Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: Not 2/08
Rechtsgebiete: BNotO


Vorschriften:

BNotO § 6 Abs. 3
Zu den Kriterien bei der Auswahlentscheidung für die Besetzung einer Notarstelle, wenn die Justizverwaltung verurteilt ist, über die Bewerbung eines zunächst zurückgewiesenen Bewerbers neu zu entscheiden und ihm nach der Neubewertung im Rang lediglich ein früherer Bewerber vorangeht, dessen Bewerbung durch nicht angegriffenen Bescheid zurückgewiesen ist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: Not 2/08

In dem Verfahren

wegen Bestellung zum Notar

hat der Senat für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Erich, des Notars Dr. von Buttlar und des Richters am Kammergericht Frey

beschlossen:

Tenor:

Der Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 21. Mai 2008 - 3835 E-G 121/07 - wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller zum Notar zu bestellen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Der Wert des Verfahrens beträgt 50.000,00 Euro.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb im Amtsblatt für Berlin vom 8. April 2005 40 Notarstellen zur Besetzung aus, davon 37 für Bewerber mit Zweiter juristischer Staatsprüfung nach dem Deutschen Richtergesetz und drei Notarstellen für Bewerber mit juristischem Diplomabschluss nach der Prüfungsordnung der DDR. Das Auswahlverfahren richtete sich gemäß Abschnitt III Nr. 12 der Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot) in der Fassung vom 30. November 2004 nach den in der Ausschreibung vorgegebenen Maßgaben.

Der Antragsteller bewarb sich auf eine der ausgeschriebenen Stellen. Mit Bescheid vom 9. März 2007 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie beabsichtige, die Notarstellen anderen Bewerbern zu übertragen. In der Rangliste für die 37 an Interessenten mit dem Zweiten juristischen Staatsexamen zu vergebenden Stellen nehme er den 39. Platz ein. Die auf den Rangstellen eins bis 37 geführten Bewerberinnen und Bewerber hätten Punktzahlen von 206,65 (1. Rang) bis 141,80 (37. Rang) erreicht. Die fachliche Eignung des Antragstellers sei mit 140,57 Punkten zu bewerten.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung beantragt. Er hat unter anderem geltend gemacht, dass die Praxis der Vergabe von Sonderpunkten rechtswidrig sei. Der auf Rang 35 eingereihten weiteren Beteiligten zu 2 seien zu Unrecht acht Sonderpunkte für die Vorbereitung von Urkunden außerhalb einer Notarvertretung zuerkannt worden.

Der Senat hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch Beschluss vom 21. August 2007 (Not 16/07) zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt.

Durch Beschluss vom 14. April 2008 (NotZ 121/07) hat der Bundesgerichtshof den Beschluss des Senats sowie den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. März 2007 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller neu zu bescheiden. Die Praxis der Antragsgegnerin bei der Vergabe von Sonderpunkten außerhalb einer Notarvertretung oder Notariatsverwaltung nach Maßgabe 2 f cc der Ausschreibung sei rechtswidrig. Zwar sei es der Antragsgegnerin nicht generell verwehrt, für diese Tätigkeiten Sonderpunkte zu vergeben. Die Bewertung der Vorbereitungstätigkeiten mit bis zu jeweils 0,5 Sonderpunkten sei jedoch zu beanstanden, da sie im Widerspruch zur Maßgabe 2 d stehe. Danach würden Urkundsgeschäfte im günstigsten Fall mit 0,4 Punkten bewertet. Das bedeute, dass bei gleichen inhaltlichen Anforderungen an einen Urkundsentwurf der Bewerber, der diesen außerhalb einer Notarvertretung oder Notariatsverwaltung erstelle (Maßgabe 2 f aa), für ein "Weniger" an Leistung einen höheren Punktwert erzielen könne als im Rahmen einer solchen Tätigkeit (Maßgabe 2 d aa). Dies stelle einen Wertungswiderspruch dar, der die Rechtswidrigkeit der Vergabe von Sonderpunkten nach sich ziehe.

Es sei nicht auszuschließen, dass sich dieser Mangel auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung zum Nachteil des Antragstellers auswirke. Die weitere Beteiligte zu 2 falle bei einer Neubewertung hinter den Antragsteller zurück. Dieser würde damit zwar zunächst nur auf Rang 38 vorrücken, der rechnerisch noch nicht für die Vergabe einer Notarstelle reiche. Allerdings liege es im Ermessen der Antragsgegnerin, ob sie den Bescheid, durch den der Antrag der bislang auf Platz 38 eingeordneten Mitbewerberin auf Übertragung einer Notarstelle zurückgewiesen wurde, zurücknehme (§ 48 Abs. 1 VwVfG) und die Notarstelle dieser nunmehr auf Platz 37 vorrückenden Kandidatin übertrage oder ob sie mit Rücksicht auf die Bestandskraft dieses Bescheids dem Antragsteller den Vorzug gebe.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2008 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sie beabsichtige, die Notarstelle der bislang auf Platz 38 eingeordneten Mitbewerberin - der weiteren Beteiligten zu 1 - zu übertragen. Die Neubewertung ergebe, dass die weitere Beteiligte zu 2 bei der Vergabe der Notarstellen unberücksichtigt bleiben müsse. Dadurch rücke die weitere Beteiligte zu 1 auf den 37. Rang vor und erreiche somit einen Besetzungsrang. Dem stehe nicht entgegen, dass diese sich nicht gegen die ihr mitgeteilte Besetzungsabsicht gewandt habe. Unter Ausschöpfung des Ermessenspielraums - so die Antragsgegnerin - halte sie es aufgrund des zu berücksichtigenden Grundsatzes der Bestenauslese für geboten, die weitere Beteiligte zu 1 in die Auswahlentscheidung einzubeziehen. Sie verfüge mit 140,65 Punkten über eine bessere fachliche Eignung als der Antragsteller (140,57 Punkte).

Gegen diesen, ihm am 24. Mai 2008 zugestellten Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem am 3. Juni 2008 eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er macht geltend, dass die Antragsgegnerin das ihr durch § 48 Abs. 1 VwVfG eröffnete Ermessen nicht ausgeübt habe. Jedenfalls beruhe die Entscheidung auf unzureichenden Erwägungen.

Es sei fehlerhaft, dass sich die Antragsgegnerin allein vom Prinzip der Bestenauslese leiten lasse. Die weitere Beteiligte zu 1 sei nach Bestandskraft des Ablehnungsbescheides aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden und habe "alle Rechte verloren". Eine Neubescheidung könne sie nicht verlangen, da die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Die Antragsgegnerin verkenne, dass bei der Ausübung des Rücknahmeermessens dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein größeres Gewicht zukomme als dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit bestehe ausnahmsweise nur dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich sei. Davon könne im Hinblick auf die geringe Punktedifferenz von 0,08 Punkten keine Rede sein. Die Antragsgegnerin habe nicht beachtet, dass in der Rücknahme ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung liege. Eine Rücknahme sei daher nur eingeschränkt nach § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG zulässig. Die gegenüber dem Antragsteller eintretende belastende Wirkung sei mit dessen durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs erlangten Rechtsposition nicht zu vereinbaren. Er könne für sich schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, denn er habe das Anfechtungsverfahren auch deshalb durchgeführt, weil die weitere Beteiligte zu 1 Rechtsmittel nicht eingelegt habe.

Die Antragsgegnerin habe, da sie sich irrtümlich gebunden gefühlt habe, ihr Ermessen nicht ausgeübt. Sie habe ferner alle zugunsten des Antragstellers sprechenden Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen und zudem nicht beachtet, dass gegen die weitere Beteiligte zu 1 zwei Ermittlungsverfahren geführt worden seien. Darin liege ein Ermessensdefizit.

Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 21. Mai 2008 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die im Amtsblatt von Berlin vom 8. April 2005 (ABl. S. 1242) ausgeschriebene Notarstelle zu übertragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es sei ermessenfehlerfrei, der leistungsstärkeren weiteren Beteiligten zu 1 den Vorrang einzuräumen. Die Auswahlentscheidung folge den in § 40 VwVfG normierten Grundsätzen. Dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vorlägen, habe bereits der BGH ausgeführt.

Der Mitbewerberin sei auch unter Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten und der belastenden Auswirkungen für den Antragsteller der Vorzug zu geben. Sie verfüge sowohl über eine bessere allgemeine juristische Befähigung als auch über ein ausgewogeneres Verhältnis der theoretischen und praktischen Kenntnisse und weise zudem eine erhebliche urkundliche Praxis auf. Auch wenn davon ausgegangen werde, dass ein Anspruch auf Wiederaufgreifen nicht bestehe, sei die Auswahlentscheidung zu Gunsten der weiteren Beteiligten zu 1 zu treffen. Nur so könne dem wichtigen Gemeinwohlbelang der vorsorgenden Rechtspflege bestmöglich gedient werden.

Demgegenüber sei es nachrangig, dass die Mitbewerberin sich nicht gegen die ihr mitgeteilte Besetzungsabsicht gewandt habe. Sie sei dadurch nicht aus dem Bewerberkreis ausgeschieden. Ein schutzwürdiges und als vorrangig zu erachtendes Vertrauen des Antragstellers sei nicht gegeben, da auch er davon ausgehe, dass die Auswahlentscheidung dem Prinzip der Bestenauslese zu folgen habe. Er habe nicht annehmen dürfen, dass bei einer Neubescheidung davon abgewichen werde. Sein Vorbringen, er habe das Anfechtungsverfahren deshalb geführt, weil die weitere Beteiligte zu 1 kein Rechtsmittel eingelegt habe, sei nicht nachvollziehbar. Denn er habe ersichtlich für sich selbst eine höhere Gesamtpunktzahl erstrebt.

Schließlich führte, so die Antragsgegnerin, die Auffassung des Antragstellers zu dem offensichtlich unhaltbaren Ergebnis, dass die Verwaltung unter Umständen auch Bewerbern aus dem hinteren Feld der Rangliste den Vorzug vor fachlich deutlich besser qualifizierten Bewerbern geben müsste, nur weil diese kein Rechtsmittel eingelegt hätten. Dies sei mit dem Prinzip der Bestenauslese nicht vereinbar.

Dem Senat lagen die Bewerbungsakten des Antragstellers und der weiteren Beteiligten (3835 E-G 69/05, 3835 E-G 48/05, 3835 E-G 106/05) vor.

II.

1. Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 21. Mai 2008 und zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller die begehrte Notarstelle zu übertragen.

Die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung erweist sich auch unter Berücksichtigung ihrer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Gerichte (vgl. z.B. BGH NJW-RR 2006, 55, 56) als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Die weitere Beteiligte zu 1 ist aus dem Bewerberkreis ausgeschieden. Die Antragsgegnerin kann ihren Bescheid, mit dem sie die Bewerbung der weiteren Beteiligten abgelehnt hat, daher nicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG zurücknehmen. Daneben sind die bei der Ausübung des Rücknahmeermessens angestellten Ermessenserwägungen fehlerhaft. Die Auswahlentscheidung ist unverhältnismäßig und weist ein Ermessensdefizit auf.

a) Die Antragsgegnerin war zur Rücknahme des gegenüber der weiteren Beteiligten ergangenen Bescheides vom 9. März 2007 nicht berechtigt.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei den Bescheiden vom 9. März 2007 handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne von § 35 LVwVfG. Durch die das Auswahlverfahren abschließende Auswahlentscheidung der Justizverwaltung wird mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen geregelt, welchen Bewerbern die ausgeschriebenen Stellen übertragen werden sollen und welche Bewerbungen abgelehnt werden. Es handelt sich dabei um einen durch Bekanntgabe an die Bewerber wirksam werdenden einheitlichen, teils begünstigenden, teils belastenden Verwaltungsakt (BGH NJW-RR 2001, 1564, 1565).

Danach kommt eine Rücknahme nach § 48 LVwVfG zwar grundsätzlich in Betracht. Im vorliegenden Fall ist dies jedoch ausgeschlossen, weil sich die weitere Beteiligte zu 1 nicht gegen die ihr mitgeteilte Besetzungsabsicht gewandt hat. Der Senat folgt der in der verwaltungsrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung, dass das Konkurrentenverhältnis erlischt, sobald eine Bewerbung unanfechtbar zurückgewiesen worden ist (Finkelnburg, DVBl 1980, 809, 811). Nach Bestandkraft des Bescheides ist verbindlich geklärt, dass der weiteren Beteiligten das Amt als Notarin nicht zusteht. Sie ist aus dem Bewerberfeld ausgeschieden und "Nicht-Mehr-Bewerberin" (vgl. Finkelnburg a.a.O.; Günther, NVwZ 1986, 697, 699). Daran ist die Antragsgegnerin gebunden (für beamtenrechtliche Auswahlentscheidungen vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. August 2005 - 2 A 10372/05 - zit. nach juris, Rnr. 42).

Für diese Ansicht spricht, dass es nach Bestandskraft der Ablehnungsbescheide keiner weiteren materiellen Prüfung durch die Justizverwaltung mehr bedarf, sondern in der Regel nur noch des formalen Akts der Aushändigung der Bestellungsurkunden an die ausgewählten Bewerber. Es ist der Zweck des förmlich geregelten Auswahlverfahrens, eine verbindliche Entscheidung darüber herbeizuführen, welchen Bewerbern die ausgeschriebenen Stellen übertragen und welche Bewerbungen abgelehnt werden sollen. Ist die Auswahlentscheidung getroffen, sind die abgelehnten Bewerber regelmäßig auf den Rechtsweg nach § 111 BNotO verwiesen (vgl. BGH NJW-RR 2001, 1564, 1565). Es widerspräche dem Zweck des Auswahlverfahrens, auch solche Bewerber weiter einzubeziehen, die einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der Monatsfrist des § 111 Abs. 2 Satz 1 BNotO nicht gestellt haben. Die Versäumung dieser Frist ist nach Ansicht des Senats vergleichbar mit einer Versäumung der Bewerbungsfrist (§ 6 b Abs. 2 BNotO). Ausschreibungen von Notarstellen müssen feste Bewerbungsfristen enthalten, um eine willkürliche Einflussnahme auf den Bewerberkreis auszuschließen (BVerfG NJW 1987, 887; BGH NJW 1995, 2359, 2360). Das schließt das Gebot ein, die Bewerbungsfrist als Ausschlussfrist zu gestalten, weil es anderenfalls die Justizverwaltung in der Hand hätte, eine Veränderung des Bewerberkreises herbeizuführen. Diese Erwägung trägt auch im vorliegenden Fall.

Für eine Rücknahme nach § 48 VwVfG ist grundsätzlich kein Raum mehr, wenn ein Verwaltungsakt erloschen oder erledigt ist oder sich auf die Rückabwicklung eines Zustandes richtet, der durch Schaffung vollendeter Tatsachen eingetreten ist (VGH München NVwZ-RR 1991, 117; OVG Münster NJW 1998, 1010; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 48 RNrn. 38 ff.). Da die weitere Beteiligte aus dem Bewerberfeld ausgeschieden ist, liegt ein solcher Fall vor.

An dieser Bewertung sieht sich der Senat durch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dessen Beschluss vom 14. April 2008 nicht gehindert. Soweit der BGH ausgeführt hat, dass es im Ermessen der Antragsgegnerin liege, ob sie den Bescheid, durch den der Antrag der bislang auf Platz 38 eingeordneten Mitbewerberin zurückgewiesen wurde, zurücknehme, handelt es sich nicht um einen die Entscheidung tragenden Grund. Die Beschlussgründe lassen nicht erkennen, ob es sich bei dem obiter dictum um eine abschließende Beurteilung der Rechtslage handelt.

b) Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin wäre, unterstellte man ihre Befugnis zur Rücknahme des Bescheides, auch ermessensfehlerhaft. Denn die weitere Beteiligte hat ein gegenüber dem Antragsteller nur geringfügig besseres Punkteergebnis erzielt. Vor diesem Hintergrund ist das einseitige Abstellen auf das Prinzip der Bestenauslese unverhältnismäßig, da die Antragsgegnerin weder der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, noch die Interessen des Antragstellers hinreichend berücksichtigt hat. Darin liegt ein Ermessensmangel im Sinne von § 111 Abs. 1 Satz 3 BNotO dar. Im Einzelnen:

aa) Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass sich die Antragsgegnerin ihres Ermessensspielraums bewusst war. Denn sie hat darin ausgeführt, dass sie in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens den gegen die bislang auf Rang 38 platzierten Bewerberin ergangenen Verwaltungsakt zurückgenommen habe. Ein Ermessensnichtgebrauch liegt daher nicht vor.

bb) Die Entscheidung ist jedoch unter dem Gesichtspunkt unvollständiger Ermessenserwägungen rechtswidrig. Insoweit liegt ein Ermessensfehler vor, wenn die Verwaltung bei ihrer die beteiligten privaten Interessen sowie das öffentliche Interesse abwägenden Entscheidung nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Gesichtspunkte ermittelt oder diese nicht in die gebotene Abwägung einstellt. Danach ist ein Abwägungsdefizit festzustellen, weil die Antragsgegnerin wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Auswahl der Bewerber um das Amt eines Notars die öffentlichen Interessen im Hinblick auf die Grundrechte der Bewerber zu gewichten und mit verhältnismäßigen Mitteln durchzusetzen (BGH NJW-RR 2005, 998). Das bedeutet, dass die öffentlichen Interessen mit denen der konkurrierenden Mitbewerber abzuwägen sind. Die Justizverwaltung muss im Rahmen der Art. 3, 12 und 33 Abs. 2 GG danach zwar dem Prinzip der Bestenauslese Rechnung tragen. Da der ablehnende Bescheid bestandskräftig ist, ist dem im Rahmen der Ausübung des Rücknahmeermessens jedoch der Grundsatz der Rechtssicherheit gegenüberzustellen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der weiteren Beteiligten zu 1 ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht zusteht und der Antragsteller Investitionen getätigt hat, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch weiter zu verfolgen.

cc) Im Rahmen der Abwägung kommt dem öffentlichen Interesse an der Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes ein nur geringes Gewicht zu. Zwar wäre, da die weitere Beteiligte für das Amt der Notarin persönlich geeignet ist und gegenüber dem Antragsteller auch ein besseres Punkteergebnis aufweist, die noch offene Stelle nach dem Prinzip der Bestenauslese mit ihr zu besetzen. Die Differenz von 0,08 Punkten ist jedoch derart geringfügig, dass sie bei Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen ein Vorziehen der weiteren Beteiligten nicht rechtfertigt. Nach den Ausschreibungsbedingungen werden etwa die Dauer der hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt mit 0,25 Punkten je Monat und die erfolgreiche Teilnahme an notarspezifischen Fortbildungskursen mit 0,5 Punkten für jeden Halbtag bewertet. Das zeigt, ebenso wie das Verhältnis der Differenz von 0,08 Punkten zu den erzielten Gesamtpunktzahlen von 140,57 bzw. 140,65 Punkten, wie gering der Unterschied der in Punkten bewerteten fachlichen Eignung ist. Dem kann Antragsgegnerin nicht entgegen halten, dass der weiteren Beteiligten auch deshalb der Vorzug zu geben sei, weil sie sowohl über eine bessere allgemeine juristische Befähigung als auch über ein ausgewogeneres Verhältnis der theoretischen und praktischen Kenntnisse verfügt. Denn die Justizverwaltung darf, wenn sie sich grundsätzlich eines Punktesystems bedient, nicht ohne besonderen Grund von der rechnerisch ermittelten Rangfolge durch einen darüber hinausgehenden Individualvergleich der Bewerber abweichen. Für eine derartige anlasslose Prüfung fehlt es mangels brauchbarer Beurteilungskriterien an einer tragfähigen Grundlage (BGH, Beschluss vom 14. April 2008 - NotZ 100/07).

dd) Das Abweichen von der rechnerisch ermittelten Rangfolge zugunsten des Antragstellers ist hingegen gerechtfertigt. Denn bei der Ausübung des Rücknahmeermessens ist in Rechnung zu stellen, dass dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein größeres Gewicht zukommt als dem Grundsatz der Rechtssicherheit (BVerwG, NVwZ 2007, 709). Diesem Gesichtspunkt hat die Antragsgegnerin ersichtlich keine Bedeutung beigemessen, da sie die Auswahlentscheidung angesichts der geringen Punktedifferenz ansonsten zugunsten des Antragstellers hätte treffen müssen.

ee) Die Interessen der weiteren Beteiligten zu 1 sind nicht schutzwürdig. Sie hat gegen den Bescheid vom 9. März 2007 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht gestellt und auch in dem vorliegenden Verfahren ihren Bewerbungsverfahrensanspruch nicht weiterverfolgt. Investitionen hat sie nicht getätigt. Zu ihren Gunsten sprechende Gesichtspunkte hat die weitere Beteiligte nicht geltend gemacht. Ein Rechtsanspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 LVwVfG) besteht nicht.

ff) Demgegenüber hat der Antragsteller Investitionen getätigt, um seinen Bewerbungsverfahrensanspruch weiter geltend zu machen. In den vorgehenden Verfahren vor dem Senat und dem Bundesgerichtshof musste er seine außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

Der Senat verkennt nicht, dass zweifelhaft ist, ob der Antragsteller berechtigt darauf vertrauen durfte, dass die Antragsgegnerin den ablehnenden Bescheid gegenüber der weiteren Beteiligten nicht zurücknehmen werde. Denn Vertrauensschutz kann ein Betroffener nur dann in Anspruch nehmen, wenn er subjektiv auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut, dieses Vertrauen ins Werk gesetzt hat und sein Vertrauen auch objektiv schutzwürdig ist (Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 RNr. 135 m.w.N.). Da die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben hat, vom Prinzip der Bestenauslese abzuweichen und mit Rücksicht auf die Bestandkraft dem Antragsteller den Vorzug zu geben, ist fraglich, ob ein Vertrauenstatbestand vorliegt.

Bei der Ermessensausübung ist jedoch auch bei fehlendem Vertrauensschutz der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen (vgl. Stelkens/Bonk/ Sachs, a.a.O., § 48 RNr. 88). Im Hinblick darauf, dass dem öffentlichen Interesse an dem Vorziehen der weiteren Beteiligten zu 1 ein nur geringes Gewicht zukommt, ist die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nach Auffassung des Senats gegenüber dem Antragsteller nicht verhältnismäßig. Die von ihm getätigten Aufwendungen blieben bei einer Bestellung der weiteren Beteiligten zu 1 nutzlos.

c) Die Sache ist zugunsten des Antragstellers zur Endentscheidung reif. Neue entscheidungserhebliche Tatsachen sind, nachdem die streitige Besetzung bereits Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens war, nicht mehr zu erwarten. Die Antragsgegnerin ist daher verpflichtet, den Antragsteller zum Notar zu bestellen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO i.V.m. § 201 Abs. 2 BRAO.

Ende der Entscheidung

Zurück