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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 09.05.2001
Aktenzeichen: 2 Sa 6/01
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, VVG, AKB, SGB X, StVG


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 543
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 72 a
VVG § 67
AKB § 15 Nr. 2
SGB X § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3
StVG § 24 a Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2 Sa 6/01

verkündet am 09. Mai 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Fürstenberg und die ehrenamtliche Richterin Rihm auf die mündliche Verhandlung vom 09.05.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 19.12.2000 (Az.: 1 Ca 487/00) wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 19.12.2000 abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

A. Berufung der Klägerin

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadenersatzanspruch aus übergegangenem Recht zu.

1. Der Versicherer kann Schadenersatzansprüche (hier aus positiver Forderungsverletzung in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB) des Versicherungsnehmers, die nach § 67 VVG auf den Versicherungsnehmer übergegangen sind, gegen den Fahrer nur geltend machen, wenn der Versicherungsfall von ihm vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden ist (§ 15 Nr. 2 AKB). Da im vorliegenden Fall Vorsatz des Beklagten ausscheidet, kommt es auf die Frage an, ob dem Beklagten beim Unfall am 20.09.1999 grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann.

Die Rechtsprechung bestimmt den Begriff der groben Fahrlässigkeit für alle Rechtsgebiete, und damit auch für § 15 Nr. 2 AKB, grundsätzlich einheitlich (BGH 15.12.1966, VersR 67, 127; Münchener Kommentar-Hanau, Bürgerliches Gesetzbuch, 3. Aufl., § 277 Rz. 3). Danach ist grobe Fahrlässigkeit regelmäßig dann gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, wenn schon einfachste oder naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedem einleuchten müssen (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. BGH 11.05.1953, BGHZ 10, 14; BHG 12.10.1988, VersR 89, 141). Es sind strenge Anforderungen zu stellen. Das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit muss zunächst in objektiver Hinsicht erheblich überschritten sein. Außerdem muss die subjektive Vorwerfbarkeit hinzutreten. Danach erfordert grobe Fahrlässigkeit auch subjektiv eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (Staudinger-Löwisch, BGB, 13. Aufl., § 276 Rz. 82 ff.; Münchener Kommentar-Hanau, a.a.O., § 277 Rz. 2 ff.; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 61 VVG Rz. 13 ff. m.w.N.). Eine Legaldefinition der groben Fahrlässigkeit bringt nunmehr § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X: Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird.

Der Versicherer trägt in vollem Umfang die Darlegungs- und Beweislast für Pflichtwidrigkeit, qualifiziertes Verschulden und Kausalität. Dies gilt insbesondere für die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit, für die ein Anscheinsbeweis wegen der Personalkomponente nicht zugelassen ist (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. BHG 10.07.1973, VersR 73, 1120; Stiefel/Hofmann, a.a.O., § 61 VVG Rzn. 15, 21).

Zu Unfällen, die auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sind, gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Aufl., § 12 AKB Rz. 90 ff.; Stiefel/Hofmann, a.a.O. § 61 VVG Rz. 35 ff.). Danach handelt grundsätzlich grob fahrlässig, wer sich in absolut fahruntüchtigem Zustand an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzt. Die in der neueren Rechtsprechung der Strafgerichte für alle Kraftfahrzeuge angewendete Grenze von 1,1 %o Blutalkoholkonzentration ist auch für die Kaskoversicherung zu übernehmen. Bei einem Blutalkoholgehalt von weniger als 1,1 %o beginnt der Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit. Die untere Grenze liegt bei etwa 0,3 %o. Die relative Fahruntüchtigkeit steht nicht allein auf Grund des Blutalkoholgehalts, sondern erst dann fest, wenn weitere Umstände hinzukommen, die auf eine solche schließen lassen. Umstände, die die relative Fahruntüchtigkeit begründen, können dem Verhalten des Fahrers, den Feststellungen des Blutentnahmeprotokolls oder groben Fahrfehlern entnommen werden. Für den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit muss neben der relativen Fahruntüchtigkeit ein gesteigerter subjektiver Vorwurf hinzukommen. Dieser gesteigerte subjektive Vorwurf kann aus der Art und der Menge des Alkoholkonsums, aus der Missachtung der Anzeichen für die Alkoholbeeinträchtigung oder aus mangelnder Selbstprüfung geschlossen werden. Eine Vermutung für grobe Fahrlässigkeit besteht nicht. Je höher der Blutalkoholgehalt und je näher an 1,1 %o, desto schwerwiegender ist das subjektive Fehlverhalten (Prölss/Martin, a.a.O. Rzn. 92-94; Stiefel/Hofmann, a.a.O., Rz. 35 m.w.N.).

2. Wenn man die vorstehend genannten Rechtsgrundsätze berücksichtigt und den vorliegenden Sachverhalt mit den Tatbeständen der umfangreichen Rechtsprechung zu alkoholbeeinflussten oder alkoholbedingten Unfällen vergleicht, kommt die erkennende Kammer zu der Überzeugung, dass dem Beklagten subjektiv kein grobfahrlässiges Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Mit dem Arbeitsgericht, das allerdings § 15 Nr. 2 AKB nicht beachtet hat, ist davon auszugehen, dass die Pflichtwidrigkeit des Beklagten am oberen Rand der mittleren Fahrlässigkeit einzustufen ist. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin in der Berufungsbegründung zitierten Urteile erheblich abweichende Sachverhalte entschieden haben und gerade nicht das Fehlverhalten im vorliegenden Fall als grobfahrlässig bewerten lassen. So waren die Blutalkoholkonzentrationen in den zitierten Entscheidungen durchgängig erheblich höher und dadurch eingetreten, dass die Fahrer durchweg unmittelbar vor dem Fahrtbeginn Alkohol getrunken hatten (OLG Hamm 30.01.1981, VersR 81, 924: 1,04 %o ; OLG Karlsruhe 27.05.1982, VersR 83, 292: 1,11%o ; OLG Karlsruhe 01.04.1982, VersR 83, 627: 1,04 %o ).

Die erkennende Kammer geht von einer (relativen) Fahruntüchtigkeit des Beklagten im Unfallzeitpunkt am 20.09.1999 gegen 5.30 Uhr aus, da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,52 %o hatte und bei einfacher Verkehrssituation von der Fahrbahn abgekommen ist. Auch wenn man von der Fahruntüchtigkeit des Beklagten ausgeht und man das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit in objektiver Hinsicht erheblich überschritten sieht, lassen die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen nicht auf ein subjektives Fehlverhalten schließen, das erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgeht.

a) Die beim Beklagten gemessene Blutalkoholkonzentration von 0,52 %o liegt nur knapp über der Grenze der Bußgeldvorschrift des § 24 a Abs. 1 Nr. 2 StVG (0,5 %o) und im untersten Bereich, wo relative Fahruntüchtigkeit vorliegen kann. Zwar sind 0,5 %o Blutalkohol bereits eine kritische Grenze für die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit (Tröntle/Fischer, StGB, § 316 Rz. 7 a). Gleichwohl kann sich bei einer Pflichtwidrigkeit im unteren Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit im Regelfall kein gesteigerter Schuldvorwurf ergeben.

b) Ein gesteigerter Schuldvorwurf des Beklagten ergibt sich auch nicht aus dem Trinkverhalten vor Fahrtbeginn. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte nicht unmittelbar vor Arbeitsantritt Alkohol konsumiert hat. Nach den unbestrittenen Angaben des Beklagten hat er am Abend zuvor bis 21.00 Uhr (erhebliche) Mengen an Alkohol zu sich genommen und danach geschlafen. Vor Arbeitsbeginn hat er geduscht und gefrühstückt. Es besteht auch bei diesem Verhalten der Vorwurf, dass der Beklagte im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Fahrertätigkeit zu viel Alkohol konsumiert hat. Ein Berufskraftfahrer muss wissen, wie viel Alkohol er am Abend vor seiner Tätigkeit zu sich nehmen kann, damit er bei Fahrtantritt abgebaut ist. Gleichwohl ist dieses Verhalten subjektiv nicht so schwerwiegend, wie wenn sich ein Kraftfahrer unmittelbar nach Alkoholgenuss ans Steuer setzt. In diesem Fall kann er nicht davon ausgehen, dass der Alkohol bereits wieder abgebaut worden ist.

c) Die darlegungsbelastete Klägerin hat auch keine Ausfallerscheinungen des Beklagten im Unfallzeitpunkt dargetan. Ausfallerscheinungen sind auch nicht aus den Protokollen der beigezogenen Ermittlungsakte ersichtlich. Das am 20.09.1999 um 5.48 Uhr aufgenommene Polizeiprotokoll des Polizeibeamten B. stellt beim Beklagten zwar starken Atemalkoholgeruch und gerötete Bindehäute der Augen, jedoch keine Ausfallerscheinungen fest. Auch der am 20.09.1999 um 5.55 Uhr angefertigte ärztliche Bericht enthält keine Ausfallerscheinungen des Beklagten und schließt damit, dass der Beklagte leicht unter Alkohol zu stehen scheint. Die Klägerin hat deshalb nicht dargetan, dass der Beklagte sich trotz Auftretens von Ausfallerscheinungen ans Steuer gesetzt hat oder weitergefahren ist. Da der Beklagte nach seinen eigenen unbestrittenen Angaben vor dem Unfall keine Anzeichen von Fahruntüchtigkeit gespürt hat, kann auch nicht die unterlassene Verpflichtung eines Berufskraftfahrers, sich vor Fahrtbeginn hinreichend gewissenhaft selbst zu prüfen, zu einem besonders gesteigerten Schuldvorwurf führen.

Da dem Beklagten subjektiv keine grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, kann die Klägerin einen übergegangenen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten nicht geltend machen. Die Berufung der Klägerin war somit zurückzuweisen.

B. Anschlussberufung des Beklagten

Die statthafte und zulässige Anschlussberufung des Beklagten ist begründet. Die Klage ist insgesamt abzuweisen, da die Klägerin auf Grund von § 15 Nr. 2 AKB übergegangene Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers nicht geltend machen kann, da sie nicht grobfahrlässig herbeigeführt worden sind (s.o).

C. Nebenentscheidungen

1. Die Kosten des Rechtsstreits waren der Klägerin gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.

2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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