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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 08.04.2002
Aktenzeichen: 15 Sa 119/01
Rechtsgebiete: JazTV, ArbGG, ZPO, BGB, TVG, BetrVG


Vorschriften:

JazTV § 4 Abs. 1
JazTV § 4 Abs. 9
JazTV § 6 Abs. 5
JazTV § 6 Abs. 8
JazTV § 6 Abs. 7
JazTV § 6 Abs. 5 Satz 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 519 a. F.
BGB § 615 Satz 1
BGB § 296 Satz 1
TVG § 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 5
BetrVG § 87 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
15 Sa 119/01

verkündet am 08. April 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 15. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Braasch, die ehrenamtliche Richterin Knospe und den ehrenamtlichen Richter Thierer auf die mündliche Verhandlung vom 08.04.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 16. August 2001 - Az.: 1 Ca 221/01 - wird auf Kosten der Berufungsführerin als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers bezüglich der am 15./16. Juli 2000 geleisteten Nachtschicht eine Gutschrift vorzunehmen ist.

Der Kläger, welcher am 15. September 1970 geboren worden und Mitglied der Gewerkschaft ist, wurde im September 1989 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingestellt. In deren Niederlassung Ulm sind ca. 670 Arbeitnehmer beschäftigt. In dem Bereich Elektrotechnik, in welchem insgesamt 35 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist der Kläger als Starkstromelektriker eingesetzt. Mit dem dort gebildeten Betriebsrat hat die Beklagte eine Betriebsvereinbarung zur Sicherung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 5 BetrVG bei Arbeitzeit- und Urlaubsregelung am 07. Oktober 1998 abgeschlossen. Auf das Arbeitsverhältnis finden infolge eines Überleitungstarifvertrags die zwischen der Deutschen Bahn AG und der Gewerkschaft TransNet bzw. der GdED abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung; insbesondere der Tarifvertrag zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG (JazTV), welcher am 01. Januar 1998 in Kraft getreten ist.

Nach der Monatsplanung für den Monat Mai 2000 war der Kläger für das Wochenende 06./07. Mai für eine Nachtschicht zwischen 20:00 und 06:00 Uhr eingeteilt, innerhalb derer er mit acht weiteren Arbeitnehmern einen Fahrdraht im Bahnhof Amstetten auswechseln sollte. Derartige Arbeiten werden in der Nachtschicht durchgeführt, weil dort ein geringerer Zugverkehr herrscht.

Am 05. Mai 2000 entdeckte ein Mitarbeiter der Beklagten während einer privaten Zugfahrt, dass im Zuständigkeitsbereich der Niederlassung Ulm ein Isolator gebrochen war. Die Störungsmeldung ging am 05. Mai 2000 gegen 19:00 Uhr beim zuständigen Meister der Störungsbereitschaft ein. Der genaue Standort des Mastes konnte nicht angegeben werden. Die Suche danach wurde am 06. Mai 2000 aufgenommen. Nachdem der Ort lokalisiert worden war, wurden drei Arbeitnehmer, die wie der Kläger an sich für die Nachtschicht 06./07. Mai 2000 eingeteilt waren, aus der Rufbereitschaft zum Entstörungseinsatz gerufen. Dieser dauerte am 06. Mai 2000 von 09:00 bis 14.00 Uhr. Die geplante Nachtschicht für die Zeit 06./07. Mai 2000 wurde am 06. Mai 2000 um 19:00 Uhr abgesagt. Die dadurch ausgefallene Arbeitszeit wurde auf den Arbeitszeitkonten der für die Nachtschicht eingeteilten Mitarbeiter gutgeschrieben. Der für das Wochenende 06./07. Mai 2000 geplante Fahrdrahtwechsel wurde am 15./16. Juli 2000 zwischen 20:00 Uhr und 06.00 Uhr nachgeholt, und zwar durch diejenigen Arbeitnehmer, die für die abgesagte Nachtschicht am 06./07. Mai 2000 eingeteilt waren.

Diese am 15./16. Juli 2000 geleistete Arbeitszeit ist auf den Arbeitszeitkonten der Arbeitnehmer nicht gutgeschrieben worden. Ein entsprechendes Verlangen nach Gutschrift des Klägers vom 12. Oktober 2000 ist durch die Beklagte am 10. Januar 2001 abgelehnt worden.

Der Kläger hat zur Begründung des erhobenen Anspruchs geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet, die geleistete Arbeit am 15./16. Juli 2000 auf seinem Arbeitszeitkonto mit 9 Stunden 5 Minuten gutzuschreiben. Diese Arbeitszeit sei nicht mit der Gutschrift für die am 06./07. Mai 2000 ausgefallene Nachtschicht verrechenbar. Vielmehr gelte die ausgefallene Nachtschicht als geleistet. Wegen der kurzfristigen Absage habe die Beklagte nicht verlangen können, dass die Nachtschicht auch nachgeholt werde. Der Arbeitsausfall am 06./07. Mai 2000 sei von der Beklagten zu vertreten, weil dieser letztlich auf Personalmangel zurückzuführen sei. Auch habe die Beklagte in der Vergangenheit in Fällen wie dem vorliegenden die nachgeholte Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Es bestehe deshalb eine betriebliche Übung, von der sich die Beklagte nicht einseitig lösen könne.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, die vom Kläger am 15.07.2000 und 16.07.2000 zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Nachtschicht auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers mit 9 Stunden und 15 Minuten gutzuschreiben.

Die Beklagte hat zur Abwehr der Klage insbesondere geltend gemacht, aus der entsprechenden Tarifvorschrift ergebe sich, dass der Kläger für die Nachtarbeit am 15./16. Juli 2000 keine Zeitgutschrift verlangen könne. Vielmehr habe eine Verrechnung der am 15./16. Juli 2000 erbrachten Arbeitsleistung mit der erfolgten Gutschrift für die am 06./07. Mai 2000 ausgefallene Nachtschicht erfolgen können. Die geplante Nachtschicht am 06./07. Mai 2000 sei auf Grund der vorangegangenen Betriebsstörung ausgefallen. Der Einsatz derjenigen Arbeitnehmer, welche die aufgetretene Störung beseitigt hätten, in der an sich geplanten Nachtschicht sei rechtlich unmöglich gewesen, weil ansonsten gegen arbeitszeitrechtliche Regelungen verstoßen worden wäre. Der Arbeitsausfall sei von ihr nicht zu vertreten, weil derart aufwendige Störungen sehr selten vorkämen und erstmals eine Schicht habe abgesagt werden müssen. Im Einsatzbereich des Klägers seien im Jahre 2000 lediglich sechs Störungseinsätze erfolgt, die im Durchschnitt drei Stunden gedauert hätten. Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 JazTV begründe keinen Anspruch auf Zeitgutschrift, da die Tarifvertragsparteien dies andernfalls - wie durch die Bestimmungen in § 6 Abs. 7 und 8 JazTV geschehen - im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gebracht hätten. Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 JazTV regle mit der Absage von Schichten und der Verpflichtung zur Nacharbeit ausgefallener Arbeitszeit zwei völlig getrennte Sachverhalte. Auf eine betriebliche Übung könne der Kläger sich nicht berufen, da es die von ihm behauptete Praxis nicht gegeben habe und weil nach § 3 Abs. 1 MTV eine Schriftformklausel einzuhalten sei.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte durch das Urteil vom 16. August 2001, welches am 02. November 2001 zugestellt worden ist, antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe nach § 4 Abs. 1 JazTV ein Anspruch darauf zu, die am 15./16. Juli 2000 geleistete Arbeit mit 9 Stunden 15 Minuten gutzuschreiben. Eine Verrechnung der am 15./16. Juli 2000 erbrachten Arbeitsleistung mit der Gutschrift für die ausgefallene Nachtschicht am 06./07. Mai 2000 sei nur möglich, wenn die Zeitgutschrift zu Unrecht erfolgt sei oder tarifvertraglich eine Befugnis dazu bestehe. Dies ergebe sich jedoch nach Auslegung der maßgeblichen Tarifvorschrift nicht. Die Beklagte sei nach Ablauf der in § 6 Abs. 5 Satz 2 JazTV vorgesehenen Ankündigungsfrist an die Monatsplanung gebunden gewesen. Durch die Absage der Nachtschicht sei sie in Annahmeverzug gekommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Erbringung der Arbeitsleistung nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 30. November 2001 eingereichten Berufung, die sie mit Ablauf der auf den fristgerechten Antrag hin verlängerten Frist zur Berufungsbegründung ausgeführt hat. Die Beklagte hält sich weiterhin für berechtigt, die vom Kläger am 15./16. Juli 2000 erbrachte Arbeitsleistung mit der Gutschrift für die am 06./07. Mai 2000 ausgefallene Nachtschicht zu verrechnen. Sie meint, das Arbeitsgericht habe mit seiner Auslegung eine völlig neue Norm geschaffen, die von den Parteien nicht gewollt gewesen sei. Die maßgebliche Vorschrift des § 6 Abs. 5 JazTV enthalte eine Sonderregelung zu dem Grundsatz "kein Lohn ohne Arbeit". Der Arbeitgeber trage das Risiko, dass Nacharbeit tatsächlich eingefordert werden könne, weil es sich bei der Nacharbeit um eine zusätzliche Arbeitsleistung außerhalb des regelmäßigen Arbeitsablaufs handele und ein tatsächlicher Bedarf danach bestehen müsse. Werde der Arbeitnehmer spätestens am Vortag über den Arbeitsausfall informiert, bleibe es bei dem Grundsatz "kein Lohn ohne Arbeit". Ausgefallene Arbeitszeit werde in diesem Fall dem Arbeitszeitkonto nicht gutgeschrieben und demzufolge könne auch keine Nacharbeit verlangt werden. Nacharbeit sei begrifflich immanent, dass der Arbeitgeber die entsprechende Gegenleistung, nämlich die Arbeitszeitgutschrift, bereits vorab erbracht habe. Gegen die von ihr für zutreffend gehaltene Auslegung spreche nicht, dass in diesem Falle die Regelung des § 6 Abs. 7 JazTV überflüssig sei. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 5 JazTV sei bei vorübergehender Unmöglichkeit der Arbeitsleistung i. S. des § 6 Abs. 7 JazTV unerheblich, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer über den Arbeitsausfall informiert werde. Selbst wenn der Auslegung des Arbeitsgerichts zu folgen sei, könne sie die Nacharbeit verlangen, da es sich um einen Arbeitsausfall infolge vorübergehender Unmöglichkeit wegen Betriebsstörung gehandelt habe. Außerdem stehe die von ihr für richtig gehaltene Auslegung der maßgebenden Tarifvorschrift im Einklang mit der mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung bestehe nicht.

Die Beklagte beantragt,

1. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 16.08.2001 - Az: 1 Ca 221/01 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung als zutreffend. Er verweist auf eine Auskunft der Gewerkschaft TransNet, wonach die Vorschrift des § 6 Abs. 5 JazTV eingefügt worden sei, um einen Mindestschutz der Zeitsouveränität der Arbeitnehmer zu sichern, weil der Arbeitgeber ohnehin auf Grund der Regelungen hinsichtlich der Jahresarbeitszeit und Rufbereitschaft bereits sehr flexibel im Rahmen des Direktionsrechts über die Arbeitszeit der Arbeitnehmer verfügen könne. Auch nach den Erläuterungen der tarifvertragschließenden Deutschen Bahn AG folge aus der Vorschrift des § 6 Abs. 5 JazTV, dass bei nicht rechtzeitiger Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Arbeitsausfall die Arbeitszeit regelmäßig als geleistet zu werten sei. Die Vorschrift des § 6 Abs. 7 JazTV sei nicht einschlägig.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 16. August 2001 ist statthaft. Das Arbeitsgericht hat ausweislich der Ziffer 4 des Tenors der angefochtenen Entscheidung die Berufung zugelassen (§ 64 Abs. 2 lit. a ArbGG i. d. F. des Art. 1 Nr. 18 des Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes vom 30. März 2000, BGBl. I S. 333). Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und mit Ablauf der auf den fristgerechten Antrag hin verlängerten Frist zur Berufungsbegründung ordnungsgemäß ausgeführt worden, so dass es gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO a. F. zulässig ist. In der Sache kann die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Da die für die Zeit 6./7. Mai 2000 von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr geplante Nachtschicht erst am 6. Mai 2000 um 19.00 Uhr abgesagt worden ist, war die Beklagte nicht berechtigt, die vom Kläger am 15./16. Juli 2000 geleistete Nachtschicht, während deren Verlauf die Auswechslung des Fahrdrahtes nachgeholt worden ist, mit der erfolgten Gutschrift für die am 6./7. Mai 2000 ausgefallene Schicht zu verrechnen.

II.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zutreffend stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, die vom Kläger am 15./16. Juli 2000 geleistete Nachtschicht dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutzuschreiben. Die Verrechnung der Arbeitsstunden dieser geleisteten Nachtschicht mit den ausgefallenen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutgeschriebenen Arbeitsstunden der für den 6./7. Mai 2000 geplanten, jedoch abgesagten Nachtschicht war nach den tarifvertraglichen Regelungen nicht zulässig.

1. Dem Klagbegehren des Klägers steht nicht entgegen, dass das Kalenderjahr, für welches der Kläger die Gutschrift begehrt, zum Zeitpunkt der Klagerhebung bereits verstrichen war. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gewerkschaft TransNet bzw. der GdED abgeschlossenen Tarifverträge unmittelbare und zwingende Anwendung (§ 4 Abs. 1 TVG). Wie die Parteien in der Berufungsverhandlung unstreitig gestellt haben, ist nach dem Betriebs(-teil)übergang auf die jetzige Beklagte ein Überleitungstarifvertrag mit den tarifschließenden Gewerkschaften vereinbart worden. Da der Kläger gewerkschaftlich organisiert ist, sind die einschlägigen Tarifverträge nicht Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden (§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern gelten normativ.

Hinsichtlich der Zeitkonten ist in § 4 Abs. 1 JazTV bestimmt:

(1) Für den Arbeitnehmer wird ein Arbeitszeitkonto geführt, das der Feststellung der tarifvertraglich anzurechnenden Arbeitszeit für die angeordnete und geleistete Arbeit und der arbeitszeitrechtlichen Grundlagen für das Entgelt dient; dazu werden die jeweils zu erbringende Jahresarbeitszeit (§§ 2 und 7 Abs. 2) und die geleistete bzw. anzurechnende Arbeitszeit fortlaufend saldiert.

...

Wie sich aus der Erläuterung dazu (Information zur Anwendung des Tarifrechts im Geschäftsbereich Netz - Bl. 56 der zweitinst. Akte) ergibt, werden dem Arbeitnehmer bei Beginn des Arbeitszeitjahres 1.984 Stunden "ins Soll gestellt". Jede Arbeitsleistung vermindert das Zeit-Budget. Wird das Arbeitszeitsoll überschritten, wird am Ende des Jahresabrechnungszeitraums die darüber hinausgehende Zeit vom Arbeitszeitkonto in das Freizeitkonto des Arbeitnehmers übertragen (§ 4 Abs. 4 JazTV). Die Zeitkonten sind nach § 4 Abs. 9 JazTV auszugleichen, wenn der Arbeitnehmer den Geltungsbereich des Tarifvertrages verlässt. Arbeitszeitschulden sind finanziell nur auszugleichen, wenn der Arbeitnehmer sie zu vertreten hat. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung fortbestand, führt die vom Kläger begehrte Zeitgutschrift entweder zu einem Zeitguthaben oder zu einem Ausgleich, falls das Zeit-Budget nicht erreicht worden sein sollte.

2. Wenn auch der zunächst für das Wochenende 6./7. Mai 2000 geplante Fahrdrahtwechsel am 15./16. Juli 2000 nachgeholt wurde, war die Beklagte nicht berechtigt, die vom Kläger im Juli erbrachte Arbeitszeit mit den für die ausgefallene Nachtschicht im Mai gutgeschriebenen Arbeitsstunden zu verrechnen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ist die Zeitgutschrift für die ausgefallene Nachtschicht weder zu unrecht erfolgt, was von der Beklagten auch nicht geltend gemacht wird, noch war die Beklagte nach den anwendbaren tarifvertraglichen Bestimmungen berechtigt, für den 15./16. Juli 2000 Nacharbeit ohne nochmalige Gutschrift der geleisteten Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto anzuordnen.

a) Lässt der Arbeitgeber die für eine Schicht eingeteilten Arbeitnehmer nicht arbeiten, gerät er grundsätzlich in Annahmeverzug (§§ 615 Satz 1, 296 Satz 1 BGB). Eine Nachleistungspflicht des Arbeitnehmers besteht nicht. Etwas Anderes gilt vorliegend nicht deshalb, weil drei der neun zur Nachtschicht am 6./7. Mai 2000 eingeteilten Mitarbeitnehmer aus Gründen des Arbeitszeitschutzes nicht im vollem Umfang zur Arbeit herangezogen werden konnten, weil diese am 6. Mai 2000 bereits von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr aus der Rufbereitschaft zum Entstörungseinsatz gerufen worden waren. Da die Beklagte nur vorübergehend an der Annahme der Arbeitsleistung gehindert war, liegt ein Fall des Annahmeverzugs und nicht der Unmöglichkeit vor (Hk-BGB/Eckert, § 615 Rn. 4).

b) Hinsichtlich der Verteilung der Jahresarbeitszeit enthält § 6 JazTV spezifische Regelungen. Unter § 6 Abs. 5 JazTV ist bestimmt:

Fällt Arbeit aus, ist der Arbeitnehmer spätestens am Vortage hierüber zu informieren. Die DB AG kann verlangen, dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt wird.

Nach dem Wortlaut dieser tariflichen Bestimmung trifft den Arbeitgeber einerseits eine Informationspflicht; andererseits enthält sie eine Berechtigung für ihn, nämlich die Nachholung ausgefallener Arbeitszeit zu verlangen. Ausdrücklich ist in § 6 Abs. 5 JazTV nicht geregelt, was gelten soll, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht spätestens am Vortag über den Ausfall der Arbeit informiert. Die Auslegung der Tarifnorm nach ihrem Sinn und Zweck und dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass der Arbeitgeber die Nachholung ausgefallener Arbeitszeit ohne Anrechnung auf das Zeit-Budget nur dann verlangen kann, wen er die Ankündigungsfrist gewahrt hat. Nur in diesem Fall kann der Arbeitnehmer noch über die gewonnene Freizeit disponieren.

c) Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v. 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92, BAGE 73, 364 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung; Urt. v. 4. April 2001 - 4 AZR 180/00, AP Nr. 172 zu § 1 TVG Auslegung) sind Tarifverträge wie Gesetze auszulegen. Die Tarifauslegung hat zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit dies in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der schon häufig deswegen mitberücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben hingegen bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhanges als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Für die Gerichte gibt es dabei keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel.

d) Wenn auch die Tarifvertragsparteien die Informationspflicht des Arbeitgebers und die Berechtigung, die Nachholung ausgefallener Arbeitszeit zu verlangen, in zwei getrennten Sätzen geregelt haben, so kann die Bestimmung nicht dahin verstanden werden, der Arbeitgeber könne die Nachholung der ausgefallenen Arbeitszeit ohne Auswirkungen auf das Arbeitszeitkonto auch dann verlangen, wenn er die Ankündigungsfrist nicht gewahrt hat. Anderenfalls bedürfte es der Ankündigungsfrist nicht und § 6 Abs. 5 Satz 2 JazTV wäre dann dahin zu verstehen, der Arbeitgeber könne in jedem Fall die Nachholung ausgefallener Arbeitszeit verlangen, so dass die Arbeitnehmer in jedem Fall das Risiko des Arbeitsausfalles zu tragen hätten.

Dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten die tarifliche Bestimmung nicht im Sinne der Beklagten verstanden und angewandt hat, ergibt sich aus der von dem Kläger im zweiten Rechtszug vorgelegten "Information zur Anwendung des Tarifrechts im Geschäftsbereich Netz" (Bl. 50 ff. der zweitinst. Akte). Dort ist als "Erläuterungen für den GB Netz" zu § 6 Abs. 5 JazTV ausgeführt:

Hieraus folgt, dass die Arbeitszeit regelmäßig als geleistet zu werten ist, wenn der Beschäftigte nicht "spätestens am Vortag" über den Ausfall informiert wurde.

Damit ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die nach dem Vorspann der Informationen zur Umsetzung der Jahresarbeitszeit im GB Netz Erläuterungen erarbeitet hat, weil damit Neuland betreten worden ist, zu den allgemeinen Grundsätzen zurückgekehrt, die gelten, wenn ein arbeitsbereiter Arbeitnehmer nicht zur Ableistung der festgelegten Arbeiten herangezogen wird. Der Vorwurf der Berufung, das Arbeitsgericht habe der Tarifvorschrift einen anderen Wortlaut gegeben, der dahin laute: "Nur wenn der Arbeitnehmer über den Ausfall spätestens am Vortage unterrichtet wurde, kann die DB AG verlangen, dass die ausgefallene Arbeitszeit nachgeholt wird", trifft somit nicht zu. Wird die nicht rechtzeitig abgesagte Arbeit zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt, ist die dann angeordnete und geleistete Arbeit auf das Zeit-Budget anzurechnen.

e) Welches Risiko die Beklagte tragen soll, dass die Nacharbeit tatsächlich eingefordert werden kann, wie die Beklagte geltend macht, ist nicht ersichtlich. Vorliegend konnte die Auswechslung des Fahrdrahtes im Bahnhof Amstetten nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt erfolgen. Da die Auswechslung notwendig war, musste sie zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt werden. Zutreffend dagegen führt die Beklagte aus, dass im Falle einer rechtzeitigen Information des Arbeitnehmers über den Arbeitsausfall keine Gutschrift erfolgt, so dass der Arbeitnehmer im Hinblick auf sein Zeit-Budget dadurch nicht belastet wird, weil keine Gutschrift erfolgt. Damit haben die Tarifvertragsparteien abweichend von allgemeinen Grundsätzen das Arbeitsausfallrisiko auf die Arbeitnehmer verlagert, die sich bei der knapp bemessenen Frist darauf noch einrichten können. Wird wie vorliegend die angeordnete Arbeit eine Stunde vor dem vorgesehenen Beginn abgesagt, kann der Arbeitnehmer über die dadurch gewonnene Freizeit im Regelfall nicht mehr disponieren. In einem solchen Fall soll er bezüglich seines Zeit-Budget so gestellt werden, als wenn er gearbeitet hätte.

f) Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch erkannt, dass § 6 Abs. 7 Satz 4 JazTV die Beklagte nicht zu dem Verlangen berechtigte, die am 6./7. Mai 2000 ausgefallene Arbeitszeit ohne nochmalige Anrechung auf das Zeit-Budget nachzuholen. Nach dieser tariflichen Bestimmung, wegen deren Wortlaut auf die Wiedergabe im Tatbestand der angefochtenen Urteils verwiesen wird, kann die Arbeitgeberin, ohne dass die nochmalige Anrechnung auf die tarifvertragliche Jahresarbeitszeit erfolgt, verlangen, dass nach § 6 Abs. 7 Satz 1 JazTV bezahlte Arbeitszeit innerhalb der folgenden drei Kalendermonate nachgeholt wird. § 6 Abs. 7 Satz 1 JazTV sieht eine Bezahlung ausgefallener Arbeitszeit vor, wenn die Arbeit infolge vorübergehender Unmöglichkeit der Arbeitsleistungen wegen Betriebsstörungen betriebstechnischer oder wirtschaftlicher Art, die nicht aus von der Arbeitgeberin zu vertretenden Gründen verursacht worden sind, oder infolge behördlicher Maßnahmen ausgefallen ist. Der Ausfall der Arbeitszeit am 6./7. Mai 2000, um die es vorliegend allein geht, war weder durch eine Betriebsstörung betriebstechnischer oder wirtschaftlicher Art noch durch eine behördliche Maßnahme bedingt. Ursächlich war allein, dass für die Auswechslung des Fahrdrahtes neun Arbeitnehmer erforderlich waren, drei der eingeteilten Arbeitnehmer jedoch, wenn sie nach der Heranziehung zum Entstörungseinsatz am 6. Mai 2000 die für die Nacht vom 6. auf den 7. Mai 2000 geplante Arbeit erbracht hätten, länger als nach dem Gesetz bzw. dem Tarifvertrag zulässig zur Arbeit herangezogen worden wären. Darauf, dass der gebrochene Isolator eine gravierende Betriebsstörung darstellte, kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an. Die Präposition "infolge" lässt nicht irgendeinen weiteren Zusammenhang genügen, vielmehr muss der Arbeitsausfall unmittelbar auf den in der Tarifbestimmung angeführten Gründen beruhen. Der Arbeitsausfall am 6./7. Mai 2000, nämlich das Auswechseln des Fahrdrahtes im Bahnhof Amstetten, beruhte allein darauf, dass der Beklagten keine hinreichende Anzahl von Arbeitnehmern zur Verfügung stand, die arbeitszeitrechtlich unbedenklich zur Arbeit hätten herangezogen werden können.

Soweit die Beklagte selbst im ersten Rechtszug geltend gemacht hat, der Ausfall der für den 6./7. Mai 2000 geplanten Schicht habe auf einer rechtlichen Unmöglichkeit beruht, trifft dies im Hinblick auf den Kläger ohnehin nicht zu. Nicht der Kläger sondern drei Arbeitnehmer, die an sich zur Ableistung der Nachtschicht im Mai vorgesehen waren, sind vor Beginn der Nachtschicht zu einem fünfstündigen Entstörungseinsatz gerufen worden. Der Einsatz des Klägers unterblieb nicht wegen zu erwartender Überschreitung der höchstzulässigen Arbeitszeit durch ihn, sondern weil der Beklagten keine weiteren Arbeitnehmer zur Verfügung standen, die sie für die drei zuvor herangezogenen Arbeitnehmer hätte einsetzen können.

g) Ohne Erfolg verweist die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Auffassung auf Bestimmungen in der zwischen ihr und dem Betriebsrat Ulm abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zur Sicherung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 5 BetrVG vom 7. Oktober 1998. Während das Arbeitsgericht dahingestellt gelassen hat, ob die Betriebspartner damit eine eigenständige Regelung über die Anordnung von Nacharbeit und hinsichtlich der Frage, ob diese auf dem Arbeitszeitkonto anzurechnen ist, getroffen haben, weil einer solchen Regelung der Einleitungssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG (Tarifvorrang) entgegenstehen würde, macht die Beklagte geltend, nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Seiten stellten die Bestimmungen in § 9 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung lediglich eine klarstellende Wiederholung der tarifvertraglichen Regelung dar. Verneint die Beklagen somit einen eigenständigen Regelungsgehalt der Bestimmung in der Betriebsvereinbarung, kommt es darauf nicht an. Im übrigen beruhte der Ausfall der Arbeitsschicht im Mai 2000 nicht auf einer Störung im Betriebsablauf, sondern der Verhinderung einer solchen Störung. Wie die Beklagte im ersten Rechtszug ausgeführt hat, wäre die Leiterschleife, falls der zweite Isolator ebenfalls gebrochen wäre, an den Mastausleger gezogen worden, so dass es zu einem Kurzschluss hätte kommen können. Zwischen der Mitteilung am 5. Mai 2000 gegen 19.00 Uhr, ein Isolator sei gebrochen, und der Lokalisierung, dem Auffinden und der Auswechslung des gebrochenen Isolators sind 14 Stunden verstrichen, ohne dass geltend gemacht worden wäre, in dieser Zeit habe kein Zugverkehr stattgefunden. Von einer Betriebsstörung kann nur dann gesprochen werden, wenn der Betrieb unterbrochen, zumindest jedoch eingeschränkt ist. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Es bestand eine Betriebsgefahr, die nach den innerbetrieblichen Regelungen der Beklagten sofort zu beseitigen war.

3. Da somit nach den anwendbaren tarifvertraglichen Bestimmungen für die am 6./7. Mai 2000 ausgefallene Arbeitszeit zu Recht eine Zeitgutschrift erfolgt ist - Gegenteiliges macht die Beklagte auch nicht geltend - und es sich bei der am 15./16. Juli 2000 nachgeholten Auswechslung des Fahrdrahtes nicht um einen Sachverhalt handelte, der die Beklagte zur Verrechnung berechtigte, war ihre Berufung zurückzuweisen. Darauf, ob bei der Beklagten eine betriebliche Übung des Inhalts bestand und entstehen konnte, im Falle der vorliegenden Art die nachgeholte Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben, kommt es somit nicht an. Im Übrigen hat der Kläger eine solche betriebliche Übung nur pauschal behauptet, ohne konkrete Fälle vorzutragen.

III.

1. Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte gemäß § 64 Abs. 6 ArbG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

2. Gegen dieses Urteil findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt. Die Revisionsschrift muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Berufungsurteils, die Revisionsbegründung innerhalb von zwei Monaten nach diesem Zeitpunkt bei dem

Bundesarbeitsgericht, 99113 Erfurt

Telefax: (03 61) 26 36 - 20 00

eingehen.

Die Revisions- und die Revisionsbegründungsschrift müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Ende der Entscheidung

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