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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.01.2009
Aktenzeichen: 5 W 207/07
Rechtsgebiete: AktG, RVG, RVG-VV, ZPO


Vorschriften:

AktG § 246 Abs. 3 S. 3
RVG § 2 Abs. 2 S. 1 Anl. 1
RVG § 15 Abs. 2 S. 2
RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 2
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Werden mehrere Anfechtungsprozesse nach § 246 Abs. 3 S. 3 AktG später verbunden, so waren die Prozessbevollmächtigten der beklagten Aktiengesellschaft bis zur Verbindung für jede anhängig gewordene Klage in jeweils verschiedenen Angelegenheiten tätig. Es handelt sich bis zur Verbindung um mehrere Prozesse, d. h. um mehrere gebührenrechtliche Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 2 RVG. Die insoweit angefallenen Verfahrensgebühren sind, jedenfalls in Höhe von 0,8 Verfahrensgebühren (Abs. 2 der Vorbemerkung 3 RVG-VV) von den jeweiligen (unterlegenen) Klägern gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten zu tragen (Aufgabe der Rechtsprechung des Senats, 23. Januar 2008, 5 W 206/07, KGR Berlin, 2008, 486, 487).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 5 W 207/07

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bulling und die Richter am Kammergericht Dr. Pahl und Dr. Lehmbruck am 13. Januar 2009

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin zu 1. vom 23. Juli/29. August 2008, die sofortige Beschwerde des Klägers zu 2. vom 8./29. August 2008 und die sofortige Beschwerde der Klägerin zu 3. vom 22./29. August 2008 wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 - 90 O 82/06 - teilweise geändert:

Die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2007 von den Klägern als Gesamtschuldner an die Beklagte zu erstattenden, in den Anträgen vom 16. Januar 2007 berechneten Kosten werden auf 8.978,40 EUR - in Worten: achttausendneunhundertachtundsiebzig, 40/100 EUR - nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2007 festgesetzt.

Die Klägerin zu 4. hat der Beklagten darüber hinaus 2.724,00 EUR - in Worten: zweitausendsiebenhundertvierundzwanzig Euro - nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2007 zu erstatten.

2. Die weitergehenden Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. werden zurückgewiesen.

3. Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 24. August 2007 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 - 90 O 82/06 - wird zurückgewiesen.

4. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten die Kläger zu 1. bis 3. als Gesamtschuldner 41 % und die Beklagte 59 %; von den außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1. bis 3. tragen diese 46 % und die Beklagte 54 %; die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 4. trägt die Beklagte. 5. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 17.099,60 EUR, wobei 10.562,--EUR auf die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. entfallen, für die Klägerin zu 4. jedoch - entsprechend dem Wert der sofortigen Beschwerde der Beklagten - 6.537,60 EUR.

6. Die Rechtsbeschwerde wird für die Kläger zu 1. - 3. zugelassen, soweit Entstehung und/oder Erstattunsfähigkeit der Verfahrensgebühren im Streit sind.

Gründe:

I. Die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. - 3. und der Beklagten sind gemäß § 11 Abs. 1 RpflG i.V.mit § 104 Abs. 3 S.1 ZPO zulässig. Die sofortigen Beschwerden der Kläger, die sich gegen die Festsetzung von vier (1,3) Verfahrensgebühren - statt einer Verfahrensgebühr - für die (vor mündlicher Verhandlung) verbundenen aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren und gegen ihre gesamtschuldnerische Inanspruchnahme richten, ist teilweise begründet. Die sofortige Beschwerde der Beklagten, mit der die Festsetzung von vier Terminsgebühren - statt einer - erstrebt wird, ist unbegründet.

1. Soweit sich die Kläger zu 1. bis 3. dagegen wenden, dass die Kosten gegen sie als Gesamtschuldner festgesetzt worden sind, verbleibt es dabei, dass die Kläger nach dem Beschluss des Landgerichts vom 8. Januar 2007 die Kosten des Rechtstreits als Gesamtschuldner zu tragen haben. An diese Kostengrundentscheidung ist das Kostenfestsetzungsverfahren gebunden (vgl. z.B. Herget in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. § 91 RdNr. 12).

2. Das Landgericht hat die Verfahrensgebühren hinsichtlich der zunächst selbständigen Verfahren dem Grunde nach zu Recht, jedoch überhöht festgesetzt.

a. Werden zwei Verfahren, die zunächst selbständig waren, zu einem verbunden, so bleiben einmal entstandene Gebühren aus den getrennten Verfahren bestehen (§ 15 Abs. 4 RVG, § 15 Abs. 2 S 2 RVG, OLG Stuttgart, OLGR 2001, 270, Juris-RdNr. 7). Gebühren, die ein Anwalt einmal verdient hat, kann dieser nicht mehr verlieren (vgl. z.B. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl. 3100 VV, RdNr. 81 - vgl. auch zum GKG: Hartmann: Kostengesetze, 37. Aufl. § 35 RdNr.12 "Prozeßverbindung").

Soweit der Senat in einem früheren Beschluss die Auffassung erwogen hat, dass es sich bei mehreren Anfechtungsprozessen nach § 246 Abs. 3 S.3 AktG für den Anwalt der beklagten Aktiengesellschaft um eine einzige Angelegenheit handele (KG, Beschluss vom 23.1.2008 - 5 W 206/07 -, KGR Berlin 2008, 486-487), wird dies nicht aufrecht erhalten. Vielmehr waren die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bis zur Verbindung in vier verschiedenen Angelegenheiten tätig (Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. § 15 RVG, RdNr. 37 m.w.N.;, vgl. auch Hansens, Kostenfestsetzung gegen Streitgenossen; Angelegenheit in nachträglich verbundenen aktienrechtlichen Anfechtungs-und Nichtigkeitsklagen, RVGreport, 2008, 138, 139; OLG Koblenz, MDR 2005, 1017 zu den Gerichtsgebühren in aktienrechtlichen Anfechtungsklagen vor der Verbindung). Dies entspricht auch dem Wortlaut des § 246 Abs. 3 S.3 AktG. Somit handelt es sich bis zur Verbindung um mehrere Prozesse, d.h. um mehrere gebührenrechtliche Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs.2 S.2 RVG.

b. Die angefallenen Verfahrensgebühren der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind von den Klägern gemäß § 91 Abs.1 S.1 ZPO als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten zu tragen. Soweit der Senat in der o.a. Entscheidung die Auffassung vertrat, es sei ausreichend, dass der Rechtsanwalt dem Gericht die weiteren Verfahren mitteilt, hätte diese Vorgehensweise im vorliegenden Fall nicht zu einer Minderung der Gebührenansprüche geführt.

Regelmäßig wird der Rechtsanwalt von seiner Mandantschaft über anhängige Verfahren in Kenntnis gesetzt und hierzu beauftragt. Dies löst bereits eine 0,8 Verfahrensgebühr aus (Abs.2 der Vorbemerkung 3 VV RVG).

Soweit das Kammergericht in MDR 1975, 1028 f. die Auffassung vertrat, bei gegenseitig eingereichten Scheidungsklagen reiche es zur sachgerechten Wahrnehmung der eigenen Interessen aus, dass der Prozessbevollmächtigte im Rahmen des bereits erteilten Klagemandats auf die Erwirkung eines Verbindungsbeschlusses hin wirke und dass von einer Doppelgebühren auslösenden Mandatserteilung abgesehen werde, ist dies auf die hiesige Fallkonstellation nicht übertragbar. Dort standen sich von Anfang an die gleichen Parteien gegenüber, während hier jeweils verschiedene Parteien nebeneinander Anfechtungsklage erhoben. Hier durfte es die Beklagte als sachdienlich ansehen, ihre Prozessbevollmächtigten mit der Verteidigung gegenüber jedem einzelnen Kläger zu mandatieren. Von der Beklagten konnte nicht erwartet werden selbst zu beurteilen, dass die weiteren Klagen keine gesonderte Rechtsverteidigung erforderlich machten. Dies gilt hier um so mehr, als die Klagen ursprünglich zahlreiche, zum Teil auch unterschiedliche Beschlüsse betrafen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann eine 1,3 Verfahrensgebühr (VV 3.100) nur für das Verfahren LG Berlin 90 O 82/06 festgesetzt werden, für die hierzu verbundenen Verfahren dagegen jeweils nur eine 0,8 Verfahrensgebühr, da diese Verfahren i.S. vom VV 3.101 Nr. 1 frühzeitig endeten. Die Beklagte hat vor Verbindung der Verfahren schriftsätzlich lediglich um Fristverlängerung nachgesucht.

Insoweit haben die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. teilweise Erfolg.

2. Zur Unbegründetheit der Beschwerde der Beklagten wird auf die Gründe des Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts vom 9. Oktober 2007 und auf den erwähnten Beschluss des Senats - 5 W 206/07 - sowie ergänzend auf Müller/Rabe (aaO. RdNr. 92 m.w.N.) Bezug genommen.

3.

Von den Klägern gesamtschuldnerisch zu erstatten sind daher nach einem Streitwert von 200.000 EUR

 - eine 1,3 Verfahrensgebühr 2.360,80 EUR
- drei 0,8 Verfahrensgebühren à 1.452,80 EUR 4.358,40 EUR
- vier Auslagenpauschalen à 20 EUR 80,00 EUR
- eine 1,2 Terminsgebühr 2.179,20 EUR
 8.978,40 EUR

nebst Zinsen.

Hinsichtlich der Klägerin zu 4., die den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht angefochten hat, verbleibt es dabei, dass sie der Beklagten den erstinstanzlich festgesetzten Betrag von 11.702,40 EUR zu erstatten hat. § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG begründet eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne von § 62 ZPO nur in der Hauptsache, nicht aber für das Kostenfestsetzungsverfahren.

II. Die Nebenentscheidungen folgen § 97 Abs.1, § 3 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Frage, ob die Rechtsverteidigung gegenüber Anfechtungsklagen mehrerer Kläger mehrere Verfahrensgebühren auslöst und ob diese von den Klägern im Unterliegensfall zu erstatten sind, immer wieder auftritt und nicht in gesicherter Weise obergerichtlich geklärt ist.

Ende der Entscheidung

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