Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.05.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 119/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56b
StGB § 56b Abs. 2
StGB § 56b Abs. 2 Nr. 3
StGB § 56c Abs. 1 Satz 1
StPO § 453 Abs. 1 Satz 1
1. Der Widerruf der Strafaussetzung wegen gröblichen oder beharrlichen Verstoßes gegen die Auflage zur Zahlung eines Geldbetrages (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) setzt in objektiver Hinsicht eine erhebliche, schwerwiegende Zuwiderhandlung oder ein wiederholtes andauerndes Verhalten voraus. Die Zahlungsfähigkeit des Verurteilten muss das Gericht positiv feststellen. Den Verurteilten trifft keine Beweislast für seine Zahlungsunfähigkeit.

2. Zu den Voraussetzungen einer hinreichend bestimmten Bewährungsauflage.


5 Ws 119/04

In der Strafsache

wegen Betruges

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 23. Januar 2004 aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft, die dem Beschwerdeführer in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. September 2000 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde und die dem Beschwerdeführer in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse Berlin zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 13. September 2000 wegen (gemeinschaftlichen) Betruges in acht Fällen unter Einbeziehung einer vom Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 9. September 1998 wegen Betruges verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Durch Beschluß vom 13. September 2000 bestimmte das Landgericht die Bewährungszeit zunächst auf zwei Jahre und gab dem Verurteilten auf, "nach Kräften unter Vorlage einer Ablichtung des jeweiligen Einkommenssteuerjahresbescheides den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen". Als der Beschwerdeführer keinerlei Zahlungen leistete, verlängerte das Landgericht mit Beschluß vom 23. Januar 2003 die Bewährungszeit um ein Jahr. Da weiterhin keine Zahlungen erfolgten, widerrief das Landgericht mit Beschluß vom 23. Januar 2004 die gewährte Strafaussetzung. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat Erfolg.

1. a) Der Widerruf der Strafaussetzung wegen gröblichen oder beharrlichen Verstoßes gegen die Auflage zur Zahlung eines Geldbetrages (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) setzt in objektiver Hinsicht eine erhebliche, schwerwiegende Zuwiderhandlung oder ein wiederholtes andauerndes Verhalten voraus (vgl. KG, Beschlüsse vom 12. Juli 1993 - 5 Ws 136 und 150/93 - und vom 14. April 1992 - 5 Ws 109/92 -; Gribbohm in LK-StGB 11. Aufl., § 56f, Rdn. 19, 23; Stree in Schenke/Schröder, StGB 26. Aufl., § 56f Rdn. 6, 8), das auf einer ablehnenden Haltung oder fehlendem Genugtuungswillen beruht. In subjektiver Hinsicht ist Verschulden und Zahlungsfähigkeit erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 323; OLG Düsseldorf StV 1995, 595; OLG Hamm StV 1993, 259, 260). Danach ist ein Widerruf hier nicht zu rechtfertigen.

In der Begründung des angefochtenen Beschlusses wird ausgeführt, die Strafkammer habe den Eindruck gewonnen, daß der Beschwerdeführer sich ausschließlich um seine eigenen Belange kümmere und seine Lebensführung nicht einmal ansatzweise auf die Erfüllung der gerichtlichen Auflage ausrichte. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer zwei erhaltene Provisionszahlungen im Juni und Juli 2003 zur Tilgung alter Verbindlichkeiten und nicht zur Erfüllung der Auflage verwandt habe. Dies kann einen Widerruf nicht begründen. Erforderlich wäre vielmehr die positive Feststellung, daß der Beschwerdeführer zur Erfüllung der Auflage in der Lage gewesen ist. Dies darzulegen obliegt dem Gericht; den Verurteilten trifft insofern keine Beweislast. Gibt es konkrete Anhaltspunkte für fehlendes Zahlungsvermögen, so muß das Gericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten aufklären.

Bleiben begründete Zweifel, ob der Verurteilte in der Lage gewesen ist, die Auflage zumindest teilweise zu erfüllen, so hat der Widerruf zu unterbleiben (vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Stree, § 56f Rdn. 6, 8).

Nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Zahlungsfähigkeit des Beschwerdeführers seit dem Urteil vom 13. September 2000 bis zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung zeigt die Strafkammer nicht auf. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt des Urteils arbeitslos und aufgrund eines Bandscheibenleidens auch arbeitsunfähig. Er lebte von den Einkünften seiner Ehefrau, einer selbständigen Textilhändlerin. In der Hauptverhandlung bezifferte er deren Einkünfte auf etwa 4.000,00 DM im Monat. Später eingereichten Bescheiden über die Einkommenssteuer ist jedoch zu entnehmen, daß die Ehefrau weder im Jahr 2000 noch im Jahr 2001 positive Einkünfte hatte. Er selbst arbeitet seit Anfang 2002 als Versicherungsvertreter auf Provisionsbasis. Der Aufstellung in seinem Schreiben vom 28. Oktober 2003 läßt sich entnehmen, daß ihm im Jahre 2003 im Durchschnitt etwa 1.000,00 € Provisionen im Monat gutgeschrieben wurden. Hiervon sind die Aufwendungen für die Ausübung der Tätigkeit (insbesondere KFZ-Kosten) und die Lebenshaltungskosten für zwei Erwachsene abzuziehen. Bei dieser Finanzlage ist nicht erkennbar, daß der Beschwerdeführer in der Lage gewesen wäre, auch noch Leistungen zur Schadenswiedergutmachung zu erbringen. Entgegen der Ansicht der Strafkammer kann dies weder seinem aus dem Bewährungsheft ersichtlichen Verhalten entnommen werden noch sind sonst hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Beweisführung ersichtlich. Dem Beschwerdeführer ist ein schuldhaftes Handeln gegen die Auflage daher nicht nachzuweisen, so daß ein Widerruf der Strafaussetzung so nicht zu rechtfertigen ist.

b) Der Senat weist im übrigen darauf hin, daß die Anordnung, "nach besten Kräften den durch die Tat angerichteten Schaden wiedergutzumachen", als Auflage zu unbestimmt und daher zumindest unzweckmäßig ist. Auflagen sind grundsätzlich so zu fassen, daß Verstöße einwandfrei festgestellt werden können (vgl. Gribbohm, § 56b, Rdn 7.; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl., § 56b, Rdn. 10; jew. m. weit. Nachw.). Der hiesigen Auflage läßt sich aber schon nicht entnehmen, welchen der insgesamt sechs Geschädigten der Beschwerdeführer nunmehr den Schaden in welchem Umfang ersetzen soll. Selbst wenn man unterstellt, daß insoweit lediglich ein Formulierungsversehen vorliegt und dem damals mittellosen Beschwerdeführer tatsächlich auferlegt werden sollte, die eingetretenen Betrugsschäden in Höhe von insgesamt 166.094,50 DM zu ersetzen, könnte die Auflage kaum Bestand haben. Das Gebot wäre immer noch derart unklar, daß es letztlich dem Verurteilten überlassen bleibt, seine Leistungsfähigkeit einzuschätzen und Schadenswiedergutmachungen zu leisten oder davon abzusehen. Dies würde den Verurteilten, der schwerlich feststellen kann, ob sein Verhalten der Auflage noch gerecht wird, nicht nur überfordern, sondern auch dazu führen, daß der Nachweis, er habe seine Leistungsfähigkeit zu gering bemessen, kaum erbracht werden könnte. Eine Auflage muß aber zumindest so eindeutig sein, daß sie den Verurteilten nicht im unklaren läßt, wann die Strafaussetzung widerrufen wird. Dieser Anforderung kann auch eine Auflage, "nach besten Kräften den durch die Taten angerichteten Schaden wiedergutzumachen" nicht gerecht werden, da weder die Art und Weise, in der die Schadenswiedergutmachung erfolgen soll noch die Höhe und die Empfänger eventueller Zahlungen bestimmt wäre. Hier kann dahinstehen, ob eine solche Auflage nicht sogar gesetzwidrig wäre (vgl. Gribbohm, a.a.O.). Infolge mangelnder Bestimmtheit wäre sie jedenfalls ungeeignet, dem Verurteilten ein schuldhaftes Verhalten nachzuweisen. Sie könnte damit regelmäßig einen Widerruf der Strafaussetzung nicht begründen (vgl. KG, Beschluß vom 12. Juli 1993 - 5 Ws 136 und 150/93 -).

2. Dem Beschwerdeführer war allerdings nicht nur auferlegt worden, den Schaden wiedergutzumachen. Er war auch angewiesen worden, "eine Ablichtung des jeweiligen Einkommensjahressteuerbescheides" vorzulegen. Mit dieser Anordnung sollte offensichtlich überprüft werden, ob der Beschwerdeführer auch "nach besten Kräften" den Schaden wiedergutmacht. Diese Anordnung kann den Widerruf nicht begründen, weil sie gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Rechtlich läßt sie sich nicht als Weisung nach § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB einordnen; denn Weisungen nach dieser Bestimmung sind Lebenshilfen für den Verurteilten. Die Anordnung kann auch nicht auf § 56b StGB gestützt werden. § 56b Abs. 2 StGB enthält nämlich eine abschließende Aufzählung der zugelassenen Auflagen (vgl. Gribbohm, § 56b Rn. 4; Stree, § 56b Rn. 8; Tröndle/Fischer, § 56b Rn. 5). Es ist daher z. B. unzulässig, die Offenlegung der Einkommensverhältnisse anzuordnen, um die ordnungsgemäße Erfüllung einer Schadenswiedergutmachungsaufläge kontrollieren zu können (vgl. BVerfG, NStZ 1995, 25, m. weit. Nachw.). Nichts anderes gilt für die von der Wirtschaftsstrafkammer getroffene Anordnung, sie ist gleichfalls in § 56b Abs. 2 StGB nicht vorgesehen und verstößt damit gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip. Zuwiderhandlungen gegen unzulässige Auflagen können den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aber nicht rechtfertigen (Gribbohm, § 56f Rn. 16, 23; Stree, § 56f Rn. 8). Bereits dies verkennt die Strafkammer, wenn sie ausführt, der Beschwerdeführer habe auch gegen die Anordnung zur Vorlage der Jahressteuerbescheinigungen gröblich und beharrlich verstoßen. Im übrigen sind die Ausführungen in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer ist der Aufforderung der Strafkammer nämlich nachgekommen. Zwar konnte er eigene Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2000 und 2001 mangels eigener Berufstätigkeit nicht vorlegen. Erst vom Jahre 2002 an war er wieder verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, weil er Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielte. Er hat aber statt dessen sogar die Einkommenssteuerbescheide seiner Ehefrau vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß diese in den Jahren 2000 und 2001 kein Einkommen erzielte, mithin auch keinen Unterhalt leisten konnte. Ferner hat er für seine Ehefrau ausgestellte Vergütungsbescheinigungen der Signal Iduna-Versicherung eingereicht.

3. Der Hinweis in dem angefochtenen Beschluß, daß dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt worden sei, anstelle der Schadenswiedergutmachung 600 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten, ist gleichfalls nicht nachvollziehbar. Eine derartige Auflage ist dem Beschwerdeführer nie erteilt worden. Für eine nachträgliche Änderung einer Auflage ist ein Beschluß des Gerichts nach § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlich. Hieran fehlt es. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben vom 25. November 2002. Dem Beschwerdeführer wurde damit zum staatsanwaltschaftlichen Antrag, eine Auflage nach § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB zu erteilen, rechtliches Gehör gewährt. Die Strafkammer hat eine derartige Auflage jedoch nie erteilt, so daß dem Beschwerdeführer insoweit auch kein Vorwurf gemacht werden kann.

Der Widerruf der Strafaussetzung kann daher keinen Bestand haben. Der Senat hebt den angefochtenen Beschluß auf und lehnt den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft ab. Nachdem die Bewährungszeit während des Beschwerdeverfahrens abgelaufen ist, wird die Strafkammer nunmehr zu prüfen haben, ob die Strafe zu erlassen ist.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.



Ende der Entscheidung

Zurück