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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 12 Ta 6/06
Rechtsgebiete: ZPO, KSchG, MuSchG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 318
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 4 Abs. 1 letzter Satz
KSchG § 5 Abs. 1 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 1 Satz 2
MuSchG § 9 Abs. 1
BGB § 121
BGB § 121 Abs. 1 Satz 1
1. Nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage.

2. Unkenntnis der gekündigten Arbeitnehmerin von eigener Schwangerschaft zur Zeit des Zugang der Kündigung.

3. Kenntniserlangung von eigener Schwangerschaft wenige Tage vor Ablauf der 3-Wochenfrist.


Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim -

Aktenzeichen: 12 Ta 6/06

Beschluss vom 15.08.2006

Im Beschwerdeverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - - 12. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hennemann ohne mündliche Verhandlung am 15.08.2006

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 30.05.2006 wird der Beschluss des Arbeitsgerichtes Mannheim - Kammern Heidelberg vom 10.05.2006 - Az.: 14 Ca 429/05 - abgeändert.

2. Die Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin steht seit Juli 1997 in einem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten, bzw. der Gemeinschuldnerin.

Sie ist Kundenbetreuerin. Die Gemeinschuldnerin beschäftigte in ihrem Betrieb etwa 900 Arbeitnehmer mit Filmentwicklungsarbeiten.

Nach der Geburt ihres ersten Kindes nahm die Klägerin ab dem 25.11.2003 für die Dauer von drei Jahren sogenannte Elternzeit in Anspruch.

Am 31.07.2004 stellte die Gemeinschuldnerin mangels Rentabilität ihren Betrieb ein. Der am 01.08.2004 bestellte Insolvenzverwalter - der Beklagte - beantragte am 03.08.2004 beim Gewerbeaufsichtsamt die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin; sie wurde mit Bescheid vom 07.07.2005 erteilt.

Am 16.08.2005 erhielt die Klägerin eine aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene schriftliche Kündigung vom 15.08.2005 zum 23.11.2005.

Am Freitag, den 02.09.2005 erfuhr die Klägerin anlässlich eines Arztbesuches von ihrer seit Mitte/Ende Juli 2005 bestehenden Schwangerschaft. Am Donnerstag, den 08.09.2005 suchte sie ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten auf. Er erhob am gleichen Tage Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht und beantragte zugleich hilfsweise die nachträgliche Zulassung der verspäteten Kündigungschutzklage und unterrichtete, ebenfalls am 08.09.2005 - per Fax - den Beklagten von der neuerlichen Schwangerschaft der Klägerin.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.05.2006, der Klägerin am 16.05. zugestellt, den Antrag auf nachträgliche Zulassung mit der Begründung zurückgewiesen, die Verspätung der Klagerhebung sei nicht unverschuldet. Da die dreiwöchige Klagfrist angesichts des Zugangs der Kündigung am 16.08. erst am Dienstag, den 06.09. abgelaufen sei, hätte die Klägerin noch am Montag, den 05. oder im Laufe des Dienstages, dem 06.09. Rechtsrat über ihren besonderen Kündigungsschutz einholen und Klage erheben können. Sie habe auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der tatsächlich erst am Donnerstag, den 08.09. erteilte Rechtsrat nicht früher hätte eingeholt werden können.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 30.05.2006 eingegangenen sofortigen Beschwerde.

II.

Die fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.

a.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach ständiger Rechtssprechung der Kammer ausschließlich die Frage des Verschuldens hinsichtlich der Klagverspätung. Dies hat zur Folge, dass die Verspätung selbst als eingetreten unterstellt wird (zum Meinungsstand insgesamt KR-Friedrich, 7. Aufl. § 5 Rndz. 134 ff; Ha-Ko-Gallner, 2. Aufl. § 5 Rndz. 12 ff und 86 ff). Nur die Frage des Verschuldens, das heißt, ob Gründe für eine nachträgliche Zulassung vorliegen oder nicht, hat Bindungswirkung gemäß § 318 ZPO für das Hauptsacheverfahren. Im vorliegenden Verfahren ist also nicht zu prüfen, ob der Zustimmungsbescheid vom 07.07.2005 der Klägerin überhaupt, bzw. erst nach Zugang der Kündigung bekannt gegeben wurde und ob wegen § 4 Abs. 1 letzter Satz KSchG die Klagfrist am 08.09.2005, dem Datum der tatsächlichen Klagerhebung, noch offen war (BAG 03.07.2003 - 2 AZR 487/02).

b.

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist eine nicht innerhalb von drei Wochen erhobene Kündigungsschutzklage auf Antrag nachträglich zuzulassen, wenn der gekündigte Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, dies rechtzeitig zu tun. Die Entschuldigungsgründe sind glaubhaft zu machen. Insoweit sind in tatsächlicher Hinsicht hinreichende Entschuldigungsgründe nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht worden. Dies ergibt sich aus Folgendem: Die fristgerecht eingereichte (erste) eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 12.09.2005 hat folgenden Wortlaut:

"Erst am 02.09.2005 erfuhr ich völlig überrascht anlässlich eines Arztbesuchs davon, dass ich bereits seit ca. Juli 2005 schwanger bin. Damit habe ich nicht gerechnet. Denn ich habe, wie ärztlicherseits bekannt ist, große Zyklusunregelmäßigkeiten. Im übrigen war eine anwaltliche Beratung erst am 08.09.2005 möglich."

Die Klägerin erläutert zwar in nachvollziehbarer Weise die Kenntniserlangung von der eigenen Schwangerschaft infolge ihres Arztbesuches vom 02.09., sie legt allerdings nicht dar, aus welchem Grunde ihr, wie vorgetragen, erst am 08.09. eine anwaltliche Beratung möglich war und weshalb sie sich ohne anwaltlichen Rat gehindert sah, selbst fristwahrend Klage zu erheben. Sie trägt nicht vor, am Montag oder Dienstag, den 05. bzw. 06.09. um einen Termin unter Hinweis auf ihre Kündigung nachgesucht zu haben, aber vertröstet worden zu sein; ebenso wenig trägt sie vor, irrtümlich angenommen zu haben, entgegen der bestehenden Rechtslage (vgl. nachstehend) nicht zugleich zur fristgerechten Klagerhebung trotz Schwangerschaft verpflichtet gewesen zu sein.

Die im Beschwerdeverfahren nachgereichte zweite eidesstattliche Versicherung vom 26.05.2006 ändert an dieser Unklarheit nichts Wesentliches. Sie hat folgenden Wortlaut:

"Nachdem ich am 02.09.2005 völlig überraschend von meiner Schwangerschaft erfuhr, überkamen mich zunächst Zukunftsängste. Insoweit muss ich darauf hinweisen, dass ich bereits ein Kind habe und weder meine, noch die berufliche Zukunft meines Mannes gesichert ist. Zudem sind die wirtschaftlichen Belastungen durch zwei Kinder für uns sehr groß. Vor diesem Hintergrund habe ich mich über das Wochenende (03.09. und 04.09.2005) nicht mit Fragen nach der rechtlichen Wirksamkeit der Kündigung befasst. Hierüber konnte ich erst nach dem Wochenende nachdenken."

Damit behauptet die Klägerin ebenfalls keine konkreten Umstände, die gegen ein Verschulden an der Versäumung der Klagfrist sprechen könnten.

c.

Gleichwohl ist die Beschwerde mit Rücksicht auf die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin begründet. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (Gesetzblatt I/3002 f) gilt nämlich Gleiches, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagfrist Kenntnis erlangt hat.

Diese Vorschrift steht im inhaltlichen Zusammenhang mit § 9 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes (KR-Bader, 7. Aufl. § 9 Mutterschutzgesetz Rndz. 172 d), wonach eine schwangere Frau binnen zwei Wochen ab Zugang der Kündigung eine ihr bekannte Schwangerschaft dem Arbeitgeber offenbaren muss, wenn sie sich auf den besonderen Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes berufen will.

Im besonderen Fall nicht zu vertretender Unkenntnis von der eigenen Schwangerschaft ist es unschädlich, wenn die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Unverzüglichkeit ist gegeben, wenn es "ohne schuldhaftes Zögern" erfolgt, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Nach dieser ab dem 01.01.2004 geltenden Rechtslage genügt es also nicht mehr, dass die schwangere Arbeitnehmerin lediglich dem Arbeitgeber unverzüglich Kenntnis von der auch ihr bislang unbekannt gebliebenden Schwangerschaft macht. Die Schwangere muss vielmehr nach neuem Recht zusätzlich innerhalb von drei Wochen gerechnet ab Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben, beziehungsweise im Falle des Ablaufes der Klagfrist zur Zeit der Erlangung eigener Kenntnis von ihrer Schwangerschaft binnen 14 Tagen ab tatsächlicher Kenntniserlangung den Antrag auf nachträgliche Zulassung der verspäteten Kündigungsschutzklage stellen.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin gegenüber der Beklagten die Mitteilung am 08.09.2005 gemacht, nachdem sie am 02.09.2005 hiervon selbst erfahren hat. Dieser Zeitraum von weniger als einer Woche ist noch unverzüglich im Sinne von § 121 BGB, wenn berücksichtigt wird, dass in dem dazwischenliegenden Wochenende die Kommunikation erschwert war (KR-Bader 7. Aufl. § 9 Mutterschutzgesetz Rndz. 172 d, 57 b mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG wird die schwangere Arbeitnehmerin, der in tatsächlicher Hinsicht ihr besonderer Kündigungsschutz zunächst unbekannt ist, gegenüber einem normalen Arbeitnehmer, der diesen besonderen Kündigungsschutz nicht genießt, privilegiert. Diese Besserstellung findet ihre Rechtfertigung in Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes: "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft". Danach ist Voraussetzung für eine nachträgliche Zulassung, dass

- Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen des besonderen Kündigungsschutzes erst nach Ablauf von drei Wochen, gerechnet ab Zugang der Kündigung, erlangt wurde,

- dies aus einem nicht zu vertretenden Grund geschehen ist und

- binnen 14 Tagen gerechnet ab tatsächlicher Kenntniserlangung der prozessuale Antrag auf nachträgliche Zulassung nachgeholt wird;

- Zudem muss der Arbeitgeber unverzüglich benachrichtigt werden.

Letzteres ist, wie bereits oben ausgeführt, geschehen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass im Zeitpunkt der Kenntniserlangung die 3-Wochen-Frist für die Klagerhebung noch offen war. Dem folgt das erkennende Beschwerdegericht nicht, weil, wie ebenfalls oben unter II. 1. a. ausgeführt wurde, die Verspätung der Klagerhebung als zutreffend zu unterstellen ist.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin auch aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nachträglich von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt. Sie hat mit ihrer ersten eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, wegen großer Zyklusunregelmäßigkeiten bis zum 02.09.2005 in Unkenntnis über die objektiv seit längerem bestehende Schwangerschaft gewesen zu sein. Die Klägerin hat diesen Umstand nicht zu vertreten. Der Verschuldensmaßstab ist weniger streng als derjenige nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG. Maßgeblich ist die in eigenen Angelegenheiten gebotene Sorgfalt (vgl. KR-Bader, § 9 Mutterschutzgesetz, Rndz. 172 d am Ende i. V. m. Rndz. 57 ff). Im vorliegenden Fall ist keinerlei Verschulden gegeben.

d.

Ob die somit zugelassene Kündigungsschutzklage begründet ist, ist vorliegend nicht zu entscheiden. Allerdings sind Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit/Anfechtbarkeit des Zustimmungsbescheides vom 07.07.2005 nicht ersichtlich, da nicht vorgetragen wurde, dass der Zustimmungsbescheid der Klägerin nicht oder erst nach Zugang der Kündigung bekannt gegeben wurde (vgl. BAG, 03.07.2004 - Az.: 2 AZR 487/02). Ebenso wenig ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigung angesichts der gänzlichen Schließung des Betriebes sozialwidrig im Sinne von § 1 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 KSchG sein könnte. Die mögliche Nichteinhaltung der Kündigungsfrist kann im übrigen auch außerhalb der Klagfrist gerügt werden (BAG, 15.12.2005 - Az.: 2 AZR 148/05, sowie 09.02.2006 - Az.: 6 AZR 283/05 = NZA 06/Heft 4 Seite VII).

Ende der Entscheidung

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