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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 12.07.2004
Aktenzeichen: 12 Ta 10/04
Rechtsgebiete: ZPO, TzBfG, KSchG


Vorschriften:

ZPO § 51
ZPO § 79
ZPO § 85 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
TzBfG § 17 Satz 1
TzBfG § 17 Satz 2
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 1 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim -

Aktenzeichen: 12 Ta 10/04

Beschluss vom 12.07.2004

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - - 12. Kammer durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hennemann ohne mündliche Verhandlung am 12.07.2004

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichtes Mannheim vom 26.03.2004 - Az.: 9 Ca 52/04 - wird abgeändert.

2. Die Feststellungsklage der Klägerin wird nachträglich zugelassen.

Gründe:

Die Klägerin war ununterbrochen seit dem 05.12.1997 aufgrund von sechs befristeten Arbeitsverträgen mit einer Laufzeit von jeweils einem Jahr für den beklagten Verein als kaufmännische Angestellte tätig. Der zuletzt am 27.11.2002 geschlossene Vertrag sieht eine Beendigung zum 04.12.2003 vor.

Am 08.12.2003 suchte die Klägerin die Gewerkschaft, deren Mitglied sie ist, auf, um die Klageaussichten einer Entfristungsklage zu erfragen. Der sie beratende Gewerkschaftssekretär, Herr E, erklärte ihr, dass innerhalb von drei Wochen Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden müsse und dass er dafür Sorge tragen werde, dass dies die DGB-Rechtsschutz GmbH veranlasse. Zu diesem Zwecke werde die Arbeitsverträge mit den kompletten Unterlagen dort hin weiterleiten lassen; die Klägerin brauche sich um nichts zu kümmern. Am folgenden Tage übergab Herr E einer Mitarbeiterin seiner Gewerkschaft, Frau S, die von ihm zusammengestellten Unterlagen mit dem Hinweis, den Vorgang zu registrieren und die Unterlagen an die Rechtsschutz GmbH weiterzuleiten. Frau S war an diesem Tage die Urlaubs- und Krankheitsvertretung für Frau R, die ansonsten zuständig war für die Verwaltung der Rechtsschutzanträge. Frau S trug den Vorgang im Rechtsschutzregister ein. Eine Weiterleitung erfolgte jedoch erst, nachdem die Klägerin sich am 15.01.2004 bei der Rechtsschutz GmbH nach dem Stand der Dinge erkundigt hatte.

Am 27.01.2004 hat die DGB-Rechtsschutz GmbH namens der Klägerin die Entfristungsklage beim Arbeitsgericht erhoben und zugleich beantragt, diese nachträglich zuzulassen. Zur Glaubhaftmachung hat sie Bezug genommen auf die Kopie eines Erhebungsbogens des Gewerkschaftssekretärs, eine Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen den Gewerkschaften und der DGB-Rechtsschutz GmbH vom 24.04./06.07.1999, sowie auf eidesstattliche Versicherungen des Herrn Peter E vom 20.01.2004, der Frau R vom 22.01.2004 und der Frau S vom 22.01.2004.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung durch Beschluss vom 26.03.2004 mit der Begründung zurückgewiesen, die Klägerin müsse sich das Verschulden von Herrn E und Frau S zurechnen lassen, weil sie Prozessbevollmächtigte im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO seien. Herr E habe den Eindruck erweckt, dass er sich der Sache der Klägerin angenommen habe; die Klägerin habe darauf vertrauen können, dass er damit formlos mandatiert worden sei.

Gegen diesen am 20.04.2004 zugestellten Beschluss wehrt sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 30.04.2004.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

1.

Die am 27.01.2004 erhobene Klage auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrages zum 04.12.2003 ist verspätet erhoben worden. Die gemäß § 17 Satz 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) einzuhaltende dreiwöchige Klagfrist war bereits am Montag, dem 29.12.2003 abgelaufen.

Der gemäß § 17 Satz 2 TzBfG in Verbindung mit § 5 KSchG zusammen mit der Klage gestellte Antrag auf nachträgliche Zulassung ist rechtzeitig binnen zweier Wochen ab Behebung des Hindernisses anhängig gemacht worden, § 5 Abs. 3 KSchG. Das Hindernis lag in der Unkenntnis der Versäumung der dreiwöchigen Klagfrist; es endete am 15.01.2004 mit Entdeckung der Fristversäumung.

2.

Die Klägerin war trotz Anwendung aller ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage rechtzeitig zu erheben, § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

a.

Die Klägerin selbst trifft kein Verschulden.

Wegen der Zusicherung ihres Gewerkschaftssekretärs, Herrn E, vom 08.12.2003 durfte die Klägerin zumindest bis zu Anfang der dritten Kalenderwoche 2004 darauf vertrauen, dass die Klageunterlagen rechtzeitig an die DGB-Rechtsschutz GmbH weitergereicht und dass von dieser die Klage rechtzeitig erhoben würde. Angesichts der überwiegend üblichen Behörden- und Betriebs-Ruhe "zwischen den Jahren", die zumindest bis zum Feiertage "Heilige Drei Könige" am 06.01.2004 reichte, durfte die Klägerin ohne weitere Nachfrage davon ausgehen, dass mit einer Terminsnachricht durch das Gericht oder einer entsprechenden Mitteilung durch die DGB-Rechtsschutz GmbH nicht vor dem Ablauf der zweiten Kalenderwoche zu rechnen sei.

Die Nachfrage der Klägerin vom 15.01.2004 zeugt von einer dieser Situation angemessenen sorgfältigen Wahrung ihrer eigenen Angelegenheit.

b.

Der Klägerin ist ein Verschulden des Herrn E und/oder der Frau S wegen unterlassener rechtzeitiger Weiterleitung der Klagunterlagen an die DGB-Rechtsschutz GmbH nicht zuzurechnen. Als Zurechnungsnorm kommt ausschließlich § 85 Abs. 2 ZPO in Betracht. Danach steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.

§ 85 Abs. 2 ZPO ist im Kontext des vorangehenden Absatzes zu lesen: § 85 Abs. 1 ZPO regelt, dass die von dem Bevollmächtigen vorgenommenen "Prozesshandlungen" für die Partei in gleicher Art verpflichtend sind, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären.

Bevollmächtigter im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO ist diejenige natürliche Person, der durch Rechtsgeschäft die Befugnis zur eigenverantwortlichen Vertretung der Partei erteilt wurde, und zwar zu dem Zweck, Prozesshandlungen vorzunehmen. Hiervon zu unterscheiden ist die Bevollmächtigung einer sonstigen Person zur Vorbereitung des Prozesses. Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass Herr E von der Klägerin bevollmächtigt wurde, derartige vorbereitende Handlungen vorzunehmen. Damit wurde er jedoch nicht Prozessbevollmächtigter im Sinne der §§ 51 und 79 ZPO. Tatsächlich hat die Klägerin erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 16.12.2003, mit ihrer Unterschrift auf die Urkunde den drei dort genannten Rechtssekretären/innen der DGB-Rechtsschutz GmbH Prozessvollmacht erteilt. Zu ihnen gehören nicht Herr E und Frau S.

c.

Eine Zurechnung des Fehlverhaltens von Hilfspersonen der Prozessbevollmächtigten kann nur insoweit erfolgen, als den Prozessbevollmächtigten selbst der Vorwurf mangelhafter Auswahl und Überwachung des Hilfspersonals gemacht werden kann. So darf z. B. der bevollmächtige Rechtsanwalt gewisse Hilfstätigkeiten zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal übertragen. Versehen dieses Personals, die nicht auf ein eigenes Verschulden des Anwaltes zurückzuführen sind, hat die Partei nicht zu vertreten. Ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten - sei er nun Rechtsanwalt oder Rechtssekretär der Rechtsschutz GmbH - kann insbesondere in mangelhafter Büroorganistation, mangelnder Sorgfalt bei der Auswahl, Belehrung und Überwachung des Personals liegen. Ähnliches gilt für die Übertragung von Verrichtungen des Prozessbevollmächtigten auf juristische Hilfskräfte, wie Assessoren und Referendare; auch insoweit hat der Prozessbevollmächtigte Weisungs- und Überwachungspflichten (Zöller-Greger, § 233 ZPO, 24. Aufl., Rdz. 23, Stichworte "Angestellte" und "Juristische Hilfskräfte").

Im vorliegenden Fall liegt es - allerdings nur auf den ersten Blick - nahe, das offensichtliche Fehlverhalten von Frau S (Ablage ohne Beachtung der Weisung zur Weiterreichung) und den denkbaren Fehler von Herrn E (u. U. unterlassene Überwachung der Vorfrist), so zu bewerten, als wären sie dem vorerwähnte Büropersonal eines Prozessbevollmächtigten gleichgestellt.

Hierfür spricht zunächst die "Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und der GmbH" (gemeint ist die DGB-Rechsschutz GmbH) vom 21.04./06.07.1999 - vgl. Abl. 12 bis 15 -:

Danach ist die Einzelgewerkschaft für arbeitsrechtliche Klagen erste Anlaufstelle für das klagewillige Gewerkschaftsmitglied. Die Gewerkschaft stellt fest, ob die Rechtsschutzvoraussetzungen gegeben sind, sie klärt die Interessenlage und den Sachverhalt und prüft anhand einer Checkliste, ob "die Fristen eingehalten" sind (z. B. §§ 4, 5 KSchG); schließlich füllt sie den Erfassungsbogen aus und leitet ihn zusammen mit den notwendigen Unterlagen an die DBG-Rechtsschutz GmbH weiter. Speziell im Arbeitsrecht prüft die Gewerkschaft sogar die Erfolgsaussicht einer Forderung. Die Gewerkschaft leistet auch Rechtsberatung für das Gewerkschaftsmitglied. Ist jedoch eine darüber hinausgehende Beratung erforderlich, wird das Rechtsschutzbüro der DG B-Rechtsschutz GmbH tätig. Das Rechtsschutzbüro prüft nach Erhalt des Rechtsschutzauftrages die Schlüssigkeit des Klagbegehrens und - allerdings nicht in der Vereinbarung gesondert geregelt - erstellt die Klagschrift und macht sie bei Gericht anhängig. Schließlich regelt die Zusammenarbeitsvereinbarung die Notwendigkeit von Qualifizierungsmaßnahmen für die Beschäftigten der Gewerkschaften und der DGB-Rechtsschutz GmbH.

Dieses Regelwerk lässt darauf schließen, dass die Einzelgewerkschaften nicht nur - ähnlich einer Rechtsschutzversicherung - Deckungsschutz für eine Klage erteilt oder versagt, sondern auch solche juristischen Vorarbeiten versieht, wie sie auch von Angestellten in einer Rechtsanwaltskanzlei mitunter erledigt werden. Mithin sprechen zumindest einzelne Gesichtspunkte dafür, dass die Mitarbeiter der Einzelgewerkschaft dem vorerwähnten Büropersonal des Prozessbevollmächtigten ähneln, soweit sie die in der Zusammenarbeitsvereinbarung im einzelnen aufgeführten Tätigkeiten erfüllen.

Allerdings wird bei näherer Betrachtung der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten der Arbeitsteilung offenbar, dass ein wesentlicher Unterschied besteht, nämlich:

Der Rechtsanwalt kann sein Büropersonal tatsächlich auswählen, kraft seines Direktionsrechtes überwachen, anweisen und auch qualifizieren kann. Dies ist im vorliegenden Fall des Prozessbevollmächtigten der DGB-Rechtsschutz GmbH in Bezug auf die Einzelgewerkschaften jedoch versagt. Beide sind als juristische Personen rechtlich selbständig. Eine direkte Einflussnahme auf die Arbeit und die korrekte Pflichterfüllung der Mitarbeiter der Gewerkschaft ist den Prozessbevollmächtigten der Rechtsschutz GmbH nach dem Regelwerk der Zusammenarbeitsvereinbarung rechtlich nicht möglich. Aus diesem Grunde scheidet ein Organisations- und Überwachungs-Verschulden der Prozessbevollmächtigten auch dann aus, wenn außer Acht gelassen wird, dass das o. a. Fehlverhalten sich zu einem Zeitpunkt ereignet hatte, als die Prozessvollmacht noch gar nicht unterzeichnet war. Zumindest kann ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten so lange nicht angenommen werden, wie es sich bei dem Fehlverhalten um einen Einzelfall handelt, der Anzeichen für eine strukturbedingte Fehlerquelle im inneren Zusammenhang mit der Arbeitsteilung zwischen Einzelgewerkschaft und Rechtsschutz GmbH nicht zulässt.

3.

Eine Kostenentscheidung gemäß analoger Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO ist nicht veranlasst, weil nicht die Beklagte ein Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat.

Ende der Entscheidung

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