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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.10.2005
Aktenzeichen: 7 W 46/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 144 Abs. 1
ZPO § 144 Abs. 1 S. 3
ZPO § 144 Abs. 2
§ 144 Abs. 1 ZPO statuiert eine prozessuale Duldungspflicht, die unabhängig davon besteht, ob der Dritte im Verhältnis zum Antragsteller aus materiellem Recht zur Duldung verpflichtet ist. Sie ist nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO ausgeschlossen, wenn sie eine Wohnung betreffen würde und unterliegt nach § 144 Abs. 2 ZPO der Beschränkung, dass dem Dritten die Duldung nicht unzumutbar sein darf oder ihm insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 7 W 46/05

In dem selbständigen Beweisverfahren

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Sellin und Steinecke am 21. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

A. Das Beschwerdeverfahren wird auf den Senat übertragen.

B. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Zivilkammer 18 des Landgerichts Berlin vom 26. April 2005 - 18 OH 14/04 - abgeändert:

I. Der Streitverkündeten wird aufgegeben, die Besichtigung des Bürogebäudes nebst Tiefgarage unter der Anschrift nnnnnnnnnnnnn Berlin, im Teileigentumsgrundbuch nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn eingetragen, zur Durchführung der Beweissicherung über folgende Behauptungen/Fragen zu dulden:

1.1 Sämtliche in dem Bürogebäude vorhandenen Flurwände sind nicht feuerbeständig ausgebildet. Im Einzelnen:

a) Durch sämtliche Flurwände werden oberhalb der abgehängten Unterdecken Kabel und Leitungen ohne bauaufsichtlich zugelassene bzw. nicht fachgerecht ausgeführte Abschottungssysteme und ohne Laibungsausbildungen geführt. Entsprechendes gilt für sämtliche Flurwände unterhalb der Bodendecken.

b) Im Bereich der Ausbildung von Schaltern und Steckdosen wurde auf die Anordnung der für F-90-Wände erforderlichen Gipsblomben verzichtet.

1.2 Sämtliche in dem Gebäude befindlichen elektrotechnischen und haustechnischen Medienleitungen oberhalb der F-30-Unterdecken in den Fluren sind nicht so abgehängt, dass sie im Brandfall ortsfest verbleiben und die Decke über einen Zeitraum von 30 Minuten nicht zusätzlich belasten. Die Abhängung entspricht nicht dem Qualitätsmerkmal F-30 und weist nicht den entsprechenden Abstand zur Unterdecke auf.

1.3 Entsprechen die Brandschottungen innerhalb der Lüftungskanäle den Vorgaben aus der Baugenehmigung?

Sowie ergänzend, soweit sich die Beantwortung nicht bereits aus entsprechenden Feststellungen zu 1.1. bis 1.3. ergibt

1.4. a) Genügt die in dem Bürogebäude vorhandene Ausbildung der Flurwände, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Vollsprinklerung aller Räume vorhanden ist, den anerkannten Regeln des Brandschutzes?

b) Besteht ein Risiko eines temperaturbedingten Versagens der Flurwände im Brandfalle aufgrund von Kabel- und Leitungsdurchführungen ohne bauaufsichtlich zugelassenen Abschottungen und ohne Auskleidung der Laibungen?

c) Besteht ein Risiko eines temperaturbedingten Versagens der Flurwände aufgrund des Umstandes, dass im Bereich der Steckdosen auf die Anordnung aus Gipsplomben verzichtet wurde, insbesondere unter Berücksichtigung der direkt daneben befindlichen, ca. 2 m² großen Bürotüren in T-O Qualität (d.h. ohne Brandschutzanforderungen)?

d) Beeinträchtigen die in der Anlage AG 3 dargestellten, von der Antragstellerin nachträglich im Rahmen des Nutzerausbaus selbst vorgenommenen Kabel- und Leitungsdurchführungen in dem Raum 1434, 1. OG, und dem Raum 2314, 2. OG, die Brandschutzqualität der Flurwände?

e) Ist der Antragstellerin durch den Umstand, dass die Flurwände nicht komplett in F-90-Qualität hergestellt worden sind, eine erhebliche Minderung des Wertes oder der Nutzbarkeit des Gebäudes oder ein sonstiger "Schaden" - etwa in Form eines markantilen Minderwertes - entstanden?

f) Wie hoch beziffert der Sachverständige die im Falle einer Nachbesserung zu Lasten der Antragstellerin gehenden Sowieso-Kosten für die komplette Renovierung des Gebäudes, die im Zuge einer Herstellung der Flurwände in F-90-Qualität erfolgen müsste?

g) Ergeben sich aus der Aufhängung elektrotechnischer und haustechnischer Medienleitungen oberhalb der Unterdecken brandschutztechnische Bedenken, wenn die vorhandene Vollsprinkelung berücksichtigt wird?

h) Ergibt sich aus den vorhandenen Aufhängungen der Leitungen oberhalb der Unterdecken nach Auffassung des Sachverständigen eine irgendwie geartete erhebliche Minderung des Wertes oder der Nutzbarkeit des Gebäudes oder ein sonstiger "Schaden" der Antragstellerin etwa im Sinne eines merkantilen Minderwertes?

i) Wie hoch sind die von der Antragstellerin zu tragenden Sowieso-Kosten, wenn im Zuge einer Veränderung der Aufhängung von Leitungen oberhalb der Unterdecken eine vollständige Renovierung des Gebäudes erfolgen muss?

II. Die Streitverkündete hat zu dulden, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige die Zwischendecken öffnet und die Installationen im Zwischendeckenbereich einzeln bewertet sowie Schalter und Steckdosen ausbaut, um die verbleibende Wandstärke zu bestimmen.

III. Die Besichtigung und das Öffnen der Bauteile wird zunächst auf den Teil des Gebäudes beschränkt, der sich nicht im unmittelbaren Besitz eines Mieters der Streitverkündeten befindet.

IV. Der Sachverständige hat dafür Sorge zu tragen, dass die vorzunehmenden Öffnungen von Bauteilen unverzüglich sach- und fachgerecht wieder verschlossen werden.

C. Der Beschwerdewert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Das Verfahren ist wegen seiner Bedeutung gemäß § 568 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auf den Senat übertragen worden.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel auch Erfolg, denn die von der Antragstellerin beantragte Anordnung zur Durchführung der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen war gemäß § 144 Abs. 1 ZPO zu treffen.

Die durch das Zivilprozessreformgesetz 2001 erfolgte Erweiterung der Vorschrift des § 144 ZPO hat erstmals ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, dass der Richter auch einen Dritten u. a. zur Duldung der Begutachtung eines in seinem Besitz befindlichen Gegenstandes verpflichtet. Zwar dient diese Vorschrift in der Regel der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Anderseits werden in den §§ 139 ff ZPO die allgemeinen Pflichten und Befugnisse des streitentscheidenden Richters normiert, die - selbstverständlich - auch für das selbständige Beweisverfahren gelten. Dieses ermöglicht es unter bestimmten Voraussetzungen während oder außerhalb eines Streitverfahrens eine Beweisaufnahme vorwegzunehmen, die aber nach § 492 Abs. 1 ZPO nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels überhaupt geltenden Vorschriften zu erfolgen hat.

§ 144 Abs. 1 ZPO statuiert eine prozessuale Duldungspflicht, die unabhängig davon besteht, ob der Dritte im Verhältnis zum Antragsteller aus materiellem Recht zur Duldung verpflichtet ist (vgl. zur parallelen Vorschrift zur Vorlage von Urkunden, § 142 ZPO: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. § 142 Rn. 25). Sie ist nach § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO ausgeschlossen, wenn sie eine Wohnung betreffen würde und unterliegt nach § 144 Abs. 2 ZPO der Beschränkung, dass dem Dritten die Duldung nicht unzumutbar sein darf oder ihm insoweit ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht (vgl. hierzu: Egon Schneider, MDR 2004, 1 ff.).

Die Duldung ist der Streitverkündeten zumutbar, denn die Streitverkündete hatte das von den Antragsgegnerinnen errichtete Gebäude von der Antragstellerin erworben und beide haben ein gewichtiges Interesse daran zu klären, ob und ggf. welche Baumängel bestehen. Die für die Untersuchung erforderlichen Eingriffe in die Substanz des Gebäudes sind nicht schwerwiegend und die Substanzverletzungen können ohne weiteres sofort wieder beseitigt werden. Das Öffnen von abgehängten Zwischendecken und die Demontage von Schaltern sind ohne großen Aufwand und ohne größere Belästigung möglich. Hinzu tritt, dass es im vorliegenden Beweisverfahren um grundsätzliche Fragen des Brandschutzes des Gebäudes geht, an deren abschließender Klärung in einem förmlichen Beweisverfahren nicht nur alle Parteien, auch die Streitverkündete, ein Interesse haben sollten, sondern dass sogar im Interesse der Allgemeinheit steht. Insoweit vermag auch das bereits vorliegende Gutachten der Sachverständigen Ehrlicher die Interessenlage nicht wesentlich zu verändern, denn zum Einen hat dieses keine Bindungswirkung im Verhältnis der Hauptparteien des vorliegenden Verfahrens. Zum Anderen ist nicht ersichtlich, dass die Überprüfung der von dieser Sachverständigen angeblich bereits festgestellten Mängel in einem förmlichen Verfahren durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen einem der Beteiligten zum Nachteil gereichen könnte.

Einer Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren bedurfte es nicht, denn diese sind Teil der Kosten des Hauptsacherechtsstreits (Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 490 Rn. 5).

Ende der Entscheidung

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