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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 04.05.2004
Aktenzeichen: 7 U 210/03
Rechtsgebiete: InsO, BGB


Vorschriften:

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 129 ff
BGB § 389
Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO beurteilt sich nach §§ 129 ff InsO. Da die Aufrechnung nach den gesetzlichen Voraussetzungen wegen der in § 389 BGB geregelten Wirkungen ein Erfüllungssurrogat darstellt, ist ihre Gleichstellung mit einer Erfüllung vor Verfahrenseröffnung in anfechtungsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt. Es ist also bei § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu prüfen, ob eine vergleichbare Erfüllung im Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage vor Verfahrenseröffnung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 129 ff. anfechtbar wäre.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 210/03

verkündet am: 04.05.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 04 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Renner und Sellin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. April 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin - 9 O 324/02 - wird zurückgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird verworfen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 59 % und die Beklagte 41 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn die Gegenseite nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe:

A.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz einschließlich der dort von den Parteien gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird auf das am 8. April 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin - 9 O 324/02 - Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 21. Mai 2003 zugestellte Urteil hat sie am 23. Juni 2003 (Montag) Berufung eingelegt und diese - nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - am 21. August 2003 begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt vor, bei den Honoraransprüchen des Schuldners handele es sich um Dienstbezüge im Sinne des § 114 Abs. 2 S. 1 InsO, gegen die sie aufrechnen dürfe. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO stelle allein darauf ab, dass die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt sei. Die Aufrechnung selbst könne damit also nicht gemeint sein. Auch die freiwillige Entscheidung des Schuldners, seine Abrechnungsunterlagen einzureichen, oder das Feststellen des Honoraranspruchs durch die Beklagte aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 85 Abs. 4 SBG V könnten nicht als anfechtbare Rechtshandlungen in Betracht kommen, wenn der Schuldner von und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig Forderungen gegen die Beklagte erwerbe, da sonst die Regelung des § 114 Abs. 2 S. 1 InsO leer laufen würde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen und die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 49.425,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, die Beklagte habe mittlerweile auch die Honorarforderungen einbehalten, die sie zunächst anerkannt und an den Kläger zur Masse ausgezahlte habe, weil sie selbst davon ausgegangen sei, dass insoweit eine Aufrechnung unzulässig gewesen wäre.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

I. Auf das Berufungsverfahren waren die Vorschriften der Zivilprozessordnung in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden, denn die mündliche Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil erging, ist nach dem 1. Januar 2002 geschlossen worden (§ 26 Nr. 5 EGZPO).

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist vorliegend gegeben. Nach § 13 GVG gehören vor die ordentliche Gerichtsbarkeit sämtliche bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

Dazu gehört auch der vorliegende, weil mit der Klage nicht der Insolvenzschuldner Honoraransprüche gegen die K... V... geltend macht, sondern der Insolvenzverwalter einen Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 S. 1 InsO verfolgt. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2004 nochmals ausdrücklich klargestellt hat, verlangt er die im Wege der Verrechnung geltend gemachten Zahlungen auf die Regressforderung heraus, die dem Grunde und der Höhe nach als solche unstreitig sind. Anfechtbar ist nur eine Leistung des Schuldners an einen Dritten, nicht jedoch die Leistung des Dritten an den Schuldner.

2. Die Beklagte ist passivlegitimiert. Nach § 143 Abs. 1 InsO ist grundsätzlich das zurückzugewähren, was der Insolvenzmasse entzogen ist, und nicht das, was dem Vermögen des Anfechtungsgegners zugeflossen ist (BGHZ 124, 298, 302). Nach dem Sinn und Zweck des Rückgewähranspruchs ist Anfechtungsgegner und damit Schuldner im Sinne des § 143 Abs. 1 InsO nur derjenige, der gegenüber der Gläubigergesamtheit bevorzugt worden ist. Maßgeblich ist daher, wer den wirtschaftlichen Wert aus dem Vermögen des Schuldners erhalten hat (BGH ZIP 1999, 1764, 1765 f.). Unerheblich ist danach, ob der Empfängerden anfechtbar erhaltenen Gegenstand an einen Dritten weitergibt. Empfänger ist derjenige, der einen eigenen Anspruch auf Leistung gegen den Schuldner hat. Das ist aufgrund der gesetzlichen Regeln hier die Beklagte.

Dass die Krankenkassen letztendlich die Begünstigten der angefochtenen Verrechnung sind, ändert nichts daran, dass dies erst nach der Verteilung durch die Beklagte der Fall ist. Das gesetzlich vorgesehene Einzugsverfahren macht sie noch nicht automatisch zu "mittelbaren Empfängern". Es geht vorliegend um die Anfechtbarkeit von Verrechnungen, welche die Beklagte im Rahmen ihrer "Verteilungsaufgabe" gemäß § 85 Abs. 4 SGB V vorgenommen hat. Die Verteilung der an die Vertragsärzte zu entrichtenden Teile der Gesamtvergütung ist ausschließlich Aufgabe der Beklagten und nicht der einzelnen Krankenkassen; diese sind daran - jedenfalls nicht unmittelbar - beteiligt. Dass die Beklagte die Beträge, die sie als Schadensersatzansprüche einbehalten hat, letztlich auch wieder den Krankenkassen zukommen lassen muss, ändert nichts daran, dass sie durch die angefochtene Rechtshandlung zunächst selbst begünstigt worden ist. Die Aufgabe, Schadensersatzansprüche gegen die Vertragsärzte aus Feststellungen der Prüfgremien geltend zu machen, ist sowohl in § 52 BMV-Ä als auch in § 48 EKV der Kassenärztlichen Vereinigung zugewiesen, die sie mit Honorarforderungen des Vertragsarztes zu verrechnen hat. Erst dann, wenn eine solche Verrechnung nicht mehr möglich ist, hat sie die Schadensersatzansprüche an die Ersatzkasse zur unmittelbaren Einziehung abzutreten. Das Landgericht hat somit zurecht gefolgert, dass die Beklagte zunächst Anspruchsinhaber ist, solange eine derartige Abtretung nicht erfolgt ist. Da die Krankenkassen weder an der Verteilung noch an der Einziehung beteiligt sind, sie also auch keine Rechtshandlungen in diesem Zusammenhang vorzunehmen haben, wäre ihnen gegenüber eine Anfechtung auch gar nicht möglich.

Im Übrigen ist für die Anfechtung nach §§ 129 ff InsO nicht von entscheidender Bedeutung, ob die Beklagte die - letztendlich - Begünstigte der anfechtbaren Handlung ist, sondern allein, dass die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden. Dass es sich also letztlich um Erstattungsansprüche der Krankenkassen handelt, die von der Beklagten eingezogen werden, ist für die Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff InsO unerheblich.

3. Der Kläger hat gegen die Beklagte den erstinstanzlich zuerkannten Anspruch auf Zahlung in Höhe von 34.702,87 €. Wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, war die Beklagten nicht nur Verrechnung des Honoraranspruchs mit den bestehenden Schadensersatzansprüchen berechtigt, die gegen den Schuldner wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festgesetzt worden waren.

Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO beurteilt sich nach ganz herrschender Meinung, welcher der Senat folgt, nach §§ 129 ff InsO (vergl. OLG Dresden DZWIR 2001, 470 m. w. N.). Von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO wird jeder Erwerb und jede Begründung einer Gegen- oder Hauptforderung i.S.d. Aufrechnungsvoraussetzungen erfasst, gleichgültig ob der Erwerber schon Insolvenzgläubiger oder nur Schuldner der Insolvenzmasse ist, ob der Insolvenzgläubiger die Gläubiger- oder Schuldnerposition erwirbt oder ob die Aufrechnungslage durch die Beteiligung Dritter vor Verfahrenseröffnung entsteht (Berliner Kommentar zur InsO - Blersch, § 96 Rdn. 11). Da die Aufrechnung nach den gesetzlichen Voraussetzungen wegen der in § 389 BGB geregelten Wirkungen ein Erfüllungssurrogat darstellt, ist ihre Gleichstellung mit einer Erfüllung vor Verfahrenseröffnung in anfechtungsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt. Es ist also bei § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu prüfen, ob eine vergleichbare Erfüllung im Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage vorVerfahrenseröffnung nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 129 ff. anfechtbar wäre (Berliner Kommentar a. a. O.). Für die Verrechnung gilt nichts anderes, da sie dieselbe rechtliche Wirkung erzielt wie die Aufrechnung. Entscheidend ist deshalb allein, ob die Regressforderung, hätte sie der Schuldner zum Zeitpunkt der Verrechnung bezahlt, der Anfechtung nach § 130 InsO unterliegen würde. Das ist hier ohne Zweifel der Fall. Die Beklagte hat durch die Aufrechnung in der kritischen Zeit Erfüllung erlangt, die nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 InsO anfechtbar ist. Dass diese Erfüllung nicht durch Zahlung, sondern im Wege der Verrechnung eingetreten ist, macht im Ergebnis keinen Unterschied aus.

Die Feststellungen des Landgerichts zum Zeitpunkt der Verrechnungslage sind jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Der Honoraranspruch des Vertragsarztes wird erst fällig, nachdem ggf. die Entscheidung im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung für die Kassenärztliche Vereinigung materiell bindend geworden ist (BSGE 56, 116). Die Honoraransprüche gegen die Beklagte entstanden also erst im anfechtungsrelevanten Zeitraum, nämlich nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 21. Juli 1999.

4. Die Vorschrift des § 114 Abs. 2 InsO steht der Anfechtbarkeit ebenfalls nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift bleibt es bei der Anwendbarkeit des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, auf den in § 114 Abs. 2 S. 2 InsO ausdrücklich verwiesen wird. Auch hier ist eine Privilegierung der Aufrechnung bzw. der Verrechnung gegenüber der Erfüllung aus den vorgenannten Gründen nicht gerechtfertigt. Die Ansicht der Beklagten, pfändbares Honorar des Arztes gehöre nicht zur Insolvenzmasse, hat mit der hier vorliegenden Problematik nichts zu tun. Es geht, wie oben bereits festgestellt, nicht um die Rückforderung des Honorars, sondern um die Bezahlung der Regressforderung, die der Beklagten nur als Insolvenzforderung zusteht, wenn sie der Anfechtung unterliegt. Deshalb liegt auch der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des OLG Düsseldorf neben der Sache, denn dieser Entscheidung liegt die Frage zugrunde, ob der Insolvenzverwalter einen Rückforderungsanspruch hat, wenn der Arzt seine Honorarforderung an die beklagte Bank vor der Insolvenzeröffnung unanfechtbar abgetreten hat.

5. Die weiteren Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO, nämlich die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und die Kenntnis der Beklagten hiervon, liegen e-benfalls vor. Die Beklagte hat nicht substanziiert bestritten, dass sie zu diesem Zeitpunkt wusste, dass der Gemeinschuldner zahlungsunfähig war. Jedenfalls hat der Senat nach dem Parteivortrag an der Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit keinen ernsthaften Zweifel. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Selbst wenn noch nicht vier, sondern "erst" zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vorlagen, reicht dies angesichts der weiteren Umstände des vorliegenden Falls aus, um diese Kenntnis anzunehmen. Wenn die Beklagte selbst von Zahlungsunfähigkeit ausgegangen ist, wie sich aus dem Schreiben an die AOK (Anl. K 4) ergibt, kann es sich dabei um keinen Irrtum gehandelt haben, denn der Insolvenzschuldner war tatsächlich zahlungsunfähig.

Die Anfechtung ist somit auch bei kongruenter Deckung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 InsO wirksam. Die Anfechtbarkeit entfällt auch nicht dadurch, dass es für die Forderung der Beklagten eine sozialrechtliche Anspruchsgrundlage gibt. Auch derartige Forderungen sind vielmehr grundsätzlich zur Tabelle anzumelden, eine gesetzliche Ausnahmeregelung ist vorliegend nicht ersichtlich.

Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger unpfändbares Einkommen einziehen darf, ist für die Frage der Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff InsO ebenfalls unerheblich; auf das angefochtene Urteil kann insoweit verwiesen werden. Entscheidend ist, dass die Regresszahlung der Anfechtung unterliegt.

Eine Gläubigerbenachteiligung scheidet schließlich nicht deswegen aus, weil eine Quote von 100 % erwartet werden könnte. Nach dem Bericht des Insolvenzverwalters vom 9. September 2002 (Bl. 135 der Beiakte 101 IN 2471/99) erwartet er vielmehr eine Quote von 30 %.

Die Berufung der Beklagten konnte deshalb keinen Erfolg haben.

III. Die Anschlussberufung des Klägers ist unzulässig, da sie nicht in der Ausschlussfrist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO erhoben worden ist. Dass die Anschlussberufung nicht als solche bezeichnet worden und zum Zwecke der Klageerweiterung erfolgt und mit einer solchen verbunden ist, ändert daran nichts. § 533 ZPO gilt grundsätzlich nur für den Berufungskläger und enthält nur deshalb keine Frist, weil eine solche wegen der Regelung in § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO überflüssig wäre.

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

V. Ein Grund, die Revision zuzulassen, war nicht gegeben, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Aus der Sicht des Senats handelt es sich hier um eine Einzelfallentscheidung.



Ende der Entscheidung

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