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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 201/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1 Nr. 1
Zur Einschränkung der Erstverbüßerregel bei Serienstraftätern.
5 Ws 201/04

In der Strafsache

wegen Betruges u. a.

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. Mai 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 8. April 2004 aufgehoben.

Der Antrag des Verurteilten, die weitere Vollstreckung der durch den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 26. Februar 2002 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt.

Gründe:

Der Verurteilte verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, die das Landgericht Berlin gegen ihn durch Beschluß vom 26. Februar 2002 festgesetzt hat. Die Gesamtstrafe ist gebildet worden aus in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2000 verhängten Einzelstrafen wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 45 Fällen, versuchten Betruges und Urkundenfälschung in jeweils zwei Fällen und Beihilfe zum versuchten Betrug sowie aus einer Strafe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, auf die das Amtsgericht Fürstenwalde gegen den Verurteilten am 19. Januar 2000 erkannt hat. Insgesamt liegen der Strafvollstreckung demnach nicht, wie der Verurteilte meint, 45, sondern 51 Straftaten zugrunde. Zwei Drittel der Strafe hatte der Verurteilte am 16. September 2003 verbüßt; ihr Ende ist auf den 16. Februar 2005 vermerkt. Mit dem Beschluß vom 8. April 2004 hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit auf drei Jahre bemessen und den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet.

Die beantragte Strafaussetzung muß abgelehnt werden, weil sie unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit noch nicht verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Die Abwägung der für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände ergibt, daß es zur Zeit noch an einer tragfähigen Grundlage für eine hinreichend günstige Prognose fehlt.

Ausschlaggebend für die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, die Vollstreckung der Reststrafe auszusetzen, war, daß der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt. Diesem Umstand kommt hier aber nicht die Bedeutung zu, die die Kammer ihm beigemessen hat. Ob der erste Freiheitsentzug einen Straftäter so stark und nachhaltig beeindruckt, daß ihn schon eine teilweise Vollstreckung der Strafe von weiteren Verfehlungen abhält, hängt hauptsächlich von seiner Persönlichkeit ab. Entscheidend ist, wie sich die mit dem Verlust seiner Freiheit verbundenen Erfahrungen auf die charakterlichen Defizite, die für sein Versagen ursächlich waren, ausgewirkt haben. Die hierzu in dieser Sache vorliegenden Erkenntnisse lassen noch nicht den Schluß zu, daß der Verurteilte aus dem bisherigen Freiheitsentzug die notwendigen Lehren gezogen hat.

Bevor der Verurteilte die dem Gesamtstrafenbeschluß vom 26. Februar 2002 zugrunde liegenden Delikte beging, war er schon wiederholt straffällig geworden. Auch wenn er deswegen nur mit Geldstrafen belegt wurde, kam in diesem Verhalten eine Geringschätzung der Rechtsordnung zum Ausdruck. Zwei der Vorverurteilungen ergingen gegen ihn in den Jahren 1995 und 1998 wegen Betruges. Die anschließende Serie von Straftaten, die zu dem Urteil des Landgerichts vom 14. November 2000 führte, ließ offenkundig werden, daß er jedenfalls zu der damaligen Zeit über eine ausgeprägte Fähigkeit und den Willen verfügte, wohlüberlegt und planmäßig Dritte zu täuschen und zu schädigen. Es handelte sich nicht etwa um Gelegenheitstaten, sondern um die sorgfältig vorbereitete, gewerbsmäßig ausgeführte Erschleichung von Provisionen in beträchtlicher Gesamthöhe unter Verwendung zuvor von ihm gefälschter Unterlagen. Einen zusätzlichen Hinweis auf eine bei ihm bestehende Neigung, zum eigenen Nutzen andere zu täuschen, ergab auch sein Verhalten, mit dem er versuchte, seine Festnahme aufgrund des gegen ihn ergangenen Vollstreckungshaftbefehls zu verhindern. Die Wohnung, in der er sich verborgen hielt, mietete er unter einem falschen Namen an, den er auch benutzte, als ihn Polizeibeamte dort aufspürten. Dementsprechend hat die Justizvollzugsanstalt Charlottenburg noch in ihrer letzten Stellungnahme vom 16. März 2004 ausgeführt, in der Entwicklung des Verurteilten seien Fortschritte zu verzeichnen, betrügerische Anteile in seiner Persönlichkeit seien aber durchaus erkennbar.

Bei dieser Sachlage lassen sich hinreichend sichere Erkenntnisse dazu, wie groß die Gefahr ist, daß der Verurteilte nach einer Haftentlassung erneut Betrügereien begeht, nur durch seine Erprobung im Freigang gewinnen. Die ihm seit November 2003 gewährten Ausgänge und Beurlaubungen reichen hierfür nicht aus. Denn allein als Freigänger kann er unter Beweis stellen, daß er inzwischen den Willen und die Fähigkeit besitzt, dauerhaft auf ehrliche Weise durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zum Freigang ist er aber wegen eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens bislang nicht zugelassen worden. Die Folgen der - nicht zu beanstandenden - Versagung des Freigangs muß er hinnehmen. Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt darin nicht.

Das sonstige Vorbringen des Verurteilten rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zwar hat ihm die Vollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vom 16. März 2004 erstmals Schuldeinsicht und Übernahme von Verantwortung bestätigt. Wie weit diese positive Entwicklung gediehen ist, kann aber gerade erst der Freigangsverlauf zeigen. Zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens verschweigt der Verurteilte, daß nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen die Zahlungen nicht freiwillig, sondern aufgrund einer Pfändung seines Eigengeldes erfolgen. Über familiäre Bindungen verfügte der Verurteilte schon früher, ohne daß sie ihn vor dem Abgleiten in die Kriminalität bewahrt haben. Die Strafvollstreckung muß daher fortgesetzt werden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen, weil sie zu den Verfahrenskosten gehören, die ihm nach § 465 StPO zur Last fallen. Von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (vgl. Meyer/Goßner, StPO 46. Aufl., § 473 Rdn. 15).

Ende der Entscheidung

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