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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 07.04.2009
Aktenzeichen: 9 W 96/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3 S. 3
Wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aufgrund eines nach Rechtshängigkeit eingetretenen erledigenden Ereignisses zurückgenommen, kommt eine Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu Gunsten des Antragstellers nicht in Betracht (Entgegen OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 527).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 9 W 96/08

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe und die Richter am Kammergericht Damaske und Dr. Vossler am 7. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zu 1) wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Juni 2008 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Von den in erster Instanz angefallenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin haben die Antragstellerin und der Antragsgegner zu 2) jeweils die Hälfte zu tragen. Ferner hat die Antragstellerin die in erster Instanz angefallenen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 1) zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin bei einem Wert von bis zu 4.000 EUR zu tragen.

Gründe:

I. Die Antragstellerin beantragte am 9. April 2008 beim Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegner wegen der Verbreitung einer geschäftsschädigenden Äußerung. Im Hinblick auf ein Schreiben des Prozessbevollmächtigen der Antragsgegner vom 10. April 2008 hat sie den Antrag vor einer Entscheidung des Landgerichts zurückgenommen genommen und beantragt, die Kosten des Verfahrens gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO den Antragsgegner aufzuerlegen. Diesem Antrag hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 17. Juni 2008 entsprochen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner zu 1) im Wege der sofortigen Beschwerde.

II. Die gemäß §§ 269 Abs. 5 i. V. m. 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde des Antragsgegners zu 1) hat auch in der Sache Erfolg.

1. a. Die Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners zu 1) hätte bereits deshalb nicht ergehen dürfen, weil die formellen Voraussetzungen für eine solche Entscheidung nicht vorlagen. Zwar sind die Regelungen in § 269 ZPO und damit auch § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO auf die Rücknahme eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich entsprechend anzuwenden (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 29. Aufl., § 269 Rn. 17). Eine Kostenentscheidung nach der zuletzt genannten Vorschrift setzt allerdings voraus, dass der Anlass zur Einreichung der Klage bereits vor Rechtshängigkeit entfallen ist. Wird eine Klage zurückgenommen, obwohl das erledigende Ereignis erst nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, kann die Vorschrift keine Anwendung finden; vielmehr sind die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO zwingend dem Kläger aufzuerlegen (BGH, NJW 2007, 1460). Eine Umdeutung der Klagerücknahme in eine Erledigungserklärung nach § 91a ZPO kommt in einem derartigen Fall ebenfalls nicht in Betracht (BGH, NJW 2007, 1460).

Vorliegend ist das erledigende Ereignis erst nach Rechtshängigkeit eingetreten. Das Schreiben des gegnerischen Prozessbevollmächtigten vom 10. April 2008, das die Antragstellerin zum Anlass für die Rücknahme ihres Antrags genommen hat, ist ihr erst einen Tag nach Einreichung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Rechtshängigkeit des Antrags bereits begründet. Denn anders als eine Klage in einem gewöhnlichen Erkenntnisverfahren (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) wird ein Antrag auf Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung nach ganz herrschender Auffassung nicht erst mit der Zustellung an den Gegner, sondern schon mit dem Eingang bei Gericht rechtshängig (OLG Köln, GRUR 2001, 425; KG, MDR 1993, 481; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., vor § 916 Rn. 5 m. w. N.). Die abweichende Einordnung des Zeitpunkts der Rechtshängigkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht über den Erlass einer einstweilige Verfügung oder eines Arrest gemäß §§ 922, 937 Abs. 2 ZPO durch Beschluss entscheiden kann, ohne den Gegner am Verfahren beteiligen zu müssen (KG, MDR 1993, 481).

Darüber hinaus besteht auch kein Anlass, die Regelung in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO - ungeachtet ihres eindeutigen und unmissverständlichen Wortlauts - auf die vorliegende Konstellation entsprechend anzuwenden (so aber OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, 527, 528; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 935 Rn. 30; zu Recht ablehnend hingegen Baumbach/Hartmann, ZPO, 67 Aufl., § 920 Rn. 8. f. u. 18, § 921 Rn. 6; Musielak/Huber, ZPO, 6. Aufl., § 922 Rn. 10a). Denn nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der juristischen Methodenlehre setzt die analoge Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung eine planwidrige Regelungslücke voraus (BGH, MDR 2008, 1292; vgl. i. E. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 191 ff., insbes. S. 194), die vorliegend nicht ersichtlich ist.

Bereits vor Inkrafttreten der Neuregelungen in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO war allgemein anerkannt, dass ein Antrag auf Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung auch ohne vorherige Zustellung an den Gegner in der Hauptsache für erledigt erklärt werden kann, weil für den Eintritt der Rechtshängigkeit und damit für die Begründung eines entscheidungsfähigen Streitverhältnisses die bloße Einreichung des Antrags bei Gericht genügt (OLG Köln, GRUR 2001, 424; OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 493; Schuschke, in: Schuschke/Walker, a. a. O., § 935 Rn. 30; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 922 Rn. 18). Umstritten war und ist lediglich, ob im Falle der Zurückweisung eines Antrags im Beschlusswege (§ 922 Abs. 1 und 3 ZPO), eine Beschwerde statthaft ist, mit der die Erledigung der Hauptsache festgestellt werden soll, was von der wohl herrschenden Meinung bejaht wird (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 922 Rn. 4 m. w. N. auch zur Gegenauffassung).

An dieser Rechtslage hat sich mit dem Inkrafttreten von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO n. F. nichts geändert. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb dem Antragsteller in der vorliegenden Konstellation ein Wahlrecht zwischen einer Antragsrücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO n. F. und einer Erledigungserklärung nach § 91a ZPO eingeräumt werden sollte. Mit den Vorstellungen des Gesetzgebers wäre dies jedenfalls nicht zu vereinbaren. Denn mit der Neuregelung sollte lediglich den besonderen Schwierigkeiten Rechnung getragen werden, welche bei einem Wegfall des Klagegrundes vor Rechtshängigkeit auftreten können. Hingegen war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt, die Handelungsoptionen des Klägers im Falle einer Erledigung nach Rechtshängigkeit zu erweitern (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 81).

b. Unabhängig von diesen Erwägungen bestehen auch Zweifel, ob die Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners zu 1) der Sache nach gerechtfertigt gewesen wäre. Insoweit hat sich das Landgericht nicht mit dessen Einwand auseinandergesetzt, er sei lediglich im Namen und auf Weisung des Antragsgegners zu 2) tätig geworden. Zwar ist grundsätzlich jeder - ohne Rücksicht darauf, ob ihn ein Verschulden trifft - als Störer im Sinne von § 1004 BGB anzusehen, der eine Störung herbeigeführt hat bzw. dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt. Sind an einer Beeinträchtigung mehrere Personen beteiligt, so kommt es für die Frage, ob ein Unterlassungsanspruch gegeben ist, grundsätzlich nicht auf Art oder Umfang des Tatbeitrags oder auf das Interesse des einzelnen Beteiligten an der Verwirklichung der Störung an (BGH, JZ 1976, 595). Allerdings hat der BGH bereits mehrfach in Erwägung gezogen, ob weisungsgebundene Arbeitnehmer von dieser Störerhaftung auszunehmen sind, sofern sie nicht über einen eigenen Entschließungsspielraum mit entsprechenden Verantwortungsbereich verfügen (BGH, NJW 1983, 751; BGH, NJW 1979, 551; BGH, JZ 1976, 595;vgl. auch Palandt/Bassenge, BGB, 68. Aufl., § 1004 Rn. 17; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1004 Rn. 125).

Dass der Antragsgegner zu 1) nach diesen Grundsätzen nicht als Störer anzusehen sein könnte, obwohl er die an die Antragstellerin gerichtete E-Mail vom 8. April 2008 selbst verfasst hat, erscheint nicht ausgeschlossen. Hierfür spricht insbesondere der Wortlaut der Mitteilung, aus der hervorgeht, dass der Antragsgegner zu 1) offenbar auf ausdrückliche Weisung des Antragsgegners zu 2) tätig geworden ist ("Herr Dr. W?? bat mich...). Letztlich lässt sich die Frage anhand des bisherigen Vortrags der Parteien nicht abschließend beurteilen. Da die Kostenentscheidung aufgrund der vorstehenden Erwägungen ohnehin abzuändern war, ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts und eine Entscheidung dieser rechtsgrundsätzlichen Frage auch nicht erforderlich.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Für die Festsetzung des Werts des Beschwerdeverfahrens waren die im Verhältnis der Antragstellerin und des Antragsgegners zu 1) angefallenen Gerichts- und Anwaltsgebühren der ersten Instanz maßgebend.

3. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt - trotz der abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (NJW-RR 2007, 527, 528) zum Anwendungsbereich von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO - nicht in Betracht, weil im Verfahren auf Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung der Instanzenzug gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO beschränkt ist. Diese Beschränkung steht nach der Rechtsprechung des BGH auch der Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 4 ZPO entgegen (BGH, NJW 2003, 3565).

Ende der Entscheidung

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