährungsüberwachungssache Nachtragsentscheidungen - durch welches Gericht auch immer - nicht mehr zu treffen. Denn die Strafe aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 4. März 2003 ist in das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 mit der Folge einbezogen worden, dass das ursprüngliche gerichtliche Erkenntnis entfallen ist und nur noch das neue Urteil die Grundlage der Vollstreckung bildet (vgl. KG NJW 2003, 2468; Senat Beschluss vom 15. Juni 2004 - 5 Ws 301/04 -).

In der Sache streiten das Amtsgericht Tiergarten, das die Überwachung der Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 durch Beschluss vom 17. Januar 2005 - 275 AR 48/04 - übernommen hat, und die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin jedoch darüber, wer für die im ersten Rechtszug zu treffenden Nachtragsentscheidungen über die zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 - 10 Ds 307 Js 100787/03 - zuständig ist. Bei einem solchen negativen Kompetenzkonflikt finden die §§ 14, 19 StPO entsprechende Anwendung, weil das Verfahren bei der hier gegebenen Verfahrenslage allein durch eine Entscheidung des Kammergerichts als des gemeinsamen oberen Gerichts fortgesetzt werden kann (vgl. Senat Beschluss vom 13. Januar 2003 - 5 ARs 31/02 -; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., §§ 14, 19 jeweils Rdn. 2 m.w.N.).

2. Als zuständiges Gericht ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin zu bestimmen.

Noch bevor die Staatsanwaltschaft Augsburg mit Verfügung vom 23. August 2005 - 606 VRs 100787/03 - gegenüber dem Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - unmißverständlich beantragte, die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 wegen eines Auflagenverstoßes nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB zu widerrufen, hatte sie sich mit Faxschreiben vom 26. Juli 2005 mit den Anträgen, gegen den Verurteilten einen Sicherungshaftbefehl zu erlassen und die ihm gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin gewandt. Das Schreiben erging zwar unter dem unzutreffenden Aktenzeichen 606 VRs 144643/01; aus seinem Inhalt und den beigefügten Anlagen ergab sich jedoch eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg Nachtragsentscheidungen nach den §§ 453, 453c StPO hinsichtlich der Bewährungsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 begehrte. Das vorerwähnte Schreiben ging am 26. Juli 2005 bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin ein, die mit Verfügung vom selben Tag den beantragten Erlass eines Sicherungshaftbefehls ablehnte und die Sache - ohne Entscheidung über den Widerrufsantrag - austragen ließ. Die Staatsanwaltschaft Augsburg nahm die ihr durch Fax mitgeteilte Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zum Anlass, am 26. Juli 2005 die Entlassung des Verurteilten anzuordnen, der sich seit dem 20. Juli 2005 für das Verfahren 606 VRs 144643/01 der Staatsanwaltschaft Augsburg in Strafhaft in der JVA Moabit befand.

Nach alledem ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO zur Entscheidung über die noch zu treffende Nachtragsentscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 berufen. Denn sie ist am 26. Juli 2005, als gegen den Verurteilten in Berlin (noch) Freiheitsstrafe vollstreckt wurde, mit einer zu treffenden Nachtragsentscheidung nach § 453 StPO nach § 453 StPO befaßt worden, über die in der Sache bisher nicht abschließend entschieden ist, so dass das einmal begründete Befaßtsein nicht beendet ist (vgl. Meyer-Goßner, aaO § 462a Rdn. 12 m.w.N.). Der Umstand, dass gegen den Verurteilten in der Zeit vom 20.-26. Juli 2005 zu Unrecht Freiheitsstrafe vollzogen worden ist, steht der Annahme einer sachlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht entgegen. Denn für eine Vollstreckung von Freiheitsstrafe i.S.d. § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist nur erforderlich, dass der Verurteilte als Strafgefangener in die Justizvollzugsanstalt, an die das Aufnahmeersuchen, dessen Fehlen aber unschädlich sein kann (vgl. Hans.OLG Hamburg MDR 1982, 251), gerichtet war, aufgenommen worden ist (vgl. Meyer-Goßner, aaO § 462a Rdn. 5 m.N.). Vorliegend ist der aufgrund des Vollstreckungshaftbefehls der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 20. Juli 2005 festgenommene Verurteilte am selben Tag in der JVA Moabit - als der nächstgelegenen Justizvollzugsanstalt statt der Justizvollzugsanstalt Heiligensee, an die das Aufnahmeersuchen gerichtet worden war - als Strafgefangener aufgenommen worden."

Diese Ausführungen treffen zu. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin ist deshalb das zuständige Gericht.



Ende der Entscheidung

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