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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 15.09.2003
Aktenzeichen: 8 U 309/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 182
ZPO § 418
ZPO § 415
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 309/02

Verkündet am: 15. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts, Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 15.09.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber, den Richter am Kammergericht Markgraf und die Richterin am Kammergericht Dr. Henkel für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. Oktober 2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 12 des Landgerichts Berlin wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Berufung der Beklagten richtet sich gegen das am 21. Oktober 2002 erlassene Urteil der Zivilkammer 12 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Die Beklagten tragen zur Begründung der Berufung vor:

Das Urteil des Landgerichts lege zu strenge Maßstäbe an die Beurteilung des Verschuldens. Es sei nicht ersichtlich, warum sich die Beklagten ein Weiterleitungsverschulden der Eheleute.....zurechnen lassen müssten. Die Beklagten hätten die Eheleute..... allein im Rahmen einer privaten Gefälligkeit gebeten, etwaige Post für sie in Empfang zu nehmen und sie, die Beklagten, hierüber zu informieren. Die Empfangsboten hätten sich vom 17. Mai bis 08.Juni 2002 im Urlaub befunden. Nach Rückkehr hätten sie die Niederlegungsbenachrichtigungen übersehen. Die Beklagten hätten erst durch das Schreiben des Bundesvermögensamtes vom 13. Juni 2002 Kenntnis von der Existenz der Vollstreckungsbescheide erhalten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hätten sie nicht für das Verschulden solcher Personen einzustehen, die weder ihr Vertreter noch ihr Angestellter sei. Die Eheleute.....seien auch nicht verpflichtet gewesen, während des Urlaubs Vorkehrungen für den Eingang etwaiger Postsendungen zu treffen.

Grundsätzlich müsse selbst die Partei vor einem Urlaub keine Vorkehrungen wegen einer möglichen Zustellung gleich welcher Art treffen. Weder sie, die Beklagten, noch die Eheleute.... hätten Kenntnis von den Mahnbescheiden gehabt. Die Mahnbescheide hätten sie auch nicht erreicht. Die Wohnung unter der Anschrift Platz der Nationen in Berlin sei Anfang 2002 aufgegeben worden. In der Zeit zwischen dem 28. Dezember 2000 und Ende Dezember 2001 sei die Postkontrolle durch einen Bekannten ausgeübt worden. Post des Bundesvermögensamtes sei unter dieser Anschrift für sie nicht eingegangen. Die Wohnung sei Anfang 2002 an den Vermieter durch Einwurf der Schlüssel in das Büro des Hauswarts zurückgegeben worden. Eine Abmeldung dieser Adresse sei am 29. Januar 2002 an die Adresse der Eheleute.....erfolgt. Zu dieser Zeit hätten sie keine Kenntnis von der Zustellung der Mahnbescheide gehabt.

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 21. Oktober 2002 - 12 O 458/02 - und der Sache, das Verfahren an das Landgericht Berlin zurück zu verweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin erwidert:

Zutreffend sei das Landgericht davon ausgegangen, dass die Zustellung durch Niederlegung an der neuen Anschrift......in Zeuthen ordnungsgemäß sei. Denn die Beklagten hätten diese Anschrift selbst als Melde - und Zustellungsadresse eingerichtet und sich dort polizeilich angemeldet. Die Zustellung sei daher gemäß § 182 ZPO wirksam erfolgt.

Wiedereinsetzung habe das Landgericht zu Recht nicht gewährt, weil die Beklagten die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt hätten. Die Beklagten müssten sich das Verschulden der von ihnen eigens als Empfangsboten bzw. Empfangsbevollmächtigten eingesetzten Eheleute....zurechnen lassen. Es werde bestritten, dass die Eheleute..... in der Zeit vom 17. Mai bis 08. Juni 2002 in Urlaub gewesen seien und, dass diese die Niederlegungszettel bei Durchsicht der Post übersehen hätten.

Letztlich komme es darauf auch nicht an. Denn die Beklagten halten sich nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft im Ausland auf. Wenn die Beklagten dennoch zur Abwicklung von Korrespondenz eine Adresse in Deutschland unterhalten, müssten die Beklagten dafür Sorge tragen, dass eingehende Schriftstücke an sie unverzüglich weitergeleitet werden. Hierfür hätten die Beklagten jedoch keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Dies ergebe sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten, wonach die Eheleute....lediglich aus Gefälligkeit ohne Übernahme einer Verpflichtung hätten tätig werden sollen. Wegen der Zustellung des Mahnbescheides an die frühere Adresse Platz der Nationen in Berlin hätten die Beklagten auch mit weiteren wichtigen Zustellungen rechnen müssen. Es werde bestritten, dass die Beklagten auch den Mahnbescheid nicht erhalten hätten. So tragen die Beklagten selbst vor, dass eine Abmeldung erst ab dem 29. Januar 2002 erfolgt sei, die Zustellung des Mahnbescheids sei indes bereits am 17. Januar 2002 erfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Einsprüche gegen die Vollstreckungsbescheide vom 18. März 2002 zu Recht wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen.

1.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, was die Beklagten im übrigen mit der Berufung auch nicht angreifen, dass die Vollstreckungsbescheide wirksam durch Niederlegung unter der Anschrift....in Zeuthen zugestellt worden sind (§ 182 ZPO a.F.).

Eine Ersatzzustellung setzt zwar grundsätzlich voraus, dass der Empfänger tatsächlich an der fraglichen Adresse eine Wohnung innehat. Der Begriff der "Wohnung" i.S. der Zustellungsvorschriften stellt auf das tatsächliche Wohnen des Empfängers ab, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger sich hauptsächlich in den Räumen aufhält und dort auch schläft (std. Rechtsprechung; z.B. BGH NJW-RR 1994,564). Der Begriff "Wohnung" ist indes stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Abzustellen ist auf Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften. Dieser besteht darin, den Interessen des Zustellungsempfängers Rechnung zu tragen, der unter Wahrung des rechtlichen Gehörs in die Lage versetzt werden soll, Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück zu nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einzurichten. Aber auch das Interesse des Zustellenden an einer einfachen und effektiven Zustellungsmöglichkeit muss gewahrt werden (BGH NJW 1985,2197; OLG Düsseldorf FamRZ 1990,75). Von diesem Grundsatz, dass eine wirksame Ersatzzustellung (§182 ZPO) die tatsächliche Benutzung der betreffenden Wohnung durch den Zustellungsempfänger voraussetzt, muss daher eine Ausnahme gemacht werden, wenn der Zustellungsempfänger, sich nach außen den Anschein gibt, an einem bestimmten Ort auch seine Wohnung zu haben. Dann muss er dies auch bei Zustellungen gegen sich gelten lassen (Zöller/Stöber, ZPO, 23. Auflage, § 178 ZPO, Rdnr.7 mit den dort angegebenen Rechtsprechungsnachweisen; vgl. auch BGH NJW-RR 1993,1083). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zustellungsempfänger bewusst und zielgerichtet veranlasst, dass ihn Sendungen unter einer bestimmten Anschrift erreichen können (OLG Köln NJW-RR 2001,1511). Dies ist vorliegend der Fall. Die Beklagten haben sich nach eigenem Vortrag zum 29. Januar 2002 unter dieser Anschrift polizeilich angemeldet und diese Anschrift als Melde- und Zustelladresse eingerichtet, um für eingehende Postsendungen im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines Kindergeldanspruches zu erhalten. Gerade diesem Zweck, nämlich postalisch erreichbar zu sein, diente - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - die Einrichtung der Zustelladresse. Dann aber müssen die Beklagten auch Zustellungen anderer Schriftstücke unter dieser Anschrift gegen sich gelten lassen. Die Zustellung war daher gemäß § 182 ZPO wirksam.

2.

Den Beklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, weil sie nicht ohne ihr Verschulden verhindert gewesen sind, die Einspruchsfrist gegen die Vollstreckungsbescheide einzuhalten (§§ 233,339 Abs.1, 700 Abs.1 ZPO).

Die Beklagten trifft - entgegen der mit der Berufung vertretenen Ansicht - ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist. Denn die Beklagten haben keine Vorkehrungen dafür getroffen, dass sie die bei den Eheleuten Naydowski während deren Urlaubsabwesenheit eingehende Post auch erreicht. Zwar müssen für die Zeit der Ortsabwesenheit von der Wohnung grundsätzlich keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen getroffen werden (BVerfG NJW 1993,847). Etwas anderes gilt aber, wenn eine Partei mit fristsetzende Zustellungen rechnen muss (Baumbach/Hartmann, ZPO, 60. Auflage, § 233 ZPO, Rdnr. 28; BGH NJW 1986,2958; Braunschweig MDR 1997,884; LG Karlsruhe WuM 1989,438; OLG Düsseldorf a.a.O.; Zöller/Greger, a.a.O., § 233 ZPO, Rdnr.23). Die Klägerin hat gegen die Beklagten ein Mahnverfahren eingeleitet. Der Beklagten ist unter der Anschrift Platz der Vereinten Nationen 2/11 in Berlin der Mahnbescheid durch Niederlegung zugestellt worden. Auch unter dieser Adresse haben sich die Beklagten polizeilich angemeldet und nach eigenem Vortrag - bis zur Abmeldung an die Anschrift....in Zeuthen am 29. Januar 2002 - eine Zustelladresse eingerichtet, so dass sie die Zustellung gegen sich gelten lassen müssen. Nach dem aufgrund der Postzustellungsurkunde gefertigten Aktenausdruck des Mahngerichts ist die Zustellung des Mahnbescheids am 17. Januar 2002 durch Niederlegung nach vorangegangenem erfolglosen Zustellversuch in der Wohnung und Einwurf des Benachrichtigungszettels in den Hausbriefkasten erfolgt. Die Postzustellungsurkunde begründet nach den §§ 418,415 ZPO den Beweis für die darin beurkundeten Tatsachen, hier also die ordnungsgemäße Zustellung (BGH NJW- RR 2001,571).

Zwar kann der insoweit mit der Urkunde zu führende Beweis durch einen Gegenbeweis erschüttert werden (§ 418 Abs. 2 ZPO). Hierfür reicht indes der erstinstanzliche Vortrag der Beklagten, dass sie den Mahnbescheid nicht erhalten haben und "ihrer Ansicht nach " die Zustellung nicht erfolgt sei, nicht aus. Auch die unsubstantiierte Behauptung, dass die Wohnung von keinem mehr genutzt werde, ist nicht ausreichend. Die Beklagten haben erstmals in der Berufungsinstanz konkret behauptet, dass der Vater des Beklagten zu 1) seit 1999 die Wohnung verlassen habe und diese nur noch als Abstellraum benutzt werde und der Beklagte zu 1) nach Kündigung des Vermieters die Wohnungsschlüssel Anfang 2002 an den Vermieter zurückgegeben habe. Diese neu im Berufungsverfahren vorgetragenen Tatsachen sind nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Neu ist Vorbringen, welches im ersten Rechtszug nur angedeutet und erst in der Berufungsinstanz substantiiert und schlüssig wird (Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, 25. Auflage, § 531 ZPO, Rndr.13; OLG Koblenz NJW-RR 1993,1408; vgl. BGHZ 91,301 für fehlende Substantiierung einer vorher erklärten Aufrechnung; vgl. Senatsurteil vom 07. August 2003 - 8 U 266/02 -, UA Seite 7, unveröffentlicht). Aufgrund der ordnungsgemäßen Zustellung des Mahnbescheids ist davon auszugehen, dass die Sendung in den Empfangsbereich der Empfänger, hier der Beklagten, gelangt ist und sie die Möglichkeit hatten, deren Inhalt auch zur Kenntnis zu nehmen. Dann aber hätten die Beklagten Vorkehrungen treffen müssen, die sicherstellen, dass die im Mahnverfahren weiter zu erwartenden Schriftstücke, hier die Vollstreckungsbescheide, sie auch erreichen konnten. Sie haften für eigenes Verschulden bei der Auswahl ihrer Hilfspersonen, weil während der Urlaubsabwesenheit der Eheleute.....nicht gewährleistet war, dass eingehende Schriftstücke sie auch erreichten (vgl. BGH NJW- RR 2000,444). Für die Zeit der Urlaubsabwesenheit hätten die Beklagten hierfür geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, etwa durch Beauftragung eines Dritten, der Postsendungen für sie in Empfang nehmen konnte. Da sie dies nicht getan haben, trifft sie ein eigenes Verschulden.

Dass die Beklagte insoweit keinerlei Vorkehrungen getroffen haben, ergibt sich auch daraus, dass sie den Eheleuten....keine Postvollmacht erteilt haben, wie sich aus deren eidesstattlicher Versicherung ergibt. Selbst wenn die Eheleute.....nicht urlaubsbedingt abwesend gewesen wären und sie den Benachrichtigungszettel rechtzeitig vorgefunden hätten, so haben die Beklagten es verabsäumt, diese in die Lage zu versetzen, die zugestellte Post auch für sie in Empfang zu nehmen und sie davon zu unterrichten. Auch darin liegt ein Verschulden der Beklagten. Auf die Frage, ob die Beklagten auch für ein Verschulden der Eheleute.....haften, was mit der Berufung angegriffen wird, kommt es daher nicht an.

Den Beklagten war eine Erklärungsfrist auf die Erörterungen im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht zu gewähren, weil es sich insoweit um keine neuen rechtlichen Erwägungen handelte (§ 139 Abs. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Revisionszulassungsgründe sind nicht gegeben (§ 543 Abs. 2 Ziff.1 und 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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