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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: Not 16/07
Rechtsgebiete: BNotO


Vorschriften:

BNotO § 6 Abs. 3
Zur Zulässigkeit eines Punktesystems bei der Auswahl von Bewerbern um eine Notarstelle.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: Not 16/07

In dem Verfahren

wegen Bestellung zum Notar

hat der Senat für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 21. August 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Erich, der Notarin Dr. Hoffmann und des Richters am Kammergericht Frey

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 9. März 2007 - ... - wird nach einem Verfahrenswert von 50.000,00 Euro zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Der 1957 geborene Antragsteller legte am 15. Januar 1990 vor dem Landesjustizprüfungsamt Baden-Württemberg die zweite juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote "befriedigend" ab. Im April 1990 wurde er durch das Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg als Rechtsanwalt zugelassen und in die Liste der bei dem Amtsgericht Heidelberg und den Landgerichten Heidelberg und Mannheim zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen. Im Juni 1991 erfolgte die Eintragung in die Liste der beim Bezirksgericht Chemnitz eingetragenen Rechtsanwälte, im Februar 1993 die Eintragung in die Liste der beim Landgericht Zwickau zugelassenen Rechtsanwälte. Im Mai 2001 wurde der Antragsteller in die Liste der beim Landgericht Berlin zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen.

Der Antragsteller bewarb sich auf eine der im Amtsblatt für Berlin vom 8. April 2005 (ABl. S. 1242) ausgeschriebenen 37 Notarstellen für Bewerberinnen und Bewerber mit zweiter juristischer Staatsprüfung nach dem Deutschen Richtergesetz.

Mit Bescheid vom 9. März 2007 teilte die Antragsgegnerin mit, dass beabsichtigt sei, die Notarstellen anderen Bewerbern zu übertragen. Die in der Besetzungsliste auf den Plätzen 1 bis 37 geführten Bewerberinnen und Bewerber hätten Punktzahlen von 206,65 (Rang 1) bis 141,80 (Rang 37) erreicht. Die fachliche Eignung des Antragstellers sei mit 140,57 Punkten zu bewerten. Damit nehme er im Auswahlverfahren die 39. Rangstelle ein.

Gegen diesen, ihm am 16. März 2007 zugestellten Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem am 13. April 2007 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Der Antragsteller ist der Ansicht, die Auswahlentscheidung sei rechtsfehlerhaft. Er sei jedenfalls den die Rangstellen 35 bis 37 innehabenden Mitbewerbern vorzuziehen.

Für die Bewertung der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt mit nunmehr höchstens 30 Punkten (Ziffer 2 Buchst. b) der Ausschreibung) fehle ein sachlicher Grund, da Bewerber mit einer umfangreicheren Berufserfahrung eine wesentlich größere Notariatserfahrung aufwiesen. Andere Bundesländer hätten es verfassungs- und gesetzeskonform bei der bisher anrechenbaren Höchstdauer von 15 Jahren belassen. Der Verstoß wirke sich auch auf die Auswahlentscheidung aus, da von den Mitbewerbern auf den Rangstellen 30 bis 37 nur zwei - so wie Antragsteller - über eine 15-jährige Berufserfahrung verfügten.

Das Punktesystem werde den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, weil es nicht zwischen zeitnahen und länger zurückliegenden Fortbildungsveranstaltungen unterscheide. Der von der Antragsgegnerin angeführte Vertrauensschutz rechtfertige es nicht, von einer Differenzierung abzusehen. Dem Antragsteller, der alle Lehrgänge zwischen September 2003 und Mai 2005 besucht habe, seien weitere Punkte gut zu bringen. Nach der etwa in Hessen geltenden - verfassungskonformen - Regelung komme der Antragsteller auf zusätzliche 56,00 Fortbildungspunkte und auf eine Gesamtpunktzahl von 196,57.

Die Kappungsgrenzen für die in den Bereichen Fortbildung und praktische Bewährung zu vergebenden Punkte (Ziffer 2 Buchst. e) der Ausschreibung) seien sachlich nicht gerechtfertigt. Die Berücksichtigung von maximal 120 Punkten aus beiden Bereichen habe zur Folge, dass relevante Fortbildungen und Tätigkeiten des Antragstellers unberücksichtigt blieben.

Die Praxis der Vergabe von Sonderpunkten sei rechtswidrig und widerspreche der Vergabepraxis aller übrigen Bundesländer. Die Erfahrungen aus der Tätigkeit als Notariatsverwalter müssten - so der Antragsteller - höher bewertet werden. Die Antragsgegnerin vergebe Sonderpunkte nach Ziffer 2 Buchst. f) aa) der Ausschreibung auch für kurzzeitige Vertretungen, sofern deren Gesamtdauer vier Wochen im Jahr überschreite. Dabei handele es sich jedoch nicht um "herausragende Leistungen", die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Voraussetzung für die Vergabe von Sonderpunkten seien. Überdies profitierten Bewerber mit einer Vielzahl von Vertretungen mehrfach, weil sie Beurkundungspunkte und Sonderpunkte erhielten. Es bestehe daher die Gefahr unzulässiger Doppelbewertungen. Die Mitbewerber auf den Rangstellen 30 bis 37 der Besetzungsliste hätten bis auf einen Bewerber Sonderpunkte ausschließlich für vorübergehende Notarvertretungen erhalten. Die rechtswidrige Vergabepraxis wirke sich daher konkret zum Nachteil des Antragstellers aus.

Fehlerhaft sei auch die Gewichtung der Sonderpunkte nach Buchst. f) cc), soweit die Antragsgegnerin schwierige Beurkundungen und Entwürfe außerhalb von Notarvertretungen honoriere. Diesen Leistungen komme ein nachprüfbarer Qualifizierungsgewinn nicht zu. Dass die Antragsgegnerin Sonderpunkte schon ab einer Tätigkeit von zwei Stunden gewähre, stehe außerdem in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Bewertung der Tätigkeiten als Notariatsverwalter und ständiger Vertreter. Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin der auf Rangstelle 35 liegenden Mitbewerberin acht Sonderpunkte gut gebracht.

Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 9. März 2007 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, über die Bewerbung des Antragstellers um eine der im Amtsblatt von Berlin vom 8. April 2005 (ABl. S. 1242) ausgeschriebenen Notarstellen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Soweit der Antragsteller beanstande, dass die Dauer seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt für maximal 10 Jahre berücksichtigt worden sei, verkenne er, dass eine entsprechende Kappung aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung geboten gewesen sei. Der reinen Dauer der Anwaltstätigkeit dürfe bei der Auswahlentscheidung nur noch ein geringeres Gewicht zukommen, da die Berufserfahrung als Anwalt den notarspezifischen Praxisbezug nicht ersetzen könne.

Zu Unrecht beanstande der Antragsteller, dass nicht danach unterschieden worden sei, wann die Fortbildungsveranstaltungen besucht wurden. Die einheitliche Bewertung der Kurse sei den besonderen Umständen geschuldet, die der Ausschreibung zugrunde gelegen hätten. In Berlin seien zuletzt auf die Stellenausschreibung vom 31. März 2000 Notarstellen besetzt worden. Die im Amtsblatt für Berlin vom 14. März 2003 erfolgte Ausschreibung habe sie - so die Antragsgegnerin - im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 zurückgenommen. Mit der Ausschreibung vom 8. April 2005 sei eine Übergangslösung geschaffen worden, aus der sich für die Bewerber erstmals die konkreten neuen Auswahlkriterien und Gewichtungen ergeben hätten. Eine Differenzierung nach dem "Alter" der Fortbildungskurse führe zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der (Alt)Bewerber, die sich nach Abbruch des Bewerbungsverfahrens 2003 im Auswahlverfahren 2005 erneut beworben hätten. Denn diese hätten nicht die Möglichkeit gehabt, sich durch die Belegung weiterer Kurse ebenfalls eine erhöhte Bewertung von zeitnahen Fortbildungen zu sichern. Mit dem Prinzip der Chancengleichheit bzw. des gleichen Zugangs zum Notaramt sei es nicht vereinbar, dass "Neubewerber" wie der Antragsteller, die zufälligerweise an zeitnäheren Kursen teilgenommen hätten, allein von dem nicht absehbaren Abbruch des vorangegangenen Bewerbungsverfahrens profitierten.

Die Begrenzung der anrechenbaren notarspezifischen Leistungen und Kurse auf maximal 120 Punkte bewirke, dass die Examensnote kein überhöhtes Gewicht mehr habe. Die Kappungsgrenze habe sich nur bei zwei Bewerbern (Rang 2 und 12) ausgewirkt. Für den Antragsteller, der hinsichtlich der Fortbildungskurse lediglich 56,00 Punkte und für seine Urkundstätigkeit nur 18,00 Punkte erreicht habe, sei die Kappungsgrenze nicht entscheidungserheblich.

Auch bei der Vergabe von Sonderpunkten habe sie - so die Antragsgegnerin - die Vorgaben der Rechtsprechung berücksichtigt. Die Tätigkeit als Notariatsverwalter sei nicht höher zu bewerten als Notarvertretungen. Dass mit der Tätigkeit als Notariatsverwalter im Allgemeinen ein größerer Erkenntnisgewinn verbunden sei, sei nicht ersichtlich und nicht dargetan. Dem etwaigen größeren zeitlichen Umfang einer Notariatsverwaltung werde durch die Vergabe von zusätzlichen Punkten für die gesamte Dauer der Bestellung Rechnung getragen. Zudem habe sie den Umfang des verwalteten Notariats berücksichtigt. Bei dem vom Antragsteller abzuwickelnden Notariat Möllenbrock habe es sich um ein kleines Notariat gehandelt. Eine weitere Differenzierung nach der Bedeutung der jeweiligen Tätigkeit sei weder geboten, noch möglich gewesen. Der Umstand, dass nur geringfügige Vertretungen zu keinem wesentlichen Erkenntnisgewinn führten, sei mit der festgesetzten Untergrenze für die jährliche Notariatsvertretung von vier Wochen ausreichend berücksichtigt. Zu unzulässigen Doppelbewertungen komme es nicht. Mit der Vergabe von Sonderpunkten für Erfahrungen aus einer Tätigkeit als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter (Ziffer 2 Buchst. f) aa) der Ausschreibung) würden die Erfahrungen und Kenntnisse, die der langfristig tätige Notarvertreter sammle, sowie die Vorbereitungen und seine Einschaltung in die Vertragsabwicklung mit zusätzlichen Punkten berücksichtigt. Demgegenüber werde unter Ziffer 2 Buchst. d) die praktische Erfahrung aufgrund der vorgenommenen Beurkundungen angerechnet.

Der Antragsteller beanstande schließlich zu Unrecht die Vergabe von Sonderpunkten nach Ziffer 2 Buchst. f) der Ausschreibung, da nur besondere schwierige, im Verhältnis zu anderen Bewerbern herausragende Fälle berücksichtigt worden seien. Der die Rangstelle 35 einnehmenden Bewerberin seien zu Recht acht Sonderpunkte gewährt worden.

Dem Senat haben die bei der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin und der Rechtsanwaltskammer Berlin geführten Personalakten des Antragstellers sowie die Bewerbungsakte des Antragstellers (3835 E-G 69/05) und die Bewerbungsakten der Bewerber der Rangstellen 35 bis 37 vorgelegen.

II.

1. Der Antrag zur Hauptsache ist zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 111 Abs. 2 Satz 1 BNotO eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat er keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Neubescheidung (§ 111 Abs. 1 Satz 3BNotO) nicht zu. Die Auswahlentscheidung ist rechtsfehlerfrei. Die Antragsgegnerin hat den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum auf Grundlage des § 6 Abs. 3 BNotO, der Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom 22. April 1996 (ABl. S. 1741), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschriften vom 30. November 2004 (ABl. S. 4714) - AVNot 2004 - sowie der Stellenausschreibung 2005 zutreffend und erschöpfend angewandt.

Nach § 6 Abs. 3 BNotO richtet sich die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern nach der persönlichen und fachlichen Eignung unter Berücksichtigung der die juristische Ausbildung abschließenden Staatsprüfung und der bei der Vorbereitung auf den Notarberuf gezeigten Leistungen. Bei der Bestellung von Anwaltsnotaren (§ 3 Abs. 2 BNotO) können insbesondere in den Notarberuf einführende Tätigkeiten und die erfolgreiche Teilnahme an freiwilligen Vorbereitungskursen, die von den beruflichen Organisationen veranstaltet werden, in die Bewertung einbezogen werden. Die Dauer der Zeit, in der der Bewerber hauptberuflich als Rechtsanwalt tätig war, ist angemessen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Bewerbungsverfahren richtet sich die Reihenfolge bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern nach den in der Ausschreibung vorgegebenen Maßgaben (Abschnitt III Nr. 12 der AVNot 2004).

Der Senat hat die Auswahlentscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, wobei deren Charakter als Akt wertender Erkenntnis zu beachten ist. Die Auswahlentscheidung ist nicht zu wiederholen, sondern nur darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffendes Verständnis des gesetzlichen Auswahlmaßstabs zu Grunde liegt, ob allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet und sachwidrige Erwägungen ausgeschlossen sind und ob schließlich der zu beurteilende Tatbestand verfahrensfehlerfrei festgestellt wurde (BGH, NJW 1994, 1874, 1875; BGH, NJW-RR 2006, 55, 56).

Auf dieser Grundlage erweist sich die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin als rechtsfehlerfrei.

a) Die Ausschreibung von zwei getrennten Kontingenten für Bewerberinnen und Bewerber einerseits mit zweiter juristischer Staatsprüfung nach dem Deutschen Richtergesetz und andererseits mit juristischem Diplomabschluss nach der Prüfungsordnung der DDR ist nicht zu beanstanden. Auch der Antragsteller rügt dies nicht.

b) Die Regelungen zur Berücksichtigung der Punktzahl in der Staatsprüfung, der Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt, der anrechenbaren Urkundsgeschäfte sowie der erfolgreichen Teilnahme an notarspezifischen Fortbildungskursen in Ziffer 2 Buchst. a) bis d) der Ausschreibung entsprechen nun inhaltlich im Wesentlichen § 17 der Allgemeinen Verfügung des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare vom 8. März 2002 (JMBl. NRW S. 69) in der geänderten Fassung vom 4. November 2004 (JMBl. NRW S. 256; im Folgenden AVNot NRW 2004). Der Bundesgerichtshof hat zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben durch § 17 AVNot NRW 2004 in Beschlüssen vom 26. März 2007 NotZ 38/06 und NotZ 39/06 (NJW-RR 2007, 1130 und NJW-RR 2007, 1133) Stellung genommen und das in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Auswahlverfahren nicht beanstandet. Der Senat folgt den Ausführungen des Bundesgerichtshofs, die für das in der Ausschreibung der Antragsgegnerin enthaltene Punktesystem entsprechend gelten. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die genannten Entscheidungen Bezug genommen.

c) Die Dauer der Rechtsanwaltstätigkeit ist gemäß § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO "angemessen zu berücksichtigen". Dass die Antragsgegnerin die Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt mit nunmehr höchstens 30 Punkten bewertet, liegt innerhalb des ihr zugewiesenen Beurteilungsspielraums. Auch insoweit hat der Bundesgerichtshof die in Nordrhein-Westfalen geltende Regelung nicht beanstandet. Die Berufserfahrung als Anwalt kann den notarspezifischen Praxisbezug nicht ersetzen (BVerfG, NJW 2004, 1935). Entgegen der Ansicht des Antragstellers verfügen Bewerber mit einer umfangreicheren Berufserfahrung nicht von vorneherein über eine wesentlich größere Notariatserfahrung. Der Gesetzgeber selbst hält die Anwaltstätigkeit lediglich für aussagekräftig in Bezug auf die Vertrautheit mit der Praxis der Rechtsbesorgung und deren organisatorischer Bewältigung, die Sicherheit im Umgang mit dem rechtsuchenden Bürger und das durch Erfahrungen gewonnene Verständnis für dessen Anliegen (BT-Drucks. 11/6007, S. 10). Notarspezifische Qualifikationen lassen sich aus der reinen Zeitdauer der Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht ableiten, da die anwaltliche Erfahrung in jedem beliebigen - auch einem notariatsfernen - Rechtsgebiet erworben werden kann.

d) Die Bewertung von Fortbildungen rechtfertigt nicht die Feststellung, dass eine chancengleiche Bestenauslese nicht gewährleistet sei. Zwar wird in Ziffer 2 Buchst. c) der Ausschreibung nicht danach differenziert, ob die Kurse bereits vor längerer Zeit besucht worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20. April 2004 (NJW 2004, 1935) eine solche undifferenzierte Bewertung kritisiert (unter C II Ziffer 4 a). Dies rechtfertigt aber nicht die Schlussfolgerung, dass nur eine den Zeitpunkt des Besuchs der Fortbildungsveranstaltungen berücksichtigende Regelung die gebotene Bestenauslese gewährleisten könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die zu geringe Bewertung der notarspezifischen Qualifikation in den damals angewendeten Auswahlkriterien verfassungswidrig ist. Dieses hat es aus einer Reihe von Gesichtspunkten hergeleitet, zu denen u.a. die relativ niedrige und gemeinsame Kappungsgrenze für den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen und Beurkundungstätigkeit gehörte. Der Bundesgerichtshof habe die Auswirkung dieser Kappung noch verstärkt, indem er für weitere praktische Erfahrungen im Urkundswesen oder besonders gut beurteilte Fortbildungen keine zusätzlichen Punkte anerkenne und auch hinsichtlich der Lehrgänge keine Differenzierung nach lang oder kurz zurückliegenden zulasse.

Die Antragsgegnerin hat mit den von ihr aufgestellten Auswahlgrundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausreichend Rechnung getragen. Sie misst der anwaltlichen Tätigkeit und dem Ergebnis der zweiten Staatsprüfung eine deutlich geringere Bedeutung zu, wertet damit die notarspezifischen Qualifikationen und Vorbereitungsleistungen auf und ermöglicht durch die Vergabe von Sonderpunkten die Berücksichtigung besonderer fachbezogener Leistungen und Fähigkeiten. Der fehlenden zeitlichen Differenzierung in der Bewertung der Vorbereitungskurse kommt in diesem Rahmen kein ausschlaggebendes Gewicht zu und überschreitet den der Antragsgegnerin zustehenden Beurteilungsspielraum nicht.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dem nicht entgegen. In den Entscheidungen vom 20. November 2006 (NotZ 4/06 und NotZ 16/06) zu den Auswahlverfahren in Schleswig-Holstein und Hessen hat der BGH zwar ausgeführt, dass die Justizverwaltung jedenfalls auch berücksichtigen dürfe, ob Fortbildungsveranstaltungen zeitlich länger zurückliegen. Den veröffentlichten Entscheidungen ist hingegen nicht zu entnehmen, dass eine solche Differenzierung nicht nur zulässig, sondern auch geboten sei.

Es kann daher offen bleiben, ob eine Differenzierung schon deshalb unterbleiben musste, um "Altbewerber" - die sich nach dem Abbruch des Bewerbungsverfahrens 2003 erneut beworben haben - nicht zu benachteiligen.

e) Soweit der Antragsteller beanstandet, dass für die theoretische und praktische Vorbereitung auf den Zweitberuf maximal 120 Punkte erreicht werden könnten, ist nicht erkennbar, dass er hierdurch im vorliegenden Auswahlverfahren beschwert ist. Denn er erreicht mit den von ihm erbrachten Leistungen (56,00 Fortbildungspunkte und 18,00 Beurkundungspunkte) die Kappungsgrenze nicht einmal annähernd, sodass er durch die Nichtberücksichtigung von Punkten auch nicht benachteiligt wird.

Unabhängig davon stehen die Kappungsgrenzen gemäß Ziffer 2 Buchst. e) der Ausschreibung in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Stellenausschreibung 2005 kommt dem Gebot, den notarspezifischen Eignungskriterien ein höheres Gewicht zukommen zu lassen, nach. So wurde die anrechenbare Dauer der Anwaltstätigkeit von ursprünglich 45 Punkten auf nunmehr 30 Punkte gekürzt und anderseits die anrechenbare Punktzahl für Fortbildungskurse von 45 auf 60, für Urkundsgeschäfte von 20 Punkten auf 60 Punkte und die Möglichkeit zur Vergabe von Sonderpunkten für notarspezifische Leistungen von 10 Punkten auf 45 Punkte angehoben. Erweitert wurde zudem die Möglichkeit zur Übertragung von Punkten. Danach entfallen auf die theoretischen und praktischen Erfahrungen insgesamt 165 Punkte von maximal 285 erzielbaren Punkten. Durch die ganz erhebliche Heraufsetzung der bisherigen Kappungsgrenzen erhalten die Examensnoten - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert - ein geringeres Gewicht gegenüber der damit zugleich erfolgten Stärkung der fachbezogenen Anforderungen.

Die auf 30 Punkte beschränkte Möglichkeit der Übertragung für Punkte aus Beurkundungstätigkeit und den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen verhindert, dass ein Bewerber sich entweder ohne jede theoretische Fortbildung allein durch eine besonders große Zahl von Beurkundungen oder aber durch eine Vielzahl von Fortbildungen ohne die erforderlichen praktischen Erfahrungen für das Notaramt qualifizieren kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4. September 2006 - 2 VA (Not) 20/05).

f) Mit der Vergabe von 2,37 Sonderpunkten für die Tätigkeit des Antragstellers als Notariatsverwalter hat die Antragsgegnerin den ihr durch § 6 Abs. 3 BNotO eingeräumten und durch Abschnitt III Nr. 12 AVNot i.V.m. Ziffer 2 Buchst. f) aa) konkretisierten Beurteilungsspielraum eingehalten.

Zu Unrecht beanstandet der Antragsteller die gleichwertige Berücksichtigung von Notariatsverwaltung (§ 56 BNotO) und Notarvertretung (§ 39 BNotO) im Rahmen der Vergabe von Sonderpunkten. Beide Ämter haben gemeinsam, dass sie die Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Dienstleistungen gewährleisten sollen, wenn der Notar persönlich hierzu nicht in der Lage ist. Der Senat kann nicht erkennen, dass sie sich strukturell derart unterschieden, dass nach dem Gebot der Bestenauslese eine differenzierte Bewertung geboten sei. Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass mit einer Notariatsverwaltung regelmäßig ein größerer Erkenntnisgewinn verbunden sei. Dagegen spricht, dass die Notariatsverwaltung als Abwicklungsverwaltung (§ 56 Abs. 2 BNotO) ausgestaltet ist und der Notariatsverwalter nur innerhalb der ersten drei Monate berechtigt ist, neue Notariatsgeschäfte vorzunehmen. Eine nach der Zahl der Hilfskräfte differenzierte Bewertung (Seite 8 des Schriftsatzes vom 13. Juni 2007) musste die Antragsgegnerin nicht vornehmen. Unabhängig davon, dass die Tätigkeit eines Notarvertreters oder Notariatsverwalters nicht nur von der Zahl, sondern auch von der Qualifikation seiner Hilfskräfte abhängt, sind die Arbeitsabläufe in den einzelnen Kanzleien zu vielgestaltig, als dass sie sie einer generalisierenden Betrachtungsweise sowie einer zuverlässigen Erfassung und Bewertung durch die Justizverwaltung zugänglich wären.

Dem Antragsteller ist zwar darin zu folgen, dass längerfristige Notarvertretungen und Notariatsverwaltungen gegenüber nur wenige Tage dauernden Vertretungen höherwertig sind. Dies berücksichtigt die Antragsgegnerin jedoch durch die Vergabe von Punkten für die gesamte Dauer der Bestellung zum Notariatsverwalter. Dem Umstand, dass bei längerfristigen Tätigkeiten eine intensivere Beschäftigung des Bewerbers mit notariellen Tätigkeiten stattfindet, trägt die Antragsgegnerin dadurch hinreichend Rechnung, dass sie Sonderpunkte erst ab einer jährlichen Notariatsvertretung von mindestens vier Wochen zuerkennt.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers birgt die Praxis der Vergabe von Sonderpunkten für Notarvertretungen nicht die Gefahr einer systemwidrigen Doppelbewertung der Beurkundungstätigkeit in sich. Zwar dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch bei längerfristiger Notarvertretung oder Notariatsverwaltung für die Beurkundungstätigkeit keine Sonderpunkte zuerkannt werden (BGH, NJW 2002, 970, 971). Die Anrechnung von Sonderpunkten honoriert jedoch nicht die Beurkundungstätigkeit, sondern sonstige Erfahrungen und Kenntnisse, die der Notarvertreter oder Notariatsverwalter sammelt. Gegen die Zuerkennung von Beurkundungspunkten und Sonderpunkten aus der Tätigkeit als Verwalter des Notariats Möllenbrock wendet sich der Antragsteller im Übrigen nicht.

Schließlich "widerspricht" die Vergabepraxis der Antragsgegnerin nicht der Praxis aller übrigen Länder des Anwaltsnotariats. Den Landesjustizverwaltungen ist ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dass dieser von den Verwaltungen verschieden genutzt wird, ist dem föderalen System der Bundesrepublik Deutschland immanent.

g) Die von der Antragsgegnerin getroffene Bewertung, für außerhalb von Notarvertretungen bearbeitete schwierige Beurkundungen oder Entwürfe je nach Umfang der Tätigkeit 0,5 bis 1,0 Punkte anzurechnen (Ziffer 2 Buchst. f) cc) der Ausschreibung) stellt sich bei Anwendung des im Rahmen der Auswahlentscheidung zu beachtenden Überprüfungsmaßstabs nicht als rechtswidrig dar.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20. November 2006 (NJW 2007, 1283) die Weigerung des dortigen Antragsgegners gebilligt, Sonderpunkte für eine Mitarbeit im Notariat außerhalb von Notarvertretungen zu vergeben, weil die Qualifikation durch praktische Notartätigkeit in weiteren Regelungen der maßgeblichen Verwaltungsvorschrift ausreichend erfasst werde. Der Entscheidung des BGH lagen die hessischen Verwaltungsvorschriften zugrunde, die eine Kappungsgrenze für den Erwerb notarieller Praxis nicht vorsah. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall. Gemäß Ziffer 2 Buchst. d) der Ausschreibung vom 8. April 2004 können für Urkundsgeschäfte maximal 60 Punkte gutgeschrieben werden; bis zu 30 Punkte, die über diese Höchstgrenze hinaus im Zusammenhang mit Urkundsgeschäften erworben wurden, können auf das für notarielle Fortbildung vorgesehene Kontingent übertragen werden. Weitere notarielle Erfahrungen sind mit bis zu 20 Punkten gemäß Ziffer 2 Buchst. f) aa) anrechenbar. Praktische notarielle Tätigkeiten sind danach mit maximal 110 Punkten zu berücksichtigen. Das kann dann nicht ausreichend sein, wenn ein Bewerber über weitere gewichtige praktische notarielle Qualifikationen verfügt. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin für die zeitintensive Vorbereitung schwieriger Beurkundungen weitere Sonderpunkte nach Ziff. 2 Buchst. f) cc) vergeben hat.

Es bestehen daher keine Bedenken, dass die Antragsgegnerin der Bewerberin auf Rang 35 insgesamt 8,0 Sonderpunkte für einzelne notarbezogene anwaltliche Tätigkeiten angerechnet hat. Die Antragsgegnerin hat die einzelnen Tätigkeiten der Bewerberin auf Rang 35 auch nicht zu hoch bewertet. Dagegen spricht nicht, dass für qualifizierte Urkundsgeschäfte im Rahmen einer Notariatsvertretung oder Notariatsverwaltung maximal 0,4 Punkte je Urkundsgeschäft nach Ziffer 2 Buchst. d) anzurechnen sind. Denn insoweit kommt es auf die Schwierigkeit des einzelnen Urkundsgeschäfts, abgesehen davon, dass es sich nicht um eine Niederschrift nach § 38 BeurkG oder einen Vermerk nach § 39 BeurkG einschließlich Beglaubigungen handeln darf, nicht an. Auch ist es den Bewerbern möglich, durch solche mit 0,4 Punkten zu bewertende Urkundstätigkeiten insgesamt 40 Punkte zu erreichen (= 100 Urkundsgeschäfte x 0,4 Punkte), wohingegen mit Einzeltätigkeiten, wie sie der Bewerberin auf Rang 35 angerechnet worden sind, maximal 15 Punkte zu erreichen sind.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO i.V.m. § 201 Abs. 1 BRAO.

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